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Das Modell der Marktwirtschaft
Darstellung und Kritik des Eigentum-Vertrags-Systems
Zur Methodologie der normativen Sozialwissenschaften
Tauschprinzip - Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse
Teil II, Kapitel 13-16, 1976
*** Empfehlung: Nutzen Sie die Suchfunktion Ihres Internet-Browsers! ***
Vorbemerkung:
Der folgende Text enthält Teil II, Kapitel 13-16, der Arbeit : "Zur
Methodologie der normativen Sozialwissenschaften. Tauschprinzip -
Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse. " aus dem Jahr 1976.
Im
Klett-Cotta-Verlag erschien 1979 eine überarbeitete und gekürzte Fassung dieser Arbeit unter
dem geänderten Titel:
"Tauschprinzip - Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse. Zur Methodologie
normativer Ökonomie und Politik".
Dieses Buch ist als PDF-Datei hier verfügbar.
Diejenigen Paragraphen, die in der Buchfassung nicht enthalten sind, sind im
folgenden Inhaltsverzeichnis mit einem grünen Sternchen*
gekennzeichnet.
Der Text schließt an an Teil I,
Kapitel 1 bis 11:
Einzelinteresse und Gesamtinteresse *** (565 K)
und Kapitel 12: Einstimmigkeits-Regeln und
Status-quo-Klauseln ** (68 K).
Teil III, Kapitel 17-24 behandelt das Mehrheitsprinzip **
(366 K).
Die ursprünglichen Seitenzahlen sind in geschweiften Klammern eingefügt. Die
Fußnoten wurden in den Text eingearbeitet und sind an der Kursivschrift zu
erkennen.
Zur Literaturliste am Ende von Teil III
Inhaltsangabe:
13. Kapitel
Das Eigentum-Vertrags-System
§ 78 Die
Einrichtung separater Verfügungsbereiche:
Die Verbindung von Privateigentum und Vertragsfreiheit 354
§ 79
Die problematische Annahme nur eigentumsbezogener Interessen 357
§ 80
Die Abgrenzung individueller Verfügungsbereiche aufgrund der
besonderen Betroffenheit des Individuums 361
§ 81
Individuelle Verfügungsbereiche und die Voraussetzung der Mündigkeit 363
§ 82
Privates Eigentum
als automatisches Sanktionssystem 365
1. Die Bedürftigkeit des Menschen 366
2. Die
Notwendigkeit der sparsamen Verwendung knapper
Güter 366
3. Die Notwendigkeit der
Produktion knapper Güter 369
4. Die Notwendigkeit
produktivitätssteigernder Investitionen 371
§ 83 "Knappheit", "Verschwendung" und "Leistung" unter
der Voraussetzung einer privaten Eigentumsordnung 373
§ 84 Die Logik der privaten
Eigentumsordnung und die Form
der Nutzenbestimmung 380*
§ 85 Kumulative Tendenzen des privaten
Eigentums an Produktionsmitteln und der privaten Vermögen 382
§ 86 Leistungsprinzip,
ungleiches Eigentum und Solidaritätsprinzip 384
§ 87 Die Allokationsfunktion
des privaten Eigentums 388*
§ 88 Geld als Tauschmittel
im Eigentum-Vertrags-System 391*
1. Die Notwendigkeit sich wechselseitig ergänzender Wünsche
und Leistungen der Vertragspartner 391
2. Das Problem der begrenzten
Teilbarkeit von Leistungen 393
3. Der Ringtausch 393
4. Der 'indirekte Tausch': Erwerb zum Zwecke der
Veräußerung 395
5. Das Geld als Tauschmittel 398
14. Kapitel
Die mangelnde Abgrenzbarkeit der privaten Eigentumssphären
§ 89 Die zusätzliche Dynamik des Status
quo im Eigentum-Vertrags-System 401
§ 90 Indirekte Interdependenzen
zwischen den individuellen Verfügungsbereichen 402
§ 91 Externe Effekte 405
§ 92 Öffentliche Güter 408
15. Kapitel
Verhandlungsmacht und Monopol
§ 93 Verhandlungsmacht im
Eigentum-Vertrags-System 410
§ 94 Verhandlungsmacht und einseitiges
Monopol
412*
§ 95 Beschränkungen der Verhandlungsmacht des Monopolisten 413*
1.
Das Ausweichen auf Ersatzleistungen
(Produkt-Substitution) 413*
2.
Das Eigeninteresse des Monopolisten am
Vertragsabschluss 415*
§ 96 Verhandlungsmacht und
Sanktionsfreiheit 420*
§ 97 Monopol und diskriminierende
Verträge 423*
16. Kapitel
Vollkommene Konkurrenz und Pareto-Optimalität im Eigentum-Vertrags-System
§ 98 Die Aufhebung individueller
Verhandlungsmacht durch Konkurrenz 425
{XII}
§ 99 Die Theorie des
Gleichgewichtspreises 427*
§ 100 Das Tauschoptimum 432*
1.
Gleichgewichtspreis und Tauschoptimum
432*
2.
Erläuterung der Indifferenzkurven-Analyse 433*
3.
Analyse der Tauschsituation mithilfe eines
Kastendiagramms 438*
4.
Tauschoptimum und Maximum des Gesamtnutzens 442*
§ 101 Das Optimum der Produktion 446*
1.
Die Bedingungen effizienter Produktion 446*
2.
Die graphische Darstellung der
paretoeffizienten Produktion 449*
§ 102 Das gemeinsame Optimum von Produktion und Tausch 454*
1.
Die Übereinstimmung der Grenzraten von
Transformation und Substitution 454*
2.
Die Darstellung der gemeinsamen Pareto-Optima von
Produktion und Tausch 457*
§ 103 Die Pareto-Optimalität des
Gleichgewichts bei vollkommener Konkurrenz 462*
§ 104 Die normative
Beurteilung des Konkurrenz-Gleichgewichts 467
§ 105 Exkurs: Die Kosten der menschlichen Arbeit im
Eigentum-Vertrags-System
(wurde ausgegliedert nach:
Kosten
der menschlichen Arbeit in der Marktwirtschaft )
Textanfang
{354}
13. Kapitel
Das Eigentum-Vertrags-System
§ 78 Die Einrichtung separater Verfügungsbereiche: Die
Verbindung von
Privateigentum und Vertragsfreiheit
Einstimmigkeits-Regeln bleiben auch nach der Ergänzung
durch eine Status-quo-Klausel relativ inflexible Verfahren der kollektiven
Entscheidung. (Dazu
Einstimmigkeits-Regeln und
Status-quo-Klauseln ** (68 K)) Es genügt das Veto eines einzigen Individuums, um die Realisierung
einer Alternative bzw. eines Alternativenbündels zu verhindern und den Status
quo beizubehalten. Ganz abgesehen vom Problem der normativen Akzeptierbarkeit
der Veto-Regel wegen dieser konservativen Schlagseite stellt sich damit
weiterhin das Problem ihrer praktischen Anwendbarkeit, vor allem wenn es um die
Setzung von Normen mit universalem Geltungsanspruch geht, bei dem im Prinzip die
Interessen aller Individuen zu berücksichtigen sind.
Eine institutionelle Möglichkeit zur Überwindung der
Starrheit von Einstimmigkeits-Regeln besteht nun darin, dass man
die Welt in
separate Bereiche einteilt, über die jeweils nur bestimmte Individuen verfügen
dürfen. Bei einer derartigen Abgrenzung separater Verfügungsbereiche ist für die Entscheidung, ob
eine bestimmte Alternative verwirklicht werden soll oder nicht, nicht mehr die
Gesamtheit der Individuen zuständig, sondern es sind nur noch diejenigen Individuen
zuständig, in deren Verfügungssphäre durch
die betreffende Entscheidung eingegriffen wird. {355}
Statt von "Verfügungssphäre" kann man auch von "Privatsphäre", "Rechtssphäre" oder - bezogen auf Gegenstände
- von "Eigentumssphäre" sprechen. Entscheidend ist, dass bestimmten abgegrenzten
Bereichen der Wirklichkeit bestimmte Subjekte zugeordnet werden, die das Recht
auf freie Verfügung über diesen Bereich haben. Handlungen, die einen solchen
Verfügungsbereich tangieren, sind damit nur mit Zustimmung der zuständigen
Individuen zulässig.
Dabei sind neben individuellen Verfügungsbereichen im
Prinzip auch kollektive Verfügungsbereiche denkbar. Ein Beispiel für das erstere
wäre das private Eigentum an einem Grundstück, ein Beispiel für das letztere
wäre die territoriale Souveränität von Staaten.
Unter den Bedingungen einer solchen Ordnung aus separaten
Verfügungsbereichen ist die Herstellung von Einstimmigkeit natürlich erheblich
erleichtert. Wenn sich eine Alternative in ihren Auswirkungen nur auf
Veränderungen innerhalb einer einzigen Verfügungssphäre beschränkt, so ist für
die "Einstimmigkeit" nur die Zustimmung des zuständigen Individuums notwendig,
ohne dass die Interessen anderer Individuen überhaupt berücksichtigt werden
müssen. Werden mehrere Verfügungsbereiche von einer Entscheidung betroffen, so
müssen nur die für diese Bereiche zuständigen Individuen Einstimmigkeit
erzielen.
Wenn eine derartige Ordnung als individualistisches
Entscheidungs-System umgesetzt wird, in dem die betreffenden Individuen autonom die
Alternativen formulieren und ihre individuellen Interessen artikulieren, so
entspricht diese Ordnung einem Eigentum-Vertrags-System. In
diesem System ergeben sich alle kollektiven Entscheidungen aus einer {356}
Verbindung von Eigentumsrechten, die hier im weitesten
Sinne als unbeschränkte Verfügungsrechte verstanden werden, und
Vertragsfreiheit.
Die kollektiven Entscheidungen finden in einem solchen System
also in dezentralisierter Form statt, sei es als zwischen den Individuen
ausgehandelte vertragliche Vereinbarung oder sei es als freie Entscheidung der
Individuen innerhalb ihrer eigenen Verfügungssphäre.
Da der Vorschlag der Alternativen und die Bestimmung der
individuellen Interessen den betreffenden Individuen selber überlassen bleiben,
können sich insofern Probleme ergeben, als Individuen die für sie
vorteilhaftesten Alternativen gar nicht als solche erkennen.
Auch hier ist die
Qualifikation der individuellen Interessen also eine grundlegende Voraussetzung
für die normative Anerkennbarkeit der getroffenen Vereinbarungen.
Außerdem
spielt das Verhandlungsgeschick der Beteiligten eine wichtige Rolle, etwa wenn
aus einer Vielzahl möglicher Vereinbarungen ein Individuum die für sich selber
vorteilhafteste realisiert mit Hilfe von unaufrichtigen Präferenzäußerungen. [[1]
Zum Verhandlungsgeschick s. u. § 100/3.]
Das Eigentum-Vertrags-System stützt sich bei der Lösung dieser Probleme weitgehend auf das Eigeninteresse der Individuen an der Auffindung relevanter Alternativen, an der Aufklärung der eigenen Interessen und an der Realisierung der vereinbarten Alternative. Allerdings ist der "Motor" Eigeninteresse in vieler Hinsicht unzulänglich, sodass zusätzlich sanktionierte Rahmennormen erforderlich werden. Dies ist etwa der Fall, wenn bei zeitlich verschobenen gegenseitigen Leistungen das Eigeninteresse eine Nicht-Einhaltung der Vereinbarung nahelegt.{357}
§ 79 Die problematische Annahme nur eigentumsbezogener
Interessen
Unter der Voraussetzung, dass die Interessen der Individuen
allein auf die ihnen zugeordnete Verfügungssphäre beschränkt sind und dass die
Individuen gegenüber Vorgängen in andern Verfügungsbereichen völlig indifferent
sind, sofern nicht ihr eigener Bereich tangiert wird, entspricht das
Eigentum-Vertrags-System ganz der auf den Status quo bezogenen Pareto-Regel, der
Veto-Regel.
Da die Pareto-Regel so konstruiert ist, dass die indifferenten
Individuen vernachlässigt werden können, und da voraussetzungsgemäß alle Individuen
gegenüber Vorgängen außerhalb ihrer eigenen Verfügungssphäre indifferent sind,
brauchen dann nur die Interessen derjenigen Individuen ermittelt zu werden,
deren Verfügungsbereich tangiert wird. Wenn von diesen Individuen jedes für die
entsprechende Veränderung ist, so kommt eine vertragliche Vereinbarung zwischen den
betreffenden Individuen zustande. Wo jedoch eines der zuständigen Individuen den
Status quo vorteilhafter findet als die vorgeschlagene Vereinbarung, bleibt es
beim Status quo. Wenn sich also die Eigentumssphären aller Individuen mit ihrer
Interessensphäre decken, entspricht das Eigentum-Vertrags-System der
Veto-Regel.
Von einer derartigen Beschränkung der individuellen
Interessen auf die jeweilige Eigentumssphäre wird auch in der
paretianischen Wohlfahrtsökonomie ausgegangen. Es wird dabei
vorausgesetzt, dass die Individuen die zur Entscheidung anstehenden Alternativen
nur unter dem Aspekt beurteilen, wie sich die in ihrem Eigentum befindlichen
Gütermengen verändern. Welche Gütermengen {358} die andern Individuen erhalten, darf nach dieser
Voraussetzung keinen Einfluss auf die Bewertung der Alternativen durch die
Individuen haben. [[2] So z. B. BATOR 1957, S.373.]
Eine solche Beschränkung der individuellen Interessen auf
die jeweilige Eigentumssphäre versteht sich jedoch keineswegs von selbst, denn
hier wird zur kollektiven Entscheidung in Bezug auf die anstehenden Alternativen
nicht mehr auf die Beurteilung der Alternative als ganzer zurückgegriffen,
sondern nur noch auf die Beurteilung von partiellen Ausschnitten aus diesen Alternativen durch die jeweiligen Eigentümer.
ARROW bemerkt zu diesem Verfahren, das er als "Prinzip der
beschränkten sozialen Präferenz" (principle of limited social preference)
bezeichnet: "Es gibt keinen logischen Weg, um eine bestimmte Klasse von
Konsequenzen zu unterscheiden, die einem bestimmten Individuum zugehören. Wenn
ich finde, dass meine Befriedigung durch die Armut irgendeines anderen
herabgesetzt wird (oder, was das anbetrifft, durch den Reichtum irgendeines
andern), dann werde ich in genau dem gleichen Sinne beeinträchtigt, als wenn
meine Kaufkraft verringert würde. ... Man könnte natürlich sagen, dass das
allgemeine Prinzip einer Beschränkung in der Beurteilung von Angelegenheiten
anderer eine empirische Annahme darüber ist, dass sich Menschen tatsächlich
nicht um die Angelegenheiten kümmern (oder streng genommen keine diesbezüglichen
Präferenzen haben), die sie - umgangssprachlich formuliert - nichts angehen.
Aber natürlich wissen wir empirisch, dass das völlig falsch ist. ... Die einzig {359} vernünftige Verteidigung dessen, was man eine liberale
Position - oder vielleicht genauer: ein Prinzip der beschränkten sozialen
Präferenz - nennen könnte, besteht darin, dass man das Prinzip selber als ein
Werturteil ansieht." [[3] ARROW 1967, S.124ff.]
Durch die Einführung von separaten Verfügungsbereichen
werden die Einstimmigkeits- bzw. Veto-Regeln entscheidend modifiziert. Es ist
nicht so, dass die Grenzen der Eigentumssphären den tatsächlichen Beschränkungen
der individuellen Interessen folgen, sondern es gilt eher umgekehrt, dass sich
unter der Bedingung sanktionierter Eigentumsrechte alle Interessen, die über die
eigene Sphäre hinausgehen, als unwirksam erweisen. Es handelt sich im
Eigentum-Vertrags-System genaugenommen nicht mehr um die Einstimmigkeit aller
betroffenen Individuen, sondern um die Einstimmigkeit aller betroffenen Eigentümer. Hier liegt der
entscheidende Unterschied zwischen der Veto-Regel in
Form von Abstimmungen, an denen alle Individuen beteiligt sind, und der
Veto-Regel auf dem Hintergrund privater Verfügungssphären.
Der Unterschied zwischen der reinen Einstimmigkeits-Regel
und dem Eigentum-Vertrags-System wird gelegentlich verwischt, wodurch die
normative Attraktivität der Einstimmigkeits-Regel unter der Hand auf das sehr
viel mehr der Rechtfertigung bedürftige Eigentum-Vertrags-System übertragen
wird. Beispielhaft hierfür sind BUCHANAN und TULLOCK in ihrer Arbeit "The Calculus of Consent" (Das Kalkül der Übereinstimmung). {360}
In Teil 1 führen sie aus: "Die Einstimmigkeits-Regel bietet uns ein äußerst mildes ethisches Kriterium für 'Bessersein', ein Kriterium, das in der individualistischen Auffassung des Staates impliziert ist. Wir beabsichtigen nicht, über solche Wohlfahrtsurteile hinauszugehen, die sich aus einer strengen Anwendung der Einstimmigkeits-Regel deduzieren lassen. Nur wenn von einer bestimmten Veränderung der Verfassung gezeigt werden kann, dass sie im Interesse aller Parteien ist, beurteilen wir eine solche Veränderung als eine 'Verbesserung'." [[4] BUCHANAN/TULLOCK 1962, S.14]
Diese scheinbare Bezugnahme auf die Einstimmigkeits-Regel erscheint sehr akzeptabel und die Autoren unterstreichen den Ausgangspunkt des Konsensus mehrfach. Im Teil 2 heißt es jedoch an wenig auffälliger Stelle: "Es wird nützlich sein, diejenige minimale Kollektivierung der Aktivität zu 'überspringen', die mit der anfänglichen Festlegung von Menschen- und Eigentumsrechten (! E.W.) verbunden ist, sowie mit der Durchsetzung von Sanktionen gegen Verletzungen dieser Rechte. Natürlich ist es für jedes Individuum der Gruppe vorteilhaft, dieses minimale Maß an Kollektivierung zu unterstützen, und es ist sogar schwierig, die Probleme der individuellen Entscheidung für eine Verfassung zu diskutieren, solange nicht der Bereich individueller Verfügungsmacht über menschliche und nicht-menschliche Ressourcen bestimmt ist. Bevor nicht dieser einleitende Schritt getan ist, wissen wir gar nicht richtig, was für Individuen wir diskutieren sollen." [[5] BUCHANAN/TULLOCK 1962, S.46f.] {361}
Nach diesen Ausführungen wird klar, dass die Autoren unter der 'Einstimmigkeits-Regel' genau genommen das Eigentum-Vertrags-System verstehen. Und ihre Ablehnung einer "erzwungenen Zustimmung von Seiten einiger Mitglieder der sozialen Gruppe" [[6] BUCHANAN/TULLOCK 1962, S.15.] geschieht immer schon vor dem Hintergrund bereits etablierter Eigentumsrechte und wendet sich damit keineswegs gegen die erzwungene Zustimmung einiger Mitglieder der sozialen Gruppe zum Status quo der Eigentumsverhältnisse. Die Zustimmung der Individuen steht also hier immer schon unter dem 'stummen Zwang der (Eigentums-) Verhältnisse'.
In den Theorien der paretianisch orientierten Wohlfahrtsökonomie bzw. ihren Übertragungen auf die politische Sphäre ist der Maßstab also keineswegs die Einstimmigkeit der Individuen, wie es oft den Anschein hat, sondern immer nur die Einstimmigkeit bzw. das Nicht-Veto der betroffenen Eigentümer. Im folgenden Abschnitt soll nun näher untersucht werden, wie sich solche individuellen Verfügungsbereiche bzw. privaten Eigentumssphären rechtfertigen lassen.
§ 80 Die Abgrenzung individueller Verfügungsbereiche
aufgrund besonderer Betroffenheit
Oben war bereits ausführt worden, dass sich die Abgrenzung
individueller Verfügungsbereiche nicht generell mit der faktischen
Interessenbeschränkung der Individuen rechtfertigen lässt. Es lassen sich jedoch
bestimmte Bereiche denken, wo Eingriffe ein bestimmtes {362} Individuum in so viel stärkerem Maße betreffen, dass es
sinnvoll erscheint, solche Entscheidungen dem jeweiligen Individuum selber zu
überlassen.
Wichtig ist dabei, dass die besondere Betroffenheit der Individuen
naturnotwendig gegeben ist und nicht erst aufgrund gesetzter Normen erzeugt
worden ist. Naturnotwendig ist z. B. jedes Individuum in besonderer Weise dann betroffen, wenn es durch ein Feuer Verbrennungen und entsprechende Schmerzen
erleidet. Wenn jedoch jemand ein Haus in Australien geerbt hat, so betrifft ihn
der Brand dieses Hauses nur, insofern er Eigentümer ist.
Die Betroffenheit ist
also erst aufgrund sozialer Normen erzeugt und damit nicht naturnotwendig.
Beispiele für solche Bereiche, die ein bestimmtes Individuum in besonderer Weise
betreffen und die deshalb der privaten Verfügungssphäre überlassen bleiben
können, wären etwa Entscheidungen darüber, was man isst, wie man sich kleidet,
wie man seine Freizeit verbringt, welchen Sexualpartner man sich wählt, wie man
seine Wohnung einrichtet oder welche Musik man hört.
Solche Bereiche spezifischer Betroffenheit eines
Individuums sind in besonderer Weise sein "eigen", "gehören" zu ihm in
naturnotwendiger Weise, auch ohne jedes 'Eigentum' im normativen Sinne. Jedes
Individuum fühlt direkt nur seinen eigenen Hunger, seinen eigenen Schmerz,
seinen eigenen Genuss. Seine Empfindungen sind an seinen eigenen Körper und seine
eigenen Sinnesorgane gebunden. [[7] Allerdings ist das individuelle Verfügungsrecht über
keinen dieser Bereiche selbstverständlich, wie man an Gesellschaften sehen kann,
die diese Bereiche einer kollektiven Normierung unterwerfen.] {363}
In ähnlicher Weise spricht man auch bei allem,
was die
Identität einer Person ausmacht, davon, dass dies der Person "eigen" ist und "zu
ihm gehört". Man spricht von "seinem" Namen, "seinem" Aussehen, "seiner"
Eigenart usw. Eingriffe in diese Identität bedeutenden Merkmale einer Person
betreffen ein Individuum in besonderer Weise und hieraus kann sich die Forderung
begründen, die Verfügung darüber allein dem betreffenden Individuum zu
überlassen.
Dieser Bereich individueller Verfügung aufgrund besonderer
Betroffenheit des Individuums umfasst dabei nicht nur die ausdrücklichen Rechte
des Individuums, sondern gewissermaßen als 'Restkategorie' den gesamten Bereich
individuellen Verhaltens, der nicht normativ geregelt ist und folglich dem
Belieben des Individuums überlassen bleibt. Die normierten Verhaltensbereiche
stellen ja nur einen Ausschnitt aus dem kaum zu übersehenden Gesamtbereich
menschlichen Verhaltens dar.
§ 81 Individuelle Verfügungsbereiche und die Voraussetzung individueller Mündigkeit
Selbst unter der Voraussetzung, dass von einer Entscheidung
nur ein einziges Individuum betroffen ist und dass alle anderen Individuen
dieser Entscheidung indifferent gegenüberstehen, ergibt sich daraus natürlich
noch nicht unbedingt die Konsequenz, dass die Entscheidung allein dem
betroffenen Individuum überlassen bleiben muss. Eine weitere Bedingung hierfür
ist, dass das Individuum auf diesem Bereich auch qualifizierte Entscheidungen
treffen kann. [[8] Zu den Qualifikationsbedingungen s. o. Kap. 10.] {364}
Aufgrund der besonderen Art von Betroffenheit, die
unmittelbar nur introspektiv vom jeweiligen Individuum selbst erfahrbar ist,
wird man im allgemeinen davon ausgehen können, dass das betreffende Individuum
seine Interessenlage selber am besten kennt. Selbst wo jedoch Zweifel an der
Qualifikation des individuellen Willens berechtigt sind, muss eine Übertragung
der Entscheidungsbefugnis auf andere Individuen in Form autoritärer
Entscheidungs-Systeme nicht unbedingt zu akzeptableren Ergebnissen führen.
Die
Gründe dafür hat J.St. MILL in seinem Essay "Über die Freiheit" ausgeführt.
[[9] Zur Rechtfertigung von Selbstbestimmung in Dingen, die ein Individuum vorwiegend selber betreffen, s. MILL
1969, S.93f.] Zum
einen stellt sich hier ein Informationsproblem, denn es ist für andere
Individuen natürlich sehr viel schwieriger als für das betreffende Individuum
selber, die Stärke von Schmerzen oder anderen Gefühlen zu bestimmen. Außerdem
ist es fraglich, ob andere Individuen immer genügend Motivation haben, die
Anstrengung der oft schwierigen Informationsbeschaffung über die Interessenlage
des betreffenden Individuums auf sich zu nehmen, gerade weil sie ja von den
Folgen einer möglichen Fehlentscheidung selber nicht betroffen sind und insofern
kein Korrektiv in Form ihres Eigeninteresses besitzen. Zusätzlich zur
Informiertheit über die fremde Interessenlage muss bei einer stellvertretenden
Entscheidung durch nicht Betroffene immer noch deren Wohlwollen
vorausgesetzt werden, denn jemand kann ja auch wider besseres Wissen den
Interessen des von ihm bevormundeten Individuums entgegenhandeln. {365}
Deshalb ist sicherlich nur in extremen Fällen davon
auszugehen, dass die Kenntnisse der fremden Interessen und das Wohlwollen
ausreichend sind, um in Bereichen, die nur ein bestimmtes Individuum betreffen,
die Entscheidung nicht durch dieses Individuum selber sondern durch andere
Personen treffen zu lassen. Ein mögliches Beispiel wären stellvertretende
Entscheidungen, die Eltern über die Angelegenheiten ihrer kleinen Kinder
treffen, oder die Entscheidungen, die Ärzte und Angehörige gemeinsam über die
Behandlung von Geisteskranken treffen. Dabei ergibt sich aus der Pflicht zur
solidarischen Berücksichtigung aller individuellen Interessen einschließlich
derer von bevormundeten Individuen, dass eine derartige Vormundschaft niemals
ein absolutes Herrschaftsrecht darstellen kann, sondern immer an die Pflicht zur
fürsorglichen Wahrnehmung der Interessen des Unmündigen gebunden bleibt, sodass
z. B. bei Verletzung dieser Fürsorgepflicht auch den Eltern die Vormundschaft
über ihre Kinder entzogen werden muss.
§ 82 Privates Eigentum als automatisches Sanktionssystem
Ein wichtiger Argumentationsstrang zur Rechtfertigung
separater individueller Verfügungsbereiche basiert auf Annahmen über
Handlungsanreize, die von solchen privaten Verfügungssphären ausgehen. Dabei
beziehen sich diese Handlungsanreize vor allem auf die Produktion und den
Verbrauch von Mitteln der Bedürfnisbefriedigung, betreffen also den im eigentlichen
Sinne wirtschaftlichen Bereich.
Diese Argumentationen basieren auf einer Reihe von
empirischen Annahmen über die natürliche Umwelt des Menschen, über seine
Reproduktionsbedingungen {366} und seine Motivationsstruktur, die im folgenden näher
untersucht werden sollen.
1. Die Bedürftigkeit des Menschen
Wie oben bereits ausgeführt, benötigt jeder Mensch zur Aufrechterhaltung seiner Existenz und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse eine ständige Zufuhr hierfür geeigneter Lebensmittel. Jeder Mensch benötigt und verbraucht z. B. Luft zum Atmen, Nährstoffe und Flüssigkeit zum Essen und Trinken, einen Platz zum Schlafen, Kleidung gegen kalte Witterung und viele andere Dinge mehr. Insofern ist jeder Mensch ein bedürftiges Wesen, das ohne die ständige Zufuhr dieser Mittel der Bedürfnisbefriedigung schnell zugrunde gehen würde.
2. Die Notwendigkeit der sparsamen Verwendung knapper Güter
Verschiedene dieser Mittel zur Lebenserhaltung und
Bedürfnisbefriedigung werden durch die natürliche Umwelt ohne menschliches Zutun
bereitgestellt. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Luft zum Atmen, das Licht und
die Wärme der Sonnenstrahlung, das Wasser in Form von Niederschlag, der
Erdboden, das Holz von Bäumen, die essbaren Pflanzen, Tiere oder Früchte.
Bei den zuletzt genannten Gütern wird jedoch bereits
deutlich, dass diese nicht - wie etwa die Luft - im Überfluss vorhanden sind. Es
sind insgesamt mehr menschliche Wünsche nach der Benutzung von Boden oder dem
Verbrauch von Äpfeln vorhanden, als von der Natur selbsttätig bereitgestellt
werden. Der Apfel, der von dem einen Individuum gegessen wird, fehlt irgendeinem
{367} andern Individuum, das diesen Apfel ebenfalls gerne
gegessen hätte. In der ökonomischen Theorie spricht man in diesem Fall von einem
'knappen Gut' im Gegensatz zu sogenannten 'freien Gütern' wie z. B. Luft.
[[10] S. hierzu z. B. KÜLP 1967, S.1 und 8ff.]
Im Falle solcher knappen Güter ist die Befriedigung der
diesbezüglichen Konsumwünsche alternativ, weil nicht alle Wünsche befriedigt
werden können. Wenn z. B. nur ein Apfel vorhanden ist, so kann nicht sowohl der
Wunsch des Individuums A nach Verzehr eines Apfels befriedigt werden als auch
der entsprechende Wunsch des Individuums B. Es kann nur entweder der Wunsch des
einen oder der Wunsch des andern Individuums vollständig befriedigt werden bzw.
die Wünsche beider nur teilweise.
Es bedarf also einer Regelung darüber, wer das
knappe Gut verbrauchen darf. Vor allem muss versucht werden, unter dem
Gesichtspunkt des Gesamtinteresses eine möglichst nutzbringende Verwendung
dieser knappen Güter zu gewährleisten, indem sie zur Befriedigung der relativ
dringendsten Bedürfnisse eingesetzt werden und nicht vergeudet werden.
Eine mögliche Regelung dieses Verteilungsproblems ist die
Zuteilung aller knappen Güter zu individuellen Verfügungsbereichen. D.h. dass
jedes knappe Gut zum Eigentum eines bestimmten Individuums erklärt wird, sodass
dies Individuum alleiniges und unbeschränktes Verfügungsrecht über dieses Gut
besitzt, {368} einschließlich des Rechts zum Verbrauch dieses Gutes.
In
diesem Fall - so wird angenommen - hat jedes Individuum aufgrund seines
Eigeninteresses ein Motiv, mit den eigenen Gütern sparsam umzugehen und sie für
die Befriedigung seiner relativ dringlichsten Bedürfnisse
einzusetzen; denn jede Verschwendung und Vernichtung von Gütern setzt seine
eigenen späteren Befriedigungsmöglichkeiten herab. Das Individuum
schädigt sich
also selbst, wenn es die Güter nicht entsprechend der Wichtigkeit seiner
Bedürfnisse einteilt und möglichst vorteilhaft für sich verwendet.
Wenn die knappen Güter jedoch nicht dem Eigentum bestimmter
Individuen zugeordnet werden, sondern stattdessen kollektiv verbraucht und
genutzt werden, so fehlt die Motivierung der Individuen zum sparsamen Verbrauch
von ihrem Eigeninteresse her. Denn wenn unter diesen Bedingungen ein Individuum
ein Gut individuell verbraucht, so bedeutet dies zwar eine entsprechende
Verknappung dieser Güterart für das gesamte Kollektiv, davon ist das jeweilige
Individuum jedoch nicht mehr betroffen als irgendein anderes. Das verbrauchende
Individuum genießt damit zwar den gesamten Nutzen des Gutes, aber die Kosten
dieses Verbrauchs im Sinne des entgangenen Nutzens einer anderen Verwendung des
Gutes trägt es nur zu einem Bruchteil, denn die Kosten verteilen sich auf
das gesamte Kollektiv. Bei einer sehr großen Gruppe spürt das Individuum die
Wirkungen seines verschwenderischen Verbrauchs praktisch kaum "am eigenen
Leibe", sodass von dorther kein Anreiz zu einem sparsamen Umgang mit knappen
Gütern gegeben ist. [[11] Allerdings ist jedes Individuum dann auch immer von der
Verschwendung der andern mitbetroffen.] {369}
Sofern sich also andere Verfahren, die Individuen zu einer
sparsamen Verwendung knapper Güter zu motivieren, nicht als genügend wirksam
erweisen oder aber in ihrer Durchführung mit andern Nachteilen verbunden sind
wie z. B. Aufwand der Durchführung oder mangelnde Flexibilität,
kann die
Abgrenzung privater Eigentumssphären ein angemessenes Mittel sein, um den
sparsamen Verbrauch knapper Güter durchzusetzen.
Andere Verfahren der
Motivierung wären etwa durch Erziehung vermittelte moralische Normen des
sparsamen Verbrauchs oder die Aufstellung und Sanktionierung entsprechender
Verbrauchsnormen, indem man Verschwendung bestraft und Sparsamkeit belohnt und
so einen entsprechenden Anreiz schafft.
Weiterhin wäre anstelle von
unbeschränkten Eigentumsrechten auch ein Zuteilungs- oder Rationierungs-System
denkbar, das den Individuen zwar bestimmte Verbrauchsrechte an den Gütern
zuteilt, ohne dass jedoch weitere Verfügungsrechte wie z. B. das Recht zur
Veräußerung an andere damit eihergehen.
3. Die Notwendigkeit der Produktion knapper Güter
Ein Großteil der Mittel, die die Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benötigen, werden von der Natur überhaupt nicht oder zumindest nicht in ausreichendem Maße gebrauchsfertig bereitgestellt. Allerdings sind die Menschen in der Lage, viele dieser Güter unter Verwendung anderer Mittel zusätzlich herzustellen, sie zu produzieren. Die menschliche Tätigkeit, die für die Produktion von Gütern erforderlich ist, wird als 'Arbeit' bezeichnet. "Der Arbeitsprozess ... ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, {370} allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam. [[12] MARX 1867, S.198. Siehe auch KÜLP 1967, S.50f.]
Insofern die Menschen nun nicht von sich aus und aus
eigenem Bedürfnis die zur Herstellung der benötigten Güter erforderlichen
Arbeiten ausführen, sondern andere Tätigkeiten vorziehen, bedarf es eines
entsprechenden Anreizes zur Arbeit. Dieser Anreiz kann auf
verschiedene Weise geschaffen werden. Eine davon besteht darin, dass man die
Arbeit des Individuums durch individuelle Eigentumsrechte belohnt und z. B.
festlegt, dass ein bestimmter Anteil der Güter, die das Individuum durch seine
Arbeit geschaffen hat, sein Eigentum bleiben. In diesem Fall hätte das Individuum
bei einem Eigeninteresse an zusätzlichen Gütern ein Motiv, für die Produktion
dieser Gütern zu arbeiten.
Erwirbt das Individuum jedoch durch seine
Arbeitsanstrengungen keine individuellen Konsumptionsrechte, weil die
Arbeitsprodukte in einen kollektiven "Topf" gehen, aus dem sie unabhängig von
der Arbeitsleistung der Individuen verteilt werden, so fehlt die Motivierung des
Individuums zu Arbeitsanstrengungen durch sein Konsuminteresse. In diesem Fall
würde die Arbeit eines Individuums zwar zu einer verbesserten Güterausstattung
des Kollektivs führen, aber dies würde bei einem großen Kollektiv nur zu einer
geringen Verbesserung {371} der individuellen Konsummöglichkeiten führen. Das
Individuum hätte unter diesen Bedingungen zwar die gesamten Arbeitskosten der
Produktion dieses Gutes zu tragen, es bekäme jedoch nur einen Bruchteil des
Nutzens dieses Gutes zum eigenen Verbrauch, sodass es von daher nicht zu einer hohen
Arbeitsleistung motiviert ist. [[13] Umgekehrt ist in diesem Fall allerdings jedes Individuum
auch Nutznießer fremder Arbeitsanstrengungen.]
Analog zum Problem der Verschwendung gilt auch hier, dass
diese Rechtfertigung privaten Eigentums steht und fällt mit der Existenz anderer
Quellen der Arbeitsmotivation, z. B. in Form von Freude an der Arbeit,
verinnerlichtem Gemeinschaftsbewusstsein, moralischen und rechtlichen Normen,
Belohnungen durch Belobigung und soziales Ansehen usw. Letztlich können
Arbeitsanreize in Form von Eigentumsrechten an Konsumgütern erst unter der
Bedingung überflüssig werden, dass "die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben,
sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden" ist. [[14] MARX 1875,
S.339.]
4. Die Notwendigkeit produktivitätssteigernder Investitionen
In vielen Fällen ist es möglich, durch eine
Vermehrung und
Verbesserung der Produktionsmittel die Menge der bei einer bestimmten Arbeit
hergestellten Güter zu steigern und zwar in einem solchen Maße, dass die für die
Herstellung dieser Produktionsmittel notwendigen Konsumeinschränkungen durch die
gesteigerte {372} Produktion von Gütern mehr als wettgemacht werden. In
diesem Fall handelt es sich also um die Möglichkeit vorteilhafter "produktiver
Umwege". Dabei tritt der Vorteil derartiger Investitionen jedoch erst mit einer
zeitlichen Verzögerung gegenüber dem anfänglichen Konsumverzicht ein. [[15] Dabei sind auch Investitionen in die menschliche
Arbeitskraft mit einzubeziehen, die durch Ausbildung zu einer größeren
Produktivität des betreffenden Individuums führen.]
Sofern ein Wachstum der Produktion angestrebt wird und die
Individuen nicht von sich aus weniger Güter verbrauchen als zum bestehenden
Zeitpunkt vorhanden sind bzw. produziert werden könnten, müssen die Individuen
motiviert werden, Güter zum Zwecke der Investition zurückzubehalten.
So darf in der landwirtschaftlichen Produktion z. B. nicht der gesamte Bestand an
Tieren und Getreide verbraucht werden, um die nötigen Produktionsmittel in Form
von Saatgut und Zuchttieren zu behalten bzw. zu vergrößern.
Eine Möglichkeit, um die Individuen zu einem solchen
produktiven Konsumverzicht zu motivieren, besteht in der Übertragung von
zusätzlichen Eigentumsrechten an Individuen, die Konsumverzicht zugunsten von
Investitionen leisten, z. B. in Form von Eigentum an den dadurch zusätzlich
produzierten Gütern. Auch hier ist die Schaffung privater Eigentumsrechte
natürlich nur ein Mittel unter andern, um die Individuen zu einem
entsprechenden Verhalten zu motivieren. Man könnte z. B. auch von vornherein
aufgrund kollektiver Willensbildung den zur Investition vorgesehenen Güteranteil
zentral zurückbehalten und gar nicht erst {373} auf die Individuen verteilen.
§ 83 "Knappheit", "Verschwendung" und "Leistung" in einer privaten Eigentumsordnung
Im vorangegangen Abschnitt wurde ausgeführt, dass unter
bestimmten Voraussetzungen hinsichtlich der Versorgungslage und hinsichtlich der
menschlichen Motivationsstruktur private Eigentumssphären die Individuen zu
einem im Gesamtinteresse liegenden sparsamen und produktiven Verhalten
motivieren können und ein automatisch wirkendes Sanktionssystem in Richtung auf das
erwünschte Verhalten darstellen. Wenn jedoch die privaten
Eigentumssphären geschaffen sind, so stellen sich die Probleme von Knappheit,
Sparsamkeit und produktiver Leistung in einem veränderten Licht.
Bedeutete oben "Knappheit" eines Gutes, dass es nicht in dem Maße von Natur aus vorhanden ist, um
alle Wünsche der Individuen danach zu erfüllen, so bedeutet Knappheit unter der
Bedingung einer privaten Eigentumsordnung, dass dies Gut für einige
Individuen nicht in dem Maße im Rahmen ihrer Eigentumssphäre vorhanden ist, um
alle ihre Wünsche hinsichtlich dieses Gutes zu erfüllen. Der Mangel bzw. die
Knappheit bestimmt sich also jetzt nicht mehr aus dem Verhältnis zwischen der
insgesamt vorhandenen Menge dieses Gutes und den Bedürfnissen aller Individuen,
sondern aus dem jeweiligen Verhältnis zwischen dem individuellen
Eigentum an diesem Gut und dem individuellen Bedürfnis nach diesem Gut.{374}
Dieser Bedeutungswandel des Begriffs "Knappheit" durch die
Einführung privater Eigentumsrechte kann an einem Beispiel verdeutlicht werden.
Angenommen es wird ein neues menschenleeres Gebiet entdeckt, wo es für Siedler
Land im Überfluss gibt, sodass sich jeder soviel nehmen kann, wie er braucht.
Ohne dass sich jedoch an der Menge des verfügbaren Bodens noch am Umfang der
Bedürfnisse nach Land etwas ändert, kann Boden in dieser Region jedoch
schlagartig zu einem knappen Gut werden, wenn für das neu entdeckte Land ein
Eigentumsrecht formuliert wird, sodass jeder, der siedeln will, das Land erst
dem Eigentümer - z. B. einer Kolonialgesellschaft - abkaufen muss.
Wenn es technisch möglich wäre, über die Luft und ihren
Verbrauch eine Verfügungsgewalt auszuüben und damit die Bedingung für ein
effektives Eigentumsrecht an der Luft gegeben wäre, so könnte sogar die Luft zu
einem knappen Gut werden, wenn es Individuen gibt, in deren Eigentum sich
weniger Luft befindet als sie benötigen. Knappheit eines Gutes ist also unter
den Bedingungen des Privateigentums an diesem Gut keine von menschlichen
Entscheidungen unabhängige Naturtatsache mehr, sondern ist immer schon eine durch
Eigentumsnormen miterzeugte Knappheit, wobei diese Knappheit für die
verschiedenen Individuen je nach der Beschaffenheit ihrer privaten
Eigentumssphäre unterschiedlich stark ausgeprägt ist. [[16]Ähnlich wird der gesellschaftliche Charakter von
Knappheit begründet in FOERDERREUTHER u.a. 1972, S. 101. Die Relativierung des
Knappheitsproblems durch die gezielte Stimulierung von Bedürfnissen wird betont
von KÜLP 1967, S.49f.]{375}
In ähnlicher Weise modifiziert wird der Begriff "Verschwendung" unter den Bedingungen einer privaten Eigentumsordnung.
Verschwendung eines Gutes wird jetzt nicht mehr auf die Gesamtheit der
Bedürfnisse aller Individuen bezogen, um eine nicht der Maximierung des Gesamtnutzens dienende Verwendung eines Gute zu kritisieren, wenn damit das dringlichere Bedürfnis eines andern
Individuums hätte befriedigt werden können. Verschwendung bezieht sich jetzt nur
noch auf das jeweilige Verhältnis des individuellen Eigentümers zu seinem
Eigentum. So muss es z. B. keine Verschwendung im Sinne der privaten
Eigentumsordnung sein, wenn Individuum A in Sekt badet, während vielleicht
Individuum B Hunger leidet. Individuum A hat sich "rational" und "ökonomisch"
verhalten, sofern ihm tatsächlich das Sektbad größere Befriedigung bereitet als
irgendeine andere mögliche Verwendung des Sektes.
Verschwendung und Sparsamkeit werden unter einer privaten
Eigentumsordnung zu Begriffen, die ihre Bedeutung nur relativ zur
Eigentumssituation des betreffenden Individuums gewinnen. Eine Güterverwendung,
die für den einen Eigentümer Verschwendung wäre, muss es für den andern noch
lange nicht sein, wenn er reichlicher mit dem betreffenden Gut ausgestattet ist.
Je unterschiedlicher dabei die gütermäßige Ausstattung der individuellen
Eigentumssphären ist, umso eher wird es zu Formen des privaten Güterverbrauchs
kommen, die vom Gesamtinteresse aller Individuen her gesehen Verschwendung
bedeuten, die aber vom Standpunkt des im Überfluss lebenden Eigentümers aus
gesehen völlig rational ist. {376}
Auch der Begriff der "produktiven Leistung" der Individuen
ändert sich unter den Bedingungen einer privaten Eigentumsordnung entscheidend.
Wurde zuvor das Leistungsprinzip unter dem Gesichtspunkt einer Motivierung aller
Individuen zur Herstellung der von der Gesamtheit der Individuen benötigten
Güter gesehen, so wird unter den Bedingungen des Privateigentums die "Leistung"
eines Individuums entscheidend durch die Beschaffenheit der jeweiligen
Eigentumssphäre modifiziert.
Die Leistung eines Individuums bemisst sich nun nach der
Gütermenge, deren Herstellung von Produktionsfaktoren abhing, die sich
im Eigentum des betreffenden Individuums befanden.
Je nach dem Umfang, den das private Eigentum in einer
bestimmten Gesellschaft annehmen kann, können diese Faktoren der Produktion in
der körperlichen oder geistigen Arbeitskraft des Individuums liegen oder aber in
Rohstoffen, Werkzeugen, Arbeitstieren, Boden usw.. Es können sogar die
Tätigkeiten anderer Individuen der Leistung eines Individuums zugerechnet
werden, wenn dies Individuum das Eigentum (bzw. ein modifiziertes
Verfügungsrecht wie bei zeitlich begrenzter Vermietung oder Verdingung) an den
anderen Individuen bzw. an ihrer Arbeitskraft erworben hat, wie z. B. in der
Sklaverei oder der Lohnarbeit. {377}
Wenn sich die "produktiven Kräfte" eines Individuums durch
den Bereich seines Eigentums bestimmen, so wird der Zusammenhang zwischen seiner
produktiven Leistung und seinen persönlichen Produktionsanstrengungen nur noch
sehr lose. So mag die produktive Leistung eines Individuums sich schließlich in
der Genehmigung erschöpfen, dass andere Individuen einen Teil seines Eigentums für die
Produktion von Gütern verwenden dürfen, wie dies z. B. beim bloßen Geldgeber der Fall
ist. Die Zurechnung eines produktiven Anteils zu bestimmten Individuen ergibt
sich allein aus den Eigentumsrechten. Gehörte das Land erst dem Individuum A, so
ist ihm der produktive Beitrag des Bodens zuzurechnen; verschenkt A das Land an
B, so hat plötzlich B diese produktive Leistung vollbracht.
Man könnte den Zusammenhang zwischen der tatsächlichen
individuellen Arbeitsanstrengung und der Belohnung auch bei Eigentum an
sachlichen Produktionsfaktoren durch den Hinweis enger erscheinen lassen, dass
auch das Eigentum an sachlichen Produktionsfaktoren durch vergangene
Arbeitsanstrengungen erworben wurde, also eine Belohnung vergangener produktiver
Leistungen darstellt.
Eine solche zeitliche Dehnung des Zusammenhangs zwischen
ursprünglicher Arbeitsanstrengung und Belohnung erscheint jedoch unter dem
Gesichtspunkt der Anreizfunktion des Leistungsprinzips als problematisch. Hinzu
kommt meist noch, dass das Individuum, das heute für eine Leistung belohnt
werden soll, diese u. U. gar nicht selbst vollbracht hat, sondern durch Schenkung
oder Erbschaft in den Besitz der Produktionsfaktoren gelangt ist. Eine Belohnung
gewissermaßen "verjährter" produktiver Leistungen womöglich anderer Individuen
erscheint unter dem Gesichtspunkt der Motivation {378}der Individuen zu
Arbeitsanstrengungen jedoch ungeeignet.
Die Arbeit zur Herstellung der lebensnotwendigen Güter muss
zum allergrößten Teil ja hier und heute geleistet werden. Zur Beteiligung an
dieser Arbeit kann jedoch gerade denen kein Anreiz gegeben werden, die
Eigentümer von benötigten sachlichen Produktionsmitteln sind, wodurch ihnen
arbeitsfreie Einkommen zufließen.
Die Problematik des Leistungsbegriffs bei Privateigentum an
den Produktionsfaktoren bezieht sich natürlich auch auf das
Eigentum an der
eigenen Arbeitskraft. Warum soll man z. B. zwei Individuen für unterschiedliche
Leistungen unterschiedlich entlohnen, wenn für diesen Unterschied biologische
oder soziale Faktoren maßgeblich waren, auf die das betreffende Individuum
keinerlei Einfluss hatte? Was hat es für einen produktivitätsfördernden Effekt,
wenn man Individuen dafür bestraft, dass sie von Natur aus mit schwächeren
Körperkräften ausgestattet sind oder dass sie eine schlechtere Ausbildung durch
die Gesellschaft erhalten haben? Sanktionen lassen sich nur rechtfertigen, wenn
sie einen positiven Einfluss auf die Verwirklichung der Norm ausüben.
Andernfalls entfällt ihre Berechtigung.
Auch der produktive Konsumverzicht - gewissermaßen die "Sparleistung" eines Individuums - wird durch das Bestehen von Privateigentum an
den Produktionsfaktoren entscheidend modifiziert. War es vorher ein
Funktionserfordernis für jede Gesellschaft, die ihre konsumierbare Gütermenge
erhöhen wollte, dass ein Teil der produzierten Güter nicht konsumiert sondern
investiert wurde, so hängt unter den Bedingungen der privaten Eigentumsordnung {379}der Umfang der "Sparleistung" eines Individuums nicht so
sehr von seiner Bereitschaft ab, Entbehrungen in Form von Konsumverzicht auf
sich zu nehmen, sondern vielmehr von der Güterausstattung seiner
Eigentumssphäre.
Verzichten kann man ja nur auf das, was man hat.
Entsprechend ist die Möglichkeit zum Verzicht gemessen in Gütermengen umso
größer, je mehr Eigentum ein Individuum besitzt. Zugleich fällt aber einem
Individuum der Verzicht auf ein Gut umso leichter, je mehr Bedürfnisse bereits
befriedigt werden konnten. Zum Beispiel kann für ein Individuum, das eigentumsmäßig am Rande des Existenzminimums lebt, ein "Konsumverzicht" im
Extremfall dem Verzicht auf das Weiterleben gleichkommen. [[17] Zum dabei implizierten personalen Nutzenvergleich s.o. §
39.] Empirisch entspricht
dem Zusammenhang zwischen der Größe des Vermögens und der Größe der Sparleistung
die in der Wirtschaftstheorie übliche Annahme, dass mit wachsendem Einkommen die
Sparneigung des Individuen steigt. "Es wird allgemein behauptet, dass mit
steigendem Einkommen eines Individuums oder einer Wirtschaft ein höherer Anteil
des Einkommens gespart wird, d.h. dass die durchschnittliche Sparneigung
steigt. [[18] BANNOCK u.a. 1972, S.24.] {380}
§ 84 Die Logik der privaten Eigentumsordnung und die Form
der Nutzenbestimmung
In den vorangegangenen Abschnitten wurde gezeigt, dass die
Einrichtung privater Eigentumssphären zwar einerseits bestimmte Anreize für eine
hohe Arbeitsleistung und einen sparsamen Verbrauch gesamtgesellschaftlich
gesehen knapper Güter geben kann, dass aber andererseits unter dem Gesichtspunkt
des Gesamtinteresses neue Probleme der Verschwendung von Arbeitskraft und Gütern
entstehen.
Die Formulierung eines derartigen Gesamtinteresses jenseits
der Interessen von privaten Eigentümern setzt jedoch einen interpersonalen
Nutzenvergleich voraus. Wenn man nun einen derartigen Nutzenvergleich aus
methodischen Gründen
ausschließt, so kann man die Entscheidungen der Individuen hinsichtlich ihrer
eigenen Eigentumssphäre höchstens noch unter dem Gesichtspunkt einer möglichst
klugen Verfolgung der Eigeninteressen kritisieren. Man kann dann jedoch z. B.
nicht mehr sagen, dass das rauschende Fest eines Reichen in dem Sinne
Verschwendung gewesen sei, als mit den dabei verbrauchten Gütern die
dringenderen Bedürfnisse von armen Leuten hätten befriedigt werden können.
Solche normativ gemeinten interpersonalen Nutzenvergleiche sind dann
theoretisch ebenso ausgeschlossen, wie sie in einer privaten Eigentumsordnung von
praktischer Wirksamkeit ausgeschlossen sind, da dort jeder das Recht hat, im
Rahmen seiner Eigentumssphäre beliebig zu verfahren. Zwischen der Logik einer
privaten Eigentumsordnung und dem methodologischen Postulat, dass interpersonale
Nutzenvergleiche unzulässig sind, ergibt sich also eine bemerkenswerte
Übereinstimmung, was neben den vorhandenen methodischen Schwierigkeiten {381} sicherlich ein zusätzlicher Grund für die Aufgabe des
älteren Konzepts eines interpersonal vergleichbaren Nutzens war.
Entsprechend dieser Logik der privaten Eigentumsordnung
werden in der paretianischen Wohlfahrtsökonomik auch sonst die Grenzen für jene "milden" Werturteile gezogen, die die Basis für eine normative Ökonomie abgeben sollen. Neben der Ablehnung des interpersonalen
Nutzenvergleichs ist weiterhin zu nennen die Beschränkung auf eine ordinale
Messung der individuellen Nutzen, denn für die Entscheidung eines einzelnen
Individuums - des autonomen Eigentümers - reicht zur Bestimmung der für ihn
besten Alternative eine nutzenmäßige Rangordnung der Alternativen völlig aus, zur Formulierung eines Gesamtinteresses
genügt dies jedoch nicht.
Auch die Status-quo-Klausel findet ihre Entsprechung im
Eigentumsrecht, denn sofern keine vertragliche Übereinstimmung der Individuen
zustande kommt, bleiben die bestehenden Eigentumsrechte unverändert.
Am
auffälligsten ist die Anpassung des theoretischen Nutzenkonzepts an die Logik
des privaten Eigentums jedoch bei der Annahme, dass die Interessen der
Individuen auf ihre eigene Konsumption bzw. ihre eigenen Verfügungssphären
beschränkt sind. So wie entsprechend dieser Voraussetzung ein völlig
eigentumsloses Individuum in der Theorie keine Interessen besitzt, so wenig kann
ein eigentumsloses Individuum innerhalb der privaten Eigentumsordnung seine
Interessen praktisch zur Geltung kommen lassen, denn es hat nichts, was es als
vertragliche Leistung seinerseits anbieten könnte. Unter diesen Voraussetzungen
ist dann das entsprechend modifizierte Pareto-Kriterium der angemessene
theoretische Ausdruck für die in der privaten{382}Eigentumsordnung allein zulässige Form des kollektiven
Handelns, nämlich die vertragliche Vereinbarung der Eigentümer.
§ 85 Kumulative Tendenzen des privaten Eigentums an Produktionsmitteln und der privaten Vermögen
Im Rahmen der privaten Verfügung über das Eigentum können
die gegenwärtig zum Eigentum eines Individuums gehörenden Güter dafür eingesetzt
werden, dass weitere Güter produziert werden, die dann ebenfalls zum Eigentum
des betreffenden Individuums gehören und dieses vergrößern. Bedingung für eine
zunehmende Anhäufung von Gütern bei einem Individuum ist erstens die
Möglichkeit, bestimmte Güter nicht zu konsumieren sondern zu investieren, und
zweitens die Existenz vorteilhafter Investitionsmöglichkeiten in Form
produktiver Umwege.
Wie oben gezeigt wurde, ist dabei der Spielraum und die
Bereitschaft eines Individuums zum produktiven Konsumverzicht umso größer, je
besser seine Ausstattung mit Gütern bereits ist. Je mehr also jemand besitzt,
umso größer wird die Gütermenge, die er zur Steigerung der Produktivität
einsetzen kann, und umso stärker wächst damit die in seinem Eigentum befindliche
Gütermenge in einer bestimmten Zeit.
Das Prinzip des Sprichworts "Wo was ist, da kommt noch was
zu" bzw. "Wer hat, dem wird gegeben" kann am Beispiel zweier Viehzüchter
veranschaulicht werden. Angenommen Züchter A besitzt 12 Rinder und Züchter B
besitzt 6 Rinder. Jeder Züchter benötigt im {383} Jahr 3 Rinder für die eigene Versorgung. Gleichzeitig
vermehrt sich sich die Zahl der Rinder jährlich um die Hälfte. Die Entwicklung
der Rinderbestände für beide Züchter gibt die folgende Tabelle wieder:
A B
1.Jahr: 12 Rinder 6 Rinder
2.Jahr: 15 Rinder 6 Rinder Rinderbestand
3.Jahr: 19-20 Rinder 6 Rinder Abb.: 13.1
Demnach reicht für B die eigene Herde von 6 Tieren gerade
zur Produktion der 3 Rinder aus, die er für den eigenen Konsum benötigt. Sein
Eigentum an Rindern vergrößert sich im Laufe der Jahre also nicht. Züchter A
dagegen kann bereits im ersten Jahr auf den Verbrauch von 3 der 6 produzierten
Rinder "verzichten" und sie produktiv verwenden, sodass seine Herde im nächsten
Jahr bereits 15 Rinder umfasst. Im dritten Jahr beträgt seine Herde schon
mindestens 19 Tiere, sodass die Differenz der Eigentumsgröße zwischen A und B
ständig zunimmt.
Sofern die Eigentumssphäre der Individuen also
Produktionsfaktoren umfasst, die sie investieren können, besteht die Tendenz,
dass sich vorhandene Vermögensunterschiede vergrößern. Das Vermögen sowie das
daraus resultierende Einkommen der relativ "reichen" Individuen wächst schneller
als das der weniger reichen Individuen. Dies kann als kumulative Tendenz oder
als Tendenz zur Zusammenballung des Privateigentums bezeichnet werden. [[19] Daneben existieren noch weitere Faktoren, die diese
Tendenz verstärken, z. B. Vorteile der Massenproduktion. S. dazu z. B. BANNOCK
u.a. 1972, S.135ff.] {384}
§ 86 Leistungsprinzip, ungleiches Eigentum und
Solidaritätsprinzip
Im Vorangegangenen wurden Argumente zur
Rechtfertigung separater Verfügungsbereiche vorgetragen. Private
Eigentumssphären können danach für die Individuen ein Anreiz sein, erstens durch
Arbeitsanstrengungen Güter zu produzieren, zweitens mit vorhandenen Gütern sparsam
umzugehen und drittens Konsumverzicht zum Zwecke der Investition zu üben. Diese Argumente
beziehen sich jedoch nur auf die generelle Frage, ob überhaupt die
Einrichtung privater Eigentumssphären sinnvoll ist. Solche Argumente sind
nicht geeignet, eine bestimmte Verteilung des Eigentums auf die Individuen zu
rechtfertigen.
Gemäß dem Solidaritätsgebot liegt es nahe, bei Annahme
ähnlicher Bedürftigkeit der Individuen eine Gleichverteilung der Güter auf die
Eigentumssphären der Individuen zu fordern, denn durch die Verteilung der Güter
auf die Eigentümer wird ja deren Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung bestimmt.
Ein einfaches Beispiel mag dies verdeutlichen.
Angenommen es handelt sich um
2 Individuen mit identischer Bedürfnisstruktur. Individuum A ist Eigentümer von
4 Apfelbäumen, während Individuum B nur über 2 entsprechende Apfelbäume verfügt.
In diesem Fall hat A doppelt soviel Äpfel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse
verfügbar wie B. Das Solidaritätsgebot verlangt nun solche Normen und damit eine
solche Aufteilung der Eigentumsrechte, bei denen jeder die Interessen jedes
andern Individuums in der gleichen Weise berücksichtigt wie seine eigenen. Da in
diesem Fall von der Voraussetzung einer gleichen Bedürfnisstruktur der beiden
Individuen ausgegangen wurde, kann folglich {385} kein Unterschied in der Befriedigungsmöglichkeit der
Individuen gerechtfertigt werden. Das bedeutet, dass auch die Eigentumssphären
beider Individuen möglichst gleich beschaffen sein sollten.
Diese Überlegungen bewegen sich jedoch auf einer rein "statischen" Ebene, denn es wurde von einer konstanten Gütermenge ausgegangen
und nur noch die Frage nach ihrer besten Aufteilung gestellt. Dabei wurde von
den Bedingungen der Bereitstellung dieser Güter abgesehen.
Wie aus
dem Abschnitt über die Funktion des Eigentums als Leistungsanreiz hervorging,
kann es jedoch notwendig sein, über Eigentumsrechte einen Anreiz für
Arbeitsanstrengungen, sparsamen Verbrauch und produktiven Konsumverzicht zu
schaffen, die zu einer Vergrößerung der insgesamt verfügbaren Gütermenge führen.
In diesem Fall würde das Bedürfnisprinzip: "Jedem nach seinen Bedürfnissen!"
durch das Leistungsprinzip: "Jedem nach seinen Leistungen" modifiziert. Da das
Leistungsprinzip bei unterschiedlichen Leistungen der Individuen automatisch zu
Eigentumsunterschieden führt, stellt sich die Frage, inwiefern diese
Unterschiede mit dem Solidaritätsprinzip vereinbar sein können.
Das Problem kann am Beispiel zweier fiktiver
Gesellschaftsordnungen x und y verdeutlicht werden. Gesellschaft x hat als
oberste Norm, dass alle Individuen den gleichen Lebensstandard in Bezug auf die
Güterausstattung haben sollen. Dies Ziel wird recht gut erreicht, aber da keine
Motivation erzeugt wird, um die Individuen zu hoher Arbeitsleistung, sparsamem
Verbrauch und Investition anzuregen, bleibt der Lebensstandard für alle
Individuen sehr niedrig. Es herrscht Gleichheit, aber im Mangel. {386}
Gesellschaft y schafft durch die Belohnung mit
Eigentumsrechten eine hohe Motivation der Individuen, ihre Arbeitsleistung zu
steigern und zugunsten von Investitionen Konsumverzicht zu üben. Hieraus
resultieren einerseits zwar Unterschiede im Niveau der Güterausstattung zwischen
den Individuen, aber zugleich ist der durchschnittliche Lebensstandard in der
Gesellschaft y auf lange Sicht erheblich höher als in der Gesellschaft x.
In diesem fiktiven Fall kann es im solidarisch bestimmten
Gesamtinteresse aller Individuen liegen, statt der Ordnung x die Ordnung y zu
realisieren, obwohl sich dabei aufgrund unterschiedlicher Leistungen der
Individuen unterschiedliche Niveaus der Güterausstattung ergeben.
Welches Maß an
Ungleichheit der individuellen Niveaus der Güterausstattung dabei durch welche
Steigerung des durchschnittlichen Lebensstandards aufgewogen wird, lässt sich
allerdings nicht p r i n z i p i e l l entscheiden. Dies hängt vielmehr davon
ab, welches Gewicht die betroffenen Individuen selber solchen Ungleichheiten
beimessen. Entscheidend ist also die vorhandene Interessenstruktur der
Individuen. Denkbar ist z. B., dass mit steigendem Niveau der Güterausstattung
der Wunsch nach einer weiteren Steigerung schwächer wird und damit die
Notwendigkeit leistungsbezogener Differenzierungen geringer wird. [[20] Zum
Problem der Gleichheit s. auch oben § 51. Übrigens stellt sich dies Problem
nicht nur für die Konsumseite sondern ebenso für die
Ebene der gleichen Arbeitsbelastungen.]
Gemäß diesen Überlegungen lässt sich die Anwendung des
Leistungsprinzips nur mit der dadurch erzielten Steigerung {387} des Gesamtnutzens rechtfertigen, wobei letzteres
nicht gleichzusetzen ist mit einer Steigerung der Gesamtproduktion.
Dem
Leistungsprinzip kommt demnach nur eine instrumentale Bedeutung zu und die
Postulierung einer unbedingten Norm, "dass jedes Individuum ein Eigentumsrecht
auf alles hat, was durch seine persönlichen Anstrengungen geschaffen wurde", ist
unhaltbar.
Wenn also durch eine leistungsbezogene Verteilung der Güter auf die
Eigentumssphären keine Steigerung der insgesamt verfügbaren Gütermenge erreicht
wird -
oder genauer: Wenn diese Steigerung die Nachteile der ungleichen Verteilung
nicht aufwiegt, so kann die Anwendung des Leistungsprinzips nicht gerechtfertigt
werden.
Der Zweck der Leistungssteigerung kann übrigens nicht nur
dann erreicht werden, wenn die zur Belohnung übertragenen Konsumrechte der
zusätzlich produzierten Gütermenge gleich sind. Ein Anreiz zur
Leistungssteigerung kann u. U. schon von einer sehr viel geringeren Belohnung
ausgehen, sodass auch nur eine entsprechend geringere Differenzierung der
Lebensstandards notwendig ist. Außerdem ist jeweils zu untersuchen, ob es nicht
andere Quellen der Leistungsmotivation gibt, die keine Ungleichheit im Niveau
der Güterausstattung erforderlich machen. Weiterhin spielt auch die
Beschaffenheit der zu leistenden Arbeit sowie ihre soziale Anerkennung eine
große Rolle für die Einstellung der Individuen zu dieser Arbeit und damit auch
zur Qualität ihrer Ausführung.
Die Entscheidung über Art und Umfang einer differenzierten
Entlohnung je nach der produktiven Leistung ist also keine Prinzipienfrage,
sondern ist u.a. abhängig von der bestehenden Versorgungslage mit Gütern {388} und von der Beschaffenheit und Veränderbarkeit der
menschlichen Motivation, insbesondere der Arbeitsmotivation. Dies sind jedoch
Bereiche, über die sich nur erfahrungswissenschaftlich Aussagen machen lassen
und auf die hier deshalb nicht näher eingegangen werden soll.
§ 87 Die Allokationsfunktion des privaten Eigentums
Unter den Bedingungen einer arbeitsteiligen Produktion, in
der die verschiedenen Individuen jeweils verschiedene Arten von Arbeiten
ausführen, werden die Güter in der Regel nicht von demselben Individuum
produziert und konsumiert. Damit stellt sich die Frage, für die Produktion
welcher Güter und damit für die Befriedigung welcher Bedürfnisse ein Individuum
seine Arbeitskraft einsetzen soll. Dabei soll in diesem Zusammenhang die
Arbeitsteilung einmal als gegeben angenommen werden, obwohl ihre Struktur
natürlich keine Naturtatsache ist, sondern das Ergebnis sozialer Regelungen
darstellt. Entscheidend für ihre Ausgestaltung sind u.a.
Produktivitätsvorteile, die sich durch die Möglichkeit zu spezialisierter
Ausbildung und ständiger Übung in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit ergeben. [[21] Vgl. hierzu etwa die "klassische" Argumentation bei Adam
SMITH 1970, S.109.]
Demgegenüber stehen jedoch auch schwerwiegende negative Konsequenzen z. B. durch
eine geringere Befriedigung durch eine einseitige Tätigkeit und die Ungleichheit
der Befriedigungsmöglichkeiten {389} je nach Art der Tätigkeit und ihrer leistungsmäßigen
Bewertung.
In einer solchen arbeitsteiligen Gesellschaft, in der jeder
nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern für den Bedarf aller anderen
produziert, kann die Institution des privaten Eigentums an den
Produktionsmitteln eine Allokationsfunktion erfüllen und den
Einsatz der Produktionsfaktoren lenken. Die an ihrem Eigeninteresse orientierten
Eigentümer werden die Ressourcen nämlich zur Produktion derjenigen Güter
verwenden, durch deren Tausch ihnen selber die größten Vorteile entstehen. Das
sind aber zugleich diejenigen Güter, für deren Erwerb die andern Individuen die
relativ höchsten Gegenleistungen zu erbringen bereit sind. Unter der Annahme,
dass die Gegenleistungen, die ein Individuum für ein Gut zu erbringen bereit
ist, einen interpersonal vergleichbaren Maßstab für die Dringlichkeit von
Bedürfnissen darstellt, sorgt das Eigeninteresse der privaten Eigentümer dafür,
dass die ihnen gehörenden Ressourcen immer für die Befriedigung des
vergleichsweise dringlichsten Bedarfs in der Gesellschaft eingesetzt werden und
damit einen maximalen Gesamtnutzen realisieren.
Dieser Mechanismus zur Steuerung der produktiven Ressourcen
wirkt im Eigentum-Vertrags-System automatisch, gewissermaßen wie eine "unsichtbare Hand", die dafür sorgt, dass die Individuen in der Verfolgung ihrer
Eigeninteressen zugleich dem Gesamtinteresse dienen. Dadurch, dass alle
Produktionsfaktoren gemäß dem Erwerbsinteresse ihrer Eigentümer an die Stelle
des höchsten Ertrages wandern, kommt es zu einer "optimalen {390} Allokation der Ressourcen", die unten noch genauer
analysiert werden wird. [[22] Siehe unten Kap. 16. Siehe oben § 44.]
Diese Aussage steht und fällt jedoch mit der Voraussetzung,
dass die vergleichsweise Dringlichkeit einer Leistung durch den Umfang der dafür
erbrachten Gegenleistungen gemessen werden kann. Diese Annahme mag für einen intrapersonalen Vergleich zwischen der Dringlichkeit verschiedener Bedürfnisse
desselben Individuums seine Berechtigung haben. Denn wenn ein Individuum bereit
ist, für ein Gut x eine Gegenleistung von 10 Pfund Äpfeln zu erbringen, während
es für Gut y 15 Pfund Äpfel geben will, so kann man bei einem qualifizierten
Willen des Individuums davon ausgehen, dass das Gut y für dieses Individuum ein
dringenderes Bedürfnis befriedigt als das Gut x.
Wie bereits oben ausgeführt wurde, ist es jedoch
unzulässig, wenn die unterschiedlichen Gegenleistungen verschiedener Individuen
als ein interpersonaler Vergleichsmaßstab für die Dringlichkeit ihres
Bedürfnisses, d.h. für den individuellen Nutzen dieses Gutes genommen wird.
Je
mehr Güter jemand besitzt, auf desto mehr Güter kann er auch verzichten, um die
Dringlichkeit seines Bedürfnisses auszudrücken. Geht man von einer annähernd
gleichen Bedürfnisstruktur der Individuen aus, so wird die interpersonale
Dringlichkeit der Bedürfnisse umso stärker verzerrt, je größer die Unterschiede
in den Eigentumssphären der {391}Individuen sind.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es
natürlich auch noch andere Verfahren zu einer nachfragegerechten Allokation der
Produktionsmittel gibt als das Eigeninteresse von Privateigentümern. So hat z. B.
Oskar LANGE ein entsprechendes Modell einer Marktwirtschaft mit staatlichem
Eigentum an den Produktionsmitteln entworfen. [[24] S. LANGE 1938.]
§ 88 Geld als Tauschmittel im Eigentum-VertragsSystem
1. Die Notwendigkeit sich wechselseitig ergänzender Wünsche und Leistungen der Vertragspartner
Wenn im Eigentum-Vertrags-System ein Individuum A ein
Bedürfnis hat, zu dessen Befriedigung ein Eingriff in den Verfügungsbereich
eines andern Individuums B notwendig ist, so muss A dazu die Zustimmung von B
erhalten. Sofern die gewünschte Veränderung einen Nachteil für B bedeutet - etwa weil B dabei um einen ihm
wertvollen Gegenstand ärmer wird - , muss A Leistungen anbieten, die diesen
Nachteil für B mindestens aufwiegen.
Es kann nun aber sein, dass die Leistungen, die A
anzubieten hat, für B nutzlos sind. In einem solchen Fall könnte keine
vertragliche Vereinbarung zwischen A und B zustande kommen. Die Wünsche von A
könnten nicht befriedigt werden, da A speziell für B "nichts zu bieten hat".
Insofern das Vertrags-System auf der Notwendigkeit eines gegenseitig
vorteilhaften {392} Austauschs von Leistungen beruht, erweist es sich in
seiner Anpassungsfähigkeit an die Interessen der Individuen als relativ starr.
Es setzt immer das Zusammentreffen von mindestens zwei Individuen voraus, deren
Leistungsangebote und Wünsche sich wechselseitig ergänzen: A muss über etwas
verfügen, was B will, und B muss über etwas verfügen, was A will. Außerdem muss
der Austausch für beide Vertragspartner vorteilhaft sein.
JEVONS schreibt dazu: "Die erste Schwierigkeit beim Naturaltausch besteht darin, zwei Personen zu
finden, deren verfügbare Besitztümer wechselseitig zu ihren Wünschen passen. Es
mag viele Leute geben, die etwas Bestimmtes begehren, und viele, die jene Dinge
besitzen, die begehrt werden. Aber um einen Naturaltausch zu ermöglichen, muss
es eine doppelte Übereinstimmung geben, was selten eintreten wird. [[25] JEVONS 1910, S.26.]
Das Problem der Übereinstimmung von wechselseitigen Wünschen und Besitztümern ließe sich in Bezug auf die zeitliche Übereinstimmung eventuell dadurch etwas entschärfen, dass man die Erbringung der gewünschten Leistung erst zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart. Allerdings entsteht dann für die Partei, die ihre Leistung bereits erbracht hat, das Risiko der Nichterfüllung der Vereinbarung durch die andere Partei, der ja nach Erhalt der fremden Leistung das Eigeninteresse an der Erbringung der eigenen Leistung fehlt. Dies Problem entfällt bei einem simultanen Leistungsaustausch. {393}
2. Das Problem der begrenzten Teilbarkeit von
Leistungen
Ein weiteres Problem, das wechselseitig vorteilhafte
Verträge erschwert, ist die naturgemäß beschränkte Teilbarkeit vieler
Leistungen. Dadurch wird es schwierig, Leistung und Gegenleistung "ausgewogen"
zu gestalten und so aufeinander abzustimmen, wie es der Interessenlage der
Beteiligten entspricht: "Der Schneider ... mag einen Mantel zum Austausch
verfügbar haben, aber er übersteigt den Wert des Brotes, das er vom Bäcker zu
bekommen wünscht. Er kann den Mantel nicht zerschneiden, ohne den Wert seines
Werkes zu zerstören." [[26] JEVONS 1910, S.28.]
Der Schneider könnte im Austausch für den Mantel
entweder viel mehr Brot oder viel mehr Fleisch erhalten, als er benötigt. Aber er
kann nicht von beiden die gewünschte Menge erhalten. Denn der Mantel lässt sich
nicht zerteilen, ohne dass er seine Nützlichkeit für den Vertragspartner
verliert.
3. Der Ringtausch
Diese Blockierung des Vertrags-Systems kann in bestimmten Fällen dadurch aufgehoben werden, dass ein drittes Individuum C in die Vereinbarung einbezogen wird. Wenn A über etwas verfügt, was C will, und C über etwas verfügt, was B will, und B wiederum über etwas verfügt, was A will, so schließt sich der Kreis. Dann lässt sich ein für alle beteiligten Eigentümer vorteilhafter Ringtausch von Leistungen verwirklichen, sofern keine Probleme der Teilbarkeit auftreten. Dies ist möglich, obwohl {394} dabei zwischen den Individuen keinerlei direkte Vereinbarungen möglich waren. [[27] Zu solchen "Dreiecksgeschäften" s. KÜLP 1967, S.103.]
Ein Beispiel für einen solchen Ringtausch ist das Verhalten
der drei
Briefmarkensammler A, B und C. Sammler A hat eine Marke, die C fehlt; C hat eine
Marke, die B fehlt; und B hat eine dritte Marke, die wiederum A fehlt. A und B
können in diesem Fall keinen zweiseitigen Tausch darüber vereinbaren. Aber durch
die Einbeziehung von C ist ein Ringtausch möglich, der den Wunsch von A nach der im
Besitz von B befindlichen Marke befriedigt.
Unter Umständen sind die Bedürfnisse und Leistungsangebote
der Eigentümer jedoch so beschaffen, dass auch ein Ringtausch zwischen drei
Eigentümern nicht möglich ist. Denkbar wäre eine Erweiterung des Tauschringes {395} um weitere Individuen. Da sich jedoch
beim
Ringvertrag drei oder mehr Individuen zu einer gemeinsamen Vereinbarung
zusammenfinden müssen, ist der Aufwand für Informationsbeschaffung,
Kommunikation und Verhandlung beträchtlich. Außerdem steigt das Risiko einer
Nichteinhaltung der Vereinbarung mit jedem zusätzlichen Vertragspartner. Es
braucht nur ein Vertragspartner auszufallen, um das gesamte Geschäft zunichte zu
machen. Aus diesen Gründen sind theoretisch denkbare Ringverträge für die
Beteiligten unvorteilhaft, sodass der Anwendungsbereich für einen Ringtausch
gering bleibt.
4. Der "indirekte Tausch" : Erwerb zum Zwecke der Veräußerung
Eine weitere Möglichkeit zur Erleichterung von
vertraglichen Vereinbarungen ist der indirekte Tausch, bei dem ein Individuum
gewissermaßen nur "Zwischenhändler" für eine Leistung ist. Es erwirbt sie nicht
zum Zwecke der eigenen Bedürfnisbefriedigung, sondern mit der Absicht, sie an
Dritte weiterzuveräußern. So kann Individuum B im obigen Briefmarkenbeispiel die von A angebotene Marke annehmen, obwohl es diese schon besitzt
und damit keinen eigenen Bedarf decken kann. Es tut dies in der Absicht, die
Marke vorteilhaft an ein anderes Individuum zu veräußern.
Der Erwerb eines Gutes
erfolgt beim indirekten Tausch also immer nur vorübergehend zum Zwecke des
weiteren Austauschs. Wenn B später die Marke an C austauscht, so ergibt sich
dasselbe Ergebnis der Eigentumsverteilung wie beim Ringtausch. Der Unterschied zum Ringtausch liegt hier nur darin, dass
die Leistung von A nicht direkt an C veräußert wird, sondern dass zwischen A und
C der Zwischenhändler B eingeschaltet ist.
Gegenüber dem Ringtausch hat der indirekte Tausch für die
Beteiligten den Vorteil, dass der komplizierte multilaterale Vertrag zwischen
mehreren Eigentümern aufgespalten wird in eine Reihe zeitlich unabhängiger
zweiseitiger Verträge. B als Zwischenhändler kann die Marke x von A annehmen,
ohne bereits einen Abnehmer dafür zu haben, denn diesen Abnehmer kann er ja auch
noch später finden. Allerdings liegt hierin für B ein
Risiko, falls er für x keinen Abnehmer findet, der ihm für die Marke eine Gegenleistung
bietet, die den Zwischenhandel schließlich auch für ihn vorteilhaft gestaltet.
Denn erst dann hat B seinen Vorteil realisiert, wenn diese Weiterveräußerung
gelungen ist. Der Vorteil des Tausches liegt für B darin, dass das
Gut, das er für den Erwerb von x hergeben muss, weniger Nutzen für ihn
besitzt als das Gut, das er bei der Weiterveräußerung von x erhält.
Allerdings ist die Möglichkeit zum indirekten Tausch an
einige Voraussetzungen geknüpft, die vor allem die Übertragbarkeit
der Leistung an Dritte betreffen. Diese Transferierbarkeit kann durch verschiedene
{397} Faktoren eingeschränkt sein. So lassen sich viele
Leistungen, die in persönlichen Diensten bestehen, überhaupt nicht "aufbewahren", weil sie nur zum Zeitpunkt ihrer Erbringung nutzbar sind.
Wenn
die Leistung von A z. B. im Putzen eines Fensters besteht, so ist mit solchen
Dienstleistungen für B kein Zwischenhandel möglich. B kann diese Leistung nicht
erst für sich erbringen lassen, um sie dann an ein drittes Individuum weiterzuveräußern.
Übertragbar wäre höchstens ein Anspruch auf eine auszuführende Dienstleistung,
etwa in Form eines Gutscheins über "1 x Fensterputzen", der von A ausgestellt
wird und von B an C weiterveräußert wird.
Andere Güter sind in ihrer Übertragbarkeit eingeschränkt,
weil sie sich nicht oder nur für einen sehr begrenzten Zeitraum aufbewahren
lassen. Beispiele hierfür sind etwa Elektrizität, verderbliche Nahrungsmittel
oder Blumen. Solche Dinge sind aufgrund rasch ablaufender natürlicher
Verfallsprozesse für den indirekten Tausch ungeeignet.
In ähnlicher Weise ungeeignet sind Dinge, deren Aufbewahrung und Erhaltung selber hohe Kosten verursacht, z. B. Tiere, die gepflegt und gefüttert werden müssen oder Lebensmittel, die gekühlt werden müssen. Dazu zählen auch alle Dinge, die wegen ihrer Größe viel Platz bei der Aufbewahrung benötigen. Ebenso ungeeignet sind Güter, deren Teilbarkeit beschränkt ist, weil diese beim Austausch mit andern Gütern die oben genannten Schwierigkeiten aufwerfen. Aufgrund dieser Probleme bei der Übertragung bestimmter Leistungen auf Dritte bleibt das Vertrags-System auch bei Anwendung des indirekten Tausches ein gegenüber den Bedürfnissen der Eigentümer wenig anpassungsfähiges System. {398}
5. Geld als Tauschmittel
Wie aus dem Vorangegangenen ersichtlich wurde, eignen sich
verschiedene Arten von Leistungen unterschiedlich gut für die Aufbewahrung und
die Übertragung an Dritte. Einige Güter eignen sich jedoch sehr gut hierfür,
weil sie praktisch keinen Veränderungsprozessen unterliegen, relativ wenig Raum
benötigen und unbegrenzt teilbar sind. Solche aufgrund ihrer natürlichen
Beschaffenheit für den indirekten Tausch besonders geeigneten Güter sind z. B.
Edelmetalle wie Gold oder Silber. Gold kann ein Individuum leicht als
Gegenleistung für alle eigenen Leistungen akzeptieren, selbst wenn es dafür
keine eigene Verwendung hat. Denn aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften kann
Gold ohne Schwierigkeiten gegen andere Leistungen weiterveräußert werden.
Eine
bisher nicht erwähnte weitere Voraussetzung für die Eignung eines Gutes für den
indirekten Tausch ist noch, dass die durchschnittliche Austauschrate des Gutes
mit andern Gütern nicht zu starken Veränderungen unterliegt und dadurch für den
Zwischenhändler zu risikoreich wird. Es muss also in dieser Hinsicht ein
bestimmtes Vertrauen in das Tauschmedium vorhanden sein. [[28] S. dazu KÜLP 1967, S.103f.]
In dem Maße, wie jeder Vertragspartner als Gegenleistung
Gold akzeptiert, also jede beliebige Gegenleistung in Gold erbracht werden kann,
fungiert Gold als bloßes Medium des Austausches. Es wird zu einem allgemein
akzeptierten Tausch- oder Zahlungsmittel, zu Geld . Ein solches als Geld
fungierendes Gut hat den weiteren Vorteil, dass damit die Tauschrelationen {399} zwischen den verschiedenen Gütern untereinander
übersichtlicher gemacht werden können. Um anzugeben, wie sich jedes Gut mit
jedem andern austauscht, braucht man nur für jedes Gut angeben, wie es sich mit
Gold austauscht. Für jedes Gut kann dann sein "Tauschwert" in Geldeinheiten
angegeben werden. Dies ist der Preis des Gutes.
Beim Naturaltausch müsste jeder Eigentümer, der auf seinen
Vorteil bedacht ist, die bestehenden Austauschrelationen zwischen seinen Gütern
und allen potentiellen Tauschgütern im Kopf haben, was außerordentlich schwierig
wäre. "Der ganze Ärger wird vermieden, wenn irgendein Gut ausgewählt wird und
sein Austauschverhältnis mit jedem andern Gut angegeben wird. Wenn man weiß,
wieviel Getreide mit einem Pfund Silber zu kaufen ist und außerdem wieviel
Flachs für die gleiche Menge Silber zu kaufen ist, so weiß man ohne weitere
Schwierigkeit, wieviel Getreide sich gegen eine bestimmte Menge Flachs
austauscht. Das gewählte Gut wird zu einem gemeinsamen Nenner bzw. zu einem
gemeinsamen Maß des Wertes, auf dessen Grundlage man die Werte aller anderen
Güter berechnet, sodass ihre Werte sehr einfach vergleichbar werden." [[29]
JEVONS 1910, S.28.]
Durch die Einführung von Geld in Form eines geeigneten Gutes, das als allgemein anerkanntes Mittel zur Erfüllung von Leistungsverpflichtungen fungiert, kann die Anpassungsfähigkeit des Eigentum-Vertrags-Systems an die Wünsche der Eigentümer also beträchtlich verbessert werden. Geld ist gewissermaßen das "Schmiermittel der Vertragsmaschinerie". [[30] Zur Funktion des Gelds als Werteinheit s.a. KÜLP 1967, 5.104.] {400}
Im Prinzip kann die Geldfunktion auch ohne die Verwendung
eines Gutes erfüllt werden, das wie Gold auch noch einen eigenen Gebrauchswert
hat, z. B. als Material für Schmuck. Ein Beispiel hierfür sind Geldscheine, die
ausschließlich von einer zentralen Instanz in Umlauf gebracht werden können. Sie
stellen im Prinzip Forderungen an die ausstellende Instanz, z. B. eine staatliche
Zentralbank dar. "Dieser Gebrauch von Forderungen als Geld ist charakteristisch
für relativ ausgeklügelte Finanz- und Kreditsysteme. In weniger entwickelten
Systemen werden Gegenstände, die einen eigenen Wert besitzen (Goldstücke, Kühe,
Zigaretten) als Zahlungsmittel benutzt. Dieser Unterschied spiegelt die
Bedeutung wirtschaftlicher Stabilität und gut entwickelter Finanzinstitutionen
wieder, denn die Verwendung von Geld, das keinen eigenen Wert besitzt, beruht
auf dem Vertrauen, dass es im Austausch für Güter allgemein akzeptiert wird."
[[31] BANNOCK u.a. 1972, S.286.]
Natürlich ist mit der Funktion als Tauschmittel und Wertmaß die Bedeutung des
Geldes noch keineswegs erschöpft. Von Bedeutung ist insbesondere noch die mit
dem Geld gegebene Möglichkeit, einen unbegrenzten Reichtum anzuhäufen, während
bei andern Gütern aufgrund ihrer Verderblichkeit etc. eine natürliche Grenze für
ihre Anhäufung gegeben ist. Auf diese Aspekte der Geldwirtschaft kann jedoch in
diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. {401}
14. Kapitel
Die mangelnde Abgrenzbarkeit der privaten Eigentumssphären
§ 89 Die zusätzliche Dynamik des
Status quo im Eigentum-Vertrags-System
Es war bereits ausgeführt worden, dass die in der Veto-Regel enthaltene Status-quo-Klausel nicht statisch aufzufassen ist, sondern durch die natürlich ablaufenden Prozesse notwendigerweise einen dynamischen Charakter erhält. Unter der Bedingung des Vertrags-Systems mit separaten Verfügungsbereichen erhält der Status quo nun eine zusätzliche Dynamik, denn bei Nichtzustandekommen einer vertraglichen Vereinbarung behält jedes Individuum sein volles Verfügungsrecht über seine bisherige Sphäre. Der Status quo ist hier also kein bloß faktischer Zustand, sondern bereits normativ geregelt.
Infolgedessen bedeuten Handlungen der Individuen im Rahmen ihrer privaten Eigentumssphäre keine Veränderung des Status quo und sind im Vertrags-System auch nicht zustimmungsbedürftig. Damit erhält der Status quo im Vertrags-System also eine zweifache Dynamik: einmal durch die automatisch sich vollziehenden Prozesse des Wandels und zusätzlich noch durch die Handlungen der Individuen innerhalb ihrer jeweiligen Verfügungssphären.
Vor allem durch die Aktivitäten der Eigentümer innerhalb ihrer Eigentumssphären erhält der Status quo eine Dynamik, die für die Funktionsweise des Vertrags-Systems {402} auf ökonomischem Gebiet äußerst wichtig ist. Selbst wenn Handlungen von Individuen innerhalb ihrer Sphäre keine direkten physischen Auswirkungen auf andere Individuen haben, so können sie doch das Nutzenniveau eines andern Individuums entscheidend verändern.
Ein Beispiel hierfür aus dem ökonomischen Bereich wäre es etwa, wenn ein Produzent durch Veränderungen innerhalb seiner Eigentumssphäre seine Leistungsfähigkeit erhöht und über preisgünstige Angebote einen andern Produzenten bei dessen bisherigen Abnehmern verdrängt. Auch J.St. MILL sah diese Problematik einer interessenmäßigen Abgrenzung der Individualsphären. Er schreibt zu den Nachteilen unterlegener Konkurrenten: "Aber es ist .. für das allgemeine Interesse der Menschheit besser, dass Individuen ihre Ziele unbeeindruckt von solchen Konsequenzen verfolgen können. Mit andern Worten, die Gesellschaft garantiert den enttäuschten Konkurrenten kein Recht, weder moralisch noch rechtlich, von solcher Art Leiden unbeschadet zu sein." [[1] MILL 1969, 8.116.]
§ 90 Indirekte Interdependenzen zwischen den individuellen Verfügungsbereichen
Die Existenz solcher indirekten Rückwirkungen von Handlungen eines Individuums innerhalb seiner Sphäre auf die Interessen anderer Individuen - etwa bei ökonomischer Konkurrenz - ist einer der Gründe, warum man das Eigentum-Vertrags-System nicht einfach als eine institutionelle Umsetzung der Pareto-Regel bzw. ihrer konservativen Variante, der Veto-Regel, interpretieren kann. Denn selbst wenn die indirekten Rückwirkungen von Handlungen des einen Individuums für ein anderes Individuum negativ sind, hat das letztere im Eigentum-Vertrags-System keine Möglichkeit, das erstere Individuum daran zu hindern, sofern nur keine Eigentumsrechte betroffen sind.
Ein Beispiel für eine derartige indirekte Rückwirkung auf vertragsmäßig nicht beteiligte Individuen ist es etwa, wenn Individuum A einen Vertrag über ein gewünschtes Gut mit Individuum C nicht abschließen kann, weil ein drittes Individuum B für dieses Gut einen höheren Preis geboten hat. Individuum A hätte in diesem Fall vielleicht ein großes Interesse daran, dass B es nicht überbietet; und wenn es könnte, würde es sicher sein Veto gegen B's Vorgehen einlegen, aber im Eigentum-Vertrags-System haben die Individuen B und C volles Verfügungsrecht über ihr Eigentum und damit volle Vertragsfreiheit, ohne dass A dagegen ein Veto einlegen könnte. [[2] Da solche Rückwirkungen über das Preis-System vermittelt sind, spricht man in diesem Fall auch von 'pekuniären Externalitäten'. S. dazu COLLARD 1972, S.60.]
Solche indirekten Rückwirkungen können auch im grösseren Maßstab auftreten, wenn z. B. auf dem Markt für ein bestimmtes Gut, dessen Angebot nicht vermehrbar ist, zusätzlich Nachfrager auftreten, die bereit sind, für das Gut einen höheren Preis zu zahlen als die bisherigen Konsumenten. Dadurch können den letzteren "die Preise verdorben werden", bis hin zu dem Punkt, wo sie die geforderten Preise überhaupt nicht mehr bezahlen können. Auch hier haben die Verträge zwischen zwei Parteien erhebliche negative Rückwirkungen {404} auf Dritte, die an den Verträgen nicht beteiligt waren. So können z. B. in einer landschaftlich schönen, bisher agrarischen Region die Grundstückspreise auf für Einheimische unerschwingliche Höhen steigen, wenn in größerem Umfang zahlungskräftige auswärtige Grundstückskäufer auftreten, die hier Wochenendhäuser oder Hotels bauen wollen.
Gemäß dem Eigentum-Vertrags-System wird jedoch - abweichend von einer reinen Einstimmigkeits-Regel - davon ausgegangen, dass die aus den Geschäften anderer Individuen resultierenden Preisveränderungen für Güter nicht als zustimmungsbedürftiger Eingriff in die Interessensphäre eines Individuums anzusehen sind, sondern als Fortbestand des Status quo für dieses Individuum bzw. als quasi "naturgegebene" Veränderung, für die niemand verantwortlich ist.
Eine andere Form solcher indirekten Rückwirkungen auf die Interessen vertraglich nicht beteiligter Individuen sind durch Änderungen in der Nachfrage nach den Leistungen eines Individuums bedingt. Angenommen ein Individuum ist Musiker und spielt gegen Entgelt. Wenn sich nun der Geschmack der Leute ändert und sie eine andere Art von Musik bevorzugen, so erhält der Musiker keine Aufträge mehr und seine Position verschlechtert sich u. U. ganz empfindlich. Diese Verschlechterung wird im Rahmen des Vertrags-Systems ebenfalls als Aufrechterhaltung des Status quo interpretiert, d.h. das Individuum hat kein Veto-Recht gegen solche Verschlechterungen seiner Position, weil niemand in seinen individuellen Verfügungsbereich eingegriffen hat.{405}
Während die bisher genannten Rückwirkungen von Interessenänderungen anderer Individuen ausgehen, die zu veränderten Nachfragepreisen führen, beruhen andere Einflüsse auf der veränderten Leistungsfähigkeit anderer Individuen. Wenn z. B. ein Individuum Anbieter eines bestimmten Gutes ist, so kann seine Position entscheidend verschlechtert werden, wenn andere Individuen dieselbe Leistung billiger verkaufen. In diesem Fall kann das Individuum ebenfalls nur soviel fordern wie der konkurrierende Anbieter, wenn er überhaupt noch etwas von seinem Produkt absetzen will.
Solche Veränderungen der Leistungsfähigkeit anderer Individuen, gegen die es im Eigentum-Vertrags-System kein Veto gibt, können geradezu dramatische Auswirkungen haben und für ganze Bevölkerungsgruppen eine Tragödie bedeuten. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Einführung des mechanischen Webstuhls, der den Preis für Leinwand derartig senkte, dass die Weber mit ihren handbetriebenen Webstühlen buchstäblich um ihre soziale Existenz gebracht wurden. Ohne jeden Eingriff in ihre Eigentumssphäre und damit gewissermaßen unter Aufrechterhaltung des Status quo für sie wurden die Weber ruiniert. [[3] Dabei ist eine derartige, durch neue Technologien oder eine veränderte Nachfrage bedingte "strukturelle Arbeitslosigkeit" nicht nur ein historisches Problem.]
§ 91 Externe Effekte
Während die im vorhergehenden Abschnitt diskutierten Interdependenzen zwischen den individuellen Verfügungsbereichen {406} indirekt über Vertragsabschlüsse entstehen und gewissermaßen für das Eigentum-Vertrags-System intern sind und durch Preisänderungen erfasst werden, kann es auch direkte physische Auswirkungen von einer Eigentumssphäre auf die andere geben, ohne dass diese über Preisveränderungen vermittelt sind. In diesem Fall ergeben sich durch die autonomen Entscheidungen und Verträge bestimmter Individuen faktische Veränderungen in der Verfügungssphäre unbeteiligter Dritter. Der Grund hierfür sind die vielfältigen faktischen Wirkungszusammenhänge zwischen verschiedenen Bereichen der Realität, die eine völlige Abgrenzung und Isolierung der Interessensphären voneinander praktisch unmöglich machen. Insofern solche Effekte vom Eigentum-Vertrags-System nicht erfasst werden, kann man sie als externe Effekte bezeichnen. Eine Annäherung an das Modell faktisch voneinander unabhängiger Individualsphären würde gewissermaßen voraussetzen, dass sich jedes Individuum auf einem andern Stern befindet. Unter den Bedingungen eines engen räumlichen Zusammenlebens wie in der modernen städtischen Zivilisation sind die faktischen Interdependenzen zwischen den individuellen Verfügungsbereichen jedoch notgedrungen vielfältig und unauflösbar.
Insofern durch die Vorgänge in der Sphäre des einen Individuums die Sphäre eines andern Individuums faktisch beeinflusst wird, kann dieses nicht mehr indifferent gegenüber dem sein, was in der fremden Sphäre passiert. Wenn die Auswirkungen für das betroffene Individuum eine Verschlechterung des Status quo darstellen, genügt das Eigentum-Vertrags-System auch in dieser Beziehung nicht mehr der Veto-Regel: es handelt sich bei Vorhandensein negativer externer Effekte {407} nämlich nicht mehr um pareto-mäßige Verbesserungen des Status quo für alle Individuen, da die negativ betroffenen Individuen schlechter gestellt werden.
Die Problematik einer Beeinträchtigung vertragsmäßig unbeteiligter Dritter wurde in der ökonomischen Theorie unter den Stichworten "externe Effekte" und "soziale Kosten" ausführlich diskutiert. [[4] Siehe z. B. PIGOU 1948, KAPP 1971, BATOR 1958 sowie die Beiträge in ARROW/SCITOVSKY 1969, Teil III.] Besonders für die Theorie des privaten Marktwirtschaft spielen externe Effekte eine wichtige Rolle, da zu ihren Grundprinzipien die Abgrenzung privater Eigentumssphären sowie der vertraglich geregelte Tausch gehören. Ein Beispiel für externe Effekte im Bereich der Produktion wäre etwa die Verschmutzung eines Flusses durch die Abwässer einer chemischen Fabrik, wodurch die Fangergebnisse von Fischern flussabwärts verschlechtert werden. Ein Beispiel für externe Effekte im Bereich der Konsumtion wäre die Benutzung einer leistungsstarken Musikanlage, die auch noch in der Nachbarwohnung zu hören ist. Ein Beispiel aus dem nichtökonomischen Bereich wäre gegeben, wenn jemand durch einen bestimmten Lebensstil seine eigene Gesundheit ruiniert und damit auch die Interessen seiner Angehörigen tangiert werden.
In solchen Fällen bedarf es zur Lösung der auftretenden Konflikte zusätzlicher normativer Regelungen, die das reine Eigentum-Vertrags-System modifizieren. So können z. B. die Verfügungsrechte der Individuen auch innerhalb ihrer Eigentumssphäre eingeschränkt {408} werden oder es können Mechanismen der Besteuerung oder der zwangsweisen Entschädigung eingeführt werden. [[5] Zu Lösungsmöglichkeiten s. z. B. FREY 1972, S.104ff.]
§ 92 Öffentliche Güter
Eine gewisse Verwandtschaft mit den externen Effekten haben die öffentlichen bzw. kollektiven Güter, da diese ebenfalls eine eindeutige Abgrenzung der individuellen Verfügungsbereiche unmöglich machen. Öffentliche Güter haben die Eigenschaft, dass ihre Bereitstellung für das eine Individuum automatisch auch ihre Bereitstellung für andere Individuen mit einschließt. Ihre Nutzung kann also nicht "exklusiv" auf bestimmte Individuen beschränkt werden. Ein Beispiel hierfür ist der Deichbau: wenn sich jemand gegen Überschwemmungen schützen will, so muss an der Küste ein Deich errichtet werden. Damit gelangen seine Nachbarn jedoch automatisch ebenfalls in den Genuss dieses Schutzes. [[6] Zum Charakter öffentlicher Güter vgl. MUSGRAVE 1959, S.9f. oder WOLFELSPERGER 1969.]
Für die Unfähigkeit des Eigentum-Vertrags-Systems, derartige Güter bereit zu stellen, spielt außerdem der Umstand eine Rolle, dass diese so kostspielig sind, dass sie entweder die Zahlungsfähigkeit eines Individuums übersteigen oder aber dass die Kosten für das einzelne Individuum höher sind als der zu erwartende Nutzen. In beiden Fällen ist ein privater Deichbau ausgeschlossen. [[7] Vgl. hierzu z. B. DAHL/LINDBLOM 1963, S.385ff.] {409} Es wäre jedoch möglich, die Kosten des Deichbaus so auf alle Nutznießer zu verteilen, dass sich für alle Beteiligten eine Verbesserung des Status quo ergibt.
Trotzdem kommt es jedoch u. U. zu keiner freiwilligen Vereinbarung der Nutznießer über den Bau und die Finanzierung eines Deiches. Dieser Fall tritt dann ein, wenn sich einzelne Nutznießer an dieser Vereinbarung und damit an den Baukosten nicht beteiligen in der Hoffnung, dass die andern schon für den Bau des Deiches sorgen werden. Dann will niemand der Dumme sein und die Kosten für Leistungen tragen, die andere dann umsonst genießen. [[8] Dies "Trittbrettfahrer-Verhalten" besitzt auch im nicht-ökonomischen Bereich der freiwilligen Interessenverbände große Bedeutung, wo Individuen zwar die Mitgliedschaft und die damit verbundenen Kosten scheuen, aber andererseits Nutznießer der Vorteile sind, die durch die Aktivitäten des Verbandes erreicht werden. Vgl. hierzu z. B. OLSON 1968.]
Auch im Falle öffentlicher Güter sind Regelungen erforderlich, die über das Eigentum-Vertrags-System hinausgehen, z. B. in Form einer zwangsweisen Beteiligung der Nutznießer an den Kosten mittels Steuern. Allerdings stellt sich hier das Problem einer Aufteilung der Kosten auf die verschiedenen Individuen, wenn man bedenkt, dass die Individuen einen unterschiedlich hohen individuellen Nutzen aus der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes ziehen können. Bei Einhaltung der Veto-Regel müssten die Kosten so aufgeteilt werden, dass sie bei keinem der Beteiligten seinen Nutzen übersteigen. {410}
15. Kapitel
Verhandlungsmacht und Monopol
§ 93 Verhandlungsmacht im Eigentum-Vertrags-System
Wünscht im Eigentum-Vertrags-System (der Marktwirtschaft) ein Individuum A Veränderungen, die auch den Verfügungsbereich eines andern Individuums B tangieren, so ist A bei der Erfüllung seines Interesses von der Zustimmung B's abhängig. Folglich muss A den B zur Zustimmung motivieren. Wenn B kein Eigeninteresse an der von A gewünschten Veränderung hat und auch kein altruistisches Interesse an A's Wohlergehen hat, muss A seinerseits B Gegenleistungen anbieten, die den Interessen von B entsprechen. Ob es zu einer vertraglichen Vereinbarung zwischen beiden Individuen kommt, hängt also davon ab, was A für B zu bieten hat.
Welcher Art die wechselseitigen Leistungen schließlich sind, die den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen bilden, wird entscheidend davon beeinflusst, wie wichtig A's Leistung für B ist im Verhältnis zur Wichtigkeit von B's Leistungen für A. Hieraus bestimmt sich die relative Verhandlungsmacht (englisch 'bargaining power') der beteiligten Parteien.
PEN analysiert diese Situation als ein besonderes Machtverhältnis, das sich aus der Beschaffenheit der individuellen Verfügungsbereiche ergibt. "Ökonomische Macht kann ausgeübt werden, wenn sich die Mittel, die das Subjekt zur Befriedigung seiner Wünsche benötigt, in der Hand eines andern Individuums befinden. Dazu ist es natürlich notwendig, dass das bedürftige Subjekt A tatsächlich von {411} den Mitteln abhängig ist, die sich in der Hand des 'mächtigen' Subjekts B befinden, und dass A seine Bedürfnisse nicht anderswo befriedigen kann, oder zumindest nicht so gut. Deshalb ist Abhängigkeit von einem bestimmten Subjekt die erste Bedingung einer Machtbeziehung. Die Sanktionskraft der Machtausübung besteht darin, dass B die knappen Mittel A vorenthält. Dadurch wird die Befriedigung von A's Wünschen betroffen, und um dies zu vermeiden, wird es bereit sein, gegenüber B Zugeständnisse zu machen. Daraus folgt die zweite Bedingung der Machtausübung. B muss in der Lage sein, die Güter zurückzuhalten." [[1] PEN 1959, S.110ff. PEN spricht hier nur von 'ökonomischer Macht', doch lässt sich das Konzept auch auf nicht-ökonomische Vertragsbeziehungen und auf Verhandlungsmacht allgemein anwenden.]
PEN versucht die Verhandlungsmacht der beteiligten Parteien im Folgenden noch zu präzisieren und zu einer messbaren Größe zu machen. "Die Abhängigkeit ist natürlich als solche ein quantitativer Begriff. Die Möglichkeit des Vorenthaltens kann leicht zu einem solchen gemacht werden, indem man das Opfer berücksichtigt, das B erbringt, wenn er das Gut A nicht zukommen lässt, sondern es zurückbehält (und es entweder selbst behält oder es einer dritten Partei zukommen lässt). Wenn dies Vorenthalten kein Opfer für B beinhaltet, ist er offensichtlich gegenüber A in einer sehr starken Position; und wenn das Opfer untragbar geworden ist und ein Vorenthalten ausschließt, kann B keinerlei Macht ausüben.." [[2] PEN 1959, S.111f.] {412}
§ 94 Verhandlungsmacht und einseitiges Monopol
Ungleiche Verhandlungsmacht im Vertrags-System soll an einem extremen Beispiel verdeutlicht werden. Angenommen Individuum A leidet an einer schweren Herzerkrankung und Individuum B ist der einzige Herzspezialist, der diese Erkrankung durch einen Eingriff heilen kann. Außerdem sei vorausgesetzt, dass die Nutzung der eigenen chirurgischen Fähigkeiten zum individuellen Verfügungsbereich von B gehört. In diesem Fall hat A ein im buchstäblichen Sinne "vitales" Interesse daran, dass B die notwendige Operation ausführt.
Demgegenüber kann das Interesse von B an der Durchführung der Operation als solcher gering sein, insofern diese für ihn einen Aufwand an Zeit und Anstrengung bedeutet. Es kommt für den Abschluss einer Vereinbarung dann ganz darauf an, ob A gegenüber B eine Gegenleistung anbieten kann, die für B einen positiven Nettonutzen ergibt.
Wenn außer A noch andere Individuen operiert werden wollen, so wäre es im Eigeninteresse von B, wenn er im Rahmen der ihm verfügbaren Zeit diejenigen Individuen operiert, deren Gegenleistungen für ihn den größten Nutzen besitzen. Sofern diese Gegenleistungen in Geld erbracht werden, wären das diejenigen, die am meisten für die Operation bezahlen. Das Opfer, das B bringt, wenn er A nicht operiert, ist bestimmt durch den Nutzen der angebotenen Gegenleistung von A, die ihm dann entgeht. Wenn er nun statt A ein anderes Individuum operiert, das ihm mehr bietet als A, so ist B's Opfer kleiner als Null und sogar ein Gewinn.
Das Beispiel verdeutlicht die Funktionsweise des Eigentum-Vertrags-Systems unter den Bedingungen eines vollkommenen, einseitigen Monopols. {413}
B ist der einzige Mensch, der A's Wunsch nach Heilung erfüllen kann. Er ist Monopolist, also einziger Anbieter dieser Leistung. Gäbe es dagegen zugleich ein besonderes Bedürfnis B's, das umgekehrt nur durch einen Eingriff in A's Verfügungsbereich befriedigt werden kann, so würde es sich um ein bilaterales Monopol handeln und eine wechselseitige Abhängigkeit bestehen.
§ 95 Beschränkungen der Verhandlungsmacht des Monopolisten
1. Das Ausweichen auf Ersatzleistungen (Produktsubstitution)
Im obigen Beispiel war angenommen worden, dass B der einzige Herzspezialist ist, der die von A benötigte Operation ausführen kann, dass B also eine Monopolstellung auf diesem Gebiet besitzt. Je dringlicher nun der Bedarf eines Individuums nach einer bestimmten Leistung ist, umso größer ist auch seine Bereitschaft, dafür Nachteile in Form von Gegenleistungen auf sich zu nehmen: bis hin zu der Grenze, wo das Individuum es vorzieht, eher auf die fremde Leistung zu verzichten, als dafür die geforderte Gegenleistung zu erbringen. Jenseits dieser Konzessionsgrenze kommt es bei Individuen, die ihr Eigeninteresse verfolgen, zu keiner vertraglichen Einigung.
Die Abhängigkeit eines Individuums A von der Leistung eines andern Individuums B verringert sich dann, wenn diese Leistung durch andere Leistungen zumindest {414} teilweise ersetzbar ist, die also ungefähr den gleichen Zweck erfüllen, für die Individuum B jedoch kein Monopol besitzt. In unserm Beispiel könnte dies eine andere Therapieform des Herzleidens sein, z. B. durch Medikamente. Selbst wenn diese Therapie kein vollgültiger, gleichwertiger Ersatz für den chirurgischen Eingriff ist, sondern nur eine annähernde "Substitution" darstellt, so kann der Herzkranke doch auf diese Ersatzleistung ausweichen, wenn ihm die für eine Operation geforderte Gegenleistung zu hoch ist. [[3] Zur Beschränkung von Monopolmacht durch Produktsubstitution vgl. z. B. DAHL/LINDBLOM 1963, S.178f.]
Wenn die Möglichkeit zur Substitution einer monopolisierten Leistung besteht, so wird dadurch die Verhandlungsmacht des Monopolisten begrenzt. Dadurch, dass andere Leistungen mit der Monopolleistung "konkurrieren", gerät der Monopolist in Konkurrenz mit anderen Anbietern.
Wenn man die Monopolleistung mit den anderen Ersatzleistungen zu einer gemeinsamen Art von Leistungen zusammenfasst, also z. B. alle Therapieformen dieses Herzleidens als eine Klasse vergleichbarer Leistungen ansieht, so besitzt der Herzchirurg darauf kein Monopol mehr, denn er konkurriert mit andern Anbietern von Behandlungen dieses Herzleidens, sodass es sich um ein Eigentum-Vertrags-System unter - wenn auch eingeschränkten - Konkurrenzbedingungen handelt. [[4] S. dazu u. Kap. 16. Ein Indikator für die Substituierbarkeit verschiedener Güter stellt die Kreuzpreiselastizität dar, die ein Ausdruck dafür ist, wie sich die relative Nachfrage nach einem bestimmten Gut verändert, wenn sich der Preis eines andern Gutes ändert. Vgl. dazu z. B. SCHNEIDER 1973, S . 58f.] {415}
Selbst wenn es keine Formen des direkten Ersatzes für eine Monopolleistung gibt, wird die Verhandlungsmacht des Monopolisten u. U. durch die Möglichkeit des Vertragspartners beschränkt, teilweise oder ganz auf die monopolisierte Leistung zu verzichten. Je mehr diese Leistung jedoch eine Lebensnotwendigkeit und eine unverzichtbare Bedürfnisbefriedigung darstellt, umso stärker ist die Verhandlungsmacht des Monopolisten. [[5] Ein Indikator für den Grad der Abhängigkeit ist die Nachfrage-Elastizität. S. hierzu z. B. SCHNEIDER 1973, S.54ff.] Wenn in unserm Beispiel die Herzoperation etwa die einzige Möglichkeit des Überlebens darstellt, so wird die Bereitschaft des Herzkranken zu Gegenleistungen sicherlich bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehen.
2. Das Eigeninteresse des Monopolisten am Vertragsabschluss
Die Verhandlungsmacht eines Monopolisten wird weiterhin begrenzt durch sein Eigeninteresse am Abschluss des Vertrages bzw. an den angebotenen Gegenleistungen. Zwar wird im obigen Beispiel die Bereitschaft des Patienten A zu Gegenleistungen sehr hoch sein, aber genauso kann umgekehrt die Bereitschaft des Chirurgen B zur Ausführung der Operation bereits dann gegeben sein, wenn die Gegenleistung von A den Aufwand der Operation für B nutzenmäßig überwiegt.
Wenn jedoch noch andere Individuen als A eine Herzoperation benötigen und dafür zu Gegenleistungen bereit sind, bedeutet es für den Monopolisten kein Opfer, mit A keine Vereinbarung zu {416} treffen, wenn die Gegenleistung des Dritten, der an Stelle von A operiert wird, für B einen größeren Nutzen hat als die von A angebotene Gegenleistung. Wie bereits COURNOT in seiner Analyse des Monopols ausgeführt hat, wird ein auf Gewinnmaximierung ausgerichteter Monopolist bis zu dem Punkt Monopolgüter anbieten, an dem die Grenzerlöse nicht mehr größer sind als die Grenzkosten. [[6] Vgl. COURNOT in HOFMANN 1971, S.294ff.]
Obwohl es in der Macht des Monopolisten stünde, eine höhere Gegenleistung zu fordern und er die geforderte Gegenleistung auch von einigen Nachfragern erhalten würde, so wird der Monopolist dies doch aus Eigeninteresse vermeiden, wenn dadurch die Zahl der vorteilhaften Verträge und damit sein Gesamtgewinn verringert würde. COURNOT erläutert dies am Beispiel des Eigentümers einer Mineralquelle mit einmaligen Heilwirkungen: "Er könnte zweifellos den Literpreis dieses Wassers auf 100 Franken festsetzen, aber er würde sehr bald an der geringen Nachfrage merken, dass das nicht der richtige Weg sei, aus seinem Besitz viel herauszuholen." [[7] COURNOT in HOFMANN 1971, S.294.]
Wenn es nur einen Nachfrager für das Monopolgut und damit nur einen potentiellen Vertragspartner gibt, wenn also in unserm Beispiel nur der Herzkranke A für eine Operation in Frage käme, so würde für B schon von dem Punkt an ein Vertrag vorteilhaft sein, wo die Gegenleistung von A den Aufwand der Operation für {417} B übersteigt. Andererseits wäre für A auch noch ein Vertrag vorteilhaft, bei dem seine Gegenleistung für die Operation noch sehr viel höher liegt. Der Umfang der möglichen Gegenleistungen bewegt sich also u. U. in einem weiten Spielraum zwischen den Konzessionsgrenzen von A und B, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Monopolist B die Forderungen immer bis an die obere Konzessionsgrenze von A hinauf treiben kann. [[8] Vgl. hierzu HARSANYI 1962, S.204ff.]
HARSANYI spricht in diesem Zusammenhang vom "Erpressertrugschluss". Der Erpresser, der einem Individuum einen Schaden von 1000 DM androht, kann nicht unbedingt damit rechnen, eine nur wenig darunter liegende Summe zu erpressen, obwohl es für den Erpressten ein rationales Verhalten wäre, z. B. 900 DM zu geben, um einen Schaden von 1000 DM zu vermeiden. Denn umgekehrt kann der Erpresste ja davon ausgehen, dass der Erpresser sich bereits mit sehr viel weniger Geld zufriedengeben wird, weil jede vereinbarte Summe für den Erpresser besser wäre als gar keine Vereinbarung, bei der der Erpresser ja überhaupt nichts erhalten würde.
In einer solchen bilateralen Monopolsituation mit einem Angebotsmonopol des Chirurgen und einem Nachfragemonopol (Monopson) des Herzkranken ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung also allein durch die Annahme der Nutzermaximierung der Parteien nicht determiniert. [[9] Zur ökonomischen Theorie des bilateralen Monopols vgl. z. B. die Übersicht bei CODDINGTON 1968, S.25ff.] {418}]
Aus den obigen Überlegungen ist deutlich geworden, dass es häufig nicht im Interesse des Monopolisten liegt, seine Forderungen über einen bestimmten Punkt hochzuschrauben. Dadurch wird in der normalen Funktionsweise des Eigentum-Vertrags-Systems die Auswirkung von Monopolen gemildert, denn der Monopolist spielt gewöhnlich seine vorhandenen Möglichkeiten zur einseitigen Festsetzung des Preises bzw. der Gegenleistung für das Monopolgut im eigenen Gewinninteresse nicht voll aus.
Es sind jedoch Situationen denkbar, wo es im langfristigen Interesse des Monopolisten ist, für eine bestimmte Zeit auch auf den Abschluss von - isoliert gesehen - vorteilhaften Verträgen zu verzichten, um die Position eines andern Individuums langfristig entscheidend zu schwächen bzw. ganz zu vernichten. Wenn z. B. ein Unternehmen nahezu Monopolist für die Belieferung von Zeitungskiosken ist - was wegen der sinkenden Grenzkosten bei Massenauslieferung nicht unwahrscheinlich ist - , so kann dies Unternehmen eine zeitlang alle Kioske zu gleichen Bedingungen beliefern, bis es eines Tages in einem Konfliktfall seine Machtstellung als Monopolist voll ausspielt und z. B. als Bedingung für die weitere Belieferung eines Kioskes verlangt, dass dieser keine anderen Zeitungen z. B. einer politisch unerwünschten Richtung verkauft.
Noch offensichtlicher ist diese Problematik in internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Angenommen ein Land (bzw. eine als Kartell auftretende Gruppe von Ländern) hat ein Monopol auf ein Produkt, das für andere Länder lebenswichtig ist. Es mag über lange Zeit dieses Produkt im eigenen Gewinninteresse zum üblichen {419} Monopolpreis liefern.
Es kann jedoch - sofern es genügend Reserven besitzt, um für eine gewisse Zeit auf die Einnahmen aus dem Verkauf des Monopolgutes verzichten zu können - die Lieferung des Monopolgutes an ein bestimmtes Land drosseln oder ganz einstellen, um von diesem Land irgendwelche Konzessionen auf anderen Gebieten, z. B. politischer Art, zu erzwingen. In diesem Fall stellt die Einstellung der Lieferungen eine Sanktion dar, deren möglicher Einsatz auch bei andern Verhandlungen eine latente Drohung im Hintergrund darstellt und die Verhandlungsmacht des Monopolisten auch auf allen übrigen Bereichen verstärkt.
Natürlich handelt es sich dabei im Rahmen des Eigentum-Vertrags-Systems nicht um eine Erpressung im Sinne einer Anwendung unzulässiger Mittel, denn es steht ja jedermann frei, über sein Eigentum zu verfügen und zum Beispiel mit bestimmten Individuen keine Verträge mehr abzuschließen.
Die Begrenzung der Monopolmacht durch das Eigeninteresse des Monopolisten an maximalem Gewinn ist also nur begrenzt wirksam. Wo es sich um lebensnotwendige Güter handelt, kann der Monopolist durch die Weigerung zur Lieferung seine Interessen auch auf anderen Bereichen durchsetzen, es sei denn, er hat seinerseits eine "Achillesferse" und ist von bestimmten Lieferungen der Gegenpartei auf anderen Gebieten abhängig. Es kann also im übergeordneten Interesse des Monopolisten sein, auf die Vorteile aus der Veräußerung des Monopolgutes zeitweilig zu verzichten, um auf die Konsumenten des Monopolgutes Druck auszuüben und Forderungen auf anderen Gebieten erfüllt zu bekommen. {420}
§ 96 Verhandlungsmacht und Sanktionsfreiheit
Auch im Falle eines einseitigen Monopols in Bezug auf lebensnotwendige Leistungen wie im Beispiel des Herzkranken zwingt niemand den Herzkranken zu einem Vertrag über die Operation. Weder der Monopolist noch irgendein anderes Individuum drohen Sanktionen an, um zu einem Vertragsabschluss zu kommen. Der Herzkranke kann der geforderten Gegenleistung zustimmen oder er kann sie ablehnen. In diesem Sinne ist auch dieser Vertrag "freiwillig".
Andererseits drückt die Umgangssprache die Situation des Herzkranken anders aus. Hier würde es wohl heißen, dass für den Herzkranken ein Eingehen auf die Forderung des Chirurgen "notwendig" oder "unumgänglich" war, womit dem Umstand Rechnung getragen wird, dass der Herzkranke "bei Strafe des eigenen Untergangs gezwungen war", der Forderung zuzustimmen.
Der Zwang, der hier gemeint ist, geht allerdings nicht direkt von einem bestimmten Individuum aus, das seinen Willen unter Anwendung von Sanktionen durchsetzen will, wie etwa bei der Erpressung. Der Zwang, der hier wirkt, ist der "stumme Zwang der (Eigentums-)Verhältnisse". Dieser Zwang der Verhältnisse lässt sich in verschiedene Komponenten aufteilen, aus deren Zusammenwirken der Zwang resultiert:
1. Es existiert für ein Individuum ein dringendes Bedürfnis (hier nach einer Herzoperation), dessen Nichtbefriedigung eine schwere Beeinträchtigung für das Individuum bedeutet (hier der wahrscheinliche Herztod).
2. Die Aufteilung der Eigentumssphären ist so beschaffen, dass das Individuum sein Bedürfnis nicht aus eigenen Mitteln befriedigen kann (der Herzkranke {421} kann sich nicht selber operieren).
3. Zugleich ist jedoch eine Befriedigung dieses Bedürfnisses prinzipiell möglich durch die Verfügung über die Eigentumssphäre eines andern Individuums (der Herzchirurg besitzt die Fähigkeit zur Ausführung der Operation).
Wenn das Individuum also sein Bedürfnis befriedigen will und dabei die Verfügungsrechte des andern Individuums nicht verletzen will, so ist es gezwungen , über die erforderliche Leistung mit dem andern Individuum eine vertragliche Vereinbarung abzuschließen.
Dabei ist es wesentlich, festzuhalten, dass es sich bei dem hier analysierten "Zwang der Verhältnisse" nicht um einen rein naturgesetzlichen Zwang handelt. Ein Beispiel für naturgesetzlichen Zwang wäre ein Fischerboot, das durch einen Sturm bei Strafe des Untergangs gezwungen wird, einen schützenden Hafen anzulaufen. Zwar handelt es sich bei dem Vertrag über die Herzoperation auch nicht um einen Zwang vermittels einer direkten sozialen Sanktion, denn der Herztod ist Ergebnis eines naturgesetzlichen Prozesses, der auch ohne menschliches Zutun eintreten würde. Der Herztod könnte jedoch durch menschliches Handeln verhindert werden. Für den Zwang der Verhältnisse ist die Einteilung der individuellen Verfügungssphären sowie ihre Respektierung und Sanktionierung konstitutiv.
Die Abgrenzung von Eigentumsrechten ist menschliche Setzung und keine Naturgesetzlichkeit. So könnte z. B. ein Hungernder sein Bedürfnis nach Nahrung im Prinzip auch ohne vertragliche Vereinbarung mit dem Besitzer von Nahrungsmitteln befriedigen, indem er diesem die Nahrung stiehlt. Was jemand gewöhnlich daran {422} hindert, so zu verfahren, und was ihn stattdessen "zwingt", Geld zu erwerben, sind also keine reinen Naturgesetze des Hungers sondern zusätzlich die durch Menschen gesetzten Eigentumsverhältnisse, die mit entsprechenden Sanktionen gesichert sind. Nicht nur die natürlichen Verhältnisse sondern zusätzlich die Eigentumsverhältnisse konstituieren also den "Zwang der Verhältnisse", der hinter jeder vertraglichen Vereinbarung steht.
Der Herzkranke ist im Falle des Nicht-Zustandekommens einer Vereinbarung vom Tode bedroht. Dies ist zwar keine Sanktionsdrohung bestimmter Individuen, sie wird jedoch indirekt durch die von Individuen gesetzte Aufteilung der Verfügungsbereiche erzeugt, die in diesem Fall dem Chirurgen das private Verfügungsrecht über seine ärztlichen Fähigkeiten gibt. Wie man an diesem Beispiel sieht, stehen diese indirekten Sanktionen den direkten Sanktionen durch soziale Instanzen an Härte für das betroffene Individuum keineswegs nach. Der "Zwang der (Eigentums-)Verhältnisse" mag für die Individuen mindestens so drückend sein wie der schlimmste politische Zwang.
Dies wirft noch einmal ein kritisches Licht auf den vertraglichen Konsensus, der keineswegs als reine Einstimmigkeit interpretiert werden kann. Hinter jedem Vertragsabschluss steht der "Zwang der Verhältnisse" in Form der bestehenden Eigentumsrechte und der damit gegebenen Gefahr fehlender Bedürfnisbefriedigung bei Scheitern des Vertrages. Insofern ist der vertragliche Konsensus nicht sanktionsfrei zustande gekommen, wie es für einen argumentativen Konsensus erforderlich ist.
In der Monopolsituation ergibt sich zusätzlich der Zwang zum Vertrag mit einem bestimmten {423} Individuum, dem Monopolisten. Dadurch erlangt dieser eine Verhandlungsmacht, die es ihm erlaubt, auf die Vertragsbedingungen und die Höhe der Leistungen einen individuellen Einfluss zu nehmen.
§ 97 Monopol und diskrimierende Verträge
Auf eine Besonderheit des Eigentum-Vertrags-Systems unter Monopolbedingungen gegenüber Konkurrenzbedingungen soll in diesem Zusammenhang noch hingewiesen werden.
Die Abhängigkeit der Nachfrager vom monopolistischen Anbieter führt dazu, dass der Monopolist in den genannten Konzessionsgrenzen die Höhe der Gegenleistungen bzw. den Preis des Monopolgutes einseitig festsetzen kann. Dadurch ist es ihm auch möglich, gegenüber verschiedenen Individuen für die gleiche Menge des Monopolgutes unterschiedliche Preise zu verlangen, also Preisdiskriminierung vorzunehmen, indem der eine Vertragspartner das Gut billiger erhält als der andere. Die Tendenz zur Ausbildung eines einheitlichen Preises für gleichartige Güter ist hier also nicht automatisch gegeben, so wie im Konkurrenz-System. [[10] S. dazu unten Kap.16.]
Sofern die Möglichkeit besteht, die Monopolgüter weiterzuverkaufen, so gibt es dadurch Kräfte, die einer Preisdiskriminierung entgegenwirken, denn ein Abnehmer des Monopolgutes, der dies relativ billig einkauft, kann es mit Gewinn an denjenigen weiterverkaufen, der dafür relativ hohe Preise bezahlen muss. Die Möglichkeit zur Preisdiskriminierung ist deshalb vor allem dann gegeben, wenn es sich um Güter handelt, {424} die nicht oder nur mit großen Kosten zwischen den Individuen übertragbar sind. "Persönliche Dienstleistungen sind selten transferierbar und ihr Verkauf bietet häufig die Gelegenheit zur Preisdiskriminierung. Der Verkauf solcher Waren wie Elektrizität, Gas und Wasser, die physische Verbindungsleitungen zwischen den Anlagen des Produzenten und Konsumenten erfordern, ist äußerst schwierig." [[11]HENDERSON/QUANDT 1958, S.170.] Insofern besteht hier ebenfalls die Möglichkeit unterschiedlicher Preisforderungen für dasselbe Gut.
Die Möglichkeit zur Preisdiskriminierung bedeutet für den Monopolisten eine Sanktionsmöglichkeit gegenüber den Konsumenten, die durch höhere Preise bestraft bzw. durch niedrigere Preise belohnt werden können. Der Monopolist kann dadurch individuell differenziert Einfluss auch auf das sonstige Handeln seiner Vertragspartner nehmen. [[12] Auch hier spielt die Nachfrage-Elastizität eine Rolle: "Der Preis wird niedriger sein in dem Markt mit der größeren Nachfrage-Elastizität." HENDERSON/ QUANDT 1958, S.171. Das bedeutet, dass diejenigen, die stärker auf das Monopolgut angewiesen sind, auch höhere Preise bezahlen müssen.] {425}
{425}
16. Kapitel
Vollkommene Konkurrenz und Pareto-Optimalität im Eigentum-Vertrags-System
§ 98 Die Aufhebung individueller Verhandlungsmacht durch
Konkurrenz
Wie bereits verschiedentlich deutlich wurde, kann die
Verhandlungsmacht eines Individuums gegenüber einem potentiellen Vertragspartner
dadurch begrenzt werden, dass es in Bezug auf die von ihm angebotenen Leistungen
in Konkurrenz mit andern Anbietern steht. Wenn es bei dem Beispiel des
Herzkranken außer dem Individuum B noch andere Chirurgen gibt, die die gleiche
Herzoperation ausführen können, so ist B's Verhandlungsmacht gegenüber dem
Patienten A geschwächt, denn A könnte zu einem andern Chirurgen gehen, wenn ihm
B's Forderung als zu hoch erscheint.
Die Aufhebung von Verhandlungsmacht durch die
Institutionalisierung von Konkurrenz ist ein Zentralthema der liberalen
ökonomischen Theorie seit Adam SMITH, und ein Großteil ihrer Anstrengungen war
der Analyse des ökonomischen Konkurrenzmodells gewidmet, das auf den
Institutionen des privaten Eigentums an den Produktionsfaktoren, der Vertrags-
bzw. Gewerbefreiheit sowie der Konkurrenz der Nachfrager und Anbieter von Gütern
untereinander beruht.
Dies System einer privaten Konkurrenzwirtschaft kann am
Modellbeispiel eines Marktes unter atomistischer Konkurrenz veranschaulicht
werden.{426} Es sei angenommen, dass es in Bezug auf eine bestimmte
Leistung, z. B. das Gut G, sehr viele Individuen gibt, die G zur
Befriedigung ihrer Bedürfnisse benötigen, die G aber nicht innerhalb ihres
Eigentumsbereichs bereitstellen können sondern es bei andern Eigentümern
erwerben müssen. Gleichzeitig gibt es sehr viele Individuen, die G im
Rahmen ihrer Eigentumssphäre verfügbar haben bzw. produzieren können und die
außerdem willens und in der Lage sind, G gegen andere Leistungen
auszutauschen.
Unter der Annahme völliger Vertragsfreiheit der Individuen,
ihrer Ausrichtung am Eigeninteresse und dem Fehlen von Absprachen unter den
Anbietern oder Nachfragern des Gutes G kann niemand aufgrund individueller
Verhandlungsmacht den Umfang der vereinbarten Gegenleistungen, also den
Preis von G, zu seinen Gunsten beeinflussen, denn das Vertragsergebnis ist das
Resultat der Aktivitäten aller auf dem Markt auftretenden Anbieter und
Nachfrager.
Wenn z. B. ein Anbieter für eine Einheit von G einen höheren Preis
verlangt als ein anderer Anbieter, so wird er keinen Abnehmer finden, da jeder Nachfrager seinem Eigeninteresse gemäß danach strebt, einen möglichst
niedrigen Preis zu zahlen. Die Konsumenten werden dann bei dem andern Anbieter
kaufen, der einen niedrigeren Preis fordert. Unter den Bedingungen vollkommener
Konkurrenz sind die einzelnen Marktteilnehmer nur "Preisnehmer", wie der
ökonomische Fachausdruck lautet. [[1] Vgl. dazu z. B. MEADE 1971, S.29ff.]{427}
Umgekehrt wird ein Nachfrager des Gutes G unter Konkurrenzbedingungen keinen Vertrag mit einem Anbieter abschließen können, wenn er einen niedrigeren Preis zahlen will als andere Nachfrager. Denn entsprechend seinem Eigeninteresse wird jeder Anbieter danach streben, einen möglichst hohen Preis für sein Gut zu erhalten, und er wird es andern Nachfragern verkaufen, die ihm mehr dafür bieten.
Es besteht also bei atomistischer Konkurrenz die Tendenz zur Ausbildung einheitlicher Austauschraten bzw. Preise für bestimmte Güter. Das bedeutet aber, dass unter diesen Modellbedingungen das Verhandlungsergebnis zwischen zwei Individuen nicht von ihrer individuellen Verhandlungsmacht abhängt, sondern vom Verhältnis der aggregierten Nachfrage zum aggregierten Angebot. [[2] Natürlich handelt es sich hier nur um ein theoretisches Modell des Marktes, das nicht mit einer realen Marktwirtschaft ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Insbesondere sind hier Faktoren wie Information, Zeit und Raum nicht mit einbezogen. Zu den Voraussetzungen vgl. MEADE 1971, S.29f.]
§ 99 Die Theorie des Gleichgewichtspreises
In den Standarddarstellungen der Preistheorie wird diese Tendenz zu einem einheitlichen Preis für gleichartige Güter mit Hilfe aggregierter Nachfrage- und Angebotsfunktionen ausgedrückt, die sich aus der Summierung der individuellen Angebots- und Nachfragefunktionen ergeben. Durch den Schnittpunkt beider Funktionen wird der Preis bestimmt, an dem sich Angebot und Nachfrage ausgleichen. {428} Dies ist der Gleichgewichtspreis, auf dessen Realisierung die Marktkräfte hintendieren, sofern die Funktionen unverändert bleiben. [[3] Vgl. dazu z. B. SCHNEIDER 1973, S.178f. oder DORFMAN 1964, S.82. Zur empirischen Ermittlung der Funktionen s. LANGE 1968, S.83ff. Da es hier nicht um eine empirische Preistheorie geht, soll auf die werttheoretischen Kontroversen hier nicht näher eingegangen werden. S. dazu z. B. die Beiträge in HUNT/SCHWARTZ 1972.]
Dieser Gleichgewichtspreis soll an einem Beispiel veranschaulicht werden, dem (kurzfristigen) Markt für Rindfleisch, symbolisiert mit R. Die aggregierte Nachfragefunktion für R stellt dar, welche Menge davon bei verschiedenen Preisen zu einem bestimmten Zeitpunkt insgesamt nachgefragt würde. Diese Nachfragefunktion kann man in ein Koordinatenkreuz eintragen, wo auf der Abszisse die Menge von R in Kilogramm abgetragen wird, während auf der senkrechten Ordinate der Preis in Geldeinheiten, z. B. DM, abgetragen wird. Unter der Annahme, dass umso mehr Rindfleisch nachgefragt wird, je niedriger der Preis für Rindfleisch ist, ergibt sich eine nach rechts hin abfallende Nachfragekurve.
Entsprechend stellt die Angebotsfunktion für R dar, welche Menge von R bei verschiedenen Preisen zu einem bestimmten Zeitpunkt insgesamt angeboten würde. Unter der Annahme, dass umso mehr R angeboten wird, je höher der Preis ist, ergibt sich eine nach rechts hin ansteigende Angebotskurve. Zeichnet man beide Funktionen in ein gemeinsames Koordinatensystem, so ergibt sich folgendes Bild: {429}
Im Punkt P1, dem Schnittpunkt zwischen Angebots- und
Nachfragekurve, ist die Menge des nachgefragten und des angebotenen Rindfleischs
mit je 500 kg ausgeglichen bei einem Preis von 10 DM pro Kilogramm.
Es wird nun
angenommen, dass unter den Bedingungen der Konkurrenz sowohl unter den Anbietern
als auch unter den Nachfragern eine Tendenz zum Ausgleich von Angebot und
Nachfrage besteht und damit eine Tendenz des Preises für ein bestimmtes Gut zu
diesem Gleichgewichtspunkt.
Wenn der Preis niedriger ist als der Gleichgewichtspunkt,
so wird weniger R angeboten, als zu diesem Preis nachgefragt wird. In diesem
Fall wird die Konkurrenz unter den Konsumenten dazu führen, dass der Preis
steigt. Denn einige Individuen, die zu diesem Preis nicht die von ihnen
gewünschte Menge Rindfleisch erhalten, werden bereit sein, auch einen
höheren Preis zu zahlen, um eine größere Menge zu erhalten, sodass die Preise
nach oben getrieben werden.
Wenn der Preis dagegen höher als der Gleichgewichtspunkt
liegt, so wird mehr R angeboten, als zu diesem {430} Preis nachgefragt wird. In diesem Fall wird die Konkurrenz
unter den Anbietern dazu führen, dass der Preis sinkt. Denn um nicht auf ihrem
Rindfleisch sitzenzubleiben, werden einige Anbieter bereit sein, es auch zu
einem niedrigeren Preis zu verkaufen. "Nur zu dem Preis, wo sich die Angebots-
und Nachfragekurven kreuzen, werden sowohl Produzenten wie Käufer
zufriedengestellt sein. Dies ist folglich der kurzfristige Gleichgewichtspreis.
Die Anpassungen des Marktes tendieren offensichtlich in Richtung auf den
Gleichgewichtspreis und -ausstoß, sofern der Markt sich nicht bereits dort
befindet: [[4] DORFMAN 1964, S.83. Zur Möglichkeit eines labilen
Gleichgewichts s. KÜLP 1967, S.74ff.]
Wenn dagegen keine Konkurrenz unter den Marktteilnehmern
herrscht und etwa alle Anbieter eines Gutes verabreden würden, welche Menge
dieses Gutes sie insgesamt auf den Markt bringen wollen (Mengenabsprache), so
können sie - bei gegebener Nachfrage - den Preis des Gutes dadurch praktisch
bestimmen. Der gleiche Effekt würde durch eine direkte Preisabsprache der
Anbieter erzielt. Im Fall eines solchen Kartells stellen die Anbieter
gewissermaßen einen kollektiven Monopolisten dar, der den Preis des von ihm
angebotenen Gutes einseitig bestimmen kann, wie oben ausgeführt wurde.
Wenn solche kartellbildenden Absprachen nicht existieren
sondern jeder Anbieter individuell seinen Vorteil verfolgt, und wenn
außerdem der Marktanteil {431} jedes Anbieters so gering ist, dass er durch eine
Veränderung der von ihm angebotenen Menge den Marktpreis praktisch nicht
beeinflussen kann (" atomistische Konkurrenz" ), so stellt der Marktpreis für
jeden Anbieter eine gegebene Ausgangsbedingung dar, einen "Parameter", wie es in
der ökonomischen Terminologie heißt. Die Nachfragefunktion hat dann für jeden
individuellen Anbieter die Form einer waagerechten Geraden, d.h. dass er für
jede beliebige Menge des Gutes, die er anbietet, den gleichen Preis erzielt. Man
spricht deshalb auch davon, dass sich unter Konkurrenzbedingungen jeder
Marktteilnehmer als "Preisnehmer" und als "Mengenanpasser" verhält, da die
Preise für ihn gegeben sind. [[5] Vgl. dazu BERNHOLZ 1972, S.56ff.]
Der Punkt, an dem sich Angebot und Nachfrage nach einem
bestimmten Gut ausgleichen, stellt ein Tauschgleichgewicht dar. [[6] Zum Gleichgewichts-Konzept in der Preistheorie s. CHIPMAN
1965.] Keiner der
Marktteilnehmer kann dann auf dem Wege des Tausches seine Lage noch verbessern.
[[7] Dies heißt natürlich nicht, dass jeder mit dieser Situation zufrieden
ist und z. B. kein Motiv mehr hat, die Situation auf anderem als vertraglichem
Wege zu verändern.]
Dieser Gleichgewichtspunkt, der in der empirischen
Preistheorie - zumindest der in der neoklassischen Tradition stehenden Ökonomie
- eine wichtige Rolle spielt, findet nun zusätzlich eine normative
Interpretation, denn unter den Annahmen vollkommener
Konkurrenz stellt dies Gleichgewicht zugleich ein Pareto-Optimum
des Tausches und der Produktion dar. Das eigeninteressierte Handeln der Individuen
{432} führt unter den Voraussetzungen dieses Modells zur
Realisierung eines pareto-effizienten Zustandes der Wirtschaft. Diese normative
Interpretation des Konkurrenzgleichgewichts soll im Folgenden näher analysiert
werden.
Wie WINCH betont, sind "Gleichgewicht" und "Optimum" zwei völlig verschiedene
Konzepte: "Die Gleichgewichtsposition ist einfach die Menge von Werten für alle
Variablen, die erreicht wird, wenn sich alle Kräfte im Modell ausgewirkt haben, gleichgültig ob die sich ergebende ökonomische Situation
wünschenswert ist oder nicht. Das Optimum setzt die wünschenswerte Situation
fest, gleichgültig ob sie erreicht wird oder nicht." [[8] WINCH 1971, S.90.]
§ 100 Das Tauschoptimum
1. Gleichgewichtspreis und Tauschoptimum
Im vorangegangenen Abschnitt ist ausgeführt worden, dass
sich für ein gleichartiges Gut auf einem Markt mit Konkurrenz ein einheitlicher
Preis herausbildet. Das bedeutet, dass für jedes Individuum das Tauschverhältnis
zwischen diesem Gut und Geld gleich ist. Damit ist auch die Tauschrate zwischen
zwei beliebigen Gütern für jedes Individuum gleich. Wenn der Preis für 1 kg
Rindfleisch z. B. 10 DM beträgt und der Preis für 1 kg Weizen 2,50 DM beträgt, so
ist die Tauschrate zwischen beiden Gütern 1:4. Um einen Gleichgewichtspunkt
handelt es sich dabei insofern, als alle ungehindert tauschenden Eigentümer an
einem Punkt angelangt sind, wo sie für den Erwerb bzw. die Veräußerung {433} von 1 kg Rindfleisch nicht mehr und nicht weniger
als 4 kg Weizen austauschen wollen. In der ökonomischen Terminologie bedeutet
dies, dass die "Grenzrate der indifferenten Substitution" beider Güter für alle
Eigentümer gleich ist.
Dieses Tauschgleichgewicht stellt einen pareto-optimalen
Zustand, denn bei gleichen Substitutionsraten aller
Individuen ist keine Umverteilung der vorhandenen Güter möglich, durch die
mindestens ein Individuum eigentumsmäßig besser gestellt wird und durch die
zugleich kein anderes Individuum schlechter gestellt wird. [[9] Dabei muss allerdings wiederum die oben erwähnte Annahme
gemacht werden, dass die Individuen die Situationen nur nach der
Güterausstattung ihrer jeweils eigenen Sphäre bewerten.]
Mit Hilfe der
Indifferenzkurven-Analyse in Form eines Kastendiagramms kann man das
Tauschoptimum in Bezug auf zwei Eigentümer und zwei Güterarten auch graphisch
darstellen.
2. Erläuterung der Indifferenzkurven-Analyse
[[10] Zum Folgenden vgl. z. B. SCHNEIDER 1973, S.14ff. Mit dem mikroökonomischen Instrumentarium vertraute Leser mögen diesen und den folgenden Abschnitt überschlagen.]
Man kann die Mengen, die ein Individuum A von zwei Güterarten besitzt, durch ein Koordinaten-System darstellen, auf deren Achsen die jeweiligen Gütermengen abgetragen werden:{434}
Der Punkt P1 würde in diesem Fall anzeigen, dass Individuum A 4 kg Weizen und 10 kg Rindfleisch besitzt. Man könnte A nun auffordern, mögliche andere Mengenkombinationen beider Güter in eine nutzenmäßige Rangordnung zu bringen, indem gesagt wird, ob sie besser, gleich gut (indifferent) oder schlechter sind als die durch P1 ausgedrückte Güterkombination. Wenn man nun alle Punkte miteinander verbindet, die zu P1 gleich gute Kombinationen darstellen, so ergibt sich die sogenannte Indifferenzkurve. [[11] Zu den Voraussetzungen für das Vorhandensein stetiger Indifferenzkurven s. GREEN 1971, S.35ff.] Sie ist der geometrische Ort für alle Güterkombinationen, denen gegenüber ein Individuum indifferent ist.
Die Indifferenzkurve hat dann die typische, vom Nullpunkt
aus gesehen konvex verlaufende Form, wenn die Substitutionsrate des einen Gutes
R durch das andere Gut W mit wachsendem Besitz an R abnimmt, {435} sodass die Kurve nach rechts sich abflacht und zunehmend an
Steigung verliert.
Wenn man die Indifferenzkurve in Richtung der waagerechten
Abszisse verfolgt, so ist als gleichwertiger Ersatz (indifferente Substitution)
für jede verlorene Einheit Weizen eine immer größere Menge an Rindfleisch
erforderlich. Wäre für das Individuum die Substitutionsrate zwischen Rindfleisch
und Weizen konstant, gleichgültig in welchem Verhältnis es Rindfleisch und
Weizen bereits besitzt, so wäre die Indifferenzkurve eine Gerade mit konstanter
Steigung.
Solange das Individuum jeden zusätzlichen Erwerb von
Rindfleisch positiv bewertet, ist es bereit, dafür eine bestimmte Menge des für
es nützlichen Gutes Weizen herzugeben, sodass die Steigung der Indifferenzkurve
negativ sein muss.
Würde die Kurve nach rechts hin ansteigen, so würde dies
bedeuten, dass das Individuum mit Rindfleisch "übersättigt" ist und dass man ihm
als Entschädigung für ein unerwünschtes zusätzliches Kilogramm Rindfleisch noch
Weizen dazugeben müsste. Im Falle einer positiven Steigung der
Indifferenzkurve muss es sich demnach bei einem der Güter um ein "Un-Gut" bzw.
ein negatives Gut handeln, von dem ein Weniger an Menge ein Mehr an Nutzen für
das Individuum bedeutet. [[12] Zu den verschiedenen möglichen Formen von
Indifferenzkurven und den entsprechenden Präferenzstrukturen vgl. z. B. GÄFGEN
1968, S.165ff.]
Wenn es sich jedoch um zwei "wirkliche" Güter handelt,
wovon das Individuum immer eine größere Menge {436} gegenüber einer kleineren vorzieht, so bedeutet dies, dass
alle Punkte, die von der Indifferenzkurve aus gesehen zum Nullpunkt hin liegen,
für das Individuum schlechtere Güterkombinationen darstellen als die Punkte auf
der Indifferenzkurve, während alle Punkte, die auf der vom Nullpunkt abgekehrten
Seite der Indifferenzkurve liegen, besser sind als die Punkte auf der Kurve.
Man kann nun alle möglichen Kombinationen beider Güter gemäß den Interessen des Individuums ordnen. Der 2-Güter-Raum wird bei unbegrenzter Teilbarkeit der Güter dann durch eine im Prinzip unbegrenzte Anzahl derartiger Indifferenzkurven aufgeteilt. Unter der Voraussetzung, dass die Präferenzen des Individuums transitiv sind, überschneiden sich die Indifferenzkurven dabei nicht. Transitivität der Präferenzen bedeutet dabei: wenn das Individuum die Güterkombination x gegenüber der Kombination y vorzieht und außerdem y gegenüber z, so muss es auch x gegenüber z vorziehen. Eine solche Indifferenzkurvenschar sähe dann folgendermaßen aus:
{437}
Solange man sich entlang einer dieser Indifferenzkurven (I 1 bis I 5) bewegt, wird das Individuum durch die entsprechenden Besitzveränderungen voraussetzungsgemäß weder besser noch schlechter gestellt. Bewegt man sich jedoch von einem Punkt auf der Indifferenzkurve vom Nullpunkt weg in "nord-östlicher" Richtung, so wird das Individuum besser gestellt. Je "höher" eine Indifferenzkurve liegt, die das Individuum erreicht, umso besser ist es gestellt. Wenn das Individuum also einen Punkt auf der Indifferenzkurve I 3 erreicht, so ist es gegenüber dem Punkt P1 besser gestellt, da dieser auf I 2 liegt.
Dabei können die verschiedenen Indifferenzkurven immer nur als ordinale Abstufungen des individuellen Nutzens interpretiert werden, da sie nur auf den nutzenmäßigen Rangordnungen der Güterkombinationen beruhen. Man kann also beim Erreichen einer höheren Indifferenzkurve nur sagen, dass das Individuum besser gestellt ist, man kann aber nicht sagen, um wieviele Nutzeneinheiten. Wenn man sich die Indifferenzkurvenschar dreidimensional als "Höhenlinien eines Nutzenberges" vorstellt, so können die Abstände zwischen den "Höhenlinien" nicht gemessen werden, wie man dies z. B. bei Landkarten tun kann, wo der Höhenunterschied zwischen zwei Linien z. B. immer 10 Meter beträgt. Ein ausschließlich an seiner eigentumsmäßigen Besserstellung interessiertes Individuum wird folglich danach streben, eine möglichst hohe Indifferenzkurve zu erreichen und dadurch seinen Nutzen zu maximieren. {438}
3. Analyse der bilateralen Tauschsituation mithilfe eines Kastendiagramms (Edgeworth-Boxdiagramm)
Das Kastendiagramm kommt dadurch zustande, dass die Indifferenzkurvenscharen von zwei Tauschpartnern in einer Abbildung zusammengefasst werden. Die Indifferenzkurven werden in ein Rechteck eingezeichnet, dessen Seitenlängen die insgesamt vorhandenen Mengen von beiden Gütern angeben, in unserm Beispiel also die Mengen an Rindfleisch und Weizen, die beide Individuen A und B zusammen genommen besitzen. [[13] Vgl. zur folgenden Darstellung z. B. BOULDING 1959, S.88ff. oder ZINN 1970b, S.117ff.]
Die linke untere Ecke des Kastens stellt den Nullpunkt des Individuums A dar (0 A). Von hieraus werden an der linken Seite die Weizenmengen und an der unteren Seite die Rindfleischmengen im Besitz von A abgetragen.
Die rechte obere Ecke des Kastens ist der Nullpunkt des Individuums B. Von hieraus werden in entgegen gesetzter Richtung an der rechten und an der oberen Seite die im Besitz von B befindlichen Weizen- und Rindfleischmengen abgetragen. Jeder Punkt in diesem Kastendiagramm gibt also eine bestimmte Aufteilung beider Güter auf die beiden Individuen an.
In dieses Kastendiagramm kann man nun zusätzlich die Indifferenzkurven beider Individuen gegenüberliegend eintragen, sodass sich folgendes Bild ergibt (die Indifferenzkurven für B wurden zur Unterscheidung gestrichelt):{439}
Das Kastendiagramm soll im Folgenden noch näher erläutert werden. Die Verteilung von Weizen und Rindfleisch in der Ausgangssituation soll durch den Punkt P0 wiedergeben werden: A hat also relativ viel Weizen aber relativ wenig Rindfleisch, während B umgekehrt relativ wenig Weizen und relativ viel Rindfleisch hat.
Durch den Punkt P0 geht die Indifferenzkurve I A des Individuums A und die Indifferenzkurve I B des Individuums B. Voraussetzungsgemäß kann A seine Lage verbessern, wenn er statt P0 einen Punkt erreicht, der auf der vom Nullpunkt 0 A abgekehrten Seite der Kurve I A liegt, also in Richtung auf die rechte obere Ecke.
Ebenso kann B seine Lage verbessern, wenn er statt P 0 einen Punkt erreicht, der von der Kurve I B aus in Richtung auf die linke untere Ecke zu liegt.
Hieraus ergibt sich, dass diejenigen Punkte, die für beide Individuen eine Verbesserung ihrer Lage als Eigentümer darstellen, auf derjenigen Fläche liegen müssen, die von den beiden Indifferenzkurven I A und I B eingeschlossen wird. Diese Fläche, die in Abb.16.5 {440} schraffiert ist, nennt man die Tauschlinse, weil in ihrem Bereich sämtliche vom Ausgangspunkt P 0 aus möglichen Tauschergebnisse für eigeninteressierte Individuen liegen.
Wenn die Tauschlinse jedoch zu einem Punkt zusammen geschrumpft ist, so ist kein für beide Eigentümer vorteilhafter Tausch und damit keine paretomäßige Besserstellung mehr möglich.
Ein solcher Fall ist etwa bei der Güterverteilung gegeben, die durch den Punkt P1 wiedergegeben wird. Dort berühren sich gerade zwei Indifferenzkurven der beiden Individuen tangential. Von diesem Berührungspunkt aus ist keine Veränderung mehr möglich, die das eine Individuum eine höhere Indifferenzkurve erreichen lässt und die zugleich das andere Individuum nicht auf eine niedrigere Indifferenzkurve zurückfallen lässt. Der Punkt P1 bildet also ein paretianisches Tauschoptimum.
Wenn man nun sämtliche derartigen Tangentialpunkte in das Kastendiagramm einzeichnet, so ergibt sich eine Linie, die man nach EDGEWORTH als Kontraktkurve bezeichnet. [[14] S. dazu BLAUG 1968, S.311f.]
Zwei auf ihren Vorteil als Eigentümer bedachte Individuen werden solange zu tauschen versuchen, bis sie eine Güterverteilung erreicht haben, die durch einen Punkt auf der Kontraktkurve wiedergeben wird. Denn solange die Kontraktkurve nicht erreicht ist, gibt es immer noch Alternativen zum Status quo der Besitzverteilung, die für mindestens einen Partner vorteilhaft sind, ohne für den andern nachteilig zu sein.
Ist die Kontraktkurve jedoch einmal erreicht, so ist bei gegebenen Gütermengen und Präferenzen keine freiwillige Umverteilung im Wege des Tausches mehr möglich. Insofern ist die Kontraktkurve auch eine "Konfliktkurve", wie BOULDING dargelegt hat. [[15] Vgl. BOULDING 1952, S.92ff.]
Anhand der Tauschlinse lässt sich auch gut veranschaulichen, welchen Einfluss in einer solchen bilateralen Verhandlungssituation das Verhandlungsgeschick der beiden Parteien ausüben kann. Denn zum Punkt P0 existieren ja eine ganze Reihe pareto-optimaler Alternativen, nämlich alle Punkte auf jenem Abschnitt der Kontraktkurve, der durch die Tauschlinse verläuft. Ob ein Ergebnis zustande kommt, das auf der Mitte zwischen den Indifferenzkurven I A und I B liegt, oder eines, das näher bei der Indifferenzkurve des anderen liegt, hängt vom Verhandlungsgeschick der Beteiligten ab. Der geschickte Verhandlungspartner wird versuchen, die Präferenzstruktur des andern möglichst genau herauszufinden, um den zu seinen Gunsten bestehenden Verhandlungsspielraum des anderen maximal auszunutzen, während er seine eigene Interessenlage eher zu verschleiern versucht. [[16] Vgl. dazu BOULDING 1952, S.92. Allerdings spielt das Verhandlungsgeschick des Einzelnen eine geringere Rolle, wenn die bilaterale Monopolsituation aufgehoben ist und weitere Individuen als konkurrierende Tauschpartner existieren.]
Ein Tangentialpunkt zweier Indifferenzkurven zeichnet sich nun dadurch aus, dass beide Kurven in diesem {442} Punkt die gleiche Steigung haben. Da die Steigung einer Indifferenzkurve in einem Punkt die Grenzrate der indifferenten Substitution der beiden Güter angibt, so sind an einem Tangentialpunkt die marginalen Substitutionsraten für beide Individuen gleich. Die Gleichheit der marginalen Substitutionsraten ist ist die Optimumbedingung des Tausches. Die Kontraktkurve als geometrischer Ort aller Tangentialpunkte bezeichnet damit die Gesamtheit der pareto-optimalen Güterverteilungen auf die Eigentümer.
4. Tauschoptimum und Maximum des Gesamtnutzens
Anhand des Kastendiagramms lassen sich einige Kritikpunkte veranschaulichen, die bereits oben bei der Analyse des Pareto-Prinzips dargelegt wurden. So wird hier unmittelbar deutlich, dass immer ein Vielzahl von paretianischen Optima existiert. Alle Punkte auf der Kontraktkurve sind pareto-optimal insofern es zu ihnen keine Alternativen gibt, die paretomäßig besser sind.
Diese Vielzahl zulässiger Optima lässt sich nun dadurch einschränken, dass man eine Status-quo-Klausel einführt, die die Ausgangsverteilung der Güter zum normativen Bezugspunkt macht. Dann kommt für Veränderungen nur noch der Abschnitt der Kontraktkurve in Betracht, der innerhalb der zur Ausgangsverteilung gehörigen Tauschlinse liegt.
Die Tauschoptima sind nach dem Pareto-Kriterium untereinander nicht vergleichbar. Es kann z. B. nicht gesagt werden, ob in der Abbildung 16.6 der Punkt P1, bei dem die Güter ungefähr gleichmäßig auf die beiden {443} Individuen aufgeteilt sind, dem Punkt P2 überlegen ist, bei dem Individuum B fast alles und Individuum A fast nichts besitzt.
Außerdem wird hier deutlich, dass auch ein pareto-optimaler Punkt P2 nicht mit einem nicht-optimalen Punkt Po vergleichbar ist, wenn P2 nicht innerhalb der zu P0 gehörenden Tauschlinse liegt. Dies wäre erst bei Anwendung der Pareto-Erweiterungs-Regel möglich, die alle pareto-optimalen Alternativen und damit alle Punkte auf der Kontraktkurve für gleichwertig erklärt. [[17] Zur Pareto-Erweiterungs-Regel s.o. § 75.] In diesem Fall wäre P2 gegenüber P0 vorzuziehen, denn P2 ist gleichwertig mit P1. Der Punkt P1 ist aber P0 paretomäßig überlegen, sodass dann auch P2 gegenüber P0 überlegen sein muss.
Auch die Status-quo-Klausel könnte zwischen P2 und P0 eine Entscheidung treffen. Ist P0 der Status quo, dann gilt P0 als kollektiv gewählt, denn gegenüber einer Veränderung nach P2 würde Individuum A sein Veto einlegen. Ist dagegen P2 der Ausgangspunkt, so gilt umgekehrt P2 als kollektiv gewählt, denn gegenüber einer Veränderung nach P0 würde Individuum B sein Veto einlegen. {444}
Da das Eigentum-Vertrags-System in Bezug auf den Güteraustausch zwischen den Eigentümern immer schon von der bestehenden Verteilung des Eigentums ausgeht, hängt das erreichte Optimum immer von der vorausgesetzten Eigentumsverteilung ab. Das Tauschprinzip arbeitet dabei gewissermaßen als ein sekundäres Prinzip auf den Grundlagen der jeweiligen Eigentumsverteilung. Während durch die Eigentumsrechte und die Präferenzstruktur der Individuen die Lage und die Form der Tauschlinse festgelegt wird, in deren Rahmen ja Veränderungen der Güterverteilung auf dem Wege des eigeninteressierten Tausches überhaupt nur möglich sind, führt das Tauschprinzip dann zu zusätzlichen Korrekturen innerhalb dieser Tauschlinse.
Das Nicht-Erreichen eines paretianischen Tauschoptimums kann ein Hinweis sein auf die Verbesserungsfähigkeit der Güterverteilung, aber umgekehrt bedeutet das Erreichen eines Optimums in Bezug auf die normative Anerkennbarkeit nur wenig. Optimal ist auch eine Güterverteilung, bei der das eine Individuum alles und das andere nichts besitzt, was dem Solidaritätsprinzip sicherlich nicht entspricht. Der Ausgleich der marginalen Substitutionsraten bedeutet zwar einen Ausgleich des intra-subjektiven Verhältnisses der Grenznutzen, aber dies ist ohne weiteres vereinbar mit einem Nicht-Erreichen des möglichen Maximums des Gesamtnutzens. [[18] Zum Verhältnis zwischen "Grenzrate der Substitution" und "Rate der Grenznutzen" vgl. ZINN 1970b, S.122f.: "Somit verhalten sich die Grenzraten der Substitution umgekehrt wie die Grenznutzen zweier Güter in einem bestimmten Indifferenzkurvenpunkt." ]
Ein solcher intra-subjektiver Vergleich der Grenznutzen zweier Güter sagt nichts {445} darüber aus, in welchem Verhältnis die Dringlichkeit der Bedürfnisse beider Individuen zueinander stehen.
Dies kann noch einmal graphisch anhand von Nutzenkurven veranschaulicht werden, indem auf der Abszisse die Mengen der beiden Güter Rindfleisch und Weizen abgetragen werden, während auf der Ordinate die zugehörigen kardinalen Nutzenwerte für beide Individuen abgetragen werden. Dabei soll angenommen werden, dass beide Individuen A und B in Bezug auf Rindfleisch und Weizen die gleiche Bedürfnisstruktur haben, sodass der Verlauf der Nutzenkurven für beide Individuen identisch ist. [[19] Diese Annahme dient der einfacheren Darstellung und könnte im Prinzip fallengelassen werden.] Außerdem soll eine "sozial beschränkte Präferenz" der Individuen angenommen werden, d.h. dass die Individuen gegenüber den Güterausstattungen der andern Individuen indifferent sind. [[20] Auch diese Annahme wird hier nur aus Gründen der Einfachheit gemacht.] Es ergeben sich dann bei Annahme eines sinkenden Grenznutzens der Güter bei wachsendem Eigentum folgende Nutzenkurven für Weizen und Rindfleisch für jeweils beide Individuen:
{446}
Wie man aus Abb. 16.7 ersieht, ist die Verteilung der beiden Güter auf die beiden Individuen an den Punkten AR und AW sowie BR und BW pareto-optimal, denn für A und B gelten bei einer derartigen Verteilung der Güter die gleichen Grenzraten der indifferenten Substitution: beide würden bei einem Austausch von 1 kg Rindfleisch gegen 4 kg Weizen auf dem gleichen Nutzenniveau verbleiben. Damit ergeben sich zwischen den Individuen A und B keine Möglichkeiten eines beiderseitig vorteilhaften Austausches der Güter.
Trotzdem wäre eine Umverteilung der Güter möglich, die den Gesamtnutzen für beide Individuen erhöht. Wenn Individuum B z. B. 1 kg Rindfleisch und 4 kg Weizen an Individuum A verschenken würde, so würde B um zwei interpersonal vergleichbare Nutzeneinheiten schlechter gestellt werden. Durch diese Gütermenge würde aber Individuum A um 4 Nutzeneinheiten besser gestellt, sodass sich durch diese uneigennützige "Wohltätigkeit" von B der Gesamtnutzen um 2 Nutzeneinheiten erhöht. [[21] S. dazu KÜLP u.a. 1975, S.82ff.] Ein paretianisches Tauschoptimum muss also keineswegs ein Maximum des Gesamtnutzens darstellen. Bei sinkendem Grenznutzen der Güter wird das Maximum umso weiter verfehlt, je ungleicher die Ausgangsverteilung der Güter ist.
§ 101 Das Optimum der Produktion
1. Die Bedingungen effizienter Produktion
Gemäß dem Pareto-Kriterium sind Veränderungen dann gerechtfertigt, wenn dadurch für mindestens ein {447} Individuum das Nutzenniveau angehoben wird, ohne dass das Nutzenniveau eines andern Individuums gesenkt wird. Wenn man die Voraussetzung macht, dass das Nutzenniveau jedes Individuums allein von der Gütermenge abhängt, die es selber besitzt, dann bedeutet jede zusätzliche Produktion von Gütern die Möglichkeit zu einer paretomäßigen Verbesserung, denn mit dem zusätzlich produzierten Gut könnte man ein Individuum besser stellen, ohne andere Individuen schlechter zu stellen.
Genauer formuliert erfordert ein paretianisches Produktionsoptimum, "dass es nicht möglich sein darf, von irgendeinem Produkt mehr zu produzieren, ohne entweder den Ausstoß eines andern Produktes zu verringern oder den Einsatz eines Produktionsfaktors zu erhöhen; noch darf es möglich sein, von irgendeinem Faktor weniger zu verwenden, ohne gleichzeitig den Einsatz eines andern Faktors zu erhöhen oder weniger von einem Produkt herzustellen." [[22]WINCH 1971, S.77.]
So wäre z. B. die Produktion von Weizen und Rindfleisch dann nicht mehr pareto-effizient organisiert, wenn man ohne Vermehrung der Produktionsfaktoren und allein durch eine Umstellung der Produktion erreichen könnte, dass gleichviel Weizen aber mehr Rindfleisch produziert wird. [[23] Die Begriffe "Pareto-Optimalität" und "Pareto-Effizienz" werden gewöhnlich synonym gebraucht, insbesondere in Bezug auf den Produktionsbereich: "Die Produktion einer vorgegebenen Menge mit minimalem Faktoreinsatz .. bezeichnet man als .. effiziente Produktion." SCHNEIDER 1973, S.105. Häufig wird auch nur von "optimal" und "effizient" gesprochen, ohne ausdrücklich auf die paretianische Version Bezug zu nehmen.]{448}
Damit die Produktion im paretianischen Sinne effizient organisiert ist, lassen sich verschiedene Bedingungen angeben. Eine davon ist die, dass für jedes beliebige Paar von Produkten die Grenzrate der Transformation gleich sein muss. "Sie gibt an, um wieviel die Produktion des einen Gutes eingeschränkt werden muss, soll die Produktion des andern Gutes um eine (sehr kleine) Einheit erhöht werden." [[24] SCHNEIDER 1973, S.101.] Die Grenzrate der Transformation ist also ein Ausdruck für die an einem bestimmten Punkt bestehenden Möglichkeiten, statt des einen Gutes ein anderes zu produzieren bzw. das eine Gut in ein anderes zu "transformieren" (umzuwandeln).
Die Bedeutung der marginalen Rate der Transformation kann
an einem Beispiel veranschaulicht werden. Angenommen zwei Betriebe A und B
produzieren sowohl Rindfleisch als auch Weizen. Wenn z. B. Betrieb A für 1 kg
Rindfleisch weniger stattdessen 3 kg Weizen mehr produzieren könnte, während
Betrieb B anstelle von 1 kg Rindfleisch weniger 4 kg Weizen mehr produzieren
könnte, so bestehen für A und B unterschiedliche Grenzraten der Transformation
in Bezug auf Rindfleisch und Weizen.
In diesem Fall könnte die Produktion
dadurch (pareto-)effizienter gestaltet werden, dass die Produktionsaufgaben
umverteilt werden. Die Rindfleischproduktion muss stärker auf den Betrieb A und
die Weizenproduktion mehr auf den Betrieb B verlagert werden. Wenn A z. B. 1 kg
Rindfleisch mehr produziert, so werden von ihm 3 kg Weizen weniger produziert.
Wenn andererseits B 1 kg Rindfleisch weniger produziert, so kann er 4 kg
Weizen mehr produzieren. Durch eine solche Umstellung würde also {449} die Rindfleischproduktion konstant gehalten und zugleich
ohne Einsatz zusätzlicher Produktionsfaktoren 1 kg Weizen mehr produziert. Die
Ausgangsposition war also aufgrund der unterschiedlichen Grenzraten der
Transformation in beiden Betrieben nicht pareto-effizient.
2. Die graphische Darstellung der pareto-effizienten Produktion
Die Bedingung pareto-effizienter Produktion lässt sich für den vereinfachten Fall von zwei Produktionsfaktoren, z. B. Arbeit und Boden, und zwei Produkten, z. B. Weizen und Rindfleisch, auch graphisch darstellen. So kann man die Produktionsmöglichkeiten von Rindfleisch mithilfe von Arbeit und Boden durch ein Koordinatensystem wiedergeben, wo auf der Abszisse die Einsatzmenge an Boden und auf der Ordinate die Einsatzmenge an Arbeit abgetragen wird. Nun kann man gewissermaßen als dritte Dimension die produzierte Menge des Gutes, z. B. Rindfleisch, in das zweidimensionale Koordinatensystem eintragen, indem man Linien gleicher Produktenmenge, sogenannte Isoquante einzeichnet.
Solch ein Isoquant verbindet alle Punkte von Faktorkombinationen miteinander, mit denen die gleiche Menge an Rindfleisch produziert werden kann, z. B. kann man Isoquanten für 100 kg, 120 kg, 140 kg usw. einzeichnen wie auf der folgenden Abbildung 16.8. Eine solche Isoquantenschar ist der graphische Ausdruck für eine Produktionsfunktion, also für die quantitativen Beziehungen, die zwischen bestimmten Produktionsfaktoren {450}und den damit produzierbaren Gütern bestehen. [[25] Zur Erläuterung s.z. B. BANNOCK u.a. 1972, S.329.]
Damit die Isoquanten die obige, vom Nullpunkt her gesehen
konvex verlaufende Form annehmen, sind bestimmte Voraussetzungen notwendig:
- damit sie stetig verlaufen, müssen die Produktionsfaktoren unbegrenzt teilbar
sein;
- damit sie von links oben nach rechts unten verlaufen, also eine negative
Steigung haben, muss gelten, dass bei Verminderung des einen Faktors der Einsatz
des andern Faktors erhöht werden muss, um weiterhin die gleiche Menge an
Produkten zu erzeugen;
- damit die Isoquanten konvex verlaufen, ist notwendig,
dass die physische Grenzproduktivität jedes Faktors mit zunehmendem Anteil
dieses Faktors abnimmt: "Wenn die Menge eines Faktors klein ist, ist die
Steigerung des Ausstoßes, die durch die Steigerung der Faktormenge um eine
Einheit entsteht, größer als wenn eine größere Menge von diesem Faktor verwendet
wird." [[26] BANNOCK u.a. 1972, S.236.]
Die Steigung eines Isoquants entspricht der Grenzrate der technischen Substitution des einen Faktors durch den andern Faktor. "Sie gibt an, um wieviel der Einsatz {451}eines Faktors erhöht werden muss, um die Produktion bei Verminderung des Einsatzes eines anderen Faktors konstant zu halten. [[27] SCHNEIDER 1973, S.99.]
Diese Bedingungen sind natürlich nicht in jedem Fall gegeben. Da es hier jedoch nur um die kritische Analyse der Kernstrukturen einer auf dem Pareto-Kriterium aufgebauten normativen Ökonomie geht, sollen die Probleme möglicher anderer Produktionsfunktionen hier nicht weiter verfolgt werden. [[28] S. dazu z. B. BATOR 1957, S.390ff.]
Jeder Punkt in einer solchen graphischen Darstellung einer Produktionsfunktion in Form einer Isoquantenschar gibt also drei Dimensionen an: 1. die Menge an Arbeit, 2. die Menge an Boden und 3. die Menge an produziertem Rindfleisch. Die Isoquanten sind dabei gewissermaßen die "Höhenlinien eines gedachten Güterberges".
Um nun die Bedingungen der pareto-effizienten Produktion graphisch veranschaulichen zu können, kann man die Isoquanten für Rindfleisch und Weizen gemeinsam in ein Kastendiagramm einzeichnen, so wie es bereits mit den Indifferenzkurven bei der Darstellung des Tauschoptimums gemacht wurde. Dazu trägt man die für die Produktion von Rindfleisch benutzten Mengen an Arbeit und Boden ausgehend von der linken unteren Ecke an der linken und an der unteren Seite des Kastens ab, während man die für die Weizenproduktion benötigten Faktormengen von der gegenüberliegenden rechten oberen Ecke des Kastens aus abträgt (zur besseren Unterscheidung wurden die Isoquanten für Weizen gestrichelt): {452}
Gesucht sind diejenigen optimalen Aufteilungen der beiden in konstanter Menge vorhandenen Produktionsfaktoren Arbeit und Boden, bei denen die Rindfleischproduktion nicht mehr erhöht werden kann, ohne zugleich die Weizenproduktion zu senken (und umgekehrt). Dies ist offensichtlich an solchen Punkten der Fall, wo sich jeweils eine Rindfleisch-Isoquante mit einer Weizen-Isoquante tangential berührt, z. B. im Punkt P1. Von einem solchen Tangentenpunkt aus kann man sich in keiner Richtung fortbewegen, ohne nicht zumindest für eines der Produkte auf eine niedrigere Isoquante zu gelangen. Wenn man sich dagegen am Punkt P0 befindet, so kann man dadurch, dass man mehr Arbeit für die Weizenproduktion und mehr Boden für die Rindfleischproduktion einsetzt, den Punkt P1 erreichen, bei dem die Rindfleischmenge gleich geblieben ist, aber die Weizenmenge gesteigert worden ist. {453}
Die Gesamtheit aller Tangentenpunkte bildet eine Kurve, die man als Produktionsmöglichkeits-Kurve bezeichnet. Diese Kurve ist der geometrische Ort aller effizienten Aufteilungen der Faktoren auf die Güterproduktion. In den Tangentenpunkten sind die Steigungen der beiden Isoquanten gleich. Da die Steigung einer Isoquante der Grenzrate der technischen Substitution beider Produktionsfaktoren entspricht, gilt für jeden Punkt auf der Produktionsmöglichkeits-Kurve, dass bei effizienter Produktion die Grenzrate der technischen Substitution zweier Produktionsfaktoren gleich sein muss. [[29] SCHNEIDER 1973, S.100.]
Diese Produktionsmöglichkeits-Kurve kann man nun in eine andere Darstellungsform übertragen, indem man für jeden Tangentenpunkt zweier Isoquanten das zugehörige Paar von Gütermengen abliest und diese Werte in ein Koordinatensystem einträgt, auf dessen Achsen die Gütermengen abgetragen werden.
Der von der entstehenden Kurve eingeschlossene Bereich gibt diejenigen Güterkombinationen an, die mit dem gegebenen Faktorbestand produziert werden können. Wenn man sich auf der äußeren Grenze, der Produktionsmöglichkeitsgrenze, befindet, so wird pareto-effizient produziert, d.h. es kann nicht von einem Gut mehr produziert werden, ohne zugleich von dem andern {454} Gut weniger zu produzieren, denn die Kurve fällt von links oben nach rechts unten ab, hat also eine negative Steigung.
Die obige Kurve bezeichnet man auch als Transformations-Kurve, denn an ihr lässt sich ablesen, inwiefern man bei effizienter Produktion eine bestimmte Menge des einen Gutes in eine bestimmte Menge des andern Gutes "transformieren" kann, indem man sich entlang der Transformationskurve bewegt. Die Steigung der Transformationskurve in einem bestimmten Punkt gibt nun die bereits oben erläuterte Grenzrate der Transformation für die beiden Güter Weizen und Rindfleisch an.
§ 102 Das gemeinsame Optimum von Produktion und Tausch
1. Die Übereinstimmung der Grenzraten von Transformation und
Substitution
In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Optimumbedingungen für die Verteilung und für die Produktion unabhängig voneinander entwickelt. Wie gezeigt wurde, ist eine Verteilung im paretianischen Sinne nur dann optimal, wenn die Grenzraten der indifferenten Substitution zweier Konsumgüter für alle Individuen gleich sind. In ähnlicher Weise wurde gezeigt, dass nur dann effizient produziert wird, wenn die Grenzraten der technischen Substitution zweier Produktionsfaktoren in allen Verwendungsarten gleich sind.
Man kann nun beide Ebenen miteinander verbinden und fragen, ob einem bestimmten Tauschoptimum {455} auch ein bestimmtes Produktionsoptimum entsprechen muss. Dadurch würde vor allem die Vielzahl möglicher Optima eingeschränkt, denn sowohl bei der Verteilung als auch bei der Produktion gab es ja nicht nur einen optimalen Punkt sondern immer eine ganze Kurve von Punkten, beim Tausch die Kontraktkurve und bei der Produktion die Produktionsmöglichkeits-Kurve.
Man kann nun zeigen, dass immer nur die Kombination von zwei bestimmten Optima der Verteilung und der Produktion zusammen das Pareto-Kriterium erfüllt. Diese zusammengehörigen Optima aus beiden Bereichen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Grenzrate der Transformation zweier Güter gleich sein muss mit der Grenzrate der indifferenten Substitution dieser beiden Güter. Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, handelt es sich um einen insgesamt pareto-optimalen Zustand sowohl der Produktion als auch der Verteilung.
An einem Beispiel soll im folgenden veranschaulicht werden, dass bei Nicht-Einhaltung dieser Bedingung eine pareto-mäßige Verbesserung erzielt werden kann.
Angenommen die Grenzrate der Transformation von Rindfleisch und Weizen beträgt 1:4, während die Grenzrate der indifferenten Substitution beider Güter durch die Konsumenten 1:3 beträgt.
In diesem Fall wäre folgende pareto-mäßige Verbesserung möglich: man könnte Produktionsmittel aus der Rindfleischproduktion abziehen, sodass 1 kg Rindfleisch weniger produziert wird.
Die freigewordenen Produktionsmittel kann man der Weizenproduktion zuführen, sodass 4 kg Weizen mehr produziert werden. Da die Individuen einem Austausch von 1 kg Rindfleisch mit 3 kg Weizen indifferent gegenüberstehen, kann man demjenigen Individuum, {456} das 1 kg Rindfleisch weniger erhält, zur Entschädigung 3 kg Weizen geben. Man hätte dann aber immer noch 1 kg Weizen über, mit dem mindestens ein Individuum besser gestellt werden könnte als vor der Produktionsumstellung.
Das heißt aber, dass die Ausgangssituation, bei der die Grenzrate der indifferenten Substitution nicht gleich der Grenzrate der technischen Transformation war, kein Pareto-Optimum darstellte. Ein solches Optimum wäre erst dann erreicht, wenn die Umstellung der Produktionsfaktoren von der Rindfleisch- auf die Weizenproduktion bis zu dem Punkt durchgeführt wird, wo die Grenzraten von technischer Transformation und indifferenter Substitution zusammenfallen. Optimale Verteilung und effiziente Produktion reichen für sich genommen also nicht zur Erreichung eines pareto-optimalen Zustandes aus, sondern sie müssen in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen.
Die Übereinstimmung der Grenzraten von Transformation und Substitution lässt sich für zwei Güter und zwei Individuen auch graphisch in einem einzigen Diagramm veranschaulichen, indem man in die Transformations-Kurve das Kastendiagramm des Tausches einzeichnet.
{457}
Wenn ein bestimmter Punkt P auf der Transformations-Kurve realisiert ist, so sind damit die effizient produzierten Mengen beider Güter bestimmt, z. B. 400 kg Weizen und 100 kg Rindfleisch. Mit diesen Mengen sind die Seitenlängen des zugehörigen Kastendiagramms des Tausches gegeben. In dieses Kastendiagramm werden nun die Indifferenzkurven für die beiden Individuen A und B eingetragen. Eine pareto-optimale Verteilung ist an den Punkten gegeben, wo sich gerade zwei Indifferenzkurven berühren. Diese Punkte ergeben zusammen die Kontraktkurve. Der Punkt P', an dem sich die Grenzraten der Transformation und Substitution ausgleichen, lässt sich graphisch nun dadurch bestimmen, dass man zu allen Berührungspunkten die Tangenten zeichnet und diejenige Tangente aussucht, die die gleiche Steigung hat wie die Tangente an die Transformationskurve im Punkt P.
2. Die Darstellung der gemeinsamen Pareto-Optima von Produktion und Tausch im Nutzenraum
Alle bisherigen Darstellungen der Optima wurden in einem "Güterraum" vorgenommen, also in Koordinaten-Systemen, auf deren Achsen Güter- bzw. Faktormengen abgetragen werden. Da es jedoch um die soziale Wohlfahrt geht, die nach den Vorstellungen der paretianischen Wohlfahrtsökonomie allein von den Nutzenniveaus der Individuen abhängt, ist zur Bestimmung eines Maximums der sozialen Wohlfahrt eine Darstellung im "Nutzenraum" sinnvoll, bei der auf den Achsen des Koordinatensystems die Nutzenwerte der Individuen abgetragen werden. [[30]Zu beiden Darstellungsformen s. WINCH 1971, S.70.] {458}
Die Kontraktkurve als der geometrische Ort aller pareto-optimalen Verteilungen einer bestimmten Gütermenge lässt sich aus dem Güterraum in einen Nutzenraum übertragen. Dazu liest man für alle Berührungspunkte zweier Indifferenzkurven die ordinalen Nutzenwerte ab und überträgt diese Wertepaare in ein Koordinatensystem, wo auf der einen Achse die ordinalen Nutzenwerte für das Individuum A und auf der anderen Achse die Werte für das Individuum B abgetragen werden:
Ähnlich wie die Transformationskurve die Produktionsmöglichkeitsgrenze in einem Güterraum darstellt, gibt die entstehende Kurve die Nutzenmöglichkeits-Grenze in einem Nutzenraum wieder. Jeder Punkt auf dieser Kurve entspricht einer pareto-optimalen Verteilung der gegebenen Gütermenge, denn jeder Punkt auf der Nutzenmöglichkeits-Grenze entspricht einem Punkt auf der Kontraktkurve. [[31] Der Ausdruck "Nutzenmöglichkeits-Grenze" ist insofern nicht ganz unproblematisch, als damit keineswegs die Grenze für den interpersonal vergleichbaren Gesamtnutzen gegeben ist. Entsprechend dem Pareto-Kriterium heißt "Nutzenmöglichkeits-Grenze" hier nur, dass der individuelle Nutzen des einen Individuums nicht erhöht werden kann, ohne den Nutzen des andern zu verringern.] Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Gütermengen kardinal gemessen werden, während im Rahmen der paretianischen Wohlfahrtsökonomie nur eine ordinale {459} Bestimmung der Nutzen angenommen wird. Wie bereits oben dargelegt wurde, hat der absolute Betrag eines ordinalen Nutzenwertes keinerlei Bedeutung, denn solche ordinalen Nutzenindizes sind beliebig monoton transformierbar. Sie dienen allein zur Angabe der Rangfolge der Nutzenniveaus bei verschiedenen Güterverteilungen.
Ein solcher, nur auf ordinalen Nutzenwerten basierender Nutzenraum soll zum besseren Verständnis noch etwas näher erläutert werden, da er wegen seiner Abstraktheit die Vorstellungskraft etwas strapaziert. Angenommen in einem solchen zweidimensionalen Nutzenraum für die zwei Individuen A und B befinden sich 3 Punkte: P1, P2 und P3.
Jeder dieser drei Punkte gibt den ordinalen und interpersonal nicht vergleichbaren Nutzen für die beiden Individuen A und B bei einer bestimmten Verteilung der Güter an.
Wie kann man nun zwei Punkte daraufhin vergleichen, bei welchem von beiden die soziale Wohlfahrt bzw. der Gesamtnutzen größer ist? Eine Addition der zugehörigen individuellen Nutzenwerte ist ja nicht zulässig, da es sich um ordinale Daten handelt. Trotzdem kann man jedoch mit Bestimmtheit sagen, dass im Punkt P3 ein höherer Gesamtnutzen erreicht wird als im Punkt P1, denn im Punkt P3 ist sowohl {460} das Nutzenniveau von A als auch das Nutzenniveau von B höher als im Punkt P1. Folglich muss eine Veränderung von P1 nach P3 auch zu einer Steigerung des Gesamtnutzenniveaus führen.
Auch der Punkt P2 bedeutet gegenüber P1 eine Steigerung des Gesamtnutzens, denn das Nutzenniveau von B ist gestiegen und das Nutzenniveau von A ist gleichgeblieben. Allgemein kann man sagen, dass Punkte, die gegenüber P1 für mindestens ein Individuum eine Steigerung des Nutzenniveaus bedeuten und die gleichzeitig für kein Individuum eine Senkung des Nutzenniveaus bedeuten, eine Steigerung der sozialen Wohlfahrt bzw. des Gesamtnutzens beinhalten. In der Abbildung 16.13 sind dies all die Punkte, die sich in dem von P1 "nord-östlich" gelegenen Quadranten befinden. Diese Beziehung zwischen individuellen Nutzen und Gesamtnutzen muss immer dann gelten, wenn der Gesamtnutzen als eine positive Funktion der individuellen Nutzen aufgefasst wird, und wirft insofern keine Probleme auf.
Im Rahmen eines derartigen ordinalen, interpersonal nicht vergleichbaren Nutzenkonzepts ist jedoch unentscheidbar, welcher der beiden Punkte P2 oder P3 einen höheren Gesamtnutzen beinhaltet, denn keiner der beiden Punkte liegt nordöstlich vom andern. Diese Unentscheidbarkeit ist ein weiteres Beispiel für die bereits besprochene Entscheidungsunfähigkeit des Pareto-Kriteriums. [[32] Siehe oben § 70.] Beide Punkte sind pareto-optimal. Für die Nutzenmöglichkeits-Grenze aus Abb. 16.12 bedeutet {461} dies, dass diese Kurve den pareto-optimalen Güterverteilungen entspricht, zu denen keine anderen möglichen Verteilungen existieren, die bei Voraussetzung ordinaler, interpersonal nicht vergleichbarer Nutzenwerte mit Gewissheit einen höheren Gesamtnutzen haben, da die Nutzenmöglichkeits-Grenze selbst aus den am weitesten nordöstlich liegenden Punkten gebildet wird.
Man kann nun nicht nur zu einem Punkt, sondern zu jedem Punkt auf der Transformationskurve (d.h. zu jeder mit dem gegebenen Faktorbestand effizient produzierten Güterkombination) die zugehörigen pareto-optimalen Verteilungen ermitteln und die jeweiligen ordinalen Nutzenwertpaare in Form solcher Nutzenmöglichkeits-Grenzen darstellen. Wenn man dies für sämtliche effizient produzierten Güterkombinationen getan hat, so stellt die Gesamtheit aller am weitesten nordöstlich gelegenen Punkte die "umfassende Nutzenmöglichkeits-Grenze" bzw. die "Umhüllung" (englisch 'envelope') aller Nutzenmöglichkeits-Grenzen dar, bezogen auf einen bestimmten Bestand an Produktionsfaktoren. [[33] Siehe KÜLP u.a. 1975, S.90. Dort wird diese Umhüllung aller Nutzenmöglichkeits-Grenzen auch als "Situations-Nutzenmöglichkeitskurve" bezeichnet.]
Diese "Umhüllung" zeigt an, welches Nutzenniveau man mit einem gegebenen Faktorbestand für das eine Individuum maximal erreichen kann, wenn das Nutzenniveau des andern Individuums konstant bleiben soll. Dabei wird diese umfassende Nutzenmöglichkeits-Grenze von jenen Punkten auf den einzelnen Nutzenmöglichkeits-Grenzen gebildet, bei denen - wie im Punkt P der Abb. 16.11 - die Grenzrate {462} der Transformation und die Grenzrate der indifferenten Substitution übereinstimmen, denn wie oben gezeigt wurde, sind dies die einzigen Punkte, zu denen weder durch eine Umstellung der Produktion noch durch eine Umverteilung der Güter eine paretomäßige Verbesserung erzielt werden kann.
Mit dieser "Umhüllung" aller Nutzenmöglichkeits-Grenzen ergibt sich jedoch immer noch kein bester Punkt, sondern wie immer bei Anwendung des Pareto-Kriteriums eine Vielzahl optimaler Punkte, bei denen jeweils die Grenzraten von Transformation und Substitution übereinstimmen. Es bedarf deshalb zur Entscheidung eines zusätzlichen Kriteriums z. B. in Form einer "sozialen Wohlfahrtsfunktion", wie sie BERGSON und SAMUELSON vorgeschlagen haben, um aus dieser Kurve einen einzigen Punkt als kollektiv besten herauszufinden. [[34]Siehe BERGSON 1938 und SAMUELSON 1965, 8.219ff.]
§ 103 Die Pareto-Optimalität des Gleichgewichts bei vollkommener Konkurrenz
Es kann nun gezeigt werden, dass im Eigentum-Vertrags-System {463} unter bestimmten Bedingungen jedes Konkurrenz-Gleichgewicht ein derartiges Pareto-Optimum der Produktion und Verteilung darstellt.
Gegeben sind in diesem Modell die Produktionsfaktoren und ihre Aufteilung auf die Eigentums-Sphären der Individuen. Außerdem sind gegeben die Präferenzen der Individuen in Bezug auf die produzierten Konsumgüter und die technischen Produktionsbedingungen. Weiterhin wird angenommen, dass alle Individuen im Rahmen der Institutionen von Eigentum und Vertrag bestrebt sind, ihren Nutzen zu maximieren, was vor allem eine Maximierung ihres Einkommens bedeutet, wenn man von auf den jeweiligen Eigentumsbereich beschränkten Interessen der Individuen ausgeht.
Von den Eigentümern der Produktionsfaktoren wie Arbeitskraft, Boden oder Maschinen und Werkzeugen wird deshalb angenommen, dass sie deren Dienste so teuer wie möglich an "Unternehmer" verkaufen (sofern sie nicht selber als Unternehmer tätig sind, wie es vor allem bei den Eigentümern an sachlichen Produktionsfaktoren der Fall sein wird.)
Die Unternehmer erwerben zum Zwecke des Profits Produktionsfaktoren bzw. deren Dienste und kombinieren diese zur Produktion von Gütern, die sie zu möglichst hohen Preisen an die Konsumenten verkaufen. Dabei ergibt sich der Profit des Unternehmers aus der Differenz zwischen der Preissumme der erworbenen Produktionsfaktoren und der Preissumme der veräußerten Produkte bezogen auf eine bestimmte Zeitperiode.
Von den Konsumenten wird angenommen, dass sie das Einkommen, das sie aus der Veräußerung von Faktordiensten erhalten, zum Erwerb des für sie vorteilhaftesten Güterbündels einsetzen. Sie sind ihrerseits bestrebt, möglichst niedrige Preise dafür zu bezahlen, weil sie für ihr Einkommen umso {464} mehr Güter erwerben können, je billiger sie diese erwerben.
Im Eigentum-Vertrags-System entstehen also Märkte für die verschiedenen Produktionsfaktoren und für die verschiedenen Konsumgüter, wobei sich unter Bedingungen vollkommener Konkurrenz jeweils eine Vielzahl voneinander unabhängiger Käufer und Verkäufer gegenüberstehen, die alle bestrebt sind, möglichst teuer zu verkaufen und billig einzukaufen. Im Konkurrenz-Gleichgewicht bildet sich nun für jedes Gut ein einheitlicher Marktpreis in der Höhe heraus, dass sich angebotene und nachgefragte Gütermengen gerade ausgleichen, wie bereits oben gezeigt wurde. Dabei können die einzelnen Marktteilnehmer aufgrund ihres geringen Marktanteils keinerlei Einfluss auf die entstehenden Preise ausüben, die allein durch das Verhältnis von aggregierter Nachfrage und aggregiertem Angebot bestimmt werden, d.h. dass alle Marktteinehmer gezwungen sind, sich als Preisnehmer und als Mengenanpasser zu verhalten.
Wenn sich ein solches Modell vollkommener Konkurrenz unter eigeninteressierten Eigentümern im Gleichgewicht befindet, so muss für alle Produktionsstätten die gleiche Grenzrate der Transformation in Bezug auf zwei beliebige Güter bestehen. "In der profitmaximierenden Position muss die Grenzrate der Transformation zwischen zwei beliebigen Produkten dem Preisverhältnis zwischen diesen gleich sein, denn andernfalls könnte der Gesamtgewinn ohne Veränderung der Kosten dadurch erhöht werden, dass mehr von dem einen und weniger von dem andern Gut produziert wird. Da alle Produzenten durch die gleichen Preisverhältnisse bestimmt werden, auf die sie keinen Einfluss ausüben {465} können, wird für jedes Paar von Produkten in der gesamten Ökonomie eine gemeinsame Grenzrate der Transformation bestehen. [[35] WINCH 1971, S.90.]
Wenn bei Ausgleich von Angebot und Nachfrage Rindfleisch viermal so teuer ist wie Weizen, so muss auch für jedes einzelne Unternehmen, das beide Güter produziert, die Grenzrate der Transformation von Rindfleisch in Weizen 1:4 betragen, d.h. dass durch eine marginale Einschränkung der Rindfleischproduktion die vierfache Menge an Weizen produzierbar sein muss.
Wenn dagegen die Grenzrate der Transformation von Rindfleisch in Weizen bei einem Betrieb nur 1:3 beträgt, so befindet sich das System nicht im Gleichgewicht, denn der Unternehmer könnte seinen Profit dadurch vergrößern, dass er weniger Weizen und stattdessen mehr Rindfleisch produziert. Bei gleichgebliebenen Kosten würde er für den Verzicht auf den Erlös von 3 kg Weizen den Erlös von 1 kg Rindfleisch erhalten. Dies ist aber gleich dem Erlös aus 4 kg Weizen.
Im Konkurrenz-Gleichgewicht findet also ein Ausgleich der Grenzraten der Transformation statt, was aufgrund der obigen Überlegungen bedeutet, dass pareto-effizient produziert wird.
"Dieselben Preisverhältnisse werden die Konsumenten bestimmen und nutzenmaximierendes Verhalten verlangt, dass jeder Konsument seine Grenzrate der Substitution zwischen jedem beliebigen Paar von Produkten den bestehenden Preisverhältnissen angleicht." [[36] WINCH 1971, S.90.]
Wäre z. B. ein Konsument bereit, in einer Situation, wo Rindfleisch viermal so teuer ist wie Weizen, 1 kg Rindfleisch durch 5 kg Weizen zu substituieren bzw. auszutauschen, {466} so befindet sich der Markt nicht im Gleichgewicht. Der Konsument könnte sein Nutzenniveau dann dadurch erhöhen, dass er zum bestehenden Marktpreis Weizen verkauft und für das erhaltene Geld Rindfleisch kauft. Denn er braucht nur auf den Nutzen von 4 kg Weizen zu verzichten, um den Nutzen von 1 kg Rindfleisch zu erhalten, der für ihn aber dem Nutzen von 5 kg Weizen entspricht. Seine Nutzenerhöhung entspricht also der eines zusätzlichen Kilogramms Weizen. Im Konkurrenzgleichgewicht findet also ein Ausgleich der Grenzraten der indifferenten Substitution statt, was einen pareto-optimalen Zustand der Güterverteilung anzeigt.
Die Preisrelationen der Güter, mit denen sich Unternehmer und Konsumenten unter Konkurrenzbedingungen in gleicher Weise konfrontiert sehen, führen also zu einer Anpassung sowohl der marginalen Transformationsraten als auch der marginalen Substitutionsraten an dieselben Preisrelationen. "Die Existenz einer Menge von Gleichgewichtspreisen jenseits der Kontrolle von Produzenten und Konsumenten stellt dadurch sicher, dass in der gesamten Wirtschaft eine einheitliche Grenzrate der Transformation zwischen jedem beliebigen Paar von Produkten existiert und dass diese gleich der einheitlichen Grenzrate der Substitution ist." [[37]WINCH 1971, S.90. Siehe dort auch den Nachweis der weiteren Optimumbedingungen im Konkurrenz-Gleichgewicht.] Damit ist gezeigt worden, dass im Modell der vollkommenen Konkurrenz der Gleichgewichtszustand eine pareto-optimale Organisation von Produktion und Güterverteilung beinhaltet. {467}
§ 104 Die normative Beurteilung des
Konkurrenz-Gleichgewichts
Die oben skizzierte Theorie des Konkurrenzgleichgewichts ist unter den verschiedensten Gesichtspunkten kritisiert worden. Sofern sie als eine positive Theorie der Preise verstanden wird, kann man ihr z. B. unrealistische Modellannahmen vorwerfen [[38] So z. B. KADE 1962.] oder einen informationsarmen "Modell-Platonismus" [[39] So ALBERT 1963.].
Weiterhin ist umstritten, inwiefern in einem solchen Modell tatsächlich alle Preisen und Mengen determiniert sind. [[40] Dazu z. B. BATOR 1957, S.389f.] Diese werttheoretischen Diskussionen, die anhand von Kriterien einer erfahrungswissenschaftlichen Methodologie zu führen wären, sollen hier jedoch nicht aufgenommen werden. Stattdessen soll hier die Frage im Mittelpunkt stehen, inwiefern ein solches Wirtschaftsmodell normativ akzeptabel ist und eines argumentativen Konsensus fähig ist.
Insofern die Rechtfertigung des Eigentum-Vertrags-Systems unter Konkurrenzbedingungen auf dem Pareto-Kriterium bzw. seinen Modifikationen durch Status-quo-Klausel und Annahme eigentumsbezogener Interessen beruht, brauchen einige Kritikpunkte hier nicht noch einmal ausführlich entwickelt werden. Dies betrifft vor allem die Aspekte externer Effekte und kollektiver Güter. [[41] S. oben §§ 91 u. 92.] {468}
Vorweg sei noch einmal an die speziellen Annahmen erinnert, die dem Modell zugrunde liegen. So wird angenommen, dass alle Faktoren und Güter unbegrenzt teilbar sind. Nur dann verlaufen die Isoquanten und Indifferenzkurven stetig und ohne Knicke. [[42] Zur Modifizierung dieser Annahme s. z. B. BATOR 1957, S.400ff. u. KÜLP u.a. 1975, S.76ff.]
Weiterhin wird angenommen, dass alle Isoquanten und Indifferenzkurven vom Ursprung her gesehen konvex verlaufen. Dies entspricht der Annahme einer sinkenden Grenzrate der physischen Produktivität der Produktionsfaktoren bzw. einer sinkenden Grenzrate der indifferenten Substitution.
Weiterhin beschränkt sich das Modell auf Probleme der "statischen Effizienz", d.h. dass Probleme einer dynamischen Veränderung und Entwicklung der Ausgangsbedingungen, z. B. der Produktionsfaktoren und der Präferenzen oder Produktionsfunktionen, nicht berücksichtigt werden. [[43] Zur Einbeziehung dieser Aspekte s. BATOR 1957, S.412ff .]
Von besonderer Bedeutung für die normative Beurteilung des Modells ist dabei die Annahme, dass das Angebot an Produktionsfaktoren konstant ist. Es wird also immer vom vollständigen Einsatz aller vorhandenen Produktionsfaktoren einschließlich der menschlichen Arbeitskraft ausgegangen. Es kann deshalb zwar im Rahmen des Modells die Frage gestellt werden, ob eine bestimmte Art mühseliger Arbeit besser zur Produktion des Gutes x als zur Produktion des Gutes y eingesetzt wird; es kann jedoch nicht die ebenfalls relevante Frage gestellt werden, ob es vom Gesamtinteresse her überhaupt lohnend ist, dass diese Arbeit ausgeführt wird. {469}
Wenn der Aufwand an Produktionsfaktoren als konstant angenommen wird, so tritt als Ziel nur noch die Ausstoß-Seite des Wirtschaftsprozesses ins Blickfeld. "Beim konventionellen Ansatz nimmt man die negativen Elemente in der Nutzenfunktion (die Faktorleistungen der Individuen, E.W.) als konstant an und maximiert die verbleibende Funktion .., die nur positive Elemente (Güter) enthält. Dies steht im Einklang mit der Regel, dass harte Arbeit noch niemandem geschadet hat." [[44] WINCH 1971, S.23.]
Wie WINCH ausführt, könnte man das Ziel einer pareto-effizienten Produktion jedoch genauso gut unter der Bedingung anstreben, dass die Güterversorgung auf einem bestimmten Niveau als konstant angesetzt wird und nun gefragt wird, wie man den Faktoraufwand und damit die Dauer und Schwere der Arbeit minimieren kann. "Dies würde mit der Regel übereinstimmen, dass 'Geld' oder der dadurch erbrachte materielle Wohlstand nicht die Quelle des Glücks ist." [[45] WINCH 1971, S.23.]
Unter diesem Aspekt würde die verfügbare Zeit der Individuen maximiert werden und nicht die konsumierbare Gütermenge. Durch eine allein am Ausstoß orientierte Betrachtungsweise gerät nur zu leicht aus dem Blickfeld, dass von der Art und Dauer der Arbeit das Wohlergehen eines Individuums in ähnlich starkem Maße abhängt, wie von den verfügbaren Konsumgütern. Dabei erhalten die auf kürzere und befriedigendere Formen der Arbeit gerichteten Interessen wahrscheinlich in dem Maße größere Bedeutung, wie durch die technologisch möglich gewordenen Produktionssteigerungen der Bedarf an Konsumgütern zunehmend besser gedeckt wird. {470}
Wie von verschiedenen Autoren betont wird, lassen sich Gesichtspunkte der Arbeitszufriedenheit und des Interesses an Freizeit im Prinzip in das Modell einbringen. So schreibt BATOR: "Es ist nützlich und in einer mathematischen Behandlung nicht schwierig, die 'österreichische' Annahme unelastisch angebotener Inputs fallen zu lassen und Muße-Arbeit-Entscheidungen einzuführen. Der analytische Effekt besteht darin, die Produktionsmöglichkeits-Kurve in Bezug auf die psychischen Empfindungen der Individuen - ihre Präferenzfunktionen - empfindlich zu machen." [[46] BATOR 1957, S.394. Siehe dazu auch KULP u.a. 1975, S.57ff.]
Damit würden die Arbeitsbelastungen und ihre Verteilung auf die Individuen wieder in das Blickfeld der normativen Ökonomie geraten und nicht länger in Hilfswissenschaften der Ökonomie wie den Arbeitswissenschaften abgedrängt werden, die zudem meist ebenfalls vorwiegend an der Steigerung des Ausstoßes orientiert sind und die Belastungen der arbeitenden Individuen nur unter dem Gesichtspunkt der daraus möglicherweise resultierenden Produktionseinbußen durch Arbeitsplatzwechsel, Krankmeldungen, Arbeitsunfälle, Frühinvalidität usw. beurteilen.
Von zentraler Bedeutung für die normative Beurteilung des Konkurrenz-Gleichgewichts ist weiter der Umstand, dass sich Produktion und Verteilung im Rahmen einer privaten Eigentumsordnung vollziehen: alle Güter, seien es Produktionsfaktoren, Zwischenprodukte oder Endprodukte, gehören zum Eigentumsbereich bestimmter Individuen. Dabei ist die Verteilung der Eigentumsrechte prinzipiell beliebig, denn ein pareto-optimaler Gleichgewichtszustand der Konkurrenz {471} ergibt sich unter allen möglichen Verteilungen der Eigentumsrechte, sofern nur auf den Märkten eine genügend große Anzahl konkurrierender Anbieter und Nachfrager auftritt. [[47] Gewöhnlich wird privates Eigentum an der "eigenen" Arbeitskraft unterstellt, doch würde das System auch unter den Bedingungen der Sklaverei funktionieren.]
Das Kriterium der Pareto-Optimalität ist also völlig unempfindlich gegenüber der konkreten Verteilung der Eigentumsrechte. Ob das Eigentum gleichmäßig oder sehr ungleichmäßig verteilt ist, spielt für die Optimalität des Gleichgewichtszustandes keine Rolle. Wie bereits oben gezeigt wurde, kann Optimalität auch dann bestehen, wenn der eine alles hat und der andere nichts, sodass kein beiderseitig vorteilhafter Tausch mehr möglich ist.
Durch die Institution des Privateigentums erhält das reine Pareto-Kriterium Modifikationen, die seine normative Attraktivität sehr in Frage stellen.
Als erstes bewirkt die private Eigentumsordnung eine Einschränkung der
zu berücksichtigenden Interessen auf den jeweiligen Eigentumsbereich der
Individuen, denn zur Rechtfertigung von Veränderungen bedarf es nicht mehr der
einstimmigen Billigung aller Individuen, sondern nur noch der jeweiligen
Eigentümer. [[48] S.o. § 79]
Ein Individuum kann nur Interessen geltend machen in seiner
Eigenschaft als Eigentümer.
Wenn ein Individuum allein oder zwei Individuen
durch Vertrag im Rahmen ihrer Eigentumssphären etwas tun, was einem dritten
Individuum missfällt, so werden dessen Interessen nicht berücksichtigt. Alle interessemäßigen Interdependenzen zwischen den Eigentumssphären und den
Individuen werden also nicht berücksichtigt.
Damit das private {472} Konkurrenz-System also ein Pareto-Optimum erreicht, muss vorausgesetzt werden, dass es sich um völlig private Güter handelt, deren Nutzung durch das eine Individuum jede Nutzung durch ein anderes Individuum ausschließt. [[49]]
Weiterhin müssen alle externen Effekte ausgeschlossen sein. [[50] Zu externen Effekten s.o. § 91.]
Schließlich sind auch alle Abhängigkeiten zwischen den Nutzenfunktionen der Individuen ausgeschlossen. Das heißt z. B., dass alle Interessen, die sich auf die Gesamtverteilung der Güter und Arbeiten auf die Individuen der Gesellschaft richten, keine Berücksichtigung finden.
Die Relation der eigenen Vermögens- und Einkommensverhältnisse zu andern Individuen darf für das Wohlergehen der Individuen keine Rolle spielen.
Weiterhin ist die private Eigentumsordnung mit einer impliziten Status-quo-Klausel verbunden. Wenn es nämlich in einer Frage, die die Eigentumsrechte mehrerer Individuen berührt, zu keiner vertraglichen Einigung kommt, so besteht rechtlich der Status quo fort und die bisherigen Eigentumsrechte bleiben unverändert bestehen. Wenn es also sowohl zum Status quo als auch zu einem alternativen Zustand x keine Alternative gibt, die von allen tangierten Eigentümern vorgezogen wird (was bedeutet, dass sowohl der Status quo als auch der Zustand x pareto-optimal sind), so gilt im Eigentum-Vertrags-System immer der Status quo als kollektiv gewählt. [[51] Zur Status-quo-Klausel s.o. § 71] {473}
Diese Implikationen der privaten Eigentumsordnung bedeuten eine derartige Modifikation des reinen Pareto-Prinzips, dass man die private Eigentumsordnung nur schwerlich als institutionelle Umsetzung einer Einstimmigkeits-Regel interpretieren kann, die insofern allen Individuen Freiheit verschafft, als sie von niemandem zu etwas gezwungen werden können, dem sie nicht selber zustimmen. Freiheit in diesem Sinne kann eine private Wirtschaftsordnung nicht geben, es gibt immer nur die Vertrags- und Gewerbefreiheit im Rahmen der bestehenden Eigentumsrechte.
Es ist zwar richtig, dass die im Eigentum-Vertrags-System ablaufenden Marktprozesse unter Konkurrenzbedingungen nicht dem Willen bestimmter Machtträger personal zugerechnet werden können, wie dies etwa bei Regierungsentscheidungen möglich ist. Aber die stattdessen auf das Individuum einwirkenden "anonymen Marktkräfte" können in ihren Auswirkungen nicht weniger hart und einschneidend sein als Maßnahmen unmittelbarer Machtausübung.
Für das Wohlergehen eines Individuums macht es keinen Unterschied, ob es hungert, weil keine Nachfrage nach seiner Arbeitskraft besteht und es keine sonstigen Produktionsmittel besitzt, oder ob es hungert, weil ihm verboten wurde, Arbeit anzunehmen. Die Wirkung ist die gleiche. Ebenso macht es für einen Bauern in der Wirkung keinen Unterschied, ob er von Haus und Hof vertrieben wird, weil er sich gegen die Konkurrenz größerer Betriebe nicht mehr durchsetzen konnte und sein verschuldeter Betrieb unter den "Hammer" kommt oder weil er politischer Macht weichen muss. Das Walten der anonymen Marktkräfte im Sinne einstimmiger Entscheidungen gemäß dem reinen Pareto-Prinzip zu interpretieren, ist sicherlich eine mehr als gewaltsame Interpretation.
Denn {474}die Freiheit des in der Konkurrenz unterlegenen Schwächeren erschöpft sich dann in der "Freiheit", Verträge zu unterschreiben, die die Verschuldung, Verpfändung und schließlich die Abtretung seines Eigentums beinhalten.
Die private Eigentumsordnung beinhaltet auch insofern eine spezifische Umsetzung des Pareto-Prinzips, als die Probleme der Informationsbeschaffung und der Präferenzermittlung individualistisch geregelt werden. Das Interesse eines Individuums wird durch seine eigenen Wahlhandlungen definiert und es wird vorausgesetzt, dass jeder selbst am besten seine Interessen erkennen und wahrnehmen kann.
Damit muss jedoch vorausgesetzt werden, dass jedes Individuum die Fähigkeit zur Aufklärung und Qualifikation seiner Entscheidung besitzt. Das Resultat des Marktprozesses kann damit nicht besser sein als die individuellen Vertragsentscheidungen, auf denen diese Prozesse beruhen.
In der reinen Form des Eigentum-Vertrags-Systems wird dem jeweiligen Individuum selber die Aufgabe zuteil, sich über die ihm offenstehenden Alternativen und deren Beschaffenheit zu informieren. Wer hierzu nicht in der Lage ist und für sich selber nicht die vorteilhaftesten Verträge abschließt, ist dabei "selber schuld". [[52] Zum Problem der qualifizierten individuellen Interessenartikulation s.o. Kap. 10.] Welche Probleme dabei auftreten können, wird jeder beurteilen können, der vor der Aufgabe stand, unter mehr als 50 Modellen den für sich besten Fernseher auszusuchen. {475}
Eine der bereits diskutierten Schwierigkeiten des Pareto-Prinzips besteht darin, dass es gewöhnlich nicht nur ein Optimum sondern eine Vielzahl von Optima gibt. Dies Problem kehrt wieder bei der Anwendung des Pareto-Kriteriums auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Produktion und Verteilung von Gütern, denn es gibt nicht nur einen Zustand der Wirtschaft, wo die Grenzraten der Transformation und Substitution gleich sind, sondern es gibt ebenso viele derartige Optima, wie es Punkte auf der Umhüllung der Nutzenmöglichkeitsgrenzen aus Abb. 16.14 gibt.
"Selbst nachdem alle im paretianischen Sinne nicht effizienten Input-Output-Kombinationen ausgeschieden worden sind, bleibt eine eindimensionale Unendlichkeit von 'effizienten' Kombinationen übrig. .. Um eine einzige beste Konfiguration zu bestimmen, muss uns eine soziale Wohlfahrtsfunktion nach BERGSON-SAMUELSON gegeben sein, die die Ethik angibt, die 'zählen' soll." [[53] BATOR 1957, 5.379.] Aus diesem Grunde kann im Prinzip ein nicht-effizienter Punkt, der also nicht auf der Nutzenmöglichkeits-Grenze liegt, einem andern effizienten Punkt auf der Grenze in Bezug auf die Wohlfahrtsfunktion überlegen sein. [[54]Siehe WINCH 1971, S.82. Zu den Eigenschaften einer paretianisch konstruierten sozialen Wohlfahrtsfunktion s. dort S.34ff.]
Im Eigentum-Vertrags-System hängt die Frage, welcher Punkt auf der Nutzenmöglichkeits-Grenze realisiert wird, jedoch nicht von einer sozialen Wohlfahrtsfunktion ab, sondern von der gegebenen Ausstattung mit Produktionsfaktoren und den daraus den Eigentümern zufließenden Einkommen. "Welcher Punkt das Wohlfahrtsoptimum {476} ist, hängt von den in der Wohlfahrtsfunktion enthaltenen Werturteilen ab, während das Konkurrenzgleichgewicht von der anfänglichen Verteilung des Eigentums an den Produktionsfaktoren abhängt. Nur durch Zufall würden diese zusammenfallen." [[55] WINCH 1971, s.94.]
Wenn man nun versuchen würde, die Verteilung des Eigentums an den Produktionsmitteln unabhängig von den daraus resultierenden Nutzenniveaus der Individuen zu rechtfertigen, so wäre dies unvereinbar mit einer Wohlfahrtsfunktion, die allein auf den individuellen Nutzen basiert. "Das System vollkommener Konkurrenz beruht auf dem privaten Eigentum an den Faktoren der Produktion, aber die Akzeptierung einer anfänglichen Faktorverteilung unabhängig von den Transformationsfunktionen schließt aus, dass man Werturteile über die Verteilung der Nutzen vertritt. Man kann ein System vollkommener Konkurrenz nicht an der Gerechtigkeit des Ergebnisses beurteilen, denn der Kern des Systems besteht darin, dass das Attribut der Verteilungsgerechtigkeit den Inputs des Systems zukommt und nicht den Outputs." [[56] WINCH 1971, s.94.]
§ 105 Exkurs: Die Kosten der
menschlichen Arbeit im Eigentum-Vertrags-System
Dieser Teil wurde ausgegliedert und findet sich unter
Kosten
der menschlichen Arbeit in der Marktwirtschaft
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Nachträgliche Anmerkungen
zum obigen Marktmodell (2010)
Die vorliegende Arbeit analysiert die Resultate, die sich ergeben, wenn eine
Vielzahl von Individuen als Eigentümer in Konkurrenz miteinander ihre Interessen
durch vertragliche Vereinbarungen verfolgen. Gegenstand der Verträge sind Güter, die gegen andere Güter bzw. gegen Geld getauscht werden. Dabei
wird angenommen, dass die Produktionsbedingungen und die Konsumwünsche konstant sind.
Unter diesen Bedingungen besteht die Tendenz zu einem Konkurrenzgleichgewicht,
das durch einen Ausgleich der Grenzraten der Substitution von Gütern unter den
Konsumenten und einen Ausgleich der Grenzraten der Transformation von Produkten
unter den Produzenten gekennzeichnet ist.
Das Modell der Marktwirtschaft, das unter diesen Annahmen konstruiert ist, ist
ein statisches Modell, denn es berücksichtigt nicht die Veränderungen, die
verbunden sind mit der Entwicklung neuartiger Güter und neuartiger Konsumwünsche
sowie mit der Entwicklung neuartiger Produktionsmethoden. Auch zyklische
Ungleichgewichte des Wirtschaftsprozesses werden nicht berücksichtigt.
Außerdem werden mit diesem Modell nicht die Auswirkungen erfasst, die sich durch
Kooperationsverträge zwischen Eigentümern (Bildung von Gesellschaften) und durch Verträge über die Nutzung
der Arbeitskraft ergeben (Entstehung von hierarchischen Organisationen).
Weiterhin wird mit diesem Modell nicht erfasst, was sich aus der Existenz von
Bedürfnissen ergibt, die vom Markt nicht befriedigt werden können, weil sie
sich auf öffentliche Güter oder marktexterne Effekte beziehen. Zu diesen Gütern
gehört u. a. die Verhinderung von Eigentumsverletzungen und der Ausschluss von
Zwang und Drohungen. Der Schutz des Eigentum-Vertrags-Systems
kann nur durch eine überlegene Macht erfolgen, einen Staat.
Ein Staat ist außerdem erforderlich, um die politischen Entscheidungen in Bezug
auf öffentliche Güter auszuführen und durchzusetzen.
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Letzte Bearbeitung 17.02.2010 / Eberhard Wesche
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