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Das Mehrheitsprinzip

Zur Methodologie der normativen Sozialwissenschaften: Tauschprinzip - Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse  Teil III, 1976
***  Empfehlung: Nutzen Sie die Suchfunktion Ihres Internet-Browsers! ***

Vorbemerkung: Der folgende Text enthält Teil III , Kap. 17-24, der Arbeit:
     "Zur Methodologie der normativen Sozialwissenschaften.
     Tauschprinzip - Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse"

aus dem Jahr 1976.

Im Klett-Cotta-Verlag erschien 1979 eine überarbeitete und gekürzte Fassung dieser Arbeit unter dem geänderten Titel:
    "Tauschprinzip - Mehrheitsprinzip - Gesamtinteresse. Zur Methodologie normativer Ökonomie und Politik".
Dieses Buch ist als PDF-Datei hier verfügbar.

Der vorliegende Text schließt an folgende Abschnitte an:
Teil I (Kap. 1-11):  Einzelinteresse und Gesamtinteresse *** (598 K) und
Teil II Kap. 12:      Einstimmigkeits-Regeln und Status-quo-Klauseln ** (68 K).
Teil II Kap. 13-16: Das Modell der Marktwirtschaft. Darstellung und Kritik *** (239 K)

Die ursprünglichen Seitenzahlen sind in geschweiften Klammern eingefügt. Die Fußnoten wurden in den Text eingearbeitet und sind an der Kursivschrift zu erkennen.
Diejenigen Paragraphen, die im Inhaltsverzeichnis mit einem grünen Sternchen (*) gekennzeichnet sind, wurden in der Buchausgabe von 1979 weggelassen.


Inhaltsverzeichnis:

Teil III: DAS MEHRHEITSPRINZIP

Einleitung

17. Kapitel

Die Abstimmung als Ausdruck des individuellen Interesses oder als Urteil über das Gesamtinteresse?

§ 106 Die aggregative und die selektive Verwendung des Mehrheitsprinzips   497
§ 107 Die wahrscheinlichkeitstheoretische Rechtfertigung des selektiven Mehrheitsprinzips   498
§ 108 ROUSSEAUS Auffassung des Mehrheitsprinzips   500

§ 109 Problematische Konsequenzen einer selektiven Interpretation des Mehrheitsprinzips   506

18. Kapitel

Die Mehrheitsalternative

§ 110 Das Mehrheitsprinzip und die Bestimmung der Mehrheitsalternative   514
§ 111 Eingipfligkeit der individuellen Präferenzen, Mehrheitsalternative und mediane Spitzenalternative    518

19. Kapitel

Abstimmungsverfahren und die Auswirkungen von Koalitionsbildung

§ 112 Entscheidungsregel und konkretes Entscheidungsverfahren   528
§ 113 Die Regel der relativen Mehrheit bei einmaliger Abstimmung   529
§ 114 Eigeninteressierte Koalitionsbildung im relativen Mehrheitssystem   533
§ 115 Die Regel der absoluten Mehrheit   538*
§ 116 Das Verfahren der 'schrittweisen Eliminierung' der Alternativen   542*
§ 117 Die Rangplatz-Methode der Abstimmung    547*
§ 118 Die Punkte-Methode der Abstimmung    554*
§ 119 Das Verfahren der 'paarweisen Abstimmung’    557*

§ 120 Ein Äquivalenz-Theorem für alle gleichgewichtigen Abstimmungsverfahren    560

20. Kapitel

Abstimmungsstrategien isolierter Individuen

§ 121 Die spieltheoretische Analyse individueller Abstimmungsstrategien bei FARQUHARSON    565*
§ 122 "Ausgeklügelte" individuelle Abstimmungsstrategien    570*
§ 123 Möglichkeiten eines strategischen Dilemmas     575*

§ 124 Unterschiede zwischen individuellen und kollektiven Abstimmungsstrategien    577
*

21. Kapitel

Abstimmungsstrategien bei Serien von Entscheidungen im Mehrheitssystem

§ 125 Der Stimmentausch    582
§ 126 Stimmentausch oder Koalitionsbildung?    590
§ 127 Probleme eines "marktmäßigen" Stimmentauschs und die Vorteile von Abstimmungskoalitionen    592*
§ 128 Einzel-Punkt-Koalitionen und Mehr-Punkte-Koalitionen    599*
§ 129 Rationale Koalitionsbildung bei Entscheidungsserien und die Durchsetzung des Mehrheitsalternativenbündels    602

§ 130 Zur Verhandlungsmacht in Koalitionsverhandlungen    606

22. Kapitel

Die normative Beurteilung des Mehrheitssystems

§ 131 Mehrheitsprinzip und Gleichgewichtung der individuellen Präferenzen    612
§ 132 Weitere Eigenschaften des Mehrheitsprinzips    615
§ 133 Mehrheitsprinzip und kollektive Betroffenheit von Entscheidungen    618
§ 134 Der Informations- und Entscheidungsaufwand im Mehrheitssystem    619
§ 135 Mehrheitsprinzip und Status-quo-Klausel    621*
§ 136 Zyklische Mehrheiten und das Problem der Instabilität im Mehrheitssystem    622
§ 137 Nutzenmäßige Interdependenzen zwischen verschiedenen Entscheidungen    631
§ 138 Die Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten    634
     1. Intensitätsberücksichtigung bei Einzelentscheidungen    634
     2. Intensitätsberücksichtigung bei Entscheidungsserien    637

§ 139 Mehrheitsalternative und Alternative des größten Gesamtnutzens     640

23. Kapitel

Berücksichtigung von Präferenzintensitäten im Mehrheitssystem

§ 140 Die Anhebung der erforderlichen Mehrheit    646
§ 141 Die Einführung individueller Abstimmungskosten    651*

§ 142 Die Einrichtung kollektiver oder individueller Verfügungsbereiche     654

24. Kapitel

Zusammenfassung und Schluss

§ 143 Zusammenfassung und Schluss    657

Literatur-Verzeichnis     664-686

 


 

Textbeginn

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Teil III

Das Mehrheitsprinzip

{495}

Einleitung


Wie im Teil II Kapitel 12 (Einstimmigkeits-Regeln und Status-quo-Klauseln) ausgeführt wurde, führt die Einstimmigkeits-Regel auch in der Form des Pareto-Kriteriums gewöhnlich zu keiner Entscheidung hinsichtlich der zu wählenden Alternative, da meist keine Alternative von allen Individuen als die beste entsprechend ihrem individuellen Interesse angesehen wird.

Eine Möglichkeit zur Behebung dieses Problems ist die Modifizierung der reinen Einstimmigkeits-Regel durch eine Status-quo-Klausel sowie durch die Abgrenzung separater Verfügungsbereiche. Sofern die individuellen Interessen durch die betreffenden Individuen autonom bestimmt werden, ergibt sich daraus das Eigentum-Vertrags-System, das im Teil II diskutiert wurde.

Ein anderer Weg zur Bildung eines kollektiven Gesamtwillens ist die Mehrheitsregel. Dabei wird die Forderung nach einer einstimmigen Befürwortung der zu wählenden Handlungsalternative insofern gelockert, als nur noch ihre Befürwortung durch eine Mehrheit der Individuen und nicht mehr durch alle verlangt wird.

Gewöhnlich wird auch das Mehrheitsprinzip in der Form eines individualistischen Entscheidungs-Systems praktiziert, in dem die betreffenden Individuen ihre Interessen autonom bestimmen. Dann stellt sich auch hier die Frage nach der Qualifikation der individuellen Interessenäußerungen. Da diese Frage jedoch bereits gesondert abgehandelt wurde, wird im Folgenden  von dieser Problematik weitgehend abgesehen.[[1] Siehe oben § 69.]

{496} Bevor nun die verschiedenen Varianten des Mehrheitsprinzips näher analysiert werden, muss vorweg noch auf die grundsätzliche Frage nach der Interpretation des Mehrheitsprinzips eingegangen werden. In der Theoriegeschichte werden hierfür nämlich zwei unterschiedliche Deutungen gegeben. Das eine Mal wird das Abstimmungsverhalten eines Individuums nur als Ausdruck seines individuellen Interesses gesehen, während es das andere Mal als Urteil des Individuums über das Gesamtinteresse interpretiert wird. Beide Varianten sollen im folgenden Abschnitt näher untersucht werden.{497}

 

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17. Kapitel

Die Abstimmung als Ausdruck des individuellen Interesses oder als Urteil über das Gesamtinteresse



§ 106 Die aggregative und die selektive Verwendung  des Mehrheitsprinzips

Bei der einen Interpretation des Mehrheitsprinzips wird davon ausgegangen, dass die Individuen bei den Abstimmungen ihr individuelles Interesse ausdrücken, wobei die Alternative mit den zahlreichsten Befürwortern unter bestimmten Voraussetzungen als eine Annäherung an ein solidarisch bestimmtes Gesamtinteresse aufgefasst werden kann.

Man kann Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip jedoch auch so interpretieren, dass dabei jedes Individuum unmittelbar seine Auffassung vom Gesamtinteresse ausdrückt. Bei unterschiedlichen Auffassungen vom Gesamtinteresse wird die Auffassung der Mehrheit als das wahrscheinlich richtige Urteil angesehen.

Während im ersteren Falle jedes Individuum eigentlich mit seiner Stimmabgabe auf eine andere Frage antwortet, nämlich welche Alternative seinen jeweils eigenen Interessen am besten entspricht, antworten im letzteren Fall alle Individuen auf die gleiche Frage danach, welche Alternative dem Gesamtinteresse am besten entspricht. Während das Mehrheitsprinzip im ersten Fall eine Aggregationsfunktion hat - es aggregiert die geäußerten individuellen Interessen zum Gesamtinteresse - , hat es im zweiten Fall eine Selektionsfunktion - es wählt unter verschiedenen Auffassungen vom Gesamtinteresse die wahrscheinlich richtige aus. {498}

Ein Beispiel für die selektive Verwendung des Mehrheitsprinzips ist die mehrheitlich gefällte Entscheidung eines Richterkollegiums bzw. einer Jury, die zu beurteilen hat, ob ein Angeklagter die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat oder nicht. Wenn sich die beteiligten Richter oder Geschworenen nicht darüber einig sind, kann man zur verbindlichen Auffassung der gesamten Jury diejenige Auffassung erklären, die von der Mehrheit ihrer Mitglieder geteilt wird. [[2] So wird z. B. im Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik verfahren, wo auch die Abstimmungsverhältnisse mitgeteilt werden. S. MODEL/CREIFELDS 1973, S.123.]

Es stellt sich jedoch die Frage, warum das Mehrheitsprinzip geeignet sein soll, unter differierenden Urteilen verschiedener Individuen das richtige herauszufinden. Die Auffassung, dass die Mehrheit immer recht hat, lässt sich auf gar keinen Fall aufrechterhalten, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Man kann jedoch die Auffassung vertreten, dass zumindest unter bestimmten Bedingungen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Mehrheit irrt, geringer ist als die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Minderheit oder jeder Einzelne irrt.

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§ 107 Die wahrscheinlichkeitstheoretische Rechtfertigung des selektiven Mehrheitsprinzips

Die wahrscheinlichkeitstheoretische Argumentation zugunsten eines selektiv verwendeten Mehrheitsprinzips wurde bereits 1785 von CONDORCET in seinem 'Essai' {499} entwickelt. [[3]Siehe dazu die Darstellung bei BLACK 1971, S.159ff.] Ein Beispiel kann diese Überlegungen verdeutlichen.

Angenommen ein Richterkollegium besteht aus 5 Richtern. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich ein einzelner Richter hinsichtlich der Schuld des Angeklagten irrt, betrage für jeden von ihnen 1:5 bzw. 20%. Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich alle 5 Richter gleichzeitig irren, gemäß der Multiplikationsregel für unabhängige Ereignisse (0,2)5 = 0,00032 oder 0,032%. [[4] Siehe CLAUSS/EBNER 1970, S.122f.]

Wie CONDORCET durch statistische Argumentation nachgewiesen hat, steigt bei einer gegebenen Irrtumswahrscheinlichkeit der Individuen und bei gegebener Größe der Jury die Wahrscheinlichkeit für ein richtiges Urteil eines bestimmten Anteils der Jury mit der Größe dieses Anteils an der Jury. [[5] Siehe die genaue Formel bei BLACK 1971, S.165.] Folglich ist die Wahrscheinlichkeit für ein richtiges Urteil einer Mehrheit größer als die Wahrscheinlichkeit für ein richtiges Urteil einer Minderheit. "Solange angenommen wird, dass jeder eine gleiche Chance von mehr als 50% dafür hat, die richtige Antwort zu geben, wird das Mehrheitsurteil (auf die Dauer) häufiger richtig sein als das Urteil irgendeines bestimmten Wählers. ... Wenn wir eine Wählerschaft von 1 000 haben, von der jedes Mitglied im Durchschnitt in 51% der Fälle richtig urteilt, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit dafür, dass in einem bestimmten Fall eine Mehrheit von 51% die richtige Antwort gibt? {500} Die Antwort lautet - vielleicht etwas überraschend: mehr als 2 zu 1 (69%). Mehr noch, wenn die erforderliche Mehrheit bei 51% bleibt und die Zahl der Wähler auf 10 000 erhöht wird, oder wenn die Zahl der Wähler bei 1 000 bleibt und die erforderliche Mehrheit auf 60% erhöht wird, steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Mehrheit .. die richtige Antwort hat, praktisch auf 1 (99,97%)." [[6] BARRY 1964, S.122.]

Es stellt sich die Frage, ob man auch die normsetzenden Abstimmungen im Zuge eines sozialen Willensbildungsprozesses als Selektion der richtigen Auffassung vom Gesamtinteresse interpretieren kann. Wie BLACK ausführt, war CONDORCET selber dieser Meinung. "Eine Theorie, die das Jury-Problem hinreichend erfasst, würde nach CONDORCETs Meinung auch geeignet sein, um Gremien jeglicher Art zu behandeln, z. B. parlamentarische Körperschaften und lokale Organe. ... Von jedem Wähler wird angenommen, dass eine bestimmte Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er ein richtiges Urteil in Bezug auf die Kandidaten abgibt, zwischen denen er auswählt." [[7] BLACK 1971, S.163.]

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§ 108 ROUSSEAUS Auffassung des Mehrheitsprinzips

Eine derartige selektive Interpretation des Mehrheitsprinzips war bereits 1762 von ROUSSEAU (1712-78) in seinem "Gesellschaftsvertrag" vertreten worden. "Bei einem Gesetzesvorschlag in der Volksversammlung fragt man sie (die Staatsbürger, E.W.) nicht eigentlich, ob {501} sie dem Vorschlag zustimmen oder ihn verwerfen, sondern ob er dem allgemeinen Willen entspricht oder nicht. ... Wenn mithin meine Ansicht der entgegen gesetzten unterliegt, so beweist dies nichts anderes, als dass ich mich geirrt hatte, und dasjenige, was ich für den allgemeinen Willen hielt, es nicht war." [[8] ROUSSEAU 1968, S.154.]

Dass bei einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip die Individuen nicht die Frage nach ihrem jeweiligen individuellen Interesse sondern die Frage nach dem Gesamtinteresse beantworten sollen, macht ROUSSEAU auch am Beispiel eines Staatsbürgers klar, der seine Stimme für Geld verkauft. "Der Fehler, den er begeht, besteht in der Änderung der Fragestellung; er antwortet auf etwas ganz anderes, als er gefragt ist. Anstatt durch die Abgabe seiner Stimme zu sagen: 'Es ist dem Staat vorteilhaft', sagt er: 'Es ist diesem oder jenem Manne, dieser oder jener Partei vorteilhaft, dass dieser oder jener Antrag durchgeht'." [[9] ROUSSEAU 1968, S.151.]

Die Individuen sollen bei der Abstimmung also nicht ihr individuelles Interesse, sondern ihre Auffassung vom Gesamtinteresse ausdrücken, wobei gewöhnlich davon auszugehen ist, dass sich die Minderheit irrt.

Im Gegensatz zu CONDORCET findet sich bei ROUSSEAU jedoch kein ausdrücklicher Beweis dafür, dass die Mehrheit eher in der Lage ist als die Minderheit, den allgemeinen Willen bzw. das Gesamtinteresse zu erkennen. Unausgesprochen scheinen jedoch ähnliche Annahmen zugrunde zu liegen.

Im Idealfall eines intakten Gemeinwesens ist für ROUSSEAU die Einstimmigkeit {502} bei der Beschlussfassung über Gesetze anzustreben bzw. diese stellt sich von selber her. "Solange mehrere Menschen sich als einen einzigen Körper betrachten, haben sie nur einen einzigen Willen, der die gemeinsame Erhaltung und die allgemeine Wohlfahrt zum Gegenstand hat. ... Das Gemeinwohl tritt überall sichtbar hervor, und es bedarf nur gesunder Vernunft, um es wahrzunehmen. ... Sobald die Privatinteressen sich immer mehr geltend zu machen und die kleinen Gesellschaften auf die große einzuwirken anfangen: dann leidet das gemeinsame Interesse und findet Gegner; es herrscht keine Einstimmigkeit mehr; der allgemeine Wille ist nicht mehr der Wille aller; es erheben sich Widersprüche und Streitigkeiten und die beste Ansicht wird nicht ohne lebhafte Wortgefechte angenommen." [[10] ROUSSEAU 1968, S.149f.]

Für ROUSSEAU ist die Verwendung des Mehrheitsprinzips also nur ein Notbehelf, wo unter dem Einfluss der Privatinteressen oder Gruppeninteressen das Gesamtinteresse nicht mehr von allen verfolgt wird. Nehmen diese Privatinteressen überhand, so bedeutet das den Niedergang des Gemeinwesens, und auch die Stimmenmehrheit hat dann nicht mehr "die Kennzeichen des allgemeinen Willens an sich. ... Sind diese im Schwinden begriffen, so gibt es keine Freiheit mehr, welche Partei man auch ergreife." [[11] ROUSSEAU 1968, S.154f.]

Weiterhin erscheint ROUSSEAU ein Abgehen vom Prinzip der Einstimmigkeit bei weniger wichtigen sowie bei eiligen Beschlüssen geboten: "Je wichtiger und ernster die Beschlüsse sind, um so mehr muss der gültige Beschluss sich der Einstimmigkeit nähern; ... je größere Beschleunigung {503} die zur Beratung gelangte Angelegenheit erfordert, um so mehr muss man das bei Meinungsverschiedenheit vorgeschriebene Mehrheitsverhältnis einschränken. [[12] ROUSSEAU 1968, S.135.] Wenn die Individuen bei einer Entscheidung unterschiedlich abstimmen, so dürfen sich nach ROUSSEAU darin höchstens Meinungsverschiedenheiten über das Gesamtinteresse, jedoch keine individuellen Interessengegensätze ausdrücken.

Verschiedene Autoren haben ROUSSEAU daraufhin den Vorwurf einer totalitären Doktrin gemacht, bei dem die partikularen Interessen zugunsten eines vorweg gesetzten Gemeinwohls unterdrückt werden. [[13] So z. B. TALMON 1970, S.38ff. u. FRAENKEL 1964, S.205ff.] Demgegenüber ist BARRY der Ansicht, dass ROUSSEAU immer die Voraussetzung einer Interessengleichheit aufgrund sozialer Homogenität in den öffentlichen Angelegenheiten gemacht hat. "Unter den verschiedenen Alternativen, die jedermann in der gleichen Weise betreffen, muss jede Person entscheiden, welche ihm selbst am meisten Vorteile bringt - und da jedermann sonst in ähnlichen Umständen ist, entscheidet er damit automatisch für das, was jedem andern die meisten Vorteile bringen würde." [[14] BARRY 1964, S.121f.]

In neuerer Zeit hat auch RAWLS gefordert, dass die Individuen bei gesetzgebenden Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip nicht ihre eigenen Interessen, sondern ihre Auffassungen vom Gemeinwohl bzw. einer gerechten Ordnung ausdrücken sollen. "Die gesetzgeberische Diskussion darf nicht als ein Streit zwischen Interessen aufgefasst werden, sondern als ein Versuch, {504} die beste Politik zu finden, so wie sie von den Prinzipien der Gerechtigkeit bestimmt wird." [[15] RAWLS 1973, S.357]

Wenn es bei Mehrheitsabstimmungen nicht um den Ausdruck individueller Interessen geht, sondern um unterschiedliche Beurteilungen der gerechtesten Alternative, so ist die unten ausführlich diskutierte unterschiedliche Betroffenheit der Individuen von der Entscheidung kein Problem mehr: "Es wird manchmal gegenüber der Mehrheitsregel eingewandt, dass ... sie bei der Berücksichtigung der Stärke des Begehrens versagt, denn der größere Teil kann sich über die starken Empfindungen einer Minderheit hinwegsetzen. Diese Kritik beruht auf der irrigen Ansicht, dass die Intensität des Begehrens ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Gesetzgebung sei. Im Gegenteil, immer wenn Fragen der Gerechtigkeit gestellt werden, dürfen wir nicht nach der Stärke der Empfindung verfahren, sondern müssen stattdessen die größere Gerechtigkeit der gesetzlichen Ordnung anstreben. ... Die Stärke entgegen gesetzter Einstellungen hat keinen Einfluss auf die Frage, ob etwas recht ist, sondern nur auf die Frage der Durchführbarkeit." [[16] RAWLS 1973, S.230f. Zu Präferenzintensitäten s. u. § 138]

Wenn man die beiden Anwendungsformen des Mehrheitsprinzips miteinander vergleicht - einmal zur Aggregation individueller Interessen und das andere Mal zur Selektion der richtigen Auffassung vom Gesamtinteresse - , so kann es nicht darum gehen, welche von beiden die allein "richtige" ist. Im Prinzip sind beide Verfahren möglich.

Wenn man das Mehrheitsprinzip als Aggregationsmechanismus für die individuellen Interessen verwendet, so stellt die gewählte  {505} Mehrheitsalternative unter bestimmten Voraussetzungen ein Maximum des Gesamtnutzens dar, denn das vom Eigeninteresse geleitete Abstimmungsverhalten der Individuen führt dann quasi automatisch zur Durchsetzung des Gesamtinteresses. [[17] Siehe hierzu unten § 139] Das Gesamtinteresse ergibt sich hierbei also erst im Nachhinein als Resultat des Abstimmungsprozesses.

Im Prinzip kann man jedoch das Gesamtinteresse auch direkt argumentativ bestimmen, wie oben anhand der Ausführungen zum Solidaritätsprinzip und zur interpersonal vergleichbaren Messung der individuellen Nutzen dargelegt wurde.[[18] Siehe dazu oben Kap.7] Insofern ist FRAENKEL nicht beizustimmen, wenn er mit Blick auf ROUSSEAU meint, "in einer differenzierten Gesellschaft könne im Bereich der Politik das Gemeinwohl lediglich a posteriori erreicht werden" und wenn er jede direkte Bestimmung des Gemeinwohls dem Totalitarismus-Verdacht aussetzt. [[19] FRAENKEL 1964, S.200] Um überhaupt beurteilen zu können, ob ein politischer Prozess zu einer Realisierung des Gemeinwohls führt, wie es auch FRAENKEL tut, muss man einen von diesem Prozess unabhängigen Begriff vom Gemeinwohl haben.

Wie in den Ausführungen zum Solidaritätsprinzip gezeigt wurde, hat jedes Individuum im Prinzip die Möglichkeit, sich selber eine Auffassung vom Gesamtinteresse zu bilden, über deren Richtigkeit jedenfalls im Grundsatz ein argumentativer Konsensus herstellbar ist. Insofern dieser Konsensus aber faktisch nicht immer erzielt wird wegen der Möglichkeit von Irrtümern, eigeninteressierten {506} Verzerrungen oder Zeitdruck, hat das Mehrheitsprinzip hier nur noch die nachgeordnete Aufgabe, auch im Falle unterschiedlicher Auffassungen vom Gesamtinteresse die wahrscheinlich richtige auszuwählen. Sowohl die aggregative als auch die selektive Verwendung des Mehrheitsprinzips erscheint also als prinzipiell möglich. Allerdings wirft die selektive Verwendung besondere Probleme auf, die im Folgenden näher analysiert werden sollen.

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§ 109 Problematische Konsequenzen einer selektiven Interpretation des Mehrheitsprinzips

Eine Schwierigkeit bei der selektiven Verwendung des Mehrheitsprinzips liegt darin, dass dabei eine erheblich kompliziertere Erkenntnisleistung der Individuen vorausgesetzt werden muss als bei der aggregativen Verwendung. Bei der letzteren müssen die Individuen nur die Frage beantworten können, welche der zur Entscheidung stehenden Alternativen in ihrem eigenen Interesse ist. Selbst diese Leistung kann bereits problematisch sein, sodass es besonderer institutioneller Vorkehrungen bedarf, um eine hinreichende Aufklärung und Reflektion der Individuen über ihre eigene Interessenlage zu gewährleisten. [[20] Siehe dazu oben Kap. 10]

Bei der selektiven Verwendung des Mehrheitsprinzips müssen die Individuen mit ihrer Stimmabgabe jedoch auf die viel kompliziertere Frage antworten können, welche der zur Entscheidung stehenden Alternativen dem Gesamtinteresse am besten entspricht, d.h. sie müssen die Interessen aller Beteiligten kennen und solidarisch gegeneinander {507} abwägen, um diese Frage richtig beantworten zu können.

Dies erscheint noch möglich, wenn das Kollektiv entweder relativ wenig Individuen umfasst oder wenn es in sich sehr homogen ist, sodass jeder mit den Lebensumständen und Bedürfnissen jedes andern vertraut ist, weil diese den eigenen Verhältnissen ähnlich sind. Ein solches überschaubares Gemeinwesen mit relativ gering differenzierter sozialer Struktur hatte offenbar ROUSSEAU vor Augen, wenn er davon schreibt, dass "Scharen von Landsleuten die Staatsangelegenheiten unter einer Eiche entscheiden. ... Ein auf solche Weise regierter Staat hat nur wenige Gesetze nötig, und je notwendiger sich der Erlass neuer macht, desto allgemeiner wird auch diese Notwendigkeit anerkannt. Wer sie zuerst vorschlägt, spricht nur aus, was alle schon längst gefühlt (haben, E. W .) . " [[21] ROUSSEAU 1968, S.149f. FRAENKEL wirft dieser Position deshalb auch vor, "dass sie das Phänomen der differenzierten Gesellschaft unbeachtet lasse - und wenn überhaupt - nur nach einer radikalen Revolution verwendbar sei." FRAENKEL 1964, S.206]

In industrialisierten Großgesellschaften mit ihren regionalen, kulturellen oder schichtenmäßigen Differenzierungen sowie ihren komplizierten institutionellen Zusammenhängen kann man jedoch nicht mehr ohne weiteres von ROUSSEAUs Annahme ausgehen, die er in die Worte fasst: "Das Gemeinwohl tritt überall sichtlich hervor, und es bedarf nur gesunder Vernunft, um es wahrzunehmen." [[22] ROUSSEAU 1968, S.149] Allerdings hat ROUSSEAU recht, wenn er darauf hinweist, dass die Bestimmung des Gesamtinteresses {508} umso schwieriger wird, je schärfer die Gesellschaft durch Standes- oder Klassenschranken bzw. durch soziale und ökonomische Ungleichheit in gegensätzliche Privat- und Gruppeninteressen gespalten ist.

Wenn es jedoch eine komplizierte Erkenntnisleistung darstellt, das Gesamtinteresse einer differenzierten Gesellschaft zu erkennen, so wird die Annahme problematisch, dass die Auffassung der Mehrheit hierzu wahrscheinlich die richtige ist.

Die von CONDORCET entwickelte wahrscheinlichkeitstheoretische Begründung für die selektive Verwendung des Mehrheitsprinzips gilt nur unter bestimmten Voraussetzungen. Eine davon ist, dass die Urteile der Individuen voneinander unabhängige Ereignisse darstellen müssen, da sonst die Multiplikationsregel der Wahrscheinlichkeit nicht anwendbar ist. Wie RAWLS feststellt, ist es "klar, dass die Voten verschiedener Personen nicht unabhängig sind. Da ihre Auffassungen durch den Verlauf der Diskussion beeinflusst werden, sind die einfacheren Verfahren der Wahrscheinlichkeits-Argumentation nicht anwendbar." [[23] RAWLS 1973, S.358.]

Weiterhin muss vorausgesetzt werden, dass es eine größere Wahrscheinlichkeit für ein richtiges Urteil jedes Individuums gibt als für ein falsches, denn im andern Fall wäre die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Minderheit recht hat. Diese Annahme kann bei schwierigen Fragestellungen wie der nach dem Gesamtinteresse einer heterogenen Großgesellschaft in Bezug auf eine anstehende Entscheidung nicht unbedingt {509} vorausgesetzt werden.

Die problematischste Bedingung für die Anwendbarkeit des Wahrscheinlichkeitsarguments ist jedoch die, dass für alle Individuen die gleiche Wahrscheinlichkeit besteht, die Frage nach dem Gesamtinteresse richtig zu beantworten. Wenn man stattdessen von der schwer zu bestreitenden Annahme ausgeht, dass die Erkenntnisfähigkeit der Individuen in dieser Hinsicht Unterschiede aufweist, so erscheint nur der Schluss konsequent, die Urteile der Individuen je nach ihrer Erkenntnisfähigkeit mit einem unterschiedlichen Gewicht zu versehen oder aber sogar die Bestimmung des Gesamtinteresses völlig den dafür am besten geeigneten Individuen zu überlassen. "Ein Antidemokrat könnte argumentieren, dass nur eine Minderheit hinreichend fähig ist, den moralischen Imperativ unter dem verdunkelnden Schleier des pragmatischen Eigeninteresses zu erkennen. ... Dementsprechend verlangt PLATON, dass eine kleine spezialisierte Gruppe von Wächtern die sozialen Entscheidungen treffen soll. " [[24] ARROW 1963, S.86.]

Die Forderung nach einem zwar allgemeinen, aber nach dem geistigen Vermögen abgestuften Stimmrecht hat zu seiner Zeit auch J.St. MILL vertreten: "Zwar sollte jeder Stimmrecht besitzen, aber dass jeder gleiches Stimmrecht besitzen sollte, ist eine völlig andere Aussage. ... Der weisere oder bessere Mann hat Anrecht auf größeres Gewicht." [[25] MILL 1969, S.282.] Da RAWLS das Mehrheitsprinzip ebenfalls in seiner selektiven Verwendung sieht, ist es nur folgerichtig, dass er die {510} Argumentation von MILL als im Prinzip zulässig ansieht: "Von der Regierung wird angenommen, dass sie das Gemeinwohl anstrebt. ... In dem Maße, wie diese Vermutung zutrifft und einige Menschen ausgemacht werden können, die überlegene Weisheit und Urteilskraft haben, sind andere bereit, ihnen zu vertrauen und ihrer Meinung ein größeres Gewicht zuzugestehen. ... Wenn man diese Voraussetzungen macht, kann ein gewichtetes Stimmrecht völlig gerecht sein." [[26] RAWLS 1973, S.233.] Entsprechend besitzt für RAWLS "das Verfahren der Mehrheitsregel ... einen untergeordneten Platz als prozeduraler Mechanismus." [[27] RAWLS 1973, S.356.]

Insgesamt bleibt bei RAWLS eigentlich unklar, warum das Mehrheitsprinzip überhaupt Verwendung finden soll. Die Vorteile der kollektiven Diskussion, die er anführt, können ja auch ohne Abstimmungsverfahren genutzt werden, und um überhaupt zu einer Entscheidung zu kommen, gäbe es auch andere Verfahren.

Auch in anderer Beziehung kommen diejenigen, die das Mehrheitsprinzip in seiner selektiven Verwendung vertreten, in Schwierigkeiten. So können sie nur schwer föderale Entscheidungsstrukturen rechtfertigen, bei denen nur von denjenigen abgestimmt wird, die von der anstehenden Entscheidung vorwiegend betroffen sind. Außerdem muss bei der selektiven Auffassung des Mehrheitsprinzips gefordert werden - so wie es ROUSSEAU noch konsequent getan hat - , dass jede Form von Koalitionsbildungen unterbunden wird.

Bei der selektiven Verwendung des Mehrheitsprinzips tritt mit aller Schärfe das Problem {511} eigeninteressierter Abstimmungsstrategien auf. Während bei einer aggregativen Verwendung des Mehrheitsprinzips eine eigeninteressierte Koalitionsbildung der Individuen unproblematisch ist, da sie gerade dazu dient, die Mehrheitsalternative durchzusetzen, [[28] RAWLS 1973, S.57.] muss bei der selektiven Verwendung des Mehrheitsprinzips jede eigeninteressierte Abstimmungsstrategie von Individuen und Gruppen die gesamte Konstruktion zerstören.

Es muss also vorausgesetzt werden, dass die Individuen eine so hohe "staatsbürgerliche Moral" haben, dass sie auch dann für die im Gesamtinteresse liegende Alternative stimmen, wenn diese ihrem individuellen Interesse völlig entgegengesetzt ist. Dass diese Voraussetzung äußerst zweifelhaft ist, ist offensichtlich, vor allem wenn man von geheimen Abstimmungen ausgeht, bei denen niemand gezwungen werden kann, sein Abstimmungsverhalten zu begründen. Aus all diesen Gründen wird deutlich, dass zumindest die Praxis in parlamentarischen Systemen nicht als selektive Verwendung des Mehrheitsprinzips interpretiert werden kann - was natürlich als solches noch kein normativer Maßstab ist.

Zum Abschluss sei noch auf ein Problem hingewiesen, das nur dann auftaucht, wenn man Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip als Selektion der richtigen Auffassung vom Gesamtinteresse interpretiert. Man muss dann nämlich immer annehmen, dass sich die Minderheit geirrt hat und mit ihrer Auffassung vom Gesamtinteresse im Unrecht ist. Dies war auch die bereits zitierte Auffassung von ROUSSEAU.

Andererseits stellt RAWLS jedoch richtig fest: "Während {512} die Bürger normalerweise ihr Verhalten der demokratischen Autorität unterwerfen, d.h. den Ausgang einer Abstimmung als Setzung einer verbindlichen Norm anerkennen, unterwerfen sie dieser nicht ihr Urteil." [[29] RAWLS 1973, S.557.]

Die Minderheit kann jedoch eigentlich nur dann dabei bleiben, dass ihre Auffassung vom Gemeinwohl richtig ist, wenn sie gleichzeitig annimmt, dass sich die Mehrheit geirrt hat. Sie muss sich dann also jeweils der Auffassung einer Mehrheit beugen, von der sie zugleich meint, dass sie falsch ist. Dies wäre aber eine äußerst problematische Grundlage demokratischer Loyalität gegenüber Mehrheitsentscheidungen.

Dies Problem taucht nicht auf, wenn man davon ausgeht, dass die Individuen durch ihr Abstimmungsverhalten ihr individuelles Interesse ausdrücken. Wenn dann zwei Individuen A und B auf die Frage: "Welche der zur Entscheidung stehenden Alternativen ist am meisten in deinem Interesse?" eine unterschiedliche Antwort geben, so bedeutet dies keineswegs, dass sich eines von beiden geirrt haben muss, da ja die Interessen der beiden unterschiedlich sein können. Beide Individuen können trotz unterschiedlicher Abstimmung "richtig" abgestimmt haben. Für die Mitglieder der unterlegenen Minderheit bleibt weiterhin diejenige Alternative, für die sie gestimmt haben, auch diejenige Alternative, die ihrem individuellen Interesse am besten entspricht. Allerdings kommt die siegreiche Mehrheitsalternative in der Regel dem Gesamtinteresse näher. Es stellt dann keinerlei "demokratisches Paradox" dar, wenn die unterlegene Minderheit einerseits gegen die Mehrheitsalternative gestimmt {513} hat und wenn sie andererseits aus demokratischer Überzeugung zugleich will, dass die Mehrheitsalternative realisiert wird. [[30] Ein solches Paradox sieht z. B. WOLLHEIM 1962.]

Bei der Abstimmung geht es um diejenige Alternative, die im individuellen Interesse der Individuen ist, während es bei der kollektiven Entscheidung um diejenige Alternative geht, die nach Aggregation dieser individuellen Interessen diejenige Alternative ist, die dem Gesamtinteresse am besten entspricht. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Individuen aufgrund ihrer anderen Interessenlage anders gestimmt hat, ist für die Mitglieder der Minderheit nicht der geringste Anlass, an der Richtigkeit ihrer eigenen Abstimmung zu zweifeln. Sie würden in genau der gleichen Weise wieder abstimmen, wenn sie noch einmal vor dieselbe Entscheidung gestellt würden. "Falsch" kann ein Individuum hier nur dann abstimmen, wenn es entgegen seinen eigenen Interessen abgestimmt hat.

Während bei der aggregativen Verwendung des Mehrheitsprinzip ein Individuum also nur aus "Dummheit" falsch abstimmen kann, kann ein Individuum bei der selektiven Verwendung des Mehrheitsprinzips auch aus "Unmoral" und "Eigennutz" falsch abstimmen, insofern es sich dabei anstatt vom Gesamtinteresse von seinem Eigeninteresse leiten lässt. Damit stellt sich aber auch das Toleranzproblem gegenüber derartigen abweichenden Meinungen verschärft.  {514}

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18. Kapitel

Die Mehrheitsalternative


§ 110 Das Mehrheitsprinzip und die Bestimmung der Mehrheitsalternative

Die Anwendung des Mehrheitsprinzips bedeutet, dass diejenige Alternative als kollektiv gewählt gilt, die gegenüber jeder andern Alternative von einer Mehrheit der Individuen vorgezogen wird. Diese Alternative, die im Paarvergleich jeder andern Alternative nach der Zahl der befürwortenden Individuen überlegen ist, wird von BLACK als Mehrheitsalternative bezeichnet. [[1] Siehe BLACK 1971, S.57.] Diese Fassung des Mehrheitsprinzips wurde zuerst von CONDORCET vorgeschlagen, weshalb man auch vom CONDORCET-Kriterium spricht.

Das Mehrheitsprinzip baut auf den Rangfolgen der Alternativen für die einzelnen Individuen gemäß ihren Interessen auf. Wenn alle Individuen die zur Entscheidung anstehenden Alternativen in eine vollständige, transitive Rangordnung gebracht haben, so lässt sich aus der Aggregation dieser Präferenzrangfolgen die Mehrheitsalternative bestimmen, sofern eine solche existiert. [[2] Zum Fehlen einer Mehrheitsalternative s. u. § 135. Eine Rangordnung ist transitiv, wenn gilt: Wenn x > y und y > z, dann gilt auch x > z.]

Das Mehrheitsprinzip baut also nur auf einer ordinalen Bestimmung der individuellen Nutzen auf. Diejenige Alternative, die in den Präferenzrangfolgen der Individuen im Vergleich zu jeder andern {515} Alternative häufiger vor als hinter dieser auftritt, ist die Mehrheitsalternative.

Dies kann an einem Beispiel veranschaulicht werden, bei dem die fünf Individuen A, B, C, D und E nach dem Mehrheitsprinzip über die vier Alternativen w, x, y und z entscheiden. Ihre Interessen in Bezug auf diese Entscheidung lassen sich durch die folgenden Präferenzordnungen wiedergeben, wobei die Alternativen gemäß ihrer nutzenmäßigen Rangfolge unter dem jeweiligen Individuum angeordnet sind: [[3] Zum Zwecke der Vereinfachung wird vorausgesetzt, dass die Individuen nur "starke" Präferenzordnungen aufstellen, bei denen also keine Indifferenz zwischen Alternativen vorkommt.]

  

Wie man aus der Tabelle ersieht, ist in diesem Fall die Alternative x die Mehrheitsalternative. Dies lässt sich anhand der Präferenzordnungen relativ leicht feststellen. Um zu prüfen, ob eine bestimmte Alternative die Mehrheitsalternative ist, zieht man einen Linienzug durch diese Alternative, wie in der Abb. 18.1 durch die Alternative x. Es handelt sich bei x dann um die Mehrheitsalternative, wenn keine andere Alternative häufiger oberhalb dieses Linienzuges zu finden ist als unterhalb dieses Linienzuges. Denn wenn eine andere Alternative wie z. B. y bei Individuum B oberhalb des Linienzuges durch x zu finden ist, so heißt dies, dass B die Alternative {516} y gegenüber x vorzieht; wenn dagegen y unterhalb des Linienzuges durch x steht, wie z. B. bei Individuum A, so wird x gegenüber y vorgezogen.

Man kann das Mehrheitsprinzip auch anhand einer sogenannten Wahlmatrix verdeutlichen.[[4] Siehe BLACK 1971, S.35ff.] Die Wahlmatrix vergleicht jede Alternative mit jeder anderen und gibt an, wie viele Individuen gemäß ihrer Interessenlage die eine Alternative gegenüber der anderen vorziehen. Dazu bildet man eine Tabelle, bei der man sämtliche Alternativen einmal am linken Rand und einmal am oberen Rand einträgt. In die einzelnen Felder lassen sich dann die Ergebnisse des paarweisen Vergleichs eintragen, wobei die vordere Zahl die Befürworterzahl der links stehenden Zeilen-Alternative angibt, während die hintere Zahl die Befürworterzahl der oben stehenden Spalten-Alternative angibt. Für die Präferenzordnungen aus Abb. 18.1 würde sich folgende Wahlmatrix ergeben:

Wahlmatrix zu Abb. 18.1

  w x y z
w - 0:5 2:3 3:2
x 5:0 - 3:2 5:0
y 3:2 2:3 - 4:1
z 2:3 0:5 1:4 -

Abb. 18.2

Aus der Wahlmatrix ist z. B. zu entnehmen, dass eine aufrichtige Abstimmung zwischen y und x mit 2:3 Stimmen gegen y ausgehen würde. Dies entspricht den Präferenzordnungen, denen gemäß bei den 2 Individuen B und D y vor x rangiert, während bei den 3 Individuen A, C und E x vor y rangiert. Die Mehrheitsalternative {517} lässt sich jetzt dadurch finden, dass man die Zeilen danach durchgeht, ob eine Alternative alle anderen geschlagen hat. In unserm Beispiel wäre x die Mehrheitsalternative, denn x ist in paarweiser Abstimmung gemäß den tatsächlichen Präferenzen der Individuen jeder andern Alternative stimmenzahimäßig überlegen.

Falls Individuen zwischen zwei Alternativen indifferent sind, sodass sich schwache Präferenzordnungen ergeben, so bedeutet dies kein Problem, denn diese Individuen können unberücksichtigt gelassen werden. Wenn jemand sich der Stimme enthält, so hat dies keinen Einfluss zugunsten einer der beiden Alternativen. [[5] Siehe dazu auch DAHL 1970, S.39.]

Man kann das Mehrheitsprinzip auch mit schwachen Präferenzordnungen definieren. So versteht ARROW unter dem Mehrheitsprinzip diejenige Entscheidungs-Regel, bei der für das Kollektiv die Alternative x dann besser oder gleichwertig im Verhältnis zur Alternative y ist, wenn die Zahl der Individuen, für die x besser oder gleichwertig gegenüber y ist, mindestens so groß ist wie die Zahl derer, für die y besser oder gleichwertig gegenüber x ist. [[6] Vgl. ARROW 1963, S.46. Siehe auch die analoge Formalisierung bei SEN 1970, S.71.]

Wie SEN bemerkt, sind die Formulierungen mithilfe der starken und der schwachen Präferenzrelation äquivalent, da die indifferenten Individuen immer beiden Alternativen gleichmäßig hinzugezählt werden. In der Formulierung von ARROW besteht allerdings insofern ein Unterschied zur obigen Formulierung, als bei ARROW im Falle von Stimmengleichheit beide Alternativen als kollektiv gleichwertig angesehen werden. Nach der {518} hier verwendeten Formulierung des Mehrheitsprinzips handelt es sich in diesem Fall jedoch nicht um die Mehrheitsalternative, denn diese muss jeder andern Alternative stimmenzahlmäßig überlegen sein. Dies bedeutet zugleich, dass es höchstens eine Mehrheitsalternative geben kann. [[7] Siehe BLACK 1971, S.14.]

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§ 111 Eingipfligkeit der individuellen Präferenzen,  Mehrheitsalternative und mediane Spitzenalternative

Die Mehrheitsalternative hat einige besondere Eigenschaften, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen. So besteht ein besonderer Zusammenhang zwischen der Mehrheitsalternative, die allen andern Alternativen im Paarvergleich stimmenzahlmäßig überlegen ist, und derjenigen Alternative, die von dem seiner Interessenlage nach "mittleren" bzw. medianen Individuum bevorzugt wird. Beide fallen unter bestimmten Umständen zusammen, was am folgenden Beispiel demonstriert werden soll.

Angenommen ein Kollektiv von 5 Individuen A, B, C, D und E hat nach dem Mehrheitsprinzip darüber zu entscheiden, wie hoch die Benzinsteuer sein soll. Es sollen 7 Alternativen existieren: 0, 10, 20, 30, 40, 50 und 60 Pfennig pro Liter. Dabei bestehen die folgenden Präferenzordnungen der Individuen: {519}

 


Die Präferenzordnung eines Individuums kann man auch durch den Kurvenzug in einem Koordinaten-System veranschaulichen, bei dem auf der horizontalen Achse die Alternativen eingetragen werden, während auf der vertikalen Achse die dazugehörigen ordinalen Nutzen abgetragen werden. Die obige Präferenzordnung des Individuums C sähe dann folgendermaßen aus:

Dabei sind die individuellen Nutzenwerte für die Alternativen zur besseren Anschaulichkeit durch eine Linie verbunden, sodass sich eine Präferenzkurve ergibt. [[8] Die Darstellungsform stammt von BLACK 1971, S.5ff.] Da diese Präferenzkurve aufgrund interpersonal nicht vergleichbarer, nur ordinaler Nutzenwerte gewonnen wurde, spielt nur die relative Höhe {520}der Kurve im Verhältnis zu andern Punkten derselben Kurve eine Rolle. Wenn die Kurve also bei der einen Alternative höher verläuft als bei einer andern Alternative, so bedeutet dies, dass die erste Alternative einen höheren Platz in der nutzenmäßigen Rangordnung des betreffenden Individuums besitzt. Die absolute Höhe spielt dabei keine Rolle, d.h. man könnte die Kurve auch ohne Veränderung ihres Informationsgehaltes in der Höhe zusammendrücken oder auseinanderziehen, sofern nur die relative Höhe der Kurve an den Alternativen gleich bleibt. Außerdem kann man natürlich die Höhe der Kurve verschiedener Individuen nicht miteinander vergleichen, da es sich um eine interpersonal nicht vergleichbare Nutzenmessung handelt.

Wenn man nun die Präferenzordnungen aller 5 Individuen aus Abb.18.3 in dasselbe Koordinaten-System einzeichnet, so ergibt sich folgendes Bild:

 

       Präferenzkurven aller Individuen aus 18.3.

                               Abb. 18.5


Wie man aus Abb. 18.5 ersieht, haben die Präferenzkurven aller Individuen in diesem Beispiel nur einen Gipfelpunkt, von dem aus sie nach einer oder nach beiden Seiten hin immer mehr abfallen. Die individuellen Präferenzen sind also so beschaffen, dass für jedes Individuum ein bestimmter Steuersatz {521} die Spitzenalternative bildet und dass die übrigen Alternativen von den Individuen als umso schlechter angesehen werden, je weiter sie auf der horizontalen Achse von der Spitzenalternative, dem individuellen Optimum, entfernt liegen. [[9] Dabei sind allerdings immer nur Entfernungen auf derselben Seite miteinander vergleichbar.] Wenn sich die Alternativen auf der horizontalen Achse derartig anordnen lassen, dass man darüber für alle Individuen entsprechend geformte Präferenzkurven einzeichnen lassen, so spricht man von "eingipfligen Präferenzen" (single-peaked preferences). [[10] Siehe dazu BLACK 1948 und 1971.]

Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass es nur irgendeine Anordnung der Alternativen auf der horizontalen Achse geben muss, bei der sämtliche individuellen Präferenzkurven eingipflig werden. Es muss sich also nicht unbedingt um eine größenmäßige Anordnung der Alternativen handeln wie in unserm Beispiel, wo die Alternativen entsprechend der Höhe des Steuersatzes geordnet sind. [[11] Siehe BLACK 1971, S.7.]

Wenn sich die Präferenzen aller Individuen durch derartige eingipflige Präferenzkurven wiedergeben lassen, so bedeutet dies, dass den Präferenzen aller Individuen irgendeine gemeinsame Dimension zugrunde liegt. In unserm Beispiel besteht diese Dimension gewissermaßen in der Einstellung zum Autoverkehr. Am positivsten ist Individuum A dazu eingestellt, das am liebsten überhaupt keine Benzinsteuer hätte und für das eine Entscheidung umso schlechter ist, je höher die Steuer ist. Dann kämen {522} nacheinander die Individuen C, D und B, die jeweils wachsende Steueranteile befürworten, bis hin zum Motorisierungsgegner E, der nach dem Motto urteilt: "Je höher die Benzinsteuer, desto besser für mich!".

Wie ARROW ausführt, existiert z. B. im politischen Bewusstsein eine gemeinsame Dimension in Form einer Rechts-Links-Anordnung der Parteien, zumindest in der europäischen Parteienstruktur der Vorkriegszeit. "Individuen mochten zu irgendeiner der Parteien gehören; doch jedes anerkannte die gleiche Anordnung in dem Sinne, dass es von zwei Parteien links von seiner eigenen das Programm der weniger linken vorzog, und entsprechend war es mit Parteien auf der Rechten." [[12] ARROW 1963, S.76.]

Wenn die Präferenzen der Individuen in der beschriebenen Weise eingipflig sind, so besitzt das seiner Interessenlage nach "mittlere" Individuum, dessen Spitzenalternative den Medianwert aller Spitzenalternativen bildet, eine besondere Stellung. [[13] Den Medianwert erhält man, indem man die Einzelwerte der Größe nach ordnet und dann den "mittleren" Wert heraussucht, zu dem es genau soviel größere wie kleinere Einzelwerte gibt. Für die Werte 1, 2, 3, 4, 10, 100 und 1000 ist der Median z. B. "4".] In unserem Beispiel ist das Individuum D seiner Interessenlage nach in der Mitte, seine Spitzenalternative "30 Pfg." ist die mittlere aller Spitzenalternativen und bildet den mittleren Gipfel in Abb. 18.5.

Das besondere an diesem Medianwert der Spitzenalternativen besteht nun darin, dass es sich hierbei immer um die Mehrheitsalternative handelt. [[14] Zum Beweis s. BLACK 1971, S.16ff. sowie ARROW 1963, S.77ff. Da bei gerader Stimmenzahl kein eindeutiger Medianwert existiert, gilt dieser Beweis nur bei einer ungeraden Anzahl von Individuen.] Bei eingipfligen Präferenzen {523} der Individuen bekommt die mediane Spitzenalternative im Paarvergleich gegenüber jeder andern Alternative eine Stimmenmehrheit.

Damit ist übrigens zugleich nachgewiesen, dass im Falle eingipfliger Präferenzen und ungerader Anzahl der Individuen immer eine Mehrheitsalternative existiert und keine zyklischen Mehrheiten vorkommen, bei denen etwa x mehr Stimmen bekommt als y, y mehr Stimmen als z, aber z wiederum mehr Stimmen als x. [[15] Zum Problem zyklischer Mehrheiten s.u. § 136.] Bei ARROWs 'Allgemeinem Möglichkeits-Theorem' war eine der Bedingungen die, dass alle logisch möglichen Präferenzordnungen zugelassen sein müssen. Dies war die Bedingung des "unbeschränkten Bereichs" der Präferenzen. BLACK hat nun nachgewiesen, dass transitive individuelle Präferenzordnungen immer dann durch das Mehrheitsprinzip zu einer transitiven kollektiven Präferenzordnung aggregiert werden, wenn die individuellen Präferenzen eingipflig sind. [[16] Siehe hierzu auch die weiterführende Diskussion und die Literaturhinweise bei SEN 1970, S.166ff.]

Dass im obigen Beispiel der Medianwert der Spitzenalternativen, die von Individuum D bevorzugte Alternative "30 Pfg.", tatsächlich die Mehrheitsalternative darstellt, kann man anhand der Präferenzordnungen leicht erkennen. Wenn man in Abb.18.3 die Alternative "30 Pfg." bei allen Individuen durch einen Linienzug verbindet, so tauchen alle andern Alternativen nur höchstens zweimal oberhalb dieses Linienzuges auf, sodass die Alternative "30 Pfg." mit 3 von 5 Stimmen immer eine Mehrheit erhält. {524}

Dass das Mehrheitsprinzip den Medianwert der individuellen Spitzenalternativen auswählt und nicht etwa das arithmetische Mittel, hängt damit zusammen, dass das Mehrheitsprinzip nicht auf kardinalen Nutzenmessungen basiert, sondern nur auf Präferenzordnungen, also ordinalen nutzenmäßigen Rangfolgen. An den Eigenschaften des Medianwertes kann dabei veranschaulicht werden, inwiefern sich die Nichtberücksichtigung von Präferenzintensitäten bzw. kardinalen Nutzendifferenzen durch das reine Mehrheitsprinzip problematisch auf das Ergebnis dieses kollektiven Entscheidungsverfahrens auswirkt. [[17] Siehe dazu ausführlich unten § 138.]

Im Gegensatz zum arithmetischen Mittel ist nämlich der Median unempfindlich gegenüber allen Veränderungen der Einzelwerte, sofern nur der Medianwert selbst seine Mittelposition behält und nicht verändert wird. Selbst wenn also in unserm Beispiel die Individuen B, C und E ihre Auffassung über die für sie beste Benzinsteuer drastisch senken würden, so bliebe der Medianwert "30 Pfg." unter Umständen unverändert. Wenn die Spitzenalternativen der Individuen jetzt folgendermaßen lauten würden (die alten Werte stehen in Klammern): A = 0 (0); B = 30 (50); C = 0 (20); D = 30 (30) und E = 30 (60), so ergäbe sich in der Reihe: 0, 0, 30, 30, 30 immer noch derselbe Medianwert "30". Trotz teilweise stark gesenkter Präferenzen hinsichtlich des individuell besten Steueranteils würde also die Mehrheitsentscheidung weiterhin 30 Pfg. betragen. Im Unterschied zum unverändert gebliebenen Medianwert hätte sich das arithmetische Mittel aufgrund solcher Veränderungen der Einzelwerte erheblich {525} verändert, denn es wäre von 33,33 Pfg. auf 22 Pfg. gesunken.

An dieser Unempfindlichkeit des Medians gegenüber Veränderungen der Einzelwerte wird deutlich, dass das Mehrheitsprinzip keine Präferenzintensitäten bzw. Nutzendifferenzen sondern nur Rangordnungen in Bezug auf die Alternativen erfasst.

Um die Problematik zu veranschaulichen, sollen einmal - allerdings stark vereinfachte - kardinale Nutzenfunktionen angenommen werden. Der Nutzen der Spitzenalternativen im Verhältnis zum Status quo soll für alle Individuen gleich sein, und pro Pfennig Differenz zur individuellen Spitzenalternative soll der Nutzen einer Alternative um eine Einheit sinken.

Wenn man diese Nutzenfunktionen in einem entsprechenden Koordinaten-System aufzeichnen würde, so hätten alle Kurven die gleiche Gipfelhöhe bei der individuellen Spitzenalternative und würden nach den Seiten im Winkel von 45 Grad gradlinig abfallen. Die Gesamtnutzenkurve würde man dann durch eine Addition der individuellen Nutzenkurven erhalten. Der Gipfel dieser Gesamtnutzenkurve liegt dann über derjenigen Alternative, bei der der Gesamtnutzen sein Maximum erreicht. [[18] Zum interpersonal vergleichbaren, kardinalen Nutzenbegriff s. o. die §§ 38 und 39.]

Wenn die individuellen Nutzenfunktionen derartig beschaffen sind, so ist der Gesamtnutzen einer Alternative umso höher, je geringer die geldmäßige Gesamtdifferenz zwischen dieser Alternative und allen individuellen Spitzenalternativen ist. Da das arithmetische Mittel derjenige Wert ist, bei dem die Differenz zu den Einzelwerten minimiert wird, ist in diesem Fall das arithmetische Mittel aller Spitzenalternativen diejenige {526} Alternative mit dem höchsten Gesamtnutzen und nicht der Medianwert.

Andererseits hat der Median aber den in der Abstimmungspraxis äußerst wichtigen Vorteil, dass er relativ unempfindlich ist gegenüber Übertreibungen und bewusst verzerrte Präferenzäußerungen der Individuen.

Wenn z. B. Individuum C, das eigentlich einen Steueranteil von 20 Pfg. pro Liter bevorzugt, die kollektive Entscheidung dadurch zu drücken versucht, dass es statt der 20 Pfg. nur einen Steueranteil von 0 Pfg. als seine Spitzenalternative angibt, so hätte dies bei Anwendung des Mehrheitsprinzips keinerlei Auswirkungen auf das Ergebnis, denn der Median und damit die Mehrheitsalternative bleibt unverändert bei 30 Pfg.

Dieses Argument für den Medianwert und gegen das arithmetische Mittel wurde bereits 1907 von dem Statistiker GALTON vorgetragen, der die Frage stellte, wie man aufgrund der individuellen Schätzwerte z. B. in Bezug auf die Höhe kollektiver Ausgaben für einen bestimmten Zweck zu einer vernünftigen kollektiven Entscheidung kommen könne. "Diese Entscheidung besteht sicherlich nicht im Durchschnittswert aller Schätzwerte, wodurch 'Sonderlingen' eine Abstimmungsmacht im Verhältnis zu ihrer Sonderlichkeit verliehen würde. Ein unsinnig großer oder kleiner Schätzwert würde am Ergebnis einen größeren Eindruck hinterlassen als ein Schätzwert von vernünftiger Größe, und je mehr ein Schätzwert von der Masse der übrigen abweicht, umso größeren Einfluss würde er ausüben. Ich möchte aufzeigen, dass der mittelste Schätzwert derjenige ist, gegen den die wenigsten Einwände erhoben werden können, bei dem die Stimmenzahl dafür, dass er zu hoch sei, genau ausgeglichen wird durch die Stimmenzahl {527} dafür, dass er zu niedrig sei. Jeder andere Wert wird von einer Mehrheit der Abstimmenden als entweder zu hoch oder zu niedrig verworfen." [[19] GALTON in BLACK 1971, S.188.] {528}

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19. Kapitel

Verschiedene Abstimmungsverfahren und die Auswirkungen von Koalitionsbildung


§ 112 Entscheidungs-Regel und konkretes Entscheidungsverfahren

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, den Unterschied zwischen den bloßen Entscheidungsregeln und realen Entscheidungsverfahren zu betonen. Das Mehrheitsprinzip als solches stellt ja nur eine logische Aggregations-Regel für die individuellen Präferenzrangfolgen dar. Damit ist es jedoch noch kein konkretes Entscheidungsverfahren, denn dazu müsste u. a. erst geregelt werden, wie die individuellen Präferenzrangfolgen und die Alternativen bestimmt werden. Erst dann geht die logische Aggregations-Regel in eine konkrete Institution über.

Wenn z. B. nach Art individualistischer Entscheidungs-Systeme die Formulierung der individuellen Präferenzen den betreffenden Individuen selber überlassen bleibt, so können die Individuen ihre Interessen im Rahmen der gesetzten institutionellen Regelungen autonom verfolgen. Sie können dann auch ihr Abstimmungsverhalten aufgrund von strategischen Überlegungen und Absprachen mit andern so gestalten, wie es ihrem Eigeninteresse am besten entspricht. In diesem Fall muss das Abstimmungsverhalten eines Individuums nicht notwendig mit den eigentlichen Präferenzen in Bezug auf die anstehende Entscheidung übereinstimmen, denn es kann z. B. manchmal vorteilhaft sein, nicht {529} für die eigene Spitzenalternative zu stimmen, da sie ohne Aussicht auf Erfolg ist.

Weil in einem solchen Fall die angewandte Entscheidungs-Regel selber einen Einfluss auf die ausgedrückten Präferenzen hat, ist dabei die institutionelle Umsetzung einer Entscheidungs-Regel in ein konkretes Entscheidungsverfahren nicht nur eine Operationalisierung sondern zugleich eine Modifizierung der eigentlichen Entscheidungs-Regel. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, erscheint es sinnvoll, ein reales Verfahren nach dem Mehrheitsprinzip, das auf einer autonomen Stimmabgabe der Individuen beruht, als Mehrheitssystem zu bezeichnen.

In einem solchen Mehrheitssystem wird das Mehrheitsprinzip also nicht auf die tatsächlichen Präferenzen der Individuen zu den anstehenden Alternativen angewandt, sondern auf Präferenzäußerungen, denen u. U. eigeninteressierte Strategien und Absprachen zugrunde liegen. [[1] In dieser Differenz zwischen logischer Entscheidungsregel und konkretem Entscheidungsverfahren liegt übrigens auch ein Grund für die begrenzte Relevanz einer rein logischen Analyse. Vgl. auch die Überlegungen zu Theorie und Praxis bei SEN 1970, S.187ff.]

In den konkreten Entscheidungsverfahren treten dann auch Informationsprobleme, Ungewissheit und sonstige Entscheidungskosten auf, die einen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der Individuen haben können und nicht unerheblich für die Frage nach der praktischen Anwendbarkeit eines Entscheidungsverfahrens sind.

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§ 113  Die Regel der relativen Mehrheit bei einmaliger Abstimmung

Entsprechend dem oben definierten Mehrheitsprinzip {530} müssen eigentlich alle Alternativen paarweise miteinander verglichen werden, um die Mehrheitsalternative zu bestimmen. Der Aufwand für die Durchführung eines solchen Entscheidungsverfahrens steigt mit der Zahl der Alternativen jedoch sehr rasch an, weil sich die Zahl möglicher Paarkombinationen sprunghaft erhöht. Während bei 2 Alternativen nur 1 Paarvergleich notwendig ist, sind bei 3 Alternativen 3 Paarvergleiche notwendig und bei 10 Alternativen sind es bereits 45 mögliche Paarkombinationen.

Zwar müsste man diese Paarvergleiche nicht in einzelnen Abstimmungen durchführen, sondern könnte sie auch aufgrund der vollständigen Präferenz-Rangfolgen der Individuen ermitteln, aber trotzdem bliebe das Verfahren noch recht umständlich und ließe sich dann auch nicht durch bloßes Handaufheben durchführen. [[2] Zum Verfahren der paarweisen Abstimmung s.u. § 119.] Aus diesem Grund wird das Mehrheitsprinzip meist derart praktiziert, dass alle Alternativen gemeinsam zur Abstimmung gestellt werden und dann diejenige Alternative als kollektiv gewählt gilt, die die meisten Stimmen bekommen hat. Ein solches Verfahren kann als relative Mehrheitsregel bezeichnet werden. [[3] BLACK nennt die relative Mehrheitsregel "einmalige Abstimmung" (single vote). S. dazu BLACK 1971, S.67ff.]

Die Durchführung eines derartigen Verfahrens ist recht einfach, denn es bedarf nur einer einzigen Abstimmung und einer Auszählung der Stimmen für die {531} verschiedenen Alternativen.

Ein Problem der relativen Mehrheitsregel besteht darin, dass u. U. mehrere Alternativen gleichzeitig die höchste Stimmenzahl erhalten können, sodass die kollektive Entscheidung nicht eindeutig ist. Es müssen für diesen Fall also zusätzliche Regelungen eingeführt werden. Eine Möglichkeit hierfür wäre etwa eine weitere Abstimmung nur zwischen den Alternativen mit der höchsten Stimmenzahl nach Art eines Stichentscheids. [[4] Zum Problem der Stimmengleichheit s. a. DAHL 1970, S.39ff. Wie jedoch unten gezeigt wird, kann Stimmengleichheit bei eigeninteressierter Koalitionsbildung nur auftreten, wenn keine Mehrheitsalternative vorhanden ist.]

Ein gewichtigeres Problem der relativen Mehrheitsregel besteht darin, dass bei "aufrichtiger" Abstimmung der Individuen für ihre Spitzenalternative u. U. eine Alternative mit einem relativ geringen Stimmenanteil - gemessen an der Gesamtzahl der Abstimmenden - erfolgreich sein kann. Diese Möglichkeit besteht vor allem dann, wenn sehr viele Alternativen zur Entscheidung stehen, sodass sich die Stimmen stark aufsplittern können.

Wenn z. B. 100 Individuen über 5 Alternativen abstimmen, so reichen bereits 21 Stimmen für eine Alternative zur relativen Mehrheit, wenn sich die 100 Stimmen nach dem Schema 21 : 20 : 20 : 20 : 19 aufteilen. Wenn auch noch Enthaltungen vorliegen, kann der erforderliche Prozentsatz noch niedriger sinken. Damit tritt das Problem der Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten mit voller Schärfe auf, weil jetzt sogar ein geringer Anteil der Individuen mit schwachen Präferenzintensitäten den Ausschlag geben kann. {532}

Wenn jedes Individuum bei der Abstimmung ohne strategische Überlegungen starr für seine Spitzenalternative stimmt, so ergeben sich zwischen der relativen Mehrheitsregel und dem oben definierten Mehrheitsprinzip erhebliche Differenzen, wie BLACK am Beispiel einer Auswahl aus mehreren Kandidaten zeigt. "Der Effekt der einmaligen Abstimmung (nach der relativen Mehrheitsregel, E.W.) besteht darin, die Kenntnis aller Präferenzen (des Wählers, E.W.) zu unterdrücken, ausgenommen seine oberste Präferenz für einen bestimmten Kandidaten; abgesehen davon muss er alle Kandidaten auf dem gleichen Niveau einstufen. ... Wenn der Wähler zwischen zwei oder mehr Kandidaten indifferent ist, von denen er jeden gegenüber irgendeinem von den übrigen vorzieht, so fälscht die einmalige Abstimmung sogar seine Präferenzordnung in Bezug auf den Ausdruck seiner obersten Präferenz." [[5] BLACK 1971, S.68. Diese Schwäche der relativen Mehrheitsregel war bereits von BORDA und CONDORCET festgestellt worden. S. BLACK 1971, S.157 u. 166.]

Nur in dem außergewöhnlichen Fall, dass jedes Individuum nur eine Spitzenalternative hat und gegenüber allen anderen Alternativen indifferent ist, ergibt sich bei "aufrichtiger" Abstimmung aller Individuen nach der relativen Mehrheitsregel dieselbe Entscheidung wie beim Mehrheitsprinzip, und die Mehrheitsalternative setzt sich durch. "Aber diese Einschränkung in Bezug auf die Form der Präferenzkurve ist von extremer Strenge; und diese wie auch andere Kurvenformen, die die Wahl der Mehrheitsalternative bei einmaliger Abstimmung zur Folge hätten, können in der Praxis kaum vorkommen." [[6]BLACK 1971, S.68.] {533}

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§ 114  Eigeninteressierte Koalitionsbildung im relativen Mehrheitssystem

Angesichts dieser schweren Einwände mag es erstaunlich sein, dass die relative Mehrheitsregel in der Abstimmungspraxis so häufig Verwendung findet. Die Antwort hierauf ist relativ einfach und verblüffend: Wenn alle Individuen die für sie vorteilhaftesten Abstimmungskoalitionen eingehen, führt die relative Mehrheitsregel ebenfalls dazu, dass eine vorhandene Mehrheitsalternative gewählt wird. [[7] Da BLACK ähnlich wie seine Vorgänger nur "aufrichtiges", nicht-strategisches Abstimmungsverhalten untersucht, konnte er diese Konvergenz der Verfahren nicht feststellen.]

Dies für die Praktizierung des Mehrheitsprinzips äußerst wichtige Ergebnis soll im Folgenden an einem Beispiel demonstriert werden, bei dem 7 Individuen A bis G über 7 Alternativen t bis z nach der relativen Mehrheitsregel abstimmen.

Präferenzordnungen

Abb.19.1


Anhand dieser Präferenzordnungen der Individuen soll nun demonstriert werden, dass bei eigeninteressierter Koalitionsbildung auch im relativen Mehrheitssystem eine vorhandene Mehrheitsalternative gewählt wird.

Eine Koalition K mit der Abstimmungsvereinbarung x ist dabei dann für die beteiligten Individuen am vorteilhaftesten, {534} wenn es keine andere Gewinnkoalition gibt, die ein Ergebnis durchsetzen kann, das für mindestens ein Mitglied der Koalition K besser ist als x.

Angenommen im Beispiel aus Abb. 19.1 hätte jedes Individuum die Absicht, "aufrichtig" für seine Spitzenalternative zu stimmen (s. Abb. 19.2, 1. Abstimmung).

Dies würde bedeuten, dass die Alternative x gewählt wird, denn sie hat mit zwei Stimmen die relative Mehrheit, da alle anderen Alternativen nur eine Stimme erhalten.

In diesem Fall wären zumindest die Individuen C, D und E nicht die für sie vorteilhafteste Abstimmungskoalition eingegangen, denn hätten sie untereinander vereinbart, für y zu stimmen, so wäre y realisiert worden, eine Alternative, die alle 3 gegenüber x vorziehen, wie man aus ihren Präferenzordnungen ersehen kann.

Die Konsequenz aus dieser strategischen Überlegung drückt sich in der 2. Abstimmung in Abb. 19.2 aus. Jetzt erhält y die relative Mehrheit der Stimmen mit 3 Stimmen.

In diesem Fall hätten jedoch die übrigen 4 Individuen A, B, F und G nicht die für sie vorteilhafteste Abstimmungsvereinbarung getroffen, denn wenn sie alle geschlossen für z stimmen würden, so könnten sie z anstelle von y mit relativer Mehrheit durchsetzen, und für alle vier Individuen ist z besser als y. (S. Abb. 19.2, 3. Abstimmung). Mit 4 von 7 Stimmen hätten sie in diesem Fall sogar die absolute Mehrheit der Stimmen.

Trotzdem wäre dies noch nicht die für alle Mitglieder der Koalition vorteilhafteste Koalition. Der schwache Punkt dieser Koalition auf der Basis z ist das Individuum B, für das es noch eine Gewinnkoalition mit einem besseren Ergebnis als {535} z gibt.

Wenn nämlich die Individuen B, C, D und E geschlossen für die Alternative u stimmen, so bedeutet dies für alle Mitglieder der Koalition gegenüber der Alternative z eine Verbesserung (s. Abb. 19.2, 4. Abstimmung).

 Koalitionsentwicklung

Abb.: 19.2

Mit der Koalition B, C, D, E auf der Basis u ist jedoch ein stabiler Gleichgewichtspunkt der Koalitionsbildung erreicht, denn kein Mitglied dieser Koalition kann mehr ein Interesse haben, irgendeine Abstimmungsvereinbarung einzugehen auf Grundlage einer anderen Alternative:

Für E ist die Alternative u sowieso die Spitzenalternative.

Für B, C und D wären bestimmte Alternativen zwar besser als u, jedoch würde sich für jede dieser Alternativen höchstens ein Koalition von 3 Individuen gegenüber u zusammenbringen lassen, was für eine Gewinnkoalition nicht ausreicht.

Gleichzeitig ist die Alternative u jedoch auch die Mehrheitsalternative, denn sie würde in paarweiser Abstimmung entsprechend den tatsächlichen Präferenzen jede andere Alternative schlagen, wie der folgende Ausschnitt aus der Wahlmatrix zeigt: {536}

 

                  Abb. 19.3

An diesem Beispiel konnte demonstriert werden, dass auch das relative Mehrheitssystem bei eigeninteressierter Koalitionsbildung der Individuen zur Wahl der Mehrheitsalternative führt, sofern eine solche vorhanden ist. [[8] Allerdings wurde hier von starken Präferenzordnungen der Individuen ausgegangen, sodass dies Ergebnis nicht auf Situationen mit Indifferenz der Individuen gegenüber Alternativen angewandt werden kann.]

Dies Ergebnis hängt nicht mit der Wahl des obigen Beispiels zusammen, sondern kann auch folgendermaßen allgemein bewiesen werden:

Zur Vereinfachung der Ausdrucksweise soll der Ausdruck "Die Alternative x hat die Mehrheit gegenüber der Alternative y" bedeuten: "Die Anzahl der Individuen, die x gegenüber y vorziehen, ist größer als die Anzahl der Individuen, die umgekehrt y gegenüber x vorziehen". Dann ist die Mehrheitsalternative m dadurch gekennzeichnet, dass sie gegenüber jeder andern Alternative in diesem Sinne die Mehrheit hat.

Wenn nun bei einer Abstimmung nach der relativen Mehrheitsregel irgendeine andere Alternative x die relativ meisten Stimmen erhält und damit als kollektiv gewählt gilt, so kann nicht jedes Individuum die für sich vorteilhafteste Koalition eingegangen sein. Denn die Mehrheitsalternative m hat ja definitionsgemäß auch gegenüber x die Mehrheit, sodass sich die Befürworter von m gegenüber x in ihrem eigenen Interesse {537} zu einer für sie vorteilhaften und erfolgreichen Koalition hätten zusammenschließen können, um die für sie vorteilhaftere Mehrheitsalternative m durchzusetzen.

Natürlich kann eine solche rationale Koalitionsbildung in der Realität durch die verschiedensten Faktoren behindert werden, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. (Eine eingehende Behandlung dieser Aspekte würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.)

Zum einen kann aufgrund mangelnder oder falscher Information die Interessenlage möglicher Koalitionspartner falsch eingeschätzt werden, sodass gar kein Versuch zu einer eigentlich möglichen Koalition gemacht wird.

Zum andern kann bei einer terminierten Abstimmung die für Koalitionsabsprachen notwendige Zeit fehlen, sodass auch deswegen eigentlich mögliche Abstimmungsvereinbarungen nicht zustande kommen.

Ein weiteres Hindernis für eine rationale Koalitionsbildung kann darin liegen, dass Individuen oder Gruppen die Abstimmung als ein "Bekenntnis" ihrer Einstellung bzw. ihrer Auffassung vom Gesamtinteresse auffassen und deshalb ohne Rücksicht auf mögliche Gewinnchancen der entsprechenden Alternative starr für diese abstimmen.

Ähnliche Schwierigkeiten für eine rationale Koalitionsbildung ergeben sich dann, wenn Individuen bzw. Gruppen bestimmte andere Individuen oder Gruppen für prinzipiell nicht koalitionsfähig halten, selbst wenn eine solche Koalition im Einzelfall möglich und vorteilhaft wäre.

All diese Faktoren können dazu führen, dass eigentlich mögliche Gewinnkoalitionen nicht zustande kommen und dass bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel die Zersplitterung der Stimmen fortbesteht, {538} sodass Alternativen mit einem sehr geringen Prozentsatz an Stimmen die relative Mehrheit erringen können.

In diesem Fall behinderter Koalitionsbildung wird sich auch eine vorhandene Mehrheitsalternative u. U. nicht durchsetzen können.

Um die eigeninteressierte Koalitionsbildung im relativen Mehrheitssystem zu fördern, sind verschiedene institutionelle Regelungen denkbar, die die Information der Beteiligten über ihre Interessenlage fördern, die die nötige Zeit zum Aushandeln von Abstimmungsvereinbarungen lassen und die die Korrektur strategischer Fehler ermöglichen.

Dies kann z. B. erreicht werden:

durch die Festlegung von Fristen zwischen der Ankündigung einer Entscheidung und der endgültigen Beschlussfassung,

durch die Bereitstellung von Gremien für die Diskussion zwischen den Beteiligten z. B. in Form von Ausschüssen,

durch die Ermittlung von unverbindlichen "Meinungsbildern" vor der endgültigen Abstimmung oder

durch die Vorschrift zur wiederholten Abstimmung, wobei dann die letzte verbindlich ist. [[9] Dies entspricht der Pflicht zur mehrfachen Lesung von Gesetzesentwürfen in parlamentarischen Systemen.]

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§ 115  Die Regel der absoluten Mehrheit

Um zu verhindern, dass sich Alternativen mit einem sehr geringen Prozentsatz der Stimmen durchsetzen können und eine vorhandene Mehrheitsalternative sich aufgrund unvollkommener Koalitionsbildung nicht durchsetzt, kann man auch als kollektive Entscheidungs-Regel die Regel der absoluten Mehrheit {539} anwenden. Diese Regel besagt, dass eine Alternative dann als kollektiv gewählt gilt, wenn sie bei einer gleichzeitigen Abstimmung über alle Alternativen mehr als die Hälfte aller Stimmen erhält.

Häufig wird die absolute Mehrheitsregel auch so definiert, dass die erfolgreiche Alternative nur mindestens die Hälfte aller Stimmen erhalten muss. Bei ungerader Stimmenzahl laufen beide Varianten auf das gleiche Ergebnis hinaus. Bei gerader Gesamtzahl der Stimmen kann die letztere Formulierung jedoch dazu führen, dass zwei Alternativen gleichzeitig die absolute Mehrheit erreichen, weshalb diese Formulierung hier nicht gewählt wird.

Sofern auch Stimmenthaltungen vorkommen, kann die Regel der absoluten Mehrheit auch dahingehend modifiziert werden, dass die siegreiche Alternative mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten muss.

Durch die Bedingung einer absoluten Mehrheit von mehr als 50% der Stimmen für die Annahme einer Alternative wird von vornherein ein Zwang zur Bildung entsprechend großer Abstimmungskoalitionen geschaffen. Im Unterschied zur relativen Mehrheitsregel wirkt die absolute Mehrheitsregel damit einer Zersplitterung der Stimmen entgegen.

Diesen Vorzug hatte bereits CONDORCET erkannt. "Er zeigt, dass die einmalige Abstimmung zur Wahl eines Kandidaten führen kann, gegen den jeder der übrigen Kandidaten eine Mehrheit erhalten könnte, und er zieht die Schlussfolgerung, dass - wenn überhaupt die einmalige Abstimmung benutzt wird - gefordert werden sollte, dass ein Kandidat mindestens die Hälfte aller abgegebenen Stimmen erhält." [[10] BLACK 1971, S.166.] {540}

Sofern die Individuen jedoch wiederum "stur" für ihre Spitzenalternative stimmen, so ergeben sich auch bei Anwendung der absoluten Mehrheitsregel Probleme, da in diesem Fall häufig überhaupt keine Alternative die erforderliche Stimmenzahl erhält. In diesem Fall bedarf es zusätzlicher Regelungen, um in jedem Fall zu einer eindeutigen kollektiven Entscheidung zu kommen.

Eine Möglichkeit dazu ist die Einführung einer Status-quo-Klausel, die besagt, dass immer dann, wenn keine der Alternativen die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen erhält, der Status quo als kollektiv gewählt gilt. [[11] Siehe dazu ausführlicher unten § 135.]

Wenn die Individuen bei Abstimmungen nach der absoluten Mehrheitsregel die für sie vorteilhaftesten Abstimmungskoalitionen eingehen, so muss sich ebenso wie bei Abstimmungen nach der relativen Mehrheitsregel eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen. Wenn anstatt einer vorhandenen Mehrheitsalternative m irgendeine andere Alternative x die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, so kann nicht jedes Individuum die für sich vorteilhafteste Abstimmungsvereinbarung eingegangen sein. Denn die Mehrheitsalternative m hat ja auch gegenüber x die Mehrheit, sodass die Befürworter von m gegenüber x eine Gewinnkoalition auf der Basis m hätten bilden können.

Die absolute Mehrheitsregel führt also genau wie die relative Mehrheitsregel bei rationaler Koalitionsbildung aller Individuen zur Wahl einer vorhandenen Mehrheitsalternative. Dies zeigte sich bereits am Beispiel aus Abb. 19.2, wo bei Anwendung der relativen {541} Mehrheitsregel sich die Mehrheitsalternative u mit der absoluten Mehrheit von 4 der insgesamt 7 Stimmen durchsetzte. Dabei verhindert die absolute Mehrheitsregel eine Koalitionsbildung ohne Erreichen des Gleichgewichtspunktes in Form der Mehrheitsalternative, wie es bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel aufgrund der bereits genannten Koalitionshindernisse geschehen kann.

Dem steht jedoch die Möglichkeit einer Blockierung der kollektiven Entscheidung gegenüber, wenn aufgrund mangelnder Koalitionsbildung überhaupt keine Alternative die erforderliche absolute Mehrheit erhält.

Gewisse Schwierigkeiten ergeben sich bei Anwendung der absoluten Mehrheitsregel, wenn Individuen zwischen Alternativen indifferent sind und trotzdem für eine erfolgreiche Alternative die absolute Mehrheit der Gesamtzahl aller Stimmen gefordert wird. In diesem Fall muss sich eine vorhandene Mehrheitsalternative nicht unbedingt durchsetzen. Dies kann an einem extremen Beispiel veranschaulicht werden.

Wenn alle Individuen bis auf eines gegenüber allen Alternativen indifferent sind, während das eine Individuum die Alternative m gegenüber den andern Alternativen vorzieht, so ist m die Mehrheitsalternative, denn sie erhält im Paarvergleich mit allen andern Individuen eine Stimme mehr.

Trotzdem muss die Mehrheitsalternative m bei einer einmaligen Abstimmung nicht die absolute Mehrheit aller Stimmen erhalten. Wenn sich die indifferenten Individuen der Stimme enthalten, bekommt die Mehrheitsalternative m in diesem Fall nur eine einzige Stimme, was für die absolute Mehrheit nicht ausreicht. Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, für die erfolgreiche Alternative nur die absolute Mehrheit aller abgegebenen Stimmen zu fordern, {542} damit eine vorhandene Mehrheitsalternative sich auch bei Indifferenz einiger Individuen durchsetzen kann.

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§ 116  Das Verfahren der 'Schrittweisen Eliminierung' der Alternativen

Wenn aus irgendwelchen Gründen eine rationale Koalitionsbildung nicht vorausgesetzt werden kann, sodass die einfachen Verfahren nach der relativen oder absoluten Mehrheitsregel nicht sinnvoll erscheinen, so kann man Eliminierungsverfahren anwenden, bei denen schrittweise die jeweils schlechteste Alternative ausgeschieden wird, bis am Ende des mehrstufigen Abstimmungsverfahrens nur noch eine einzige Alternative übrigbleibt, die dann als kollektiv gewählt gilt. Ein derartiges Eliminierungsverfahren, das er "erschöpfende Abstimmung" (exhaustive voting) nennt, beschreibt BLACK. [[12] S. BLACK 1971, S.69ff.]

Dabei erhält jedes Individuum bei jedem Wahlgang eine Stimme weniger als Alternativen zur Wahl stehen, ohne dass die Stimmen kumuliert werden dürfen. Dadurch erhält die individuell schlechteste Alternative jeweils von dem Individuum keine Stimme. Diejenige Alternative, die von den meisten Individuen als die schlechteste angesehen wird und folglich am wenigsten Stimmen erhält, scheidet dann für die folgenden Wahlgänge aus. Da bei jedem Wahlgang eine Alternative eliminiert wird, bis am Ende nur eine Alternative übrigbleibt, sind insgesamt soviel Wahlgänge erforderlich, wie die um 1 verminderte Anzahl der Alternativen beträgt. {543}

Es handelt sich bei diesem Verfahren also gewissermaßen um eine Negativ-Auswahl nach der relativen Mehrheitsregel. Man könnte stattdessen den Individuen für jeden Wahlgang auch nur eine Stimme geben und sie auffordern, die Stimme der für sie schlechtesten Alternative zu geben.

Zur Vereinfachung des recht umständlichen Wahlverfahrens kann man es auf zwei Stufen beschränken, indem man bereits nach dem ersten Wahlgang sämtliche Alternativen bis auf die zwei Alternativen mit den meisten Stimmen eliminiert. [[13] Ein derartiges Verfahren findet z. B. bei der französischen Präsidentenwahl Anwendung. Zu Eliminierungsverfahren s. a. DODGSON 1873 u. 1876, S.217f.] Ein solches verkürztes Eliminierungsverfahren soll hier jedoch nicht näher untersucht werden.

Wie BLACK nachgewiesen hat, führt das Eliminierungsverfahren der "erschöpfenden Abstimmung" im Falle eingipfliger Präferenzen der Individuen zur Auswahl der Mehrheitsalternative. [[14] S. BLACK 1971, S.69ff.] Bei eingipfligen Präferenzen liegt für jedes Individuum die individuell schlechteste Alternative an einem der beiden Enden der Alternativen-Skala auf der horizontalen Achse des Koordinaten-Systems, sodass jeweils immer eine der beiden äußeren Alternativen eliminiert wird. Dies kann an einem Beispiel mit 3 Individuen A, B und C und 4 Alternativen w, x, y und z veranschaulicht werden: {544}

           Abb. 19.4

In diesem Fall bilden x und y die äußeren Alternativen für jedes der Individuen, sodass entweder x oder y die individuell schlechteste Alternative ist und keine Stimme erhalten wird.

Wie anhand der Präferenzkurven zu sehen ist, wird y von den 2 Individuen A und B keine Stimme erhalten, während x nur von C keine Stimme erhält. Im ersten Wahlgang würde also y eliminiert.

Im zweiten Wahlgang sind x und w die äußeren Alternativen, sodass zwischen diesen die Entscheidung fallen muss. Hier erhält x von B und C keine Stimme und wird damit eliminiert.

Bei der Entscheidung zwischen z und w schließlich erhält w von A und B keine Stimme, sodass w eliminiert wird und nur noch die Alternative z übrigbleibt und damit als kollektiv gewählt gilt.

Die Alternative z ist aber zugleich die Mehrheitsalternative, da sie den Median der Spitzenalternativen dieser eingipfligen Präferenzen bildet, wie oben gezeigt wurde. Im Falle eingipfliger Präferenzen kann die Mehrheitsalternative bei diesem Verfahren nicht eliminiert werden, da das erfordern würde, dass sie von einer Mehrheit der Individuen als schlechter angesehen würde als eine bestimmte andere Alternative, die am andern Rand der Alternativen-Skala steht. {545}

Wie BLACK jedoch an einem anderen Beispiel zeigt, besteht bei fehlender Eingipfligkeit der Präferenzen die Möglichkeit, dass auch eine vorhandene Mehrheitsalternative eliminiert wird. Bei den folgenden Präferenzordnungen (und bei "aufrichtiger" Abstimmung, die BLACK bei seinen Alternativen immer voraussetzt) würde die Mehrheitsalternative x bereits im ersten Wahlgang eliminiert:

         Abb.: 19.5

Im ersten Wahlgang würde die Alternative x von den Individuen D und E als individuell schlechteste aller Alternativen keine Stimme erhalten. Sie würde deshalb insgesamt nur 3 Stimmen bekommen, während die andern Alternativen w, y und z je 4 Stimmen bekommen würden, da sie nur für jeweils ein Individuum die schlechteste Alternative darstellen. Damit wäre die Mehrheitsalternative x bereits nach dem ersten Wahlgang eliminiert. [[15] S. BLACK 1971, S.71.]

Da das Verfahren der schrittweisen Eliminierung gewissermaßen eine Negativ-Auswahl nach der relativen Mehrheitsregel darstellt, treten hier also ähnliche Probleme in Bezug auf die Durchsetzung der Mehrheitsalternative bei nicht-strategischem Abstimmungsverhalten der Individuen auf. {546}

Man könnte jedoch andererseits auch die Meinung vertreten, dass eine Alternative wie x, die von der relativen Mehrheit der Individuen als die schlechteste angesehen wird, schwerlich die kollektiv beste sein kann, selbst wenn es sich um die Mehrheitsalternative handelt. Letztlich lässt sich jedoch die Frage, welche der Alternativen im Einzelfall die kollektiv beste ist und ein Maximum des Gesamtnutzens darstellt, nicht auf der Basis nur ordinaler Nutzenbestimmungen beantworten, sondern erfordert eine kardinale Nutzenmessung. [[16] Zur Beziehung zwischen der Mehrheitsalternative und der Alternative maximalen Gesamtnutzens siehe unten § 139.]

Abgesehen von dieser Problematik und dem Aufwand der wiederholten Wahlgänge hat das Eliminierungsverfahren jedoch den Vorteil, dass es keine strategischen Überlegungen bei den Individuen erfordert. Die Individuen müssen nur wissen, welches für sie die jeweils schlechteste der zur Entscheidung stehenden Alternativen ist. Es ergibt sich dann automatisch eine gewisse Konzentration auf kollektiv "akzeptable" Alternativen, ohne dass Koalitionsabsprachen erforderlich sind. Das Eliminierungsverfahren erscheint deshalb in den Fällen geeignet, wo eine rationale Koalitionsbildung aus irgendwelchen Gründen behindert ist.

Allerdings kann es auch beim Eliminierungsverfahren zu strategischem Abstimmungsverhalten kommen. So können hier einzelne Individuen auch ohne jede Koalitionsbildung mit Hilfe eines "ausgeklügelten" Abstimmungsverhaltens das Ergebnis zu ihren Gunsten {547}beeinflussen. [[17] Siehe FARQUHARSON 1969, Appendix I, wo die Ergebnisse für "aufrichtiges" und für "ausgeklügeltes" Abstimmungsverhalten gegeben werden.]

Außerdem ist natürlich auch im Rahmen des Eliminierungsverfahrens Koalitionsbildung möglich, wodurch die Ergebnisse völlig verändert werden können. Im Beispiel aus Abb. 19.5 könnten z. B. A, B und C durch eine gemeinsame Abstimmungsstrategie die für sie vorteilhafteste Mehrheitsalternative x durchsetzen, indem sie im 1. Wahlgang geschlossen gegen w stimmen, im 2. Wahlgang geschlossen gegen z und im 3. Wahlgang gegen y.

Auch für das Eliminierungsverfahren gilt also, dass bei rationaler Koalitionsbildung aller Individuen eine vorhandene Mehrheitsalternative m sich durchsetzt, sofern keine Indifferenzen vorkommen. Wenn sich statt m irgendeine andere Alternative x durchsetzt, so müssen einige Individuen von ihrer Interessenlage her gesehen strategische Fehler gemacht haben. Diejenige Mehrheit der Individuen, die m gegenüber x vorzieht, hätte zur Durchsetzung von m nur vereinbaren müssen, dass sie bei jedem der Wahlgänge jeweils geschlossen eine der übrigen Alternativen nicht wählt, sodass diese Alternative eliminiert wird. Damit würde die Mehrheitsalternative m schließlich übrig bleiben.

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§ 117 Die Rangplatz-Methode der Abstimmung

Während die bisherigen Abstimmungsverfahren nur eine ordinale Erfassung der individuellen Nutzen beinhalten, {548} versuchen manche Verfahren auch, die individuellen Nutzendifferenzen zwischen den Alternativen zu berücksichtigen.

Eines dieser Verfahren ist die Rangplatz-Methode, bei der die Rangplätze der Alternativen  kardinal interpretiert werden, indem der Abstand von einem Rangplatz zum nächsten bei jedem Individuum immer als eine Nutzeneinheit gewertet wird. [[18] MUSGRAVE nennt dies Verfahren 'plurality rule'. S. MUSGRAVE 1959, S.129.]

Entsprechend der Zahl der Rangplätze, die eine Alternative höher eingestuft ist als eine andere, bekommt sie damit auch einen höheren Nutzenwert. Man kann z. B. der schlechtesten Alternative jedes Individuums den Punktwert "0" zuordnen, der zweitschlechtesten den Punktwert "1", der drittschlechtesten den Punktwert "2" usw. bis hinauf zu den Spitzenalternativen. Dann werden die Punktwerte der verschiedenen Alternativen addiert und diejenige Alternative, die den höchsten Gesamtwert erreicht, gilt als kollektiv gewählt.

Ein derartiges Verfahren wurde bereits 1781 von BORDA vorgeschlagen, weshalb es auch als BORDA-Kriterium bezeichnet wird. [[19] Siehe BLACK 1971, S.156f. u. 59ff.] ARROW bezeichnet diese Methode als "Rangordnungs-Methode der Abstimmung" (rank-order method of voting). [[20] S. ARROW 1963, S.27.]

Diese Methode wurde von DODGSON als das beste aller möglichen Wahlverfahren angesehen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass er Abstimmungsstrategien als unzulässig ansah und nicht erkannte, dass gerade die Anwendung kollektiver Abstimmungsstrategien zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt. [[21] S. DODGSON 1873, S.221.] {549}

Bei der Rangplatz-Methode siegt bei aufrichtigen Präferenzäußerungen diejenige Alternative, die bei allen Individuen den höchsten durchschnittlichen Rangplatz einnimmt. Dies kann an den folgenden Präferenzordnungen von 5 Individuen A bis E und 5 Alternativen v bis z veranschaulicht werden. Dabei sind die Punktwerte in Klammern hinter die Alternativen gesetzt:

Präferenzordnungen (mit Punktwerten)

A B C D E
z(4) y(4) z(4) y(4) w(4)
y(3) v(3) y(3) x(3) z(3)
x(2) w(2) w(2) v(2) y(2)
w(1) x(1) v(1) z(1) x(1)

Abb.: 19.6


Die Punktsummen für die einzelnen Alternativen sind: v = 6; w = 9; x = 7; y = 16 und z = 12. In diesem Beispiel erreicht die Alternative y mit 16 Punkten den höchsten Gesamtwert. Ihr durchschnittlicher Punktwert pro Individuum ist 16:5 = 3,2. Dies entspricht einem durchschnittlichen Rangplatz von 5 - 3,2 = 1,8.

Die Rangplatz-Methode kann man auch dahingehend interpretieren, dass sie die Alternativen nach der Gesamtzahl der positiven Stimmen ordnet, die jede Alternative bei allen Paarvergleichen zusammen erhalten würde, wenn alle Individuen aufrichtig abstimmen. [[22] Siehe dazu ausführlich BLACK 1971, S.59ff.] {550}

Dies kann anhand der Wahlmatrix zu den Präferenzordnungen aus Abb. 19.6 verdeutlicht werden:

 

Wahlmatrix zu Abb. 19.6  mit Gesamt-Stimmenzahl

  v w x y z gesamt
v - 2:3 2:3 0:5 2:3 6:14
w 3:2 - 3:2 1:4 2:3 9:11
x 3:2 2:3 - 0:5 2:3 7:13
y 5:0 4:1 5:0 - 2:3 16:4
z 3:2 3:2 3:2 3:2 - 12:8

    Abb.: 19.7

Wie man sieht, werden die Alternativen durch die Gesamtzahl der Stimmen für die Alternativen genauso geordnet wie durch die Rangplatz-Methode der Abstimmung, denn die Gesamtstimmenzahl entspricht genau dem Gesamtpunktewert.

Die Annahmen, die bei einer derartigen kardinalen Interpretation von Präferenzrangordnungen gemacht werden müssen, sind bereits von BORDA genannt worden. Zum einen muss vorausgesetzt werden, dass die Nutzendifferenz von einem Rangplatz zum nächsten bei ein und demselben Individuum immer gleich ist. Zum andern muss die Nutzendifferenz zwischen der besten und der schlechtesten Alternative für alle Individuen gleich groß sein.

BORDA interpretiert die Rangordnung, die ein Individuum drei Kandidaten A, B und C entsprechend der alphabetischen Reihenfolge gegeben hat, folgendermaßen: "Ich sage, dass der Grad der Überlegenheit, den dieser Wähler A über B gegeben hat, als der gleiche Grad von Überlegenheit angesehen werden sollte wie der, den er B gegenüber C zugeordnet hat. ... Ich behaupte weiter, dass - wegen der angenommenen {551} Gleichheit zwischen allen Wählern - jeder Rangplatz, der durch einen Wähler vergeben wird, als gleichwertig angesehen werden muss ." [[23] S. BORDA nach BLACK 1971, S.157.]

Beide Annahmen sind jedoch problematisch. Wenn z. B. die Nutzendifferenzen zwischen allen aufeinanderfolgenden Alternativen gleich sein sollen, so könnte allein durch Ausscheiden oder Hinzukommen von Alternativen die Nutzendifferenz zwischen zwei Alternativen verändert werden, obwohl beide Alternativen völlig unverändert geblieben sind. ARROW verdeutlicht diese Problematik der Rangplatz-Methode an folgendem Beispiel mit 3 Wählern und 4 Kandidaten:

Präferenzordnungen (mit Punktwerten)

A B C
x(3) x(3) z(3)
y(2) y(2) w(2)
z(1) z(1) x(1)
w(0) w(0) y(0)

Abb.: 19.8

Die Punktergebnisse der Alternativen sind: w = 2; x = 7; y = 4 und z = 5. "Bei dem angegebenen Wahlsystem wird x gewählt. Wenn y als Kandidat ausscheidet, so sollte sicherlich das Verfahren - angewandt auf die verbleibenden Kandidaten - dasselbe Resultat ergeben, vor allem da in diesem Fall y gemäß der Einstellung jedes Individuums schlechter ist als x; aber wenn y ausscheidet, würde das angegebene Wahlsystem Punktgleichheit zwischen x und z ergeben." [[24] ARROW 1963, S.27. Für ARROW ist die Rangplatz-Methode ein Beispiel für eine kollektive Entscheidungs-Regel, die die Bedingung der "Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen" verletzt. S. dazu oben § 37/3. Die Problematik dieses Verfahrens liegt jedoch in der schematisierten Nutzen"messung".] Dies zeigt die folgende Tabelle: {552}

Präferenzordnungen (mit Punktwerten)

A

B

C

x(2)

x(2)

z(2)

z(1)

z(1)

w(1)

w(0)

w(0)

x(0)

Abb.: 19.9


Die Punktergebnisse der Alternativen sind nach Ausscheiden der Alternative y jetzt: w = 1; x = 4 und z = 4.

Diese Problematik der Rangplatz-Methode sieht auch BLACK, wenn er schreibt: "Ein Wähler misst die relativen Verdienste (merits) der Kandidaten nicht in Form von Punkten. ... Und wenn dies so ist, dann ist auf diesem Wege keine Rechtfertigung des BORDA-Kriteriums möglich." [[25] BLACK 1971, S.65.]

Auch die in der Rangplatz-Methode implizierte interpersonale Angleichung der Nutzenspannweite zwischen der individuell besten und der schlechtesten Alternative erscheint unbegründet, denn es kann ja ohne weiteres sein, dass für ein Individuum alle Alternativen nahezu gleichwertig sind, während für ein anderes Individuum gravierende Unterschiede bestehen. [[26] Zur Normalisierung subjektiver Nutzen s.o. § 41.]

Ein entscheidendes Problem für die praktische Anwendbarkeit der Rangplatz-Methode ist jedoch seine Anfälligkeit für strategisches Vorgehen der Individuen. Wenn z. B. ein Individuum eine Spitzenalternative hat, die jedoch keine Erfolgsaussichten besitzt, so ist es für das Individuum vorteilhafter, die hohe Punktzahl des ersten Rangplatzes lieber einer aussichtsreicheren Alternative zukommen zu lassen.{553}

Dies kann am Beispiel aus Abb. 19.6 veranschaulicht werden.

Wenn den drei Individuen A, C und E klar wird, dass bei "aufrichtiger" Aufstellung ihrer individuellen Präferenzordnungen die Alternative y siegen würde, so könnten sie der Alternative z zum Sieg verhelfen, die von ihnen gegenüber y vorgezogen wird. Sie müssen dazu nur geschlossen die Alternative z auf den ersten Rangplatz setzen. Dadurch würde die Alternative z allein von dieser Dreier-Koalition 12 Punkte erhalten. Wenn sie nun gleichzeitig die Alternative y auf den letzten Platz setzen, so kann diese höchstens noch zusammen 8 Punkte von den beiden andern Individuen erhalten, sodass z erfolgreich ist.

Wie man aus der Wahlmatrix in Abb. 19.7 ersieht, ist z in diesem Beispiel die Mehrheitsalternative, denn sie ist im Paarvergleich jeder anderen Alternative überlegen. Obwohl also nach der Rangplatz-Methode eigentlich die Alternative y siegen müsste, da diese den höchsten durchschnittlichen Rangplatz in den individuellen Präferenzordnungen einnimmt, kommt es auch in diesem Fall zu einer Durchsetzung der Mehrheitsalternative aufgrund rationaler Koalitionsbildung.

Dass dies generell so sein muss, kann durch folgende Überlegung bewiesen werden. Wenn nämlich anstelle der Mehrheitsalternative m irgendeine andere Alternative x siegt, so haben einige Individuen nicht die für sie vorteilhafteste Abstimmungsvereinbarung abgeschlossen. Da die Befürworter von m gegenüber x in der Überzahl sein müssen, können sie immer die von ihnen vorgezogene Mehrheitsalternative m durchsetzen, indem sie geschlossen m an die erste und x an die letzte Stelle setzen. Sofern mit solchen Abstimmungsstrategien zu rechnen ist - und man kann {554} sie praktisch nicht verhindern - , ergibt die Rangplatz-Methode im Endeffekt also keine bessere Berücksichtigung der Präferenzintensitäten als das viel einfachere relative Mehrheitssystem. [[27] Eine zusätzliche Komplikation der Rangplatz-Methode ergibt sich noch aus der Möglichkeit zum Zurückziehen von Alternativen aus strategischen Erwägungen.]

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§ 118  Die Punkte-Methode der Abstimmung

Ein anderes Verfahren, bei dem die Individuen im Prinzip ihre Präferenzintensitäten bzw. ihre Nutzendifferenzen ausdrücken können, ist die Punkte-Methode. "Bei dieser Methode wird eine bestimmte Anzahl von Punkten festgelegt, die jeder Wähler zu seiner Verfügung haben soll; er kann sie alle einem Kandidaten zuordnen oder sie zwischen mehreren Kandidaten aufteilen im Verhältnis zu ihrer Vorzugswürdigkeit (eligibility); und der Kandidat ist der Gewinner, der die größte Gesamtzahl an Punkten erhält. [[28] DODGSON 1973, S.218. Er nennt die Punkte-Methode "method of marks". MUSGRAVE nennt sie "point voting". S. MUSGRAVE 1959, S.130.]

Bei diesem Verfahren wird durch die Normalisierung der für jedes Individuum verfügbaren Punktemenge vorausgesetzt, dass die Nutzensumme aller Alternativen für jedes Individuum gleich ist. Im Unterschied zur Rangplatz-Methode sind jedoch bei der Punkte-Methode die Nutzendifferenzen zwischen den Alternativen nicht festgelegt, sodass hier in Bezug auf die Beschaffenheit der individuellen Nutzenfunktionen weniger extreme Annahmen gemacht werden. {555}

Die Punkte-Methode kann an einem Beispiel verdeutlicht werden, bei dem die 3 Individuen A, B und C die 3 Alternativen x, y und z durch die Aufteilung von 10 Punkten bewerten sollen:


Präferenzordnungen (mit Punktwerten)

A B C
x(9) y(5) z(7)
y(1) z(3) y(2)
z(0) x(2) x(1)

Abb.: 19.10


Das Ergebnis der Punkte-Methode wäre hier x = 12, y = 8 und z = 10 Punkte, sodass die Alternative x als kollektiv gewählt gilt.

Im Prinzip hätte ein solches Verfahren gegenüber bloßen Präferenzrangordnungen der Alternativen erhebliche Vorteile, da hier auch Nutzendifferenzen beliebig genau ausgedrückt werden können. So schreibt auch DODGSON: "Diese Methode würde .. absolut perfekt sein, wenn nur jeder Wähler alles in seiner Macht stehende tun wollte, um die Wahl desjenigen Kandidaten sicherzustellen, der allgemein der akzeptabelste sein sollte; in diesem Fall würde er bemüht sein, dass seine Punkte genau seine Einschätzung der relativen Vorzugswürdigkeit aller Kandidaten wiedergeben, sogar bei denen, die er am wenigsten gewählt sehen möchte." [[29] DODGSON 1873, S.218. DODGSON diskutiert die Wahlverfahren anhand der Stellenbesetzungen in Universitätsgremien, wo es auf die Qualifikation der Kandidaten ankommt.]

Allerdings lädt die Punkte-Methode zur Anwendung vorteilhafter Abstimmungsstrategien geradezu ein. Selbst wo Abstimmungsvereinbarungen ausgeschlossen werden, {556} können die Individuen "ausgeklügelte" individuelle Strategien verwenden. Dies hat auch schon DODGSON erkannt: "Aber wir sind nicht genügend selbstlos und mit Gemeinsinn ausgestattet, um irgendeine Hoffnung auf das Erreichen eines derartigen Ergebnisses zu setzen. Jeder Wähler würde merken, dass es für jeden andern Wähler möglich ist, die gesamte Punktemenge seinem favorisierten Kandidaten zu geben und allen übrigen Kandidaten null Punkte zu geben; und er würde den Schluss ziehen, dass er für den von ihm selber favorisierten Kandidaten dasselbe tun muss." [[3O] DODGSON 1873, S.218.] DODGSON zieht daraus den Schluss, dass die Punkte-Methode in dem zu erwartenden Fall, dass alle Wähler ihrem Favoriten die gesamte Punktmenge geben, auf das gleiche hinausläuft wie die relative Mehrheitsregel, nur dass die Wähler den Kandidaten jetzt statt einer Stimme z. B. 10 Punkte geben. [[31] Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch MACKSCHEIDT 1973 in Bezug auf die Punkte-Methode.]

Sofern jedoch alle Individuen die für sie vorteilhaftesten Abstimmungsvereinbarungen eingehen, so setzt sich auch bei der Punkte-Methode eine vorhandene Mehrheitsalternative durch. Dies kann am Beispiel aus Abb. 19.10 veranschaulicht werden, wo die Alternative y die Mehrheitsalternative ist. Bei aufrichtiger Wiedergabe der individuellen Nutzendifferenzen wäre hier die Alternative x gewählt worden. Die Individuen B und C könnten jedoch die Wahl der für sie besseren Alternative y durchsetzen, indem sie ihre gesamten 10 Punkte geschlossen y zuteilen. {557}

Wenn alle Individuen die für sie vorteilhaftesten Abstimmungsvereinbarungen eingehen, so muss sich auch bei der Punkte-Methode eine Gewinnkoalition auf der Basis einer vorhandenen Mehrheitsalternative bilden, sodass man auch in diesem Fall besser gleich das einfachere und "ehrlichere" Verfahren nach der einfachen Mehrheitsregel anwendet.

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§ 119  Das Verfahren der 'paarweisen Abstimmung'

Als letztes Abstimmungsverfahren soll das Verfahren der 'paarweisen Abstimmung' analysiert werden, das bereits vorne als CONDORCET-Kriterium beschrieben wurde. Wenn die Individuen hierbei immer "aufrichtig" abstimmen, so bekommt eine vorhandene Mehrheitsalternative in allen Abstimmungen die Mehrheit und ist damit kollektiv gewählt.

Wenn einige Individuen jedoch "ausgeklügelte" individuelle Abstimmungsstrategien oder gar kollektive Abstimmungsvereinbarungen anwenden, so können sie einer vorhandenen Mehrheitsalternative u. U. eine Niederlage in einer der paarweisen Abstimmungen beibringen und damit verhindern, dass diese als kollektiv gewählt gilt.

Dies kann am Beispiel der folgenden Präferenzordnungen für 3 Individuen A, B und C und 3 Alternativen x, y und z veranschaulicht werden:

Präferenzordnungen

A B C
x y z
y z y
z x x

Abb.: 19.11

In diesem Beispiel ist y die Mehrheitsalternative, denn sie wird sowohl gegenüber x als auch gegenüber z von 2 der 3 Individuen vorgezogen, wie die folgende {558} Wahlmatrix zeigt:


Wahlmatrix zu Abb.19.11

 

x

y

z

x

-

1:2

1:2

y

2:1

-

2:1

z

2:1

1:2

-

Abb.: 19.12

Individuum C könnte jedoch in diesem Fall bei Anwendung des Verfahrens der paarweisen Abstimmung die Wahl von y dadurch verhindern, dass es bei der Abstimmung zwischen y und x nicht für y stimmt, was seiner eigentlichen Präferenz entsprechen würde, sondern für x. Dadurch würde y gegenüber x unterliegen und wäre damit gescheitert.

Diese Problematik beim Verfahren der paarweisen Abstimmung war bereits von DODGSON betont worden. [[32] Siehe DODGSON 1876, S.232ff.] Wenn ein Teil der Individuen strategisch abstimmt, so können sie verhindern, dass eine vorhandene Mehrheitsalternative in sämtlichen paarweisen Abstimmungen erfolgreich bleibt, es sei denn, die Mehrheitsalternative ist zugleich die Spitzenalternative für eine absolute Mehrheit der Individuen.

DODGSON gibt auch das Rezept für eine derart "destruktive" Abstimmungsstrategie an: "Bei jeder Entscheidung zwischen zwei Ergebnissen (issues), wo du keines von beiden willst, stimme gegen das beliebteste. Es mag dann irgendein Ergebnis geben, das bei paarweiser Abstimmung jedes andere geschlagen hätte, sofern alle gemäß ihrer wirklichen Meinung gestimmt hätten: aber durch die Befolgung dieser Regel kann es dir gelingen, {559] es ein einziges Mal zu schlagen durch Herbeiführen einer zyklischen Mehrheit. Und das mag dem Ergebnis, das du wünschst, eine Chance geben, die es sonst nicht gehabt hätte." [[33] DODGSON 1876, S.233.]

Allerdings kann durch eine derartige Abstimmungsstrategie immer nur eine eigentlich vorhandene Mehrheitsalternative zu Fall gebracht werden, es kann jedoch nicht positiv eine andere Alternative durchgesetzt werden.

Wie DODGSON feststellt, ist es praktisch unmöglich zu verhindern, dass derart "unaufrichtig" abgestimmt wird. Er schlägt zur Eindämmung solchen Verhaltens vor, dass einleitend eine Abstimmung nach der absoluten Mehrheitsregel durchgeführt wird, die allerdings geheim vollzogen werden soll, um strategischem Abstimmungsverhalten die Informationsgrundlage zu entziehen. Durch diese Abstimmung kann dann festgestellt werden, welches Individuum bei den folgenden paarweisen Abstimmungen geänderte Präferenzen zeigt. Bekommt jedoch eine  Alternative auf Anhieb die absolute Mehrheit, so sind die folgenden paarweisen Abstimmungen überflüssig. [[34] Siehe DODGSON 1876, S.233.]

Wenn jedoch nicht nur einige sondern alle Individuen die für sie vorteilhaftesten Abstimmungsvereinbarungen eingehen, so setzt sich auch beim Verfahren der paarweisen Abstimmung eine vorhandene Mehrheitsalternative m durch.

Dies kann wiederum in negativer Beweisführung gezeigt werden. Wenn statt m nämlich irgendeine andere Alternative x sich durchsetzt, so müssen einige Individuen strategische Fehler gemacht haben. {560} In diesem Fall hätten diejenigen Individuen, für die m besser ist als x, nur vereinbaren müssen, bei allen paarweisen Abstimmungen für m zu stimmen, um mit ihrer Mehrheit die für sie bessere Alternative m anstelle von x durchzusetzen. Bei rationaler Koalitionsbildung aller Individuen setzt sich also auch beim Verfahren der paarweisen Abstimmung eine vorhandene Mehrheitsalternative durch.

Allerdings ist das Verfahren aufgrund der Vielzahl der Paarvergleiche recht umständlich, und wenn sich bei strategischem Abstimmungsverhalten der Individuen mit der Mehrheitsalternative kein anderes Ergebnis einstellt als bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel, so wird man gleich dies verhältnismäßig einfach durchzuführende Verfahren wählen.

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§ 120 Ein Äquivalenz-Theorem für alle gleichgewichtigen Abstimmungsverfahren

In den vorangegangenen Paragraphen wurde für verschiedenste Abstimmungsverfahren festgestellt, dass sie bei rationaler Koalitionsbildung der Individuen zur Auswahl einer vorhandenen Mehrheitsalternative führen, also in Bezug auf das Ergebnis äquivalent sind. Im Folgenden sollen diese Ergebnisse zu einem Theorem verallgemeinert werden. Dieses Äquivalenz-Theorem kann man folgendermaßen formulieren: "Alle Wahlverfahren, bei denen die Individuen einen gleichgewichtigen Einfluss auf die kollektive Entscheidung haben, führen zur Auswahl einer vorhandenen Mehrheitsalternative, wenn alle Individuen die für sie vorteilhaftesten Abstimmungsvereinbarungen eingehen." {561}

Bevor dies Theorem bewiesen wird, ist vorweg noch zu klären, was unter einem "gleichgewichtigen Einfluss" der Individuen zu verstehen ist.

Ein individuell gleichgewichtiges Wahlverfahren soll durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet sein:

1. Sofern das Verfahren mehrere Abstimmungen erfordert, sind alle Individuen an allen Abstimmungen beteiligt.

2. Bei jeder einzelnen Abstimmung hat jedes Individuum die gleiche Stimmen- bzw. Punktezahl zu vergeben.

Diese Bedingungen, die jedem Individuum einen gleich großen Einfluss auf die kollektive Entscheidung sichern, werden von allen besprochenen Wahlverfahren erfüllt. Sie werden jedoch z. B. nicht von Veto-Regeln erfüllt, die ja eine Status-quo-Klausel enthalten. Denn für die Durchsetzung des Status quo sind dann ja weniger Stimmen erforderlich als für die Durchsetzung der übrigen Alternativen. So ist z. B. bei der Regel der Zwei-Drittel-Mehrheit mit Status-quo-Klausel - die übrigens besser Ein-Drittel-Veto-Regel hieße - für die Durchsetzung des Status quo nur ein Drittel aller Stimmen erforderlich, während für die Durchsetzung aller übrigen Alternativen mehr als zwei Drittel der Stimmen erforderlich sind. Wenn ein Drittel der Individuen durch ihr Veto den Status quo durchsetzt, so haben diese einen gewichtigeren Einfluss auf die kollektive Entscheidung als die übrigen zwei Drittel. Damit hat aber ein Individuum, das Mitglied der Sperrminorität ist, ein größeres Gewicht als eines der übrigen Individuen, sodass das Verfahren nicht als individuell gleichgewichtig angesehen werden kann.

{562} Der Beweis des Äquivalenztheorems für gleichgewichtige Wahlverfahren kann wiederum am einfachsten negativ geführt werden, indem nachgewiesen wird, dass, wenn anstatt einer vorhandenen Mehrheitsalternative m irgendeine andere Alternative x erfolgreich ist, zumindest einige Individuen nicht die für sie vorteilhafteste Abstimmungsvereinbarung eingegangen sind.

Die Anzahl der Individuen, die m gegenüber x vorziehen, ist ja größer als die Anzahl der Individuen, die umgekehrt x gegenüber m vorziehen, denn m hat als Mehrheitsalternative gegenüber jeder andern Alternative die Mehrheit.

Wenn aber jedes Individuum auf die kollektive Entscheidung einen gleichgewichtigen Einfluss hat, so haben die Befürworter von m gegenüber x geschlossen immer einen größeren Einfluss auf die kollektive Entscheidung als die Befürworter von x, denn sie sind zahlenmäßig überlegen. Sie können also eine gemeinsame Strategie vereinbaren, um an Stelle von x die von ihnen vorgezogene Mehrheitsalternative m durchzusetzen. [[35] Dies Äquivalenz-Theorem macht den engen Zusammenhang zwischen dem Mehrheitsprinzip und der Bedingung des gleichen Einflusses für jedes Individuum deutlich. S. dazu unten § 131. Übrigens wäre es sinnvoll, den Beweis auch noch in formalisierter Form zu geben.]

Mit diesem Nachweis, dass die verschiedensten Wahlverfahren zum gleichen Ergebnis in Form einer vorhandenen Mehrheitsalternative gelangen, sofern den Individuen dabei nur gleiches Gewicht zukommt und eine rationale Koalitionsbildung stattfindet, vereinfacht sich die Suche nach geeigneten Wahlverfahren erheblich. Angesichts dieser Sachlage ist es auch verständlich, warum in der Praxis fast nur das relative und das absolute Mehrheitssystem Anwendung finden. {563} Diese Verfahren erfordern nur eine einzige Abstimmung und sind auf die Abgabe einer Stimme beschränkt, sodass sie durch Handaufheben vollzogen werden können.

Weiterhin unterstreicht das Äquivalenz-Theorem noch einmal die besondere Bedeutung der Mehrheitsalternative, wie sie in § 110 definiert wurde. Diese Mehrheitsalternative ist gewissermaßen das unsichtbare Gravitationszentrum für die kollektiven Entscheidungen aller individuell gleichgewichtigen Abstimmungsverfahren. Es handelt sich dabei also nicht um irgendein willkürlich gewähltes Entscheidungskriterium bzw. um irgendeine Spielart des Mehrheitsprinzips unter andern.

Zum andern ist es wichtig festzuhalten, dass die Durchsetzung der Mehrheitsalternative in den verschiedenen Abstimmungsverfahren (abgesehen von der paarweisen Abstimmung) gerade dadurch zustande kommt, dass die Individuen nicht "aufrichtig" für ihre jeweilige Spitzenalternative stimmen, sondern so abstimmen, dass das Ergebnis für sie den größten Nutzen erbringt. Derartig "unaufrichtiges" Abstimmungsverhalten stellt also hier kein auszumerzendes Problem dar, sondern im Gegenteil: die Anwendung eigeninteressierter Abstimmungsstrategien und die Bildung entsprechender Koalitionen sollte gerade gefördert werden, wenn man der Mehrheitsalternative zur Durchsetzung verhelfen will. [[36] Zur normativen Beurteilung der Mehrheitsalternative s. u. § 139.] {564}

Man kann hier also im Gegensatz zur Meinung von BLACK und anderen auf eine Abstimmungsmoral zugunsten "aufrichtiger" Präferenzäußerungen verzichten, da gerade das eigeninteressierte Abstimmungsverhalten der Individuen quasi automatisch zur Durchsetzung der Mehrheitsalternative führt, sofern eine solche vorhanden ist und die Bedingungen rationaler Koalitionsbildung gegeben sind. Hier wirkt also eine "unsichtbare Hand" ähnlich wie im Eigentum-Vertrags-System unter Konkurrenzbedingungen, wo allein durch das eigeninteressierte Verhalten der Individuen ein pareto-optimaler Zustand hergestellt wird und deshalb auf eine moralische Normierung des individuellen Verhaltens verzichtet werden kann. [[37] Zur Pareto-Optimalität des Konkurrenzgleichgewichts und seiner normativen Kritik s. o. die §§ 103 u. 104.]

Insofern ist es eigentlich unangebracht, von einem "unaufrichtigen" Abstimmungsverhalten zu sprechen, wenn ein Individuum nicht für seine aussichtslose Spitzenalternative stimmt. Stattdessen sollte man hier von einem "eigeninteressierten" oder "rationalen" und "strategischen" Verhalten sprechen, denn ein solches Verhalten ist ja im Interesse einer Durchsetzung der Mehrheitsalternative nur erwünscht. Es müssen dazu bei Mehrheitsabstimmungen möglichst alle Hindernisse der Information und Kommunikation zwischen den Beteiligten beseitigt werden, die einer solchen rationalen Koalitionsbildung im Wege stehen könnten. Nur wenn diese Hindernisse nicht beseitigt werden können, ist zur Bestimmung der Mehrheitsalternative eine direkte Erfassung der tatsächlichen individuellen Präferenzen notwendig. {565}

[[ Der folgende Teil dieses Paragraphen wurde 1979 hinzugefügt.  Siehe zum Folgenden auch § 135.

Abschließend muss  noch eine Komplikation im Zusammenhang mit dem Äquivalenztheorem erörtert werden, die durch die Möglichkeit eines unentschiedenen Ausgangs des Abstimmungsverfahrens bei Stimmengleichheit entsteht.

Der Beweis des Aquivalenztheorems wurde negativ geführt: Es wurde gezeigt, dass sich bei rationaler Koalitionsbildung und individuell gleichgewichtigem Abstimmungsverfahren keine andere Alternative anstelle einer vorhandenen Mehrheitsalternative durchsetzen kann. Der Schluss, dass sich dann die Mehrheitsalternative durchsetzen muss, ist jedoch nur dann zwingend, wenn sich überhaupt eine der Alternativen durchsetzen muss. Solange jedoch die Möglichkeit eines "Patts" mit unentschiedenem Ausgang existiert, ist die Durchsetzung einer vorhandenen Mehrheitsalternative nicht gewährleistet.

Dies kann anhand des folgenden Beispiels demonstriert werden, bei dem 4 Individuen nach der relativen Mehrheitsregel abstimmen:

Präferenzordnungen

A B C D
y z x y
z y y x
x x z z

Abb.:19.13

Bei dieser Interessenkonstellation ist y die Mehrheitsalternative, da y im Paarvergleich sowohl x als auch z mit 3:1 überlegen ist.

In diesem Fall kann jedoch Individuum B die Durchsetzung der Mehrheitsalternative y verhindern und ein Patt herbeiführen, indem es für x stimmt, obwohl x seine schlechteste Alternative ist. Dann erhalten x und y bei einer Abstimmung nach der relativen Mehrheitsregel je 2 Stimmen, so dass der Ausgang der Abstimmung wegen Stimmengleichheit unentschieden ist. Ähnliche Möglichkeiten zur Verhinderung einer Mehrheitsalternative durch bewusstes Herbeiführen eines Patt existieren auch in andern Abstimmungsverfahren.

Damit stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten zur Verhinderung solcher "obstruktiven" Abstimmungsstrategien gibt.

Die Problematik entsteht vor allem deshalb, weil es die Möglichkeit eines unentschiedenen Ausgangs gibt. Wenn man das Resultat der Abstimmung nicht kennt, kann man es auch nicht bewerten und damit verschwindet die Möglichkeit einer rationalen Entscheidung. Unter den Bedingungen eines unentschiedenen Ausgangs kann man auch nichts darüber aussagen, ob die bewusste Herbeiführung eines Patt im obigen Beispiel für B nun vorteilhaft war oder nicht.

Eine gebräuchliche Methode, um in jedem Fall ein Resultat sicherzustellen, ist die Einfügung eines Status-quo-Klausel, die besagt, dass im Falle eines Patts der Status quo als kollektiv gewählt gilt. Ein rationales Individuum wird unter dieser Bedingung nur dann bewusst ein Patt herbeiführen, wenn der Status quo für es besser ist als diejenige Alternative, die sonst gewinnen würde.

Zu fragen ist, ob durch die Einfügung einer solchen Status-quo-Klausel die Durchsetzung einer vorhandenen Mehrheitsalternative in jedem Fall sichergestellt werden kann.

Um bei Existenz einer Status-quo-Klausel das rationale Verhalten der Individuen bestimmen zu können, ist es erforderlich, jeweils den Status quo als Alternative in die Präferenzordnungen mit einzubeziehen. Die folgende fiktive Tabelle ergänzt die obige Tabelle Abb.: 19.13 um die individuellen Präferenzen in Bezug auf den Status quo (sq):

 Präferenzordnungen

A B C D
y z x y
z (sq) y (sq)
x y (sq) x
(sq) x z z

Abb.: 19.14

In diesem Beispiel ist es für B vorteilhaft, durch Stimmabgabe für x bewusst ein Patt zwischen x und y herbeizuführen, denn der dann sich ergebende Status quo wird von B gegenüber der Mehrheitsalternative y vorgezogen.

Trotzdem führt das obstruktive Abstimmungsverhalten von B bei Rationalverhalten auch der anderen Individuen hier nicht zum Patt. Die Alternative y wird von einer Mehrheit der Individuen (A, C, D)
auch gegenüber dem Status quo vorgezogen, und diese Mehrheit hat es in der Hand, durch geschlossene Stimmabgabe ein Patt zu verhindern und die Mehrheitsalternative y durchzusetzen. Für C ist es in dieser Konstellation rational, für y zu stimmen und nicht für die eigentlich von ihm bevorzugte Alternative x.

Sofern eine Mehrheitsalternative existiert, die auch gegenüber dem Status quo von einer Mehrheit der Individuen vorgezogen wird, führt die Einfügung der Status-quo-Klausel also zur Durchsetzung dieser Mehrheitsalternative - immer vorausgesetzt, dass alle so abstimmen, dass das für sie vorteilhafteste Ergebnis herauskommt. Unter diesen Bedingungen ergibt sich aus der Klausel also keine Bevorzugung des Status quo gegenüber den andern Alternativen, und die bewusste Herbeiführung eines Patts kann nicht gelingen. Die Status-quo-Klausel verhindert also in diesem Fall eine erfolgreiche Obstruktion der Mehrheitsalternative.

Wenn es sich allerdings um eine Mehrheitsalternative handelt, die gegenüber dem Status quo keine Mehrheit hat, kann ein obstruktives Abstimmungsverhalten rational sein, wie das folgende Beispiel zeigt:

Präferenzordnungen

A B C D
y z x y
z (sq) (sq) (sq)
x y y x
(sq) x z z

Abb.: 19.15

Hier hat y zwar gegenüber x und z eine Mehrheit, aber nicht gegenüber - dem nicht zur Wahl gestellten - sq.

Wenn B jetzt zusammen mit C für x stimmt, so ergibt sich ein Patt wegen Stimmengleichheit zwischen x und y. Damit wird der Status quo beibehalten, der für beide Individuen besser ist als y. Insofern setzt sich eine scheinbar vorhandene Mehrheitsalternative hier nicht durch. Der Grund liegt allerdings darin, dass es sich nicht um eine Mehrheitsalternative gegenüber dem Status quo handelt.

In diesem Fall führt die Status-quo-Klausel zu einer Bevorzugung des Status quo gegenüber der Alternative y, denn ein Paarvergleich zwischen beiden würde Stimmengleichheit ergeben.]
Ende des Einschubs]

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20. Kapitel

Abstimmungsstrategien isolierter Individuen



§ 121 Die spieltheoretische Analyse individueller Abstimmungsstrategien durch FARQUHARSON

Auch wenn zwischen den Individuen keine Abstimmungsvereinbarungen möglich sind, werden auf die Durchsetzung ihrer Interessen bedachte Individuen bei Abstimmungen nicht unbedingt entsprechend ihren tatsächlichen Präferenzen stimmen. Vor allem FARQUHARSON hat die Abstimmungsstrategien analysiert, die isolierte Individuen bei Fehlen von Koalitionsmöglichkeiten einschlagen können, um für sich ein vorteilhafteres Ergebnis zu erzielen. [[1] Siehe FARQUHARSON 1969. Allerdings hat er vor allem mehrstufige Abstimmungsverfahren analysiert, die hier nicht im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.]

Die Auswirkungen von strategischen Überlegungen isolierter Individuen soll im Folgenden anhand der absoluten Mehrheitsregel mit Status-quo-Klausel demonstriert werden.

Dabei sollen 3 Individuen A, B und C über die 3 Alternativen x, y und z unter Berücksichtigung des Status quo (symbolisiert durch 'sq') abstimmen, ohne dass Koalitionen möglich sind. Wenn man wiederum Stimmenthaltungen ausschließt, so stehen den Individuen drei Entscheidungsmöglichkeiten offen: sie können für x, y oder z stimmen. Diese drei Abstimmungsstrategien sollen mit Sx, Sy und Sz symbolisiert werden.

Da es sich hier um ein einstufiges {566} Wahlverfahren handelt, bei dem die Entscheidung in einem Wahlgang fällt, besteht jede Strategie hier nur aus einer Abstimmungsentscheidung. Bei mehrstufigen Wahlverfahren besteht eine vollständige Abstimmungsstrategie aus den Entscheidungen zu allen Abstimmungen, die im Laufe des Verfahrens möglich werden. [[2] Siehe dazu FARQUHARSON 1969, S.20f.]

Das Ergebnis der Abstimmung resultiert dann aus dem Zusammentreffen der individuellen Abstimmungsstrategien. Zu jeder möglichen Kombination von individuellen Abstimmungsstrategien kann man mit Hilfe der angewandten Entscheidungs-Regel angeben, wie das dazugehörige Ergebnis lautet.

Nach der absoluten Mehrheitsregel mit Status-quo-Klausel gilt bei 3 Individuen eine Alternative dann als kollektiv gewählt, wenn mindestens 2 Individuen für diese Alternative stimmen. Erhält keine der Alternativen die absolute Mehrheit von 2 Stimmen, so gilt der Status quo als kollektiv gewählt.

Da es sich in unserm Beispiel um 3 Individuen handelt, die jeweils zwischen 3 Strategien wählen können, bestehen insgesamt 33 = 27 Strategiekombinationen. Die jeder möglichen Strategiekombination entsprechenden kollektiven Entscheidungen zugunsten von x, y, z oder sq sind in der folgenden drei-dimensionalen Tabelle wiedergegeben: {567}

 


Die Tabelle aus Abb. 20.1 gibt z. B. an, welche kollektive Entscheidung zustande kommt, wenn A für Sz, B für Sx und C für Sy sich entscheidet. Das Ergebnis hierfür in Zeile 2, Spalte 7 lautet "sq" (in der Tabelle eingekreist).

Wenn man nun annimmt, dass es aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten keine Möglichkeit zu Abstimmungsvereinbarungen gibt, so steht jedes Individuum für sich vor dem Problem, wie es abstimmen soll, um ein Abstimmungsergebnis zu erreichen, das seinen Interessen möglichst gut entspricht. Dies Ziel wird ja keineswegs immer dadurch erreicht, dass das Individuum 'aufrichtig" für seine Spitzenalternative stimmt. [[3] FARQUHARSON nennt ein Abstimmungsverhalten entsprechend den tatsächlichen Präferenzen "sincere". S. dazu FARQUHARSON 1969, S.17f.] {568}

Um das Problem isolierter individueller Abstimmungsstrategien zu analysieren, seien die folgenden individuellen Präferenzordnungen angenommen:

Präferenzordnungen

A B C
x y z
sq sq y
y z x
z x sq

Abb.: 20.2


Wenn bei dieser Interessenkonstellation Individuum C für seine Spitzenalternative z stimmt und die Strategie Sz wählt, so kann das bei bestimmten Strategien der beiden andern Individuen für C nachteilig sein.

Wenn z. B. A die Strategie Sx wählt und B die Strategie Sy - symbolisiert durch (A: Sx / B: Sy) - so wäre die Strategie Sz für C nachteilig, denn wie man in Zeile 3 / Spalte 2 der Abb. 20.1 sehen kann, wäre das Ergebnis dann der Status quo, also das für C schlechteste aller möglichen Ergebnisse. Hätte C dagegen bei dieser Strategiekombination der beiden andern Individuen die Strategie Sy gewählt, so wäre das für C bessere Ergebnis y zustande gekommen.

Wenn in einer solchen Situation ohne Kooperationsmöglichkeit ein Individuum die für sich vorteilhafteste Strategie wählen will, so muss es möglichst wissen, welche Strategie die andern Individuen wählen werden. Dies wäre nur in dem Fall unnötig, wenn für das Individuum eine Strategie existiert, die bei allen möglichen Strategien der andern Individuen mindestens ebenso gute Ergebnisse bringt wie irgendeine andere Strategie. [[4] FARQUHARSON nennt eine solche Strategie "straightforward". S. FARQUAHARSON 1969, S.30.]

In unserm Beispiel existiert für {569} Individuum A eine solche unbedingt beste Strategie in Form von Sx. Denn wenn man jedes einzelne Ergebnis des 1. Kastens mit den zugehörigen Ergebnissen des 2. und 3. Kastens vergleicht, so sieht man, dass jedes Ergebnis des 1. Kastens für A mindestens ebenso gut ist wie das entsprechende Ergebnis aus dem 2. oder 3. Kasten in Abb. 20.1. Das heißt, dass A bei gegebenen Strategien von B und C mit den Strategien Sy oder Sz niemals ein besseres Ergebnis erreichen kann als mit der Strategie Sx.

Für Individuum C existiert jedoch keine solche "unbedingt beste" Strategie, wie man aus einem Vergleich der zusammengehörigen Felder in den drei Zeilen ersehen kann. In jeder Zeile ist mindestens ein Ergebnis für C schlechter als ein zugehöriges Ergebnis in einer der beiden andern Zeilen. Es existiert also zu jeder möglichen Strategie von C eine andere Strategie, die zumindest bei einer Strategiekombination der beiden andern Individuen zu einem für C besseren Ergebnis geführt hätte, sodass keine Strategie für C als unbedingt beste bezeichnet werden kann.

In einem solchen Fall muss Individuum C zu bestimmen versuchen, welche Strategien die beiden andern Individuen wahrscheinlich wählen werden, um dementsprechend die für sich vorteilhafteste Strategie zu bestimmen. Wenn allerdings jedes Individuum so denkt, so könnte das zu einem Zirkel führen, denn jeder kann seine eigene Strategie erst bestimmen, nachdem der andere seine Strategie bestimmt hat, aber diesem geht es ebenso.{570}

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§ 122  "Ausgeklügelte" individuelle Abstimmungsstrategien

Es gibt jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma, wie FARQUHARSON nachweist. [[5] Siehe FARQUHARSON 1969, S.38f.] Wenn man davon ausgeht, dass Individuum C die Präferenzordnungen bzw. die Interessenlage der übrigen Individuen kennt, so ist die Bestimmung ihrer Strategien möglich, wenn man annimmt, dass diese keine Strategien wählen werden, die für sie eher nachteilig sind. Ein Individuum würde dann eine "unzulässige" (inadmissible) Strategie wählen, wenn es eine andere Strategie gibt, die bei keiner möglichen Strategiekombination der übrigen Individuen ein schlechteres Ergebnis und bei mindestens einer Kombination ein besseres Ergebnis für das Individuum bringt. [[6] Siehe FARQUHARSON 1969, S.28.]

Wie bereits oben ausgeführt wurde, sind in unserm Beispiel für Individuum A die Strategien Sy und Sz "unzulässig" in diesem Sinne, denn Sx bringt bei allen möglichen Strategiekombinationen der übrigen Individuen zumindest gleich gute und in einigen Fällen sogar bessere Ergebnisse für A.

Insofern die andern Individuen davon ausgehen können, dass A unter diesen Bedingungen die Strategie Sy wählen wird, wird damit der Bereich der möglichen Ergebnisse schon auf den Kasten 1 eingeschränkt.

Für das Individuum B ist die Strategie Sz unzulässig, denn die Strategie Sy bringt gegenüber Sz auf keinen Fall schlechtere Ergebnisse und in einigen Fällen sogar bessere Ergebnisse, wie der Vergleich der Ergebnisse in den Spalten 2, 5 und 8 mit den zugehörigen {571} Ergebnissen in den Spalten 3, 6 und 9 zeigt. Indem die Strategie Sz als für B unzulässig ausgeschieden wird, wird der Bereich möglicher Ergebnisse auf die Spalten 1, 2, 4, 5, 7 und 8 eingeschränkt.

Wenn Individuum C nun voraussetzt, dass A und B keine für sie unzulässigen Strategien wählen werden, so werden für C in einer zweiten Stufe ebenfalls bestimmte Strategien sekundär unzulässig. [[7] Zu den Stufen der "Zulässigkeit" von Strategien s. FARQUHARSON 1969, S.39.] Für C kommen ja jetzt nur noch die Strategiekombinationen der Spalten 1 und 2 in Frage, da für A nur die Strategie Sx und für B nur die Strategien Sx und Sy zulässig sind.

Durch diese Eingrenzung der zu berücksichtigenden möglichen Strategiekombinationen werden jetzt die Strategien Sx und Sz für C sekundär unzulässig, denn die Strategie Sy bringt für C im Verhältnis dazu mindestens gleich gute und teilweise bessere Ergebnisse, wie ein Vergleich der Ergebnisse in Zeile 2 mit den zugehörigen Ergebnissen in Zeile 1 und 3 bezogen auf die Spalten 1 und 2 zeigt. Für C bleibt also bei dieser Interessenkonstellation nur Sy als zulässige Strategie.

Wenn Individuum B nun ebenfalls von der Annahme ausgeht, dass A und C keine primär oder sekundär unzulässigen Strategien wählen werden, so steht für B fest, mit welchen Abstimmungsstrategien es bei den übrigen Individuen rechnen muss: A wird die Strategie Sx wählen und für x stimmen, und B wird die Strategie Sy wählen und für y stimmen. Damit wird für B schließlich die Strategie Sx tertiär unzulässig, da Sy für B jetzt mindestens ebenso gute und {572} teilweise bessere Ergebnisse bringt als Sx, wie ein Vergleich der Ergebnisse in Spalte 2 mit den entsprechenden Ergebnissen in Spalte 1 und 3 bezogen auf die Zeile 2 des 1. Kastens zeigt. Damit bleibt für B nur die Strategie Sy, also die Abstimmung für y, als zulässig übrig.

Es ist also allein aufgrund strategischer Überlegungen der isolierten Individuen für jedes Individuum nur eine Strategie als zulässig übrig geblieben. Diese Strategien ergeben die Strategiekombination (A: Sx / B: Sy / C: Sy), die als Ergebnis die kollektive Wahl der Alternative y haben. [[8] Da es sich bei y um die Mehrheitsalternative handelt, hätte sich y auch bei Möglichkeit der Koalitionsbildung durchgesetzt.]

Wenn die Individuen ihr Abstimmungsverhalten derart strategisch durchdenken und bestimmen, so nennt FARQUHARSON ein solches Abstimmungsverhalten "ausgeklügelt" " (sophisticated) im Gegensatz zum "aufrichtigen" (sincere) Abstimmungsverhalten entsprechend den tatsächlichen Präferenzen.[[9] S. dazu FARQUHARSON 1969, S.38ff. Die Ergebnisse für "ausgeklügeltes" und "aufrichtiges" Abstimmungsverhalten bei verschiedenen Wahlverfahren finden sich auf S.61ff.]

Wenn die Individuen ohne Abstimmungsvereinbarungen mit anderen in dieser Weise ausgeklügelt abstimmen, um ihre individuellen Interessen möglichst gut durchzusetzen, so stellt das Endresultat der Abstimmung immer ein individuelles Gleichgewicht dar oder, wie FARQUHARSON es auch ausdrückt, eine auf jedes einzelne Individuum bezogen "unverletzliche" (invulnerable) Situation. Dabei gilt eine Situation nach FARQUHARSON dann als {573} "verletzlich" in Bezug auf ein bestimmtes Individuum, wenn eine andere Situation von diesem Individuum vorgezogen wird und wenn das Individuum diese Situation allein durch eine Änderung seiner eigenen Strategie herstellen kann. [[10] Siehe FARQUHARSON 1969, S.24 u. 51. Insofern stellt das Resultat des ausgeklügelten Abstimmungsverhaltens natürlich nicht das einzige individuelle Gleichgewicht in der Tabelle der Abb. 20.1 dar.]

Allerdings muss sich allein aufgrund des ausgeklügelten Abstimmungsverhaltens der einzelnen Individuen nicht bei allen Interessenkonstellationen eine einzige Strategiekombination als allein zulässig für die Individuen herausschälen, wie es im vorigen Beispiel der Fall war. Dies kann man anhand der folgenden Präferenzordnungen zeigen:


Präferenzordnungen

A B C
x y z
sq z y
z x x
y sq sq

Abb.: 20.3

Da wiederum 3 Individuen zwischen 3 Alternativen wählen können und nach der absoluten Mehrheitsregel mit Status-quo-Klausel kollektiv entschieden wird, gilt ebenfalls die Tabelle möglicher Ergebnisse aus Abb. 20.1. Da Individuum A ähnliche Präferenzen hat wie im vorigen Beispiel, ist für A wiederum die Strategie Sx die "unbedingt beste" und einzig zulässige Strategie. Für B sind in diesem Fall jedoch alle 3 Strategien primär zulässig, wie allein schon ein Vergleich der zugehörigen Ergebnisse der Spalten 1, 2 und 3 zeigt. Für C sind ebenfalls alle 3 {574} Strategien primär zulässig, wie ein Vergleich der Zeilen 1, 2 und 3 zeigt.

Auch unter der Annahme, dass A die für ihn unbedingt beste Strategie Sx wählt, lässt sich der Bereich der zulässigen Strategien für B und C nicht weiter einschränken, sodass für B und C sämtliche 3 Strategien zulässig bleiben.

Allerdings lässt sich der Bereich der zu erwartenden Strategiekombinationen auch innerhalb des 1. Kastens noch weiter einschränken, da einige Strategiekombinationen zu Situationen führen, die für einzelne Individuen "verletzlich" sind. Da verletzliche Situationen keine individuellen Gleichgewichte darstellen, können sie auch nicht das Resultat eines "ausgeklügelten" Abstimmungsverhaltens der Individuen sein.

So kann Individuum C bei der Strategiekombination (A: Sx / B: Sy / C: Sx) mit dem Ergebnis x durch eine Änderung seiner Strategie nach Sy das für sich bessere Resultat y durchsetzen.

Bei der Strategiekombination (A: Sx / B: Sz / C: Sx) mit dem Ergebnis x kann C mit der geänderten Strategie Sz sogar statt x seine Spitzenalternative z realisieren.

Bei der Kombination (A: Sx / B: Sx / C: Sz) mit dem Ergebnis x könnte B mit der geänderten Strategie Sz die von ihm gegenüber x vorgezogene Alternative z realisieren.

Damit konnten 4 weitere Strategiekombinationen ausgeschlossen werden, aber mehr lassen sich aufgrund "ausgeklügelter" Strategien der isolierten Individuen nicht eliminieren. Es bleiben sogar alle 4 möglichen Ergebnisse des Abstimmungsverfahrens, x, y, z und sq, weiterhin möglich.

Bei dieser Interessenkonstellation und der vorausgesetzten Entscheidungsregel ist das Ergebnis des Abstimmungsverfahrens strategisch also nicht determiniert, wenn Abstimmungsvereinbarungen {575} zwischen den Individuen nicht möglich sind. [[11] Sofern Koalitionsbildung möglich ist, wird sich dagegen die Mehrheitsalternative z durchsetzen.]

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§ 123  Möglichkeiten eines strategischen Dilemmas

Wie können in einem solchen Fall die Individuen B und C verhindern, dass z. B. der von ihnen am wenigsten gewünschte Status quo das Ergebnis des Abstimmungsverfahrens darstellt, und wie können sie erreichen, dass die von ihnen bevorzugten Alternativen y und z durchgesetzt werden?

Wenn keine Kommunikation zwischen den Individuen über ihr beabsichtigtes Abstimmungsverhalten möglich ist, so stellt sich das Problem für Individuum C z. B. folgendermaßen dar:

Für C ist z die Spitzenalternative, die es am liebsten realisiert sehen möchte. Dies setzt einmal voraus, dass es selber für z stimmt. Zum andern muss jedoch auch B für z stimmen, damit z die absolute Mehrheit erhält. Da für B jedoch nicht z sondern y die Spitzenalternative darstellt, kann C nicht davon ausgehen, dass B für z stimmt. Für Individuum B stellt sich das Dilemma ganz analog.

Wenn nun beide Individuen für ihre jeweilige Spitzenalternative stimmen in der Erwartung, dass der andere schon nachgeben werde und ebenfalls für diese - für ihn zweitbeste - Alternative stimmt, so entsteht für beide Individuen das schlechteste der möglichen Ergebnisse, der Status quo.

Wenn die Individuen in dieser Situation "auf Nummer Sicher" gehen wollen, so werden sie für die Alternative x stimmen, denn Sx ist für B und {576} C diejenige Strategie, die schlimmstenfalls die Alternative x erbringen kann, während die beiden andern Strategien Sy bzw. Sz im schlimmsten Fall sogar den am wenigsten gewünschten Status quo ergeben können.

Dies Dilemma ähnelt dem in der Spieltheorie bekannten "Gefangenen-Dilemma", einem Zwei-Personen-Spiel mit möglichen Kooperationsvorteilen, die jedoch bei fehlender Kommunikation und der Annahme eines "borniert" eigeninteressierten Verhaltens nicht wahrgenommen werden. [[12] Siehe dazu z. B. LUCE/RAIFFA 1957, 5.94ff. oder RAPOPORT 1963, S.48ff.]

Anstelle einer "Maximin-Strategie" der Minimierung möglicher Verluste in Form der Strategie Sy bestünde für isolierte Individuen außerdem noch die Möglichkeit einer "gemischten" Strategie, die aus Lotterien über Strategien besteht, in unserm Beispiel also aus einer geeigneten Zufallsauswahl aus den Strategien Sx, Sy und Sz. Der BERNOULLI-Nutzen einer solchen gemischten Strategie kann dann u. U. höher liegen als der Nutzen der Strategie Sx für das betreffende Individuum. [[13] Zum BERNOULLI-Nutzen s.o. § 41.] Allerdings muss auch durch solche Zufalls-Strategien nicht unbedingt ein spieltheoretisches Gleichgewicht hergestellt werden. [[14] Siehe LUCE/RAIFFA 1957, S.9Off.]

In diesem Zusammenhang sind einige Überlegungen von LUCE und RAIFFA dazu interessant, wie ein Individuum zwar ohne Kooperation aber mithilfe gezielter einseitiger Kommunikation versuchen kann, seine Spitzenalternative {577} durchzusetzen.

Wenn z. B. Individuum B von vornherein ankündigt, dass es für y stimmen wird und dass keine Macht der Welt es davon abbringen wird, so mag es für C - sofern es an die Entschlossenheit von B zur Verwirklichung seiner Absicht glaubt - das beste sein, nun ebenfalls für y zu stimmen. (Entsprechendes würde für B gelten, wenn C von vornherein erklärt, dass es auf jeden Fall für z stimmen wird.) "Auf diese Weise sehen wir, dass es in einer solchen Situation vorteilhaft sein mag, die eigene Strategie als erster zu enthüllen und für seine Starrköpfigkeit bekannt zu sein." [[15] LUCE/RAIFFA 1957, S.91. Wie diese  jedoch ausführen, kann sich durch ein solches "starrsinniges" Vorgehen von B die Präferenzordnung von C derart verändern, dass C aus Verärgerung über B jetzt lieber mit x vorlieb nimmt, anstatt "klein beizugeben".]

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§ 124 Unterschiede zwischen individuellen und kollektiven Abstimmungsstrategien

Wenn isolierte Individuen "ausgeklügelt" abstimmen, ohne Abstimmungsvereinbarungen zu treffen, so ergeben sich individuelle Gleichgewichtssituationen, die kein Individuum allein durch die Änderung seiner eigenen Strategie zu seinen Gunsten verändern kann. Wenn man jedoch die Möglichkeit von Abstimmungsvereinbarungen einbezieht, so ändert sich die Sachlage entscheidend, und es kann zu völlig anderen Abstimmungsergebnissen trotz Anwendung derselben Entscheidungs-Regel kommen. [[16] Spieltheoretisch gesprochen handelt es sich um kooperative Spiele, die verbindliche Vereinbarungen beinhalten. S. LUCE/RAIFFA 1957, S.89.]

Insofern können die vorangegangenen Überlegungen über die Zulässigkeit von Strategien und über die Verletzlichkeit von Situationen bzw. ihren Gleichgewichtscharakter nicht auf die veränderte Problemlage übertragen werden. [[17] Da die Ergebnisse FARQUHARSONs sich auf ausgeklügelte Abstimmungsstrategien nicht-kooperierender Individuen beziehen, sind ihre Anwendungsmöglichkeiten sehr beschränkt. In der Abstimmungspraxis ist Koalitionsbildung ja gewöhnlich möglich, und sie sollte im Interesse einer Durchsetzung der Mehrheitsalternative auch immer zulässig sein.] {578}

Die kooperative Problemlage und die damit einhergehende Veränderung der Lage kann anhand des Beispiels aus Abb. 20.3 veranschaulicht werden. Wenn nämlich Abstimmungsvereinbarungen zugelassen werden, so ist plötzlich für Individuum A die Strategie Sx gar nicht mehr die "unbedingt beste", sondern A muss auch die Strategie Sz wieder in seine Überlegungen mit einbeziehen.

Nehmen wir z. B. die Strategiekombination (A: Sx / B: Sy / C: Sy). In dieser Situation würde das Ergebnis y realisiert, das für A die schlechteste aller möglichen Alternativen bildet. A könnte allein durch eine Änderung seiner eigenen Strategie kein für sich besseres Ergebnis erzielen, denn die zwei Stimmen von B und C für die Alternative y würden in jedem Fall den Ausschlag für y geben.

In gleicher Weise gäbe es auch für B oder C bei dieser Strategiekombination keine Möglichkeit, allein durch eine Änderung ihrer eigenen Strategie ein für sich vorteilhafteres Ergebnis zu erzielen. Wenn Individuum C z. B. seine Spitzenalternative z wählen würde, so wäre das Resultat der Status quo, also noch schlechter als y. Es handelt sich bei dieser Strategiekombination also um ein individuelles Gleichgewicht. {579}

Wenn man jedoch Abstimmungsvereinbarungen zwischen den Individuen zulässt, so kann es für A bei der Strategiekombination (A: Sx / B: Sy / C: Sy) vorteilhaft sein, die Strategie Sz zu wählen, und zwar unter der Bedingung, dass auch C die Strategie Sz wählt. Durch eine solche Abstimmungsvereinbarung zwischen A und C auf der Basis von Sz würde mit der Alternative z ein Ergebnis herauskommen, das für beide besser ist als das vorherige Ergebnis y. In dieser kooperativen Situation ist also Sx für Individuum A nicht mehr die unbedingt beste Strategie.

Dieser Wandel entsteht dadurch, dass in der nicht-kooperativen Situation jedes Individuum bei der Bestimmung seiner eigenen Strategie die Strategien der andern Individuen als gegeben ansehen muss und sich nur fragt, ob sich durch die Veränderung seiner eigenen Strategie in jedem Fall mindestens ebenso gute und in einigen Fällen sogar bessere Ergebnisse erzielen lassen. Jetzt müssen dagegen die Strategien einer absoluten Mehrheit von Individuen variiert werden, um zu sehen, ob sich für jedes der beteiligten Individuen durch eine gemeinsame Abstimmungsstrategie ein gleich gutes oder besseres Resultat erzielen lässt.

Im Rahmen eines absoluten Mehrheitssystems mit Koalitionsmöglichkeit ist jetzt jede Situation "verletzlich", wenn es eine andere Situation gibt, deren Ergebnis von einer absoluten Mehrheit der Individuen vorgezogen wird. Eine Situation kann dementsprechend nur dann ein Gleichgewicht in Bezug auf eine absolute Mehrheit von Individuen darstellen, wenn es nicht in Bezug auf eine absolute Mehrheit verletzlich ist. [[18] S. dazu die Ausführungen von FARQUHARSON 1969, S.50ff.] {580}

FARQUHARSON klassifiziert die Gleichgewichte entsprechend der Zahl der Individuen, für die die Situation nicht verletzlich sein darf: "Eine Situation ist ein Gleichgewicht der Ordnung r, wenn es nicht verletzlich ist in Bezug auf irgendeine Menge von r Abstimmenden. ... Eine Situation, die ein Gleichgewicht aller Ordnungen von 1 bis n (der Gesamtzahl der Abstimmenden, E.W.) ist, nennen wir ein kollektives Gleichgewicht." [[19] FARQUHARSON 1969, S.51f.] FARQUHARSON weist dabei darauf hin, "dass ein Gleichgewicht der Ordnung 1 nicht notwendig ein Gleichgewicht irgendeiner höheren Ordnung sein muss und dass auch nicht die Umkehrung gilt. [[20] FARQUHARSON 1969, S.51.]

So bildet z. B. die Strategiekombination (A: Sx / B: Sy / C: Sy) mit dem Ergebnis y in dem Beispiel aus Abb. 20.3 ein individuelles Gleichgewicht aber kein Gleichgewicht in Bezug auf zwei Individuen, wie oben gezeigt wurde.

Umgekehrt bildet die Strategiekombination (A: Sz / B: Sy / C: Sz) mit dem Ergebnis z zwar kein individuelles Gleichgewicht, denn Individuum A könnte durch eine Änderung seiner Strategie nach Sx das für sich günstigere Resultat des Status quo realisieren, aber dennoch handelt es sich dabei um ein Gleichgewicht in Bezug auf eine absolute Mehrheit von zwei Individuen, denn es gibt bei dieser Strategiekombination keine absolute Mehrheit von zwei Individuen, die durch eine gemeinsame Änderung ihrer Abstimmungsstrategien eine Verbesserung des Ergebnisses für sich erzielen könnten. {581}

Daraus ergibt sich, dass sich in Abstimmungsverfahren bei Anwendung der gleichen Entscheidungs-Regel unterschiedliche Ergebnisse herausbilden können, je nachdem, ob Abstimmungsvereinbarungen möglich sind oder nicht. Nur in den Fällen, wo Koalitionsbildung dieser Art nicht möglich ist, sind FARQUNARSONs Ergebnisse über individuell "ausgeklügeltes" Abstimmungsverhalten anwendbar. [[21] Zwischen den beiden Extremen "überhaupt keine Koalitionsbildung" und "vollkommene Koalitionsbildung" kann es jedoch noch eine Reihe von Zwischenformen geben, etwa wenn für bestimmte Individuen einige andere Individuen koalitionsfähig sind und andere dagegen nicht. Ein Beispiel dafür ist die Mehrheitsbildung in einigen westeuropäischen Parlamenten, wo die Kommunistischen Parteien nicht koalitionsfähig für die andern Parteien sind. In solchen Fällen beschränkter Koalitionsmöglichkeiten sind jeweils spezielle Analysen erforderlich. Siehe hierzu z. B. den Versuch, solche "Regeln zulässiger Koalitionswechsel" zu berücksichtigen, bei LUCE/RAIFFA 1957, S.166ff. sowie die Untersuchung verschiedener Koalitionstheorien bei FACH 1974.]{582}

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21. Kapitel

Abstimmungsstrategien bei Serien von Entscheidungen  im Mehrheitssystem


§ 125  Der Stimmentausch

In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Anwendung des Mehrheitsprinzips auf einzelne Entscheidungen untersucht. Wie gezeigt wurde, führt das eigeninteressierte Abstimmungsverhalten der Individuen dazu, dass sie nicht unbedingt für die von ihnen am meisten gewünschte Alternative stimmen. Dieser Einfluss strategischer Erwägungen wird nun noch verstärkt, wenn es nicht um einzelne, isolierte Entscheidungen geht, sondern wenn ganze Entscheidungsserien nach dem Mehrheitsprinzip entschieden werden. Dabei kann es zu Abstimmungsvereinbarungen kommen, die mehrere Entscheidungen gleichzeitig umfassen und ganze Alternativenbündel zur Grundlage haben. Da in der Praxis des Mehrheitssystems gewöhnlich nicht nur eine Entscheidung sondern mehrere Entscheidungen überschaubar sind, kommt der Untersuchung dieses Aspektes eine besondere Bedeutung zu.

Eine Möglichkeit für die Individuen, bei Entscheidungsserien die Abstimmungsergebnisse zu ihren Gunsten zu beeinflussen, ist der Stimmentausch, bei dem die Individuen ihre Stimme bei einer ihnen weniger wichtigen Entscheidung austauschen gegen eine {583} Stimme bei einer ihnen wichtigeren Entscheidung. [[1] Zum Stimmentausch (englisch "log-rolling" ) s. BUCHANAN/TULLOCK 1969, S.121ff. Zum Stimmentausch in Einstimmigkeits-Systemen s.o. § 73.]

Die Auswirkungen des Stimmentauschs können an einem Beispiel verdeutlicht werden. Dabei stimmen 3 Individuen A, B und C in der Entscheidung I zwischen den Alternativen x und y und in der Entscheidung II zwischen den Alternativen w und z ab. Dabei sollen die intrasubjektiven Präferenzintensitäten in der Tabelle durch die Abstände zwischen den Alternativen ausgedrückt werden.

                            Entscheidung I                                                                    Entscheidung II

Präferenzordnungen (mit intrasubjektiven Intensitäten)

A B C     A B C
x y y     w z w
- x -     z - -
- - x     - - z
y - -     - w -

                                    Abb.: 21.1                                                                          Abb.: 21.2

Individuum A hat also bei der Entscheidung I eine sehr viel stärkere Präferenzintensität für x gegenüber y als bei der Entscheidung II für w gegenüber z. Dies bedeutet, dass für A die Entscheidung I sehr viel wichtiger ist als die Entscheidung II, denn die Entscheidung I kann sein Nutzenniveau in sehr viel stärkerem Maße verändern als die Entscheidung II.

Bei dem Individuum B ist die Situation genau umgekehrt. Für B ist die Entscheidung II wichtiger als die Entscheidung I, denn die Nutzenspannweite zwischen {584} der besten und der schlechtesten Alternative ist bei der Entscheidung II sehr viel größer. Dagegen ist das Individuum C von beiden Entscheidungen gleich stark betroffen, denn seine Präferenzintensität ist bei I und II gleich. [[2] Die Präferenzintensitäten müssen dabei nicht notwendig interpersonal vergleichbar sein, denn es muss für den Tausch ja nur jedes Individuum seine eigenen Präferenzintensitäten miteinander vergleichen.]

Bei einer isolierten Abstimmung über jede einzelne Entscheidung würden sich bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel folgende Entscheidungen ergeben:

                           Entscheidung I                                                                     Entscheidung II

                        Wahlmatrix zu 22.1                                                              Wahlmatrix zu 22.2

  x y       w z
x - 1:2     w - 2:1
y 2:1 -     z 1:2 -

                                Abb.: 21.3                                                                           Abb.: 21.4

Bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel auf die isolierten Entscheidungen, also ohne dass die Individuen einen Zusammenhang zwischen den Entscheidungen herstellen können, würden die Alternativen y und w erfolgreich sein.

Wenn jedoch zwischen den Individuen A und B ein für beide Seiten vorteilhafter Stimmentausch stattfindet, sodass A bei Entscheidung I und B bei Entscheidung II praktisch jeweils zwei Stimmen zur Verfügung haben, so ergibt sich ein völliges anderes Ergebnis. {585}

                                Entscheidung I                                                                         Entscheidung II
                                                            nach Stimmentausch zwischen A und B

                                 Wahlmatrix                                                                               Wahlmatrix

  x y       w z
x - 2:1     w - 1:2
y 1:2 -     z 2:1 -

                                         Abb.: 21.5                                                                           Abb.: 21.6


Bei einem Stimmentausch zwischen A und B ergeben sich also mit x und z völlig andere Mehrheiten als bei der isolierten Abstimmung.

Wie man sieht, üben beim Stimmentausch die intrasubjektiven Präferenzintensitäten der Individuen einen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis aus, sodass die einfachen ordinalen Präferenzordnungen zu den Einzelentscheidungen zur Bestimmung des Ergebnisses nicht ausreichen.

Vom Gesichtspunkt des Pareto-Kriteriums her gesehen ist ein solcher Stimmentausch positiv zu bewerten, denn wie TULLOCK ausführt, führt er zu Ergebnissen, die paretomäßig besser sind als die Ergebnisse isolierter Abstimmungen. "In einem System, wo Stimmentausch nicht erlaubt ist, gibt der Wähler einfach seine Präferenz an, und die Präferenz der Mehrheit der Wähler wird ausgeführt. Der Defekt - und es ist ein ernster - dieses Verfahrens besteht darin, dass es die verschiedenen Intensitäten der Wählerwünsche ignoriert. Jemand, der leidenschaftlich gegen eine Maßnahme eingestellt ist, und jemand, dem diese nicht viel ausmacht aber der sie leicht bevorzugt, werden gleich gewichtet. Offensichtlich könnten beide sehr leicht besser gestellt werden, wenn es demjenigen, der stark betroffen ist, erlaubt wäre, dem andern, der eine schwache Präferenz hat, ein Geschenk {586} zu machen zum Ausgleich für eine Änderung seiner Entscheidung. Die Befriedigung beider würde verbessert und die sich ergebende Situation würde unter streng paretianischem Gesichtspunkt dem Ergebnis einer Wahl mit gleicher Gewichtung der Stimmen überlegen sein." [[3] TULLOCK 1959, S.170]

Zu dieser Auffassung TULLOCKs sind jedoch eine Reihe kritischer Anmerkungen erforderlich.

Zum einen muss scharf unterschieden werden zwischen einem Stimmentausch im eigentlichen Sinne und einem Stimmenkauf durch andere Gegenleistungen als ein bestimmtes Abstimmungsverhalten. Wenn Stimmen durch "Geldgeschenke" gekauft werden können, so werden sich diejenigen Individuen mit dem größeren Vermögen auch bei Abstimmungen stärker durchsetzen können. Und je ungleicher das Eigentum in einer Gesellschaft verteilt ist, umso weniger kann die Zahlungsbereitschaft eines Individuums für die Stimme in einer Entscheidung als ein Ausdruck seiner interpersonal vergleichbaren Präferenzintensität genommen werden, wie oben bei der Diskussion des Geldes als Nutzenmaßstab bereits dargelegt wurde. [[4] Siehe oben § 45.]

Durch Stimmenkauf verliert das Mehrheitssystem die Eigenschaft der Gleichgewichtung der individuellen Präferenzordnungen und gleicht sich in der Gewichtung der bestehenden Verteilung des Eigentums an. Stimmenkauf ist dabei zusätzlich unakzeptabel in repräsentativen Gremien und wird hier zur den Gesamtwillen bewusst verfälschenden {587} Bestechung, da durch Zahlungen an den Repräsentanten ohne entsprechende Zahlungen an die Repräsentierten gezielt eine Interessendivergenz geschaffen wird, die einer Interessenvertretung entgegensteht.


Aber selbst wenn man einen echten Stimmentausch betrachtet, so stimmt es nicht, dass das Ergebnis nach Stimmentausch "unter streng paretianischem Gesichtspunkt" besser geworden ist, wie TULLOCK meint. Dies kann an dem obigen Beispiel verdeutlicht werden. Ohne Stimmentausch zwischen A und B fiel die kollektive Entscheidung auf die Alternativen y und w, wie aus den Abb. 21.3 und 21.4 hervorgeht. Nach dem Stimmentausch siegten dagegen die Alternativen x und z.

Wenn es sich um eine streng paretianische Verbesserung dabei handeln soll, so müssen alle Individuen die Ergebnisse x und z gegenüber y und w vorziehen oder müssen sie zumindest gleich gut finden. Wie man sofort sieht, gilt dies jedoch nicht für das Individuum C, dessen Spitzenalternativen y und w ohne Stimmentausch siegten, aber nach dem Stimmentausch unterlagen. Individuum C wird also durch den Stimmentausch zwischen A und B bei beiden Entscheidungen schlechter gestellt, sodass von einer paretomäßigen Verbesserung des Abstimmungsergebnisses eigentlich nicht die Rede sein kann.

Um von einer paretomäßigen Verbesserung durch Stimmentausch sprechen zu können, muss man die Betrachtung auf die an der Vereinbarung des Stimmentausches beteiligten Individuen einschränken. Die Stimmabgabe wird dazu dem Verfügungsbereich des jeweiligen Individuums zugeteilt und mögliche "externe Effekte" auf Dritte werden unberücksichtigt gelassen, ähnlich wie {588} im Eigentum-Vertrags-System. [[5] Siehe oben Kap. 14.] Nur wenn man die interessemäßigen Interdependenzen zwischen dem Abstimmungsverhalten der Individuen ausdrücklich ignoriert, kann man von paretomäßigen Verbesserungen durch Stimmentausch sprechen.

Festgehalten sei außerdem noch, dass TULLOCK in dem obigen Zitat nicht den Unterschied zwischen der Berücksichtigung der intrapersonalen und der interpersonalen Präferenzintensitäten macht. Eine Berücksichtigung der interpersonal vergleichbaren Nutzendifferenzen wäre unter dem Gesichtspunkt einer solidarischen Bestimmung des Gesamtnutzens außerordentlich wichtig, wie oben in § 37 ausgeführt wurde.

Durch einen Stimmentausch kann jedoch nur eine Berücksichtigung der intrapersonal vergleichbaren Nutzendifferenzen erzielt werden. Denn ein stattgefundener Stimmentausch lässt nur den Schluss zu, dass den beteiligten Individuen die eine Entscheidung wichtiger war als die andere. Ein interpersonaler Nutzenvergleich findet dabei also nicht statt. Insofern kann der "ernste Defekt" des Mehrheitssystems in Form einer mangelnden Berücksichtigung der interpersonal vergleichbaren Präferenzintensitäten, den TULLOCK durch sein Beispiel verdeutlicht, durch den Mechanismus des Stimmentauschs noch nicht behoben werden, wie es bei TULLOCK den Anschein hat. [[6] Zur Berücksichtigung interpersonal vergleichbarer Präferenzintensitäten s.u. § 138 und Kap. 23.] {589}

Der Stimmentausch zwischen bestimmten Individuen hat ähnliche Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis wie eine Zusammenfassung der Einzelentscheidungen zu einer Gesamtentscheidung und eine entsprechende Bündelung der Einzelalternativen. Das Ergebnis nach Stimmentausch zwischen A und B im obigen Beispiel ist dasselbe, als wenn die Entscheidungen I und II zu einer Gesamtentscheidung über die Alternativenbündel "x mit z" und "y mit w" zusammengefasst werden. Die Präferenzordnungen der drei Individuen hinsichtlich dieser beiden Alternativenbündel lassen sich durch die folgende Tabelle wiedergeben:


 Präferenzordnungen (zu Alternativenbündeln)

A B C
x+z x+z y+w
y+w y+w x+z

 Abb.: 21.7


Die Wahlmatrix zu dieser Präferenzordnung sieht dann folgendermaßen aus:

Wahlmatrix zu Abb.21.7

  x+z y+w
x+z - 2:1
y+w 1:2 -

   Abb.: 21.8


Im Falle einer derartigen Bündelung der Alternativen hätten also die Individuen A und B für "x mit z" gestimmt. Für A wäre die Realisierung von x vorrangig gewesen und es hätte dafür z "in Kauf genommen". Für B wäre umgekehrt die Realisierung von z vorrangig gewesen, und es hätte dafür x in Kauf genommen. Individuum C hätte für die Alternative "y mit w" gestimmt, sodass sich mit x und z bei der Gesamtentscheidung dieselben Alternativen durchsetzen wie bei getrennten Abstimmungen mit Stimmentausch zwischen A und B. {590}

Wie man sieht, hat die Art der Bündelung oder Aufspaltung der Alternativen bei Mehrheitsabstimmungen einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis. Dadurch wird die Wichtigkeit derjenigen Verfahren unterstrichen, die die Formulierung der Alternativen und ihre Aufstellung zur Entscheidung regeln.

Problematisch wäre unter diesem Gesichtspunkt etwa ein Verfahren, wie es gelegentlich bei Volksabstimmungen bzw. Referenden angewandt wird, wo die Initiative zur Abstimmung und die Formulierung der Alternativen ausschließlich einer Instanz vorbehalten bleibt, die selber Partei im Konflikt ist, z. B. der Regierung.

Falls diese Instanz keine Mehrheit für die eigene Spitzenalternative erwartet, wird sie  überhaupt kein Referendum durchführen. Wenn sie aber eines durchführt, so wird sie solche Alternativenbündel formulieren, dass sie mit einer Mehrheit der Stimmen rechnen kann. Unter diesen Bedingungen kann natürlich nicht von einer Anwendung des Mehrheitsprinzips die Rede sein, weil es parteiischer Willkür überlassen bleibt, welche Entscheidungen überhaupt per Abstimmung entschieden werden und welche Probleme anderweitig entschieden werden. Die Abstimmung hat in diesem Fall nur eine reine Akklamationsfunktion.

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§ 126  Stimmentausch oder Koalitionsbildung?

Im vorangegangenen Paragraphen wurde die Möglichkeit eines für die Beteiligten vorteilhaften zweiseitigen Stimmentauschs dargestellt. Wie im Folgenden näher begründet wird, handelt es sich jedoch bei Abstimmungsvereinbarungen zu Serien von Einzelentscheidungen nicht notwendigerweise um einen {591} Stimmentausch. Eine Stimme gegen eine andere auszutauschen, heißt ja genaugenommen, dass jeweils ein Individuum dem andern seine Stimme bei einer Entscheidung wechselseitig überlässt, sodass der andere frei über diese Stimme verfügen kann. Dabei bleiben beide Individuen ansonsten völlig unabhängig und verfolgen mit den "erworbenen" Stimmen selbständig ihre eigenen Interessen.

Ein solcher regelrechter Stimmenhandel nutzt die Möglichkeit von Abstimmungsvereinbarungen zum Vorteil aller Beteiligten jedoch nur zum Teil aus. Denn oft sind die Individuen an allen Entscheidungen - wenn auch unterschiedlich stark - interessiert, sodass es ihnen nicht gleichgültig sein kann, wie die von ihnen abgetretene Stimme durch den andern eingesetzt wird. So mag für ein Individuum die Spitzenalternative des andern völlig unakzeptabel sein, aber es wäre bereit, dessen zweitbeste Alternative zu unterstützen. Zur Realisierung einer Abstimmungsvereinbarung darüber wäre ein regelrechter Stimmentausch jedoch ungeeignet. Dazu bedarf es der Bildung einer Koalition in Form eines Stimmenfonds, in den alle Individuen, die sich davon Vorteile versprechen, ihre Stimmen einbringen und der nach einem für alle Koalitionsmitglieder verbindlichen Plan eingesetzt wird. Eine solche Koalitionsbildung war bereits bei Einzelentscheidungen analysiert worden und bezieht sich bei Koalitionen zu Entscheidungsserien nicht auf Einzelalternativen sondern immer auf ganze Alternativenbündel.

Insofern bei Koalitionen ein gemeinsam eingesetzter Stimmenfonds gebildet wird, erscheint eine Charakterisierung der Koalitionsbildung im Mehrheitssystem {592} als "stillschweigender Stimmentausch" (implicit logrolling) durch TULLOCK als unzutreffend. [[7] Vgl. TULLOCK 1959, S.170.] Die Analogie zur Koalitionsbildung im Mehrheitssystem wäre im Eigentum-Vertrags-System eigentlich nicht der Tausch von Gütern, sondern eigentumsmäßige Kooperation von Individuen, die ihr individuelles Eigentum in einen gemeinsam verwalteten Fonds einbringen, um daraus Vorteile produktiver oder konsumptiver Art zu ziehen. [[8] Dieser wichtige Bereich vertraglicher Aktivitäten war in der obigen Analyse des Eigentum-Vertrags-Systems ausgeklammert worden.]

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§ 127  Probleme eines "marktmäßigen" Stimmentauschs  und die Vorteile von Abstimmungskoalitionen

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum ein in der Form eines Marktes organisierter Stimmentausch nicht funktionieren kann und stattdessen Koalitionsbildung stattfindet. Als einer der Gründe hierfür war bereits genannt worden, dass der echte Stimmentausch nur einen Teil der insgesamt möglichen vorteilhaften Vereinbarungen abdecken kann.

Ein weiterer Grund sind die gewaltigen Verhandlungskosten, die auf jedes Individuum zukommen, das im Rahmen eines größeren Kollektivs versucht, als individueller Anbieter und Nachfrager von Stimmen eine Mehrheit bei den ihm selber wichtigsten Entscheidungen zusammenzubringen. Es müsste dazu zahlreiche - oft genug vergebliche - Verhandlungen führen, und bei terminierten Abstimmungen {593} wird dazu oft die verfügbare Zeit überhaupt nicht ausreichen. Insofern ist regelrechter Stimmentausch eigentlich nur in kleineren, überschaubaren Gremien denkbar.

Außerdem besäße ein einzelnes Individuum bei größeren Kollektiven wahrscheinlich nicht genügend "Stimmkraft", um auch nur bei einer einzigen Entscheidung allein die erforderliche Stimmenmehrheit auf dem Wege des Tausches zusammenzubringen. Ökonomisch gesprochen sind die Alternativen "unteilbare Güter", insofern sie entweder angenommen oder abgelehnt werden. Ein Individuum, dessen Stimmkraft für eine Mehrheit nicht ausreicht, kann in diesem Fall also nicht versuchen, mit seinen Stimmen die Alternative zumindest teilweise durchzusetzen. Im Mehrheitssystem gilt in Bezug auf eine bestimmte Alternative ein Alles-oder-Nichts-Gesetz, anders als bei normalen Gütern im Tausch-System, wo ein Individuum mit geringerer Kaufkraft eben entsprechend weniger von einem Gut erwerben kann.

Wenn es sich z. B. um ein Kollektiv von 1 Million abstimmenden Individuen handelt, das nach der absoluten Mehrheitsregel 100 Entscheidungen zu treffen hat, so müsste das Individuum versuchen, bei der ihm wichtigen Entscheidung 500 000 Stimmen zusammenzubringen im Austausch gegen höchstens 99 Stimmen zu den übrigen Einzelentscheidungen. Dies würde sicherlich seine Stimmkraft übersteigen. Ein regelrechter Stimmenmarkt kann also bei größeren Kollektiven nicht funktionieren, wie auch TULLOCK feststellt: "Der Wähler kann seine Stimme bei der einen Entscheidung nicht für Stimmen bei anderen Entscheidungen austauschen, weil er und seine Bekannten einen zu kleinen {594} Teil der Gesamtwählerschaft ausmachen, um noch die damit verbundenen Anstrengungen wert zu sein." [[9] TULLOCK 1959, S.170.]

Außerdem treten beim regelrechten Stimmentausch die Probleme des Naturaltausches wieder auf, denn um einen solchen handelt es sich ja, wenn die Stimme bei der einen Entscheidung gegen die Stimme bei der andern Entscheidung ausgetauscht wird. Die eine Stimme kann dabei den dreifachen Tauschwert der anderen haben, sodass ihr Austausch problematisch ist. Und die Einführung eines generellen Tauschmittels wie Geld lässt sich insofern nicht realisieren, als sich Stimmen zu bestimmten Entscheidungen nicht aufbewahren lassen, sondern mit der Durchführung dieser Entscheidung verfallen. [[10] Zur Aufhebung dieser Problematik müsste ein völlig verändertes Entscheidungssystem mit aufhebbaren, teilbaren, für alle Entscheidungen anwendbaren "Stimmmarken" konstruiert werden. Zum Naturaltausch s. § 88.]

Als weitere institutionelle Voraussetzung des Stimmentauschs, die allerdings in gleicher Weise für die Bildung von Abstimmungskoalitionen gilt, nennt TULLOCK die offene Abstimmung: "Die Anwendung der geheimen Abstimmung macht es unmöglich zu sagen, ob Abstimmungsvereinbarungen eingehalten wurden." [[11] TULLOCK 1959, S.170.]

In Bezug auf Koalitionen kann diese Problematik jedoch durch die Anwendung zweistufiger Repräsentativverfahren gemildert werden, wo der Repräsentant geheim gewählt wird und dann die hinter ihm stehende Koalition von Individuen notwendigerweise geschlossen repräsentiert.{595}

Ein entscheidendes Hindernis für einen atomistischen Stimmenmarkt ist immer dann gegeben, wenn ein Teil der Entscheidungen die Interessen vieler Individuen berührt, wenn es dabei also ökonomisch gesprochen nicht um private sondern um kollektive bzw. öffentliche Güter geht.

Die Durchsetzung einer kollektiv interessierenden Alternative bringt automatisch vielen Individuen Vorteile (oder Nachteile), gleichgültig ob sie sich mittels Stimmentausch um das Zustandekommen der Mehrheit bemüht haben oder nicht. In einer solchen Situation, wo einerseits der Nutzen einer durchgesetzten Alternative kollektiv anfällt und von ihm niemand ausgeschlossen werden kann und wo andererseits die Kosten der Durchsetzung individuell anfallen, neigen auf ihren eigenen Vorteil bedachte Individuen zum "Trittbrett-Fahrer-Verhalten". [[12] Zu öffentlichen Gütern und Trittbrett-Fahrer-Verhalten s.o. § 92.]

Das heißt, dass Individuen die Vorteile bestimmter Alternativen mitnehmen, ohne sich an den Kosten ihrer Durchsetzung zu beteiligen. Ein Individuum steht sich in einem solchen Fall besser, wenn sich die andern Individuen um Mehrheiten für die kollektiv vorteilhaften Alternativen bemühen und dafür ihre Stimmkraft opfern, indem sie auf dem Wege des Stimmentauschs Stimmen sammeln. Gleichzeitig spart es selber seine Stimmkraft auf und konzentriert sie auf diejenigen Alternativen, die vorwiegend ihm selber Vorteile verschaffen, also eher private Güter betreffen.

Durch ein solches Trittbrett-Fahrer-Verhalten profitiert das Individuum bei den eher öffentliche Güter betreffenden Entscheidungen von den Anstrengungen der andern, während es sich zusätzlich private Vorteile verschafft durch Konzentration seiner {596} ganzen Stimmkraft auf die vorwiegend nur es selbst betreffenden Entscheidungen. Im Rahmen eines Stimmenmarktes besteht deshalb die Tendenz, dass gerade für Alternativen mit eher allgemeinem bzw. kollektivem Nutzen keine Mehrheiten zustande kommen, da jeder gern die andern "die Kastanien aus dem Feuer holen lässt".

Wenn sich jedoch alle Individuen einer gleichartig interessierten Gruppe in dieser Weise als Trittbrett-Fahrer verhalten, so gibt es - um im Bilde zu bleiben - niemanden mehr, der den gemeinsamen Wagen vorwärtsbringt und für die erforderliche Stimmenmehrheit sorgt, indem er Stimmen zu andern Entscheidungen dafür im Austausch opfert. Dadurch "fahren" die Individuen im Endergebnis schlechter, als wenn sie alle einen bestimmten Teil ihrer Stimmkraft für die kollektiv interessierenden Alternativen eingesetzt hätten. Ein Stimmenmarkt kann jedoch ein derartiges verbindliches Vorgehen nicht garantieren. Das Versagen des Marktmechanismus im Falle öffentlicher Güter wiederholt sich also beim Stimmenmarkt im Mehrheitssystem, sofern Individuen vom Nutzen einiger Alternativen nicht ausgeschlossen werden können.

Ein weiterer Grund für das Versagen eines Stimmenmarktes liegt darin, dass die isoliert voneinander agierenden Individuen nur schwerlich Informationen darüber besitzen können, ob für eine bestimmte Alternative bereits die erforderliche Stimmenzahl erreicht ist oder nicht. Werden nämlich über das erforderliche Maß hinaus weitere Stimmen im Austausch erworben, so sind die dafür hergegebenen Stimmen vergeudet, da es keinerlei Einfluss auf das Ergebnis hat, wie groß die Mehrheit gewesen ist.{597}

Wird andererseits die erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht, so sind alle dafür eingesetzten Stimmen vergeudet worden, denn die Stimmen der Minderheit gehen im Mehrheitssystem ja verloren. Dies ist anders als auf einem regelrechten Geldmarkt, wo der unterlegene Bieter zwar das Gut nicht erhält, das an den Meistbietenden geht, wo er aber andererseits auch das Geld, das er vergeblich geboten hat, behalten darf. Für isolierte Individuen ist es aber außerordentlich schwierig, die Erfolgsaussichten einer Alternative und die zur Mehrheit noch erforderlichen Stimmen zuverlässig abzuschätzen, sodass ein Stimmenmarkt auch in dieser Hinsicht nicht als praktikabel erscheint.

Als letztes ist noch zu berücksichtigen, dass häufig gar nicht von vornherein genau feststeht, welche Entscheidungen mit welchen Alternativen zukünftig zu treffen sein werden. Wenn die zukünftigen Entscheidungen jedoch noch ungewiss sind, kann auch der Wert einer Stimme für diese Entscheidungen von den Beteiligten noch gar nicht eingeschätzt werden, sodass dann auch kein Stimmenmarkt existieren kann.

Wie aus diesen Überlegungen deutlich wird, werden eigeninteressierte Individuen ihre Interessen im Mehrheitssystem nicht über einen Stimmenmarkt verfolgen. Stattdessen werden sie sich in Abstimmungsbündnissen bzw. Koalitionen zusammenschließen mit dem Ziel, durch verbindliche Vereinbarungen über das gemeinsame Abstimmungsverhalten bestimmte Alternativenbündel mehrheitlich durchzusetzen. {598}

Koalitionen bieten gegenüber dem individuellen Stimmentausch eine Reihe von Vorteilen.

Zum einen sind die Verhandlungskosten ganz erheblich niedriger, da mit einer Vereinbarung alle Koalitionsmitglieder einbezogen werden können, die Vereinbarungen zwischen Koalitionen also 'en bloc' stattfinden.

Zum andern wird durch die Zusammenfassung der Individuen in Koalitionen mit kollektiven Präferenzen leichter überschaubar, welche Alternativen überhaupt Aussichten auf eine Mehrheit haben und wieviele Stimmen noch an der Mehrheit fehlen.

Koalitionen haben auch sehr viel eher als isolierte Individuen die ausreichende Stimmkraft, um überhaupt erfolgversprechende Anstrengungen zur Beeinflussung bestimmter Entscheidungen zu unternehmen.

Weiterhin können sich Koalitionen auch besser um die kollektiv vorteilhaften Alternativen kümmern, da die Koalitionsvereinbarungen ein Trittbrettfahrer-Verhalten ausschließen.

Koalitionen können sich außerdem auch dort bilden, wo die zukünftig zu treffenden Entscheidungen noch gar nicht ausformuliert feststehen. Kristallisationspunkte für Koalitionen in einer solchen Situation können gemeinsame Absichtserklärungen und Programme sein, die in relativ allgemeiner Weise die gemeinsamen Ziele festlegen, an denen sich dann das spätere Abstimmungsverhalten der Koalitionspartner auszurichten hat. Dabei besteht für alle Beteiligten in gleichem Maße die Ungewissheit darüber, ob und wieweit eine Durchsetzung dieses Programms möglich sein wird. {599}

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§ 128  Einzel-Punkt-Koalitionen und Mehr-Punkte-Koalitionen

Abstimmungskoalitionen lassen sich dadurch charakterisieren, welche Individuen sie umfassen, über welche Entscheidungen sich ihre Koalitionsvereinbarungen erstrecken und welche Alternativen der Koalitionsvereinbarung zugrunde liegen. Einzel-Punkt-Koalitionen werden durch Abstimmungsvereinbarungen gebildet, die nur eine einzelne Entscheidung betreffen. Solche Einzel-Punkt-Koalitionen wurden in Kapitel 19 untersucht. Jedes Mitglied einer solchen Koalition ist nur verpflichtet, bei einer bestimmten Entscheidung für eine bestimmte Alternative zu stimmen.

Um erfolgreich zu sein, müssen solche Einzelpunkt-Koalitionen die erforderliche Mehrheit für ihre Alternative erlangen. Reicht die Zahl der Koalitionsmitglieder hierzu noch nicht aus, so muss die Koalition versuchen, sich entsprechend zu vergrößern, indem sie Absprachen mit weiteren Individuen eingeht. Damit diese jedoch für die Koalitionsalternative stimmen - was sie als Nicht-Mitglieder der Koalition von sich aus nicht tun würden - , muss ihnen die Einzelpunkt-Koalition ihrerseits in einer andern Entscheidung entgegenkommen. Hieraus ergibt sich eine Tendenz zur Ausweitung von Einzel-Punkt-Koalitionen zu Mehr-Punkte-Koalitionen, die sich auf mehrere Entscheidungen gleichzeitig erstrecken.

Nehmen wir z. B. an, eine Einzel-Punkt-Koalition K1 trifft eine Vereinbarung mit einer anderen Koalition K2 mit dem Inhalt, dass die Mitglieder von K1 bei der Entscheidung II für die Alternative u stimmen, wenn {600} die Mitglieder von K2 bei der Entscheidung I für die Alternative x stimmen.

Die Frage ist jedoch, ob alle Mitglieder von K1 mit der Alternative u einverstanden sind. Die Koalition K1 hatte sich zugunsten der Alternative x der Entscheidung I gebildet, und eine Interessenübereinstimmung auf dem einen Gebiet kann ohne weiteres mit unterschiedlichen Interessen auf einem andern Gebiet einhergehen. Auf ihren Vorteil bedachte Individuen werden aber die Koalition K1 nach einer solchen Absprache verlassen, wenn das Alternativenbündel "x mit u" ihren Interessen weniger entspricht als irgendein anderes erfolgversprechendes Alternativenbündel zu den Entscheidungen I und II.

Einzel-Punkt-Koalitionen sind also relativ instabil, wenn sie zur Erlangung der Mehrheit weitere Absprachen eingehen müssen. Wenn eine Koalition im Zuge weiterer Absprachen also möglichst wenige Mitglieder verlieren will, so muss sie Vereinbarungen in Bezug auf solche Alternativen suchen, die den Interessen der eigenen Mitglieder möglichst gut entsprechen.

Je unterschiedlicher die Interessen der Koalitionsmitglieder in Bezug auf Entscheidungen außerhalb der ursprünglichen Koalitionsvereinbarung sind, umso unbeweglicher und instabiler ist die Koalition und umso stärker sind die Spannungen innerhalb der Koalition bei Versuchen zu einer Ausweitung der Koalition. Je nachdem, welche zusätzlichen Vereinbarungen eingegangen werden, werden andere Individuen die alte Koalition verlassen.[[13] Hier zeigt sich übrigens das Problem der Bildung eines einheitlichen Willens zu weiteren Entscheidungen innerhalb einer Koalition, wenn die Interessenlage ihrer Mitglieder nicht identisch ist. In gewisser Weise wiederholt sich hier das Problem des Gesamtwillens auf partikularem Niveau.]

Schließen z. B. 2 Einzel-Punkt-Koalitionen eine Vereinbarung zur wechselseitigen Unterstützung ihrer Alternativen ab, wenn die Interessenlage der Mitglieder in Bezug auf die beiden Alternativen relativ gegensätzlich ist, so kann der Fall eintreten, dass diese Zwei-Punkte-Koalition schließlich über weniger Stimmkraft verfügt als jede der beiden Koalitionen für sich genommen vor dieser Vereinbarung besaß. Solche Bündnisse sind dann im Endeffekt schwächer als die Teilkoalitionen, aus denen sie zusammengesetzt sind.

Am stabilsten und beweglichsten in weiteren Koalitionsverhandlungen sind deshalb solche Koalitionen, bei denen die wichtigsten Interessen ihrer Mitglieder bereits positiv abgedeckt sind. Wenn sich eine Koalitionsvereinbarung bereits über viele Entscheidungen hinweg mit den Präferenzen ihrer Mitglieder deckt, so kann jedes Mitglied auch an einzelnen Punkten Koalitionsvereinbarungen akzeptieren, die seinen Interessen weniger entsprechen. Gruppen von insgesamt gleichartig und stark interessierten Individuen werden deshalb die Kristallisationskerne darstellen, um die herum sich stabile größere Koalitionen aufbauen. [[14] Welches in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt die wichtigsten gemeinsamen Interessen sind, die damit koalitionsstiftend sind und auf deren Grundlage sich z. B. politische Parteien bilden, ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung. Hier geht es nur um das allgemeine Modell des Mehrheitssystems, das auf die verschiedensten inhaltlichen Interessenkonstellationen anwendbar sein soll.]

Dabei ist eine Vergrößerung der Mitgliederzahl einer Koalition in Richtung auf die Mehrheit im allgemeinen auch mit einer Erweiterung des Bereichs der Vereinbarungen verbunden, da eine Einigung am ehesten an solchen Punkten möglich erscheint, wo sich keine der Seiten bisher schon festgelegt hat. {602}

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§ 129  Rationale Koalitionsbildung bei Entscheidungsserien und das Mehrheitsalternativenbündel

Sofern es sich um ganze Entscheidungsserien handelt, wird ein auf seinen Vorteil bedachtes Individuum nicht so sehr versuchen, bei den einzelnen Entscheidungen ein für sich möglichst gutes Ergebnis durchzusetzen, sondern es wird bemüht sein, in Bezug auf die Gesamtheit der Entscheidungen das bestmögliche Ergebnis durchzusetzen. Das Individuum steht im Falle von Entscheidungsserien also nicht vor isolierten Entscheidungen zwischen Einzelalternativen, sondern vor einer einzigen Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativenbündeln.

Durch die Existenz von Koalitionsvereinbarungen zu mehreren Entscheidungen gleichzeitig sind die verschiedenen Einzelentscheidungen nicht mehr unabhängig voneinander, und es kommt für jedes Individuum darauf an, in Kooperation mit andern eine Abstimmungsstrategie zu vereinbaren, die das individuell beste Alternativenbündel durchsetzt. Dazu ist im Mehrheitssystem jedoch immer eine Mehrheit der Individuen erforderlich, sodass entsprechende Mehrheits-Koalitionen gebildet werden müssen.

Wenn die Zahl der zu treffenden Entscheidungen und Zahl der zugehörigen Alternativen gegeben ist, so lassen sich mit Hilfe der Kombinatorik alle logisch möglichen Alternativenbündel bestimmen. Die Zahl der möglichen Alternativenbündel beträgt bei k Entscheidungen mit jeweils n Einzelalternativen nk. Die Zahl der möglichen Ergebnisse steigt also mit wachsender Zahl der Alternativen exponential an. Bei jeweils 3 Einzelalternativen pro Entscheidung beträgt die {603} Zahl möglicher Alternativenbündel
        bei 1 Entscheidung 31 = 3,
        bei 2 Entscheidungen 32 = 9,
        bei 3 Entscheidungen 33 = 27 und
        bei 4 Entscheidungen bereits 34 = 81 Alternativenbündel.

Aus diesem Grund müssen sich die folgenden Überlegungen auf relativ einfache Beispiele konzentrieren.

Man kann nun die Interessenlage der Individuen in Bezug auf diese Alternativenbündel ebenso wie bei den Einzelalternativen durch eine Präferenzordnung wiedergeben. Dies soll an einem Beispiel mit 5 Individuen A bis E und 3 Einzelentscheidungen mit jeweils 2 Einzelalternativen veranschaulicht werden. [[15] Die Präferenzen der Individuen in Bezug auf die Einzelalternativen spielen hier keine Rolle und werden deshalb nicht wiedergegeben.] Es ergeben sich dann 32 = 9 Alternativenbündel als logisch mögliche Ergebnisse dieser Abstimmungsserie. Diese Alternativenbündel sollen mit den Ziffern 1 bis 9 bezeichnet werden. Die Präferenzordnungen der Individuen in Bezug auf diese Alternativenbündel seien wie folgt:

Präferenzordnungen (in Bezug auf Alternativenbündel 1 bis 9)

  A B C D E
1. 1 8 2 5 4
2. 2 9 3 4 5
3. 4 2 8 2 1
4. 7 3 9 1 2
5. 3 5 1 6 6
6. 5 7 5 8 7
7. 6 1 7 3 3
8. 8 6 6 7 8
9. 9 4 4 9 9


Abb.: 21.9

{604} Jedes auf seinen Vorteil bedachte Individuum wird nun versuchen, auf der Grundlage der von ihm bevorzugten Alternativenbündel Mehrheitskoalitionen zu bilden. [[16] Bei den folgenden Überlegungen wird davon ausgegangen, dass sich Globalkoalitionen bilden, d.h. solche Koalitionen, deren Abstimmungsvereinbarungen sich über sämtliche Entscheidungen erstrecken und damit ein vollständiges Alternativenbündel umfassen. Damit ist ausgeschlossen, dass sich wechselnde Mehrheiten bei den Einzelentscheidungen bilden. Es bliebe zu untersuchen, ob solche Globalkoalitionen bei vollkommen rationaler Koalitionsbildung in jedem Fall zustande kommen müssen.]

Ergibt sich für das von ihm bevorzugte Alternativenbündel keine Mehrheit, so wird das Individuum versuchen, eine Mehrheits-Koalition auf der Basis des nächstbesten Alternativenbündels zu bilden usw. Damit stellt sich das Problem, für welches der Alternativenbündel sich eine erfolgreiche Mehrheits-Koalition bildet analog zur Mehrheitsbildung bei Einzelalternativen. Der Unterschied ist nur, dass diesmal über globale Alternativenbündel in mehreren Einzelabstimmungen entschieden wird.

Da es sich in diesem Fall um ein individuell gleichgewichtiges Abstimmungsverfahren handelt, denn alle Individuen nehmen mit je einer Stimme an allen Einzelabstimmungen teil, lässt sich auch hier das oben formulierte Äquivalenz-Theorem anwenden, das besagt, dass sich bei rationaler Koalitionsbildung aller Individuen eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzt.

In unserm Beispiel existiert eine solche Mehrheitsalternative in Gestalt des Alternativenbündels 2, wie die folgende Wahlmatrix zeigt:{605}

Wahlmatrix zu Abb.21.9

 

1

2

3

4

5

6

7

8

9

1

-

2:3

3:2

3:2

2:3

5:0

4:1

3:2

3:2

2

3:2

-

5:0

3:2

3:2

5:0

5:0

4:1

4:1

3

2:3

0:5

-

2:3

3:2

3:2

4:1

3:2

4:1

4

2:3

2:3

3:2

-

2:3

3:2

3:2

3:2

3:2

5

3:2

2:3

2:3

3:2

-

5:0

4:1

3:2

3:2

6

0:5

0:5

2:3

2:3

0:5

-

2:3

3:2

3:2

7

1:4

0:5

1:4

2:3

1:4

3:2

-

2:3

3:2

8

2:3

1:4

2:3

2:3

2:3

2:3

3:2

-

5:0

9

2:3

1:4

1:4

2:3

2:3

2:3

2:3

0:5

-

Abb.: 21.10


Wie man sieht, ist das Alternativenbündel 2 im Paarvergleich allen andern Alternativenbündeln überlegen. Es findet sich gegenüber jedem andern Alternativenbündel also immer mindestens eine Mehrheit von 3 der 5 Individuen, für die das Alternativenbündel 2 besser ist. Bündel 2 kann deshalb als Mehrheitsalternativenbündel bezeichnet werden. Entsprechend dem Äquivalenz-Theorem wird sich Bündel 2 damit bei vollkommen rationaler Koalitionsbildung im Rahmen eines individuell gleichgewichtigen Abstimmungsverfahrens, z. B. nach der relativen Mehrheitsregel, durchsetzen.

Wenn z. B. die Individuen A, D und E versuchen würden, eine Mehrheitskoalition auf der Basis des Bündels 1 zu bilden, so könnten B und C das Individuum D davon überzeugen, dass eine Koalition zwischen ihnen auf der Basis 2 für D besser wäre, denn das Alternativenbündel 2 steht in der Präferenzordnung von D vor dem Bündel 1. Gäbe es z. B. eine Koalition zwischen B, D und E auf der Basis 5, so könnten A und C Individuum B davon überzeugen, dass eine Koalition zwischen ihnen auf der Basis 2 für B vorteilhafter wäre.

Ist jedoch einmal eine Mehrheits-Koalition auf der {606} Basis des Mehrheitsalternativenbündels 2 etabliert, so gibt es kein anderes Alternativenbündel, auf dessen Grundlage sich eine andere Mehrheitskoalition bilden könnte. Auch bei Entscheidungs-Serien bildet also die Mehrheitsalternative den Gleichgewichtspunkt. Dabei ist noch anzumerken, dass auch hier mit Hilfe einer solchen Analyse zwar der Inhalt der schließlich siegreichen Koalitionsvereinbarung bestimmt werden kann, jedoch nicht ihre personelle Zusammensetzung.

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§ 130  Zur Verhandlungsmacht bei Koalitionsbildungen

Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt wurde, kommt es im Mehrheitssystem bei eigeninteressiertem Verhalten der Individuen zu Koalitionsvereinbarungen zwischen den Individuen bzw. Gruppen. Damit stellt sich die Frage nach der Verhandlungsmacht, die die verschiedenen Verhandlungspartner besitzen. [[17] Vgl. hierzu BUCHANAN/TULLOCK 1969, S.68f. Übrigens ist für sie die monopolistische Verhandlungsmacht jedes Individuums und die daraus resultierenden Verhandlungskosten der entscheidende Grund für ein Abgehen von der Einstimmigkeits-Regel und die Akzeptierung der Mehrheitsregel.] Im Mehrheitssystem wird die Verhandlungsmacht eines Individuums oder einer Gruppe immer dadurch begrenzt, dass noch weitere potentielle Koalitionspartner existieren, mit denen ebenfalls eine Mehrheits-Koalition gebildet werden kann. Es besteht hier also immer eine Konkurrenz zwischen den potentiellen Koalitionspartnern, denn kein Individuum und keine Gruppe ist hier als Koalitionspartner unersetzlich.

Dies ist in Einstimmigkeits-Systemen anders, da dort jedes Individuum mit seiner Zustimmung  für die kollektive Entscheidung unersetzlich ist und folglich eine monopolistische {607}Verhandlungsmacht besitzt. Je niedriger der zur Durchsetzung einer Alternative erforderliche Stimmenanteil ist, umso geringer ist die Verhandlungsmacht des einzelnen Individuums, da die Zahl der Individuen, die es ersetzen können, steigt.


Ein Individuum oder eine Gruppe wird dabei die Koalitionsverhandlungen dann abbrechen, wenn die Forderungen des Verhandlungspartners zu einem Alternativenbündel führen würden, das schlechter ist als eine mögliche Koalitionsvereinbarung im Rahmen einer anderen Mehrheits-Koalition. Daraus wird deutlich, dass die Verhandlungsmacht einer Gruppe im Rahmen des Mehrheitssystems weniger von ihrer zahlenmäßigen Stärke abhängt als von der vorhandenen Gesamtkonstellation und der Beschaffenheit des Mehrheitsalternativenbündels.

So kann u. U. eine relativ kleine Gruppe, die in ihrer Interessenlage eine Mittelstellung zwischen zwei großen Gruppen einnimmt und deren Spitzen-Alternativenbündel zugleich das Mehrheitsalternativenbündel ist, als "Zünglein an der Waage" ihren großen Koalitionspartner zu relativ weitgehenden Konzessionen zwingen. Dies soll an einem einfachen 3-Gruppen-Beispiel verdeutlicht werden.

Angenommen Gruppe A umfasst 42% der Individuen, Gruppe B 10% und Gruppe C 48%. Die Interessenlage der beiden großen Gruppen A und C in Bezug auf die 3 Alternativenbündel 1, 2 und 3 sei genau entgegengesetzt, d.h. dass ihre Präferenzordnungen genau die umgekehrte Reihenfolge der {608} Alternativen aufweisen. Die kleine Gruppe C soll in ihrer Interessenlage dabei eine Mittelstellung einnehmen, sie bevorzugt jedoch das Spitzen-Alternativenbündel bzw. das "Programm" der Gruppe A (also 1) leicht vor dem der Gruppe C (also 3). Dabei sind die intrasubjektiven Präferenzintensitäten wiederum durch den Abstand zwischen den Alternativenbündeln ausgedrückt:


Präferenzordnungen (mit Intensitäten)

A (42%) B (10%) C (48%)
1 2 3
- - -
2 - 2
- 1 -
3 3 1

Abb.: 21.11

In einer solchen Interessenkonstellation kommt eigentlich nur eine Koalition zwischen B und A oder B und C in Frage, da B eine Mittelstellung einnimmt. [[18] Es sei denn, B hätte sich durch überzogene Forderungen bei A und C selber "austaktiert".]

Wenn einmal annimmt, dass diese 3 "Programme" nicht die einzigen Alternativen darstellen, sondern dass es noch eine Reihe von Zwischenformen gibt, die ebenfalls mögliche Ergebnisse darstellen, so reicht der Konzessionsbereich der Gruppe A gegenüber der Gruppe B bis an das Alternativenbündel 2, dem Programm der Gruppe B.

Alle Alternativenbündel, die nutzenmäßig zwischen den Bündeln 1 und 2 rangieren, sind für die Gruppe A immer noch besser als der Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit B, denn das würde eine Koalition zwischen den Gruppen B und C bedeuten auf der Grundlage eines Alternativenbündels, das für A wahrscheinlich zwischen den Bündeln 2 und 3 liegen würde, also schlechter wäre als Bündel 2. Aus diesem {609} Grund ist die Verhandlungsmacht von B gegenüber A relativ groß, denn B kann immer mit dem Abbruch der Verhandlungen drohen, während B für A als Koalitionspartner praktisch unersetzlich ist, da eine Koalition mit C nicht in Frage kommt.

Für die Gruppe B wäre deshalb bei einer solchen Interessenkonstellation eine Koalitionsvereinbarung mit A auf der Grundlage eines Alternativenbündels 2' möglich, das nur eine geringfügige Modifikation des Bündels 2 entsprechend den Interessen der Gruppe A darstellt. Der größere Koalitionspartner ist bei einer solchen Interessenkonstellation im Mehrheitssystem also zu weitergehenden Zugeständnissen gezwungen als der kleinere Koalitionspartner. Dabei ist die Feststellung von Bedeutung, dass sich die relativ starke Verhandlungsposition der Gruppe B allein aus ihrer interessemäßigen Mittelstellung zwischen den beiden andern Gruppen ergibt. Selbst wenn die zahlenmäßigen Stärkeverhältnisse zwischen den Gruppen A und B umgekehrt wären und A einen Anteil von 10% und B einen Anteil von 42% der Individuen besitzen würde, könnte die Gruppe B für sich keine vorteilhaftere Koalitionsvereinbarung abschließen.

Übrigens kann ein relativ weites Entgegenkommen der Gruppe A gegenüber den Zielen der Gruppe B auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt für die Gruppe A geboten sein. Da Koalitionen im Mehrheitssystem Zweckbündnisse darstellen, die von den Mitgliedern verlassen werden können, wenn sie individuell nachteilig geworden sind, besteht bei einem größeren Entgegenkommen der Mittelgruppe B gegenüber der Gruppe A die Gefahr, dass einige Mitglieder der Gruppe B, die {610} mit dieser Entscheidung ihrer Koalitionsführung nicht einverstanden sind, ihre bisherige Koalition verlassen und zur Gruppe C überwechseln, sodass diese Gruppe jetzt die absolute Mehrheit bekommen würde und das Alternativenbündel 3 durchsetzen könnte. Dies wäre für die Gruppe A dann das schlechteste aller möglichen Ergebnisse. Auch aus diesem Grund wird die Gruppe A also bei den Koalitionsverhandlungen mit B relativ entgegenkommend sein.

Die besondere Verhandlungsmacht einer kleinen Mittelgruppe gegenüber allen potentiellen Koalitionspartnern hängt damit zusammen, dass sich das interessemäßig "mittlere" Individuum in dieser Gruppe befindet und dass das Programm der Mittelgruppe gewissermaßen die Mehrheitsalternative darstellt. [[19] Zum Zusammenhang zwischen medianer Spitzenalternative und Mehrheitsalternative s.o. § 111.]

Um dies zu veranschaulichen, soll von der vereinfachenden Annahme ausgegangen werden, dass alle drei Gruppen in sich interessemäßig homogen sind, sodass ihre Mitglieder jeweils identische Präferenzordnungen aufweisen. In diesem Fall decken sich die Präferenzen der Gruppen völlig mit den Interessen jedes einzelnen Gruppenmitglieds. Bei einem Paarvergleich der Bündel 1, 2 und 3 bezogen auf 100 Individuen ergäbe sich dann folgende Wahlmatrix:


Wahlmatrix zu Abb.21.11

  1 2 3
1 - 42:58 52:48
2 58:42 - 52:46
3 48:52 48:52 -

Abb.:   21.12

{611} Wie man sieht, bildet die Spitzenalternative der kleinen Mittelgruppe B, das Bündel 2 zugleich die Mehrheitsalternative, wenn man von in sich homogenen Gruppen ausgeht. Aus diesem Grunde wäre es auch entgegen der inneren Logik des Mehrheitssystems, wenn man kritisieren würde, dass die kollektiven Entscheidungen in so starkem Maße nach dem Willen einer relativ kleinen Gruppe verlaufen. Entscheidend ist hier nicht die zahlenmäßige Stärke sondern die Tatsache, dass sich die Präferenzen dieser Gruppe mit der Mehrheitsalternative decken.

Die normative Rechtfertigung des Mehrheitssystems liegt darin, dass es zur Durchsetzung einer vorhandenen Mehrheitsalternative führt, die unter bestimmten Voraussetzungen als eine Annäherung an das Gesamtinteresse verstanden werden kann. [[20] Zum Verhältnis zwischen der Mehrheitsalternative und der Alternative des maximalen Gesamtnutzens s.u. § 139.] {612}

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22. Kapitel

Die normative Beurteilung des Mehrheitssystems


§ 131  Mehrheitsprinzip und Gleichgewichtung der individuellen Präferenzordnungen

Im Mehrheitssystem werden die individuellen Präferenzordnungen zu einer kollektiven Entscheidung zusammengefasst. Dabei spielt es keine Rolle, von welchem Individuum welche Präferenzordnung stammt. Bei Anwendung der relativen Mehrheitsregel ist es z. B. ohne Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmung, ob eine bestimmte Stimme von Individuum A oder B stammt: jede Stimme zählt in gleicher Weise. Dies ermöglicht auch eine geheime Stimmabgabe, was unter dem Gesichtspunkt einer sanktionsfreien Äußerung der individuellen Interessen von Bedeutung sein kann. Die relative Mehrheitsregel besitzt also die Eigenschaft der Anonymität, die erfordert, dass bei einer gegebenen Menge von Präferenzen durch deren Vertauschung zwischen den Individuen die kollektive Präferenz nicht verändert werden darf. [[1] Zur Bedingung der Anonymität vgl. MAY 1952 sowie SEN 1970, S.68.]

Die Eigenschaft der Anonymität gilt dabei nicht nur für die relative Mehrheitsregel sondern für alle individuell gleichgewichtigen Abstimmungsverfahren unter der Bedingung rationaler Koalitionsbildung. All diese Verfahren führen unter diesen Bedingungen zur Durchsetzung der {613} Mehrheitsalternative. Zu deren Feststellung z. B. durch eine Wahlmatrix muss man jedoch nicht wissen, wer welche Präferenzordnungen besitzt, denn in der Wahlmatrix tauchen überhaupt keine Individuennamen auf.

Die Eigenschaft der Anonymität für das Mehrheitssystem ergibt sich also aus der grundlegenderen Eigenschaft, dass im Mehrheitssystem die allerdings nur ordinal bestimmten individuellen Nutzen gleiches Gewicht erhalten. Dies erfordert, dass alle Individuen an allen Abstimmungen teilnehmen und dass sie jeweils die gleiche Stimmen- bzw. Punktzahl zu vergeben haben.

Diese Beziehung zwischen Mehrheitsprinzip und der Gleichheitsforderung macht DOWNS deutlich. "Die grundlegende Prämisse hinter der einfachen Mehrheitsregel ist, dass jedem Wähler das gleiche Gewicht zukommen soll wie jedem andern Wähler. Danach ist es im Falle der Uneinigkeit besser, wenn mehr Wähler weniger Wählern vorschreiben, was zu tun ist, als umgekehrt. Jede Regel, die mehr als eine einfache Mehrheit für die Zulassung einer Handlung fordert, erlaubt einer Minderheit, die Aktion einer Mehrheit zu verhindern, wodurch der Stimme jedes Mitglieds der Minderheit ein größeres Gewicht gegeben wird als der Stimme jedes Mitglieds der Mehrheit." [[2] DOWNS 1961, S.192. In gleicher Weise argumentieren auch DAHL/LINDBLOM 1963, S.44.]

In diesem egalitären Aspekt des Mehrheitsprinzips liegt ein wichtiger Unterschied zum Eigentum-Vertrags-System, das mit keiner bestimmten Gewichtung der individuellen Interessen verbunden ist. {614}

Je nach der Verteilung des Eigentums auf die Individuen - und das heißt vor allem: je nach der Verteilung des Eigentums an Produktionsfaktoren - bekommen die Präferenzen der Individuen im Eigentum-Vertrags-System ihr Gewicht. Je unterschiedlicher das Produktivvermögen auf die Individuen einer Gesellschaft verteilt ist, umso unterschiedlicher werden ihre Interessen bei der kollektiven Entscheidung berücksichtigt.

Wenn man z. B. die Verteilung von Gütern über den Markt als ein Wahlverfahren interpretiert, so hieße das, dass jedem Individuum entsprechend seinem Einkommen eine unterschiedliche Zahl von Stimmen bzw. Punkten zugeteilt wird. [[3] Vgl. hierzu BERNHOLZ 1972, S.105f.]

Unter dem Gesichtspunkt einer solidarischen Berücksichtigung der individuellen Interessen erscheint das Mehrheitsprinzip also geeigneter als das Eigentum-Vertrags-System, das immanente Tendenzen zu einer immer ungleicheren Verteilung des Eigentums auf die Individuen enthält. [[4] Zu kumulativen Tendenzen des Eigentums s.o. § 85.]

Allerdings erfolgt im Mehrheitssystem immer nur eine Gleichgewichtung der ordinal ermittelten individuellen Nutzen, da nur die individuellen Präferenzordnungen berücksichtigt werden. Es kann folglich im Mehrheitssystem keine interpersonal vergleichbare Abwägung der Dringlichkeit von Interessen verschiedener Individuen vorgenommen werden. [[5] Zur Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten s.u. § 138.] {615}

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§ 132  Weitere Eigenschaften des Mehrheitsprinzips

Im Rahmen von Untersuchungen über die Logik kollektiver Entscheidungen wurden weitere Eigenschaften des Mehrheitsprinzips bestimmt, wobei darunter immer der paarweise Vergleich gemäß CONDORCET verstanden wird, der zur Auswahl der Mehrheitsalternative führt. Da jedoch im Falle rationaler Koalitionsbildung alle individuell gleichgewichtigen Abstimmungsverfahren ebenfalls zur Auswahl der Mehrheitsalternative führen, können diese Ergebnisse auf diese Verfahren übertragen werden. [[6] Zum Folgenden s. SEN 1970, S.116ff.]

Offensichtlich ist, dass die Mehrheitsregel nicht diktatorisch ist. Es gibt also kein Individuum, dessen Wille für die kollektive Entscheidung allein maßgebend ist unabhängig davon, was die übrigen Individuen wollen. [[7] Zur Bedingung der Nicht-Diktatur s. ARROW 1963, S.30.] Außerdem beinhaltet die Mehrheitsregel eine positive Entsprechung (positive responsiveness) zwischen den individuellen Präferenzen und der kollektiven Präferenz.

Für eine Entscheidungsregel, die dieser Bedingung genügen soll, muss gelten: "Wenn x in bestimmten Situationen als kollektiv ebenso gut angesehen wird wie y und x dann in der Präferenz irgendeines Individuums gegenüber y steigt, ohne in der Präferenz von irgendjemand zu fallen, so muss x daraufhin als eindeutig besser als y angesehen werden." [[8] SEN 1970, S.68.]

Dass diese Bedingung durch das Mehrheitsprinzip {616} erfüllt wird, lässt sich ebenfalls leicht zeigen. Wenn die Alternativen x und y zuerst im Paarvergleich Stimmengleichheit hatten und deshalb als kollektiv gleich gut angesehen wurden, so muss jede individuelle Änderung der Präferenz zwischen x und y zugunsten von x zur Stimmenmehrheit von x führen, die damit zur kollektiv besseren Alternative wird.

Weiterhin ist das Mehrheitsprinzip neutral gegenüber den zur Entscheidung anstehenden Alternativen und bevorzugt nicht systematisch bestimmte Alternativen. "Neutralität verlangt: Wenn im Fall 1 zwei Alternativen x und y in den Präferenzen jedes Individuums genau die gleiche Beziehung zueinander haben wie z und w im Fall 2, dann muss die soziale Präferenz zwischen x und y im Fall 1 genau die gleiche sein wie die soziale Präferenz zwischen z und w im Fall 2." [[9] SEN 1970, S.72.]

Auch die Neutralitäts-Bedingung wird vom Mehrheitsprinzip offensichtlich erfüllt, denn für den Paarvergleich spielen Art oder Bezeichnung der Alternativen keine Rolle, es kommt allein auf Rangordnung der beiden Alternativen in den individuellen Präferenzen an.

Auch die Bedingung des unbeschränkten Bereichs (unrestricted domain) der Präferenzen wird vom Mehrheitsprinzip erfüllt. Diese Bedingung besagt, dass alle logisch möglichen individuellen Präferenzrangfolgen der Alternativen zugelassen sein müssen. [[10] Siehe dazu ARROW 1963, 3.24 und SEN 1970, S.37.] {617}

Zuletzt sei noch die Bedingung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen erwähnt, die das Mehrheitsprinzip ebenfalls erfüllt. Diese Bedingung verlangt, dass die kollektive Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen allein auf den individuellen Rangordnungen derjenigen Alternativen beruhen muss, die tatsächlich zur Entscheidung stehen. "Angenommen es geht um die Wahl zwischen x und y und die individuellen Rangordnungen von x und y bleiben dieselben, nur die Rangordnung von x gegenüber irgendeiner anderen Alternative z verändert sich oder die Rangordnung von z gegenüber einer weiteren Alternative w wechselt. In diesem Fall ist zu fordern, dass die soziale Wahl zwischen x und y weiterhin unverändert bleiben soll."   [[11] SEN 1970, S.37. Siehe zu diesen Bedingungen auch die Diskussion des ARROW-Theorems oben § 37/3.]

MAY hat nun nachgewiesen, dass die Mehrheitsregel die einzige kollektive Entscheidungs-Regel ist, die die genannten fünf Bedingungen erfüllt (Unbeschränkter Bereich der individuellen Präferenzen, Unabhängigkeit der kollektiven Entscheidung von irrelevanten Alternativen, Anonymität in Bezug auf die Individuen, Neutralität gegenüber den Alternativen, Positive Entsprechung individueller und kollektiver Präferenzen) und die außerdem noch insofern entscheidungsfähig ist, als sie für jedes beliebige Alternativenpaar x und y angeben kann, ob x mindestens ebenso gut ist wie y oder y ebenso gut ist wie x.
[[12] Siehe MAY 1952 sowie den Beweis bei SEN 1970, S. 71ff. Zur genauen Definition des Begriffs "entscheidungsfähige kollektive Entscheidungs-Regel" (decisive collective choice rule) s. SEN 1970, S.23 u. 28.]

Allerdings muss sich bei mehr als zwei Alternativen mit Hilfe der Mehrheitsregel nicht immer eine eindeutige Rangordnung der Alternativen ergeben aufgrund zirkulärer Mehrheiten. [[13] Siehe dazu unten § 136.1]

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§ 133  Mehrheitsprinzip und kollektive Betroffenheit von Entscheidungen

Als ein problematischer Punkt des Eigentum-Vertrags-Systems war oben die häufig mangelnde Abgrenzbarkeit der individuellen Verfügungsbereiche diskutiert worden, die zu nicht vertraglich geregelten Einwirkungen zwischen den Eigentumssphären führt, sei es in Form der sogenannten kollektiven Güter oder aber der externen Effekte. [[14] Siehe dazu oben Kap.14.]

Solche Probleme ergeben sich bei Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht, da hier die Individuen nicht nur für einen jeweils separaten Bereich zuständig sind, sondern alle Individuen ihren Interessen zu allen Aspekten der zur Entscheidung anstehenden Alternativen Ausdruck geben können. Es kann also bei Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht der Fall sein, dass ein Individuum negativ oder positiv von bestimmten Entscheidungen betroffen wird, ohne dass nicht auch sein Interesse - wenn auch als eines unter vielen - dabei berücksichtigt wurde. [[15] Zur Modifizierung der reinen Mehrheitsregel durch abgegrenzte kollektive oder individuelle Verfügungsbereiche s.u. § 142. In diesem Fall stellt sich auch für das Mehrheitsprinzip das Problem externer Effekte.]

Ganz allgemein lässt sich deshalb vorläufig festhalten, dass unter dem Gesichtspunkt der {619}Berücksichtigung aller betroffenen Interessen das Mehrheitsprinzip dann dem Eigentum-Vertrags-System vorzuziehen ist, wenn sich Auswirkungen von Entscheidungen nicht auf individuelle Verfügungsbereiche beschränken lassen.

Allerdings können Eigentum-Vertrags-System und Mehrheitssystem u. U. auch miteinander kombiniert werden, um einmal die eher individuellen und das andere mal die eher kollektiven Effekte zu regeln. So kann man z. B. das Eigentumsrecht an bestimmten Gütern durch mehrheitlich beschlossene Normen auf bestimmte Verwendungsarten einschränken. So mag etwa das Eigentumsrecht an Motorrädern erhalten bleiben, aber es kann ihren Eigentümern verboten sein, damit eine bestimmte Lautstärke zu überschreiten. Oder es mag das Eigentumsrecht an Geldvermögen erhalten bleiben, aber dies Vermögen darf nicht als privates Kapital zur Anstellung von Lohnarbeitern verwandt werden.

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§ 134  Der Informations- und Entscheidungsaufwand im Mehrheitssystem

Die Tatsache, dass im Mehrheitssystem nicht nur auf die eigene Verfügungssphäre beschränkte Interessen berücksichtigt werden, hat jedoch auch verschiedene Nachteile unter dem Gesichtspunkt einer Maximierung des Gesamtnutzens. Neben der Nicht-Berücksichtigung der unterschiedlichen Betroffenheit der Individuen, auf die unten noch näher eingegangen wird, treten durch ein solches Mitentscheidungsrecht aller Individuen bei allen Entscheidungen erhebliche Kosten der Informationsbeschaffung und der Entscheidungsdurchführung auf. {620}

Jedes Individuum muss jetzt bei jeder Entscheidung jede Alternative in all ihren Aspekten kennen und bewerten, um eine qualifizierte Präferenzordnung dieser Alternativen aufstellen zu können. Außerdem müssen sämtliche individuellen Präferenzen dann erfasst und über das Abstimmungsverfahren und ihre teilweise komplizierten Koalitionsbildungen aggregiert werden.

Dabei wird klar, dass unter dem Gesichtspunkt des Gesamtnutzens der immense Entscheidungsaufwand die Vorteile durch die Wahl der Mehrheitsalternative wahrscheinlich in vielen Fällen zunichte machen wird.

Selbst wenn Verfahren zur Senkung des Entscheidungsaufwands benutzt werden, wie die oben diskutierten Beratungs- und Vertretungsverfahren oder die Aufstellung genereller Normen, so bleibt doch der Entscheidungsaufwand gewaltig: Es müssen ständig auf der Ebene des Gesamtkollektivs alle möglichen Entscheidungen getroffen werden, um mögliche Konflikte zu regeln, bis hin zu kleinsten Details individuellen Verhaltens.

Aus diesem Grund liegt auch für das Mehrheitsprinzip eine Modifizierung durch die Bildung individueller und kollektiver Zuständigkeitsbereiche nahe. [[16] Zur Bildung kollektiver und individueller Verfügungsbereiche im Rahmen des Mehrheitssystems siehe unten § 142.] Dadurch dass die Individuen dann nicht mehr mit allen Entscheidungen befasst sind, sondern nur noch mit denjenigen, für die ihr Teilkollektiv zuständig ist, sinkt der Entscheidungsaufwand erheblich. {621}

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§ 135  Mehrheitsprinzip und Status-quo-Klausel

Verschiedene der oben besprochenen Abstimmungsverfahren führen nicht notwendig zu einer eindeutigen kollektiven Entscheidung. So kann man etwa bei der absoluten Mehrheitsregel durch die Einfügung einer Status-quo-Klausel sicherstellen, dass es auch dann zu einer definitiven Entscheidung kommt, wenn keine der zur Entscheidung stehenden Alternativen die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.

Durch den Zusatz einer Status-quo-Klausel werden diejenigen Individuen zu Abstimmungskoalitionen motiviert, die Gewinnaussichten für eine Alternative sehen, der sie gegenüber dem Status quo den Vorzug geben. Insofern kann die Einführung der Status-quo Klausel also bewirken, dass jetzt eine Alternative die erforderliche Mehrheit bekommt, die sie ohne Status-quo-Klausel nicht bekommen hätte. Die Einführung einer Status-quo-Klausel ruft also selber Kräfte auf den Plan, die an einer Vermeidung der Status-quo-Lösung interessiert sind. [[17] Eine Illustration hierfür gibt das Beispiel in Kap. 20.]

Im Prinzip gilt auch für das Mehrheitssystem, dass durch die Einführung einer Status-quo-Klausel ein konservativer Aspekt in das Entscheidungsverfahren kommt, denn eine bestimmte Alternative - die Beibehaltung des bestehenden Zustandes - wird dadurch gegenüber anderen Alternativen bevorzugt behandelt. [[18] Vgl. z. B. die obige Kritik an der Verbindung von Einstimmigkeits-Regeln und Status-quo-Klauseln in § 71.] {622}

Die Status-quo-Klausel wirkt sich in Verbindung mit der absoluten Mehrheitsregel jedoch lange nicht so scharf aus wie in Verbindung mit Einstimmigkeits-Regeln, wo bereits das Veto eines einzigen Individuums eine Veränderung des Status quo unmöglich macht. Bei Anwendung der absoluten Mehrheitsregel muss eine den Status quo verändernde Alternative nur von mehr als 50% der Individuen gegenüber dem Status quo vorgezogen werden, um sich durchzusetzen, und nicht von 100%.

Im absoluten Mehrheitssystem mit rationaler Koalitionsbildung gibt die Status-quo-Klausel genaugenommen nur in dem einzigen Fall den Ausschlag, wo genau 50% der Individuen den Status quo gegenüber einer Alternative x befürworten und 50% die Alternative x gegenüber dem Status quo. In allen andern Fällen bekommen bei rationaler Koalitionsbildung entweder der Status quo oder die konkurrierende Alternative eine absolute Mehrheit, sodass die Status-quo-Klausel keine Rolle spielt.

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§ 136  Zyklische Mehrheiten und das Problem der Instabilität im Mehrheitssystem

In den vorangegangenen Untersuchungen war immer vorausgesetzt worden, dass eine Mehrheitsalternative existiert. Unter dieser Bedingung war z. B. auch das Äquivalenz-Theorem formuliert worden. Wie jedoch bereits mehrfach angesprochen und wie ARROW in seinem "Allgemeinen Unmöglichkeits-Theorem" bewiesen hat, kann das Mehrheitsprinzip in der Form des Paarvergleichs zu zyklischen Mehrheiten führen, indem eine Alternative x gegenüber der Alternative y von einer Mehrheit vorgezogen wird, desgleichen y gegenüber z und zugleich wiederum z gegenüber x. Wenn {623} in derartige Zirkeln auch die kollektiv besten Alternativen einbezogen sind, sodass keine Alternative in allen Paarvergleichen überlegen ist, so gibt es überhaupt keine Mehrheitsalternative.

Ein Beispiel für das Fehlen einer Mehrheitsalternative geben folgende zirkuläre Präferenzordnungen:


Präferenzordnungen
(zirkulär)

A B C
x y z
y z x
z x y

 Abb. 22.1

 

Die zugehörige Wahlmatrix sieht folgendermaßen aus:


Wahlmatrix zu Abb. 22.1

  x y z
x - 2:1 1:2
y 1:2 - 2:1
z 2:1 1:2 -

Abb. 22.2


Wie man sieht, schlägt bei dieser Interessenkonstellation im Paarvergleich jede Alternative einmal eine andere Alternative und wird einmal selber geschlagen. Es gibt Mehrheiten für x gegenüber y, für y gegenüber z, aber auch für z gegenüber x.

Dies bereits lange bekannte Abstimmungsparadox führt zum Fehlen einer Mehrheitsalternative, sofern die zirkulären Mehrheiten an der Spitze der kollektiven Präferenzordnung auftreten, wie in diesem Fall. Wenn dagegen eine Mehrheitsalternative existiert, die in allen Paarvergleichen eine Mehrheit erhält, und wenn nur bei den nachgeordneten Alternativen solche zyklischen Mehrheiten auftreten, so ist das für die kollektive Entscheidung unproblematisch, da es ja nur um die {624} Bestimmung der kollektiv besten Alternative geht.

Um die praktische Bedeutsamkeit dieses Problems zu beurteilen, haben verschiedene Autoren die Häufigkeit des Fehlens einer Mehrheitsalternative abzuschätzen versucht. [[19] Vgl. zum Folgenden SEN 1970, S.163ff.] Dabei wurde meist von der Annahme ausgegangen, dass jede logisch mögliche individuelle Präferenzordnung die gleiche Wahrscheinlichkeit des Auftretens hat. [[20] So z. B. GARMAN/KAMIEN 1968 und NIEMI/WEISBERG 1968, von denen die folgenden Ergebnisse stammen.]

Bei Voraussetzung der Gleichwahrscheinlichkeit beträgt die Wahrscheinlichkeit für das Fehlen einer Mehrheitsalternative bei 3 Alternativen und 3 Individuen 5,56%. [[21] Siehe SEN 1970, S.164.] Je mehr Individuen an der Abstimmung teilnehmen, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit für das Fehlen einer Mehrheitsalternative. Jedoch auch bei unendlich vielen Individuen ist die Wahrscheinlichkeit hierfür niemals größer als 1:11 oder 8,77%.

Wenn bei einer sehr großen Zahl von Individuen auch die Zahl der Alternativen ansteigt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für das Fehlen einer Mehrheitsalternative ständig mit an und überschreitet bei 40 Alternativen mit 81,23% sogar die 80%-Marke, tritt also in mehr als 4 von 5 Fällen auf. [[22] Die Ergebnisse von NIEMI/WEISBERG 1968 finden sich in SEN 1970, S.164.]{625}

SEN schreibt jedoch dazu: "Dies scheint ein ziemlich bedrückendes Faktum zu sein. Aber in Wirklichkeit ist es das nicht, denn die Gleichwahrscheinlichkeitsannahme ist eine sehr spezielle und scheint eine Nichtberücksichtigung von Gesellschaft in einer bedeutsamen Hinsicht zu beinhalten. ... Individuelle Präferenzen werden nicht durch die Drehung einer Roulette-Scheibe über alle möglichen Alternativen bestimmt, sondern durch bestimmte soziale, ökonomische, politische und kulturelle Kräfte. Dies kann leicht irgendwelche Muster in der Menge der individuellen Präferenzen hervorbringen. Das müssen übrigens keine Muster der Übereinstimmung sein. Scharfe Uneinigkeit kann konsistente und transitive Mehrheits-Entscheidungen hervorbringen [[23] SEN 1970, S.164f.]

Sofern man jedoch anstelle einer Zufallsverteilung bestimmte Strukturen bei den individuellen Präferenzordnungen annimmt, so geht die Wahrscheinlichkeit für das Fehlen einer Mehrheitsalternative zurück oder verschwindet sogar völlig, wie im Falle der "eingipfligen" Präferenzen. [[24] Zu eingipfligen Präferenzen s.o. § 111.]

Eine genauere Einschätzung der praktischen Bedeutsamkeit zyklischer Mehrheiten würde empirische Untersuchungen über Strukturen und Konstellationen der individuellen Präferenzen erforderlich machen, die jedoch nur schwer durchzuführen sind.

Da die bisherigen Überlegungen zur Koalitionsbildung und zum Ausgang der Abstimmung im Mehrheitssystem die Existenz einer Mehrheitsalternative voraussetzten, sind im Falle des Fehlens einer Mehrheitsalternative {626} weitergehende Überlegungen erforderlich.

Es stellt sich die Frage, welches Ergebnis sich bei bestimmten Entscheidungsverfahren wie z. B. der relativen Mehrheitsregel einstellen wird, wenn keine Mehrheitsalternative vorhanden ist, die sonst den Gleichgewichtspunkt der Koalitionsbildung darstellt. Diese Frage soll im Folgenden anhand des obigen Beispiels zirkulärer Präferenzen aus Abb. 22.1 analysiert werden.

Offenbar reichen in einem solchen völlig symmetrischen Fall die Kenntnis der individuellen Präferenzordnungen und die Annahme eines eigeninteressierten Verhaltens der Individuen nicht aus, um das Ergebnis zu determinieren. Allerdings sind in der Realität die Entscheidungssituationen praktisch nie vollkommen symmetrisch. Dies ist ebenso unwahrscheinlich wie die klassische Geschichte vom Esel, der verhungerte, weil er sich nicht entscheiden konnte, welchen von zwei gleich schmackhaften und gleich weit entfernten Heubüscheln er fressen sollte.

Zirkuläre Mehrheiten bedeuten, dass es zu jedem möglichen Ergebnis mindestens ein anderes Ergebnis gibt, das von einer Mehrheit der Individuen vorgezogen wird. Dadurch gibt es kein stabiles Koalitionsergebnis, denn es besteht immer die Tendenz, zu einer andern Koalition auf Grundlage einer andern Vereinbarung überzugehen. Da die Mehrheiten zirkulär sind, ergibt sich im Prinzip eine endlose Kreisbewegung.

Dies "Koalitionskarussell" mit seinen verschiedenen Stationen ist in der folgenden Abb. 22.3 wiedergegeben. Dabei sind die verschiedenen Mehrheits-Koalitionen mit ihrer personellen Zusammensetzung und der dazugehörigen Koalitionsvereinbarung in der Reihenfolge {627} ihrer Ablösung untereinander geschrieben worden.

 

"Koalitionskarussell" zu Abb. 22.1

  Koalition aus: Vereinbarung
1. Station A + B y

Wechsler:

 A  
2. Station A + C x

Wechsler:

 C    
3. Station B + C z

Wechsler:

 B  
4. Station B + A y

Abb.: 22.3 


Damit eine alte Mehrheits-Koalition zugunsten einer neuen aufgelöst wird, muss immer mindestens ein Individuum von der alten Koalition zur neuen Koalition wechseln. Es sind diese Wechsler, die gewissermaßen das Koalitionskarussell in Schwung halten und die verhindern, dass es an einer bestimmten Stelle zum Stehen kommen kann.

Die Labilität einer bestimmten Koalition entspricht dabei der Stärke, mit der ein bestimmtes Individuum aus der einen Koalition in die andere Koalition strebt. Dies hängt jedoch vor allem davon ab, wie stark seine Präferenzintensität in Bezug auf das Ergebnis der neuen Koalition gegenüber dem Ergebnis der alten Koalition ist. Sofern sich interpersonal vergleichbare Unterschiede in den Präferenzintensitäten der Koalitionswechsler finden, ist die Situation nicht mehr völlig symmetrisch und bestimmte Koalitionen sind labiler als andere, sodass sich angeben lässt, welche Koalition in dieser Hinsicht am stabilsten ist und damit das wahrscheinlichste Endergebnis des Koalitionsbildungsprozesses darstellt. {628}

Es sei angenommen, dass hinter den Präferenzordnungen der Individuen folgende interpersonal vergleichbare Präferenzintensitäten stehen, die wiederum durch den Abstand zwischen den Alternativen ausgedrückt sind:

Präferenzordnungen (mit Intensitäten)

A B C
x y z
y - -
- - -
- z x
z x v

 Abb.: 22.4

Wenn die Präferenzordnungen der Individuen derartig beschaffen sind, so hat das Koalitionskarussell am wenigsten Schwung beim Übergang von der Koalition (A + B) auf der Grundlage der Alternative y - im Folgenden symbolisiert durch "AB:y" - zur Koalition AC:x, denn hier ist A der erforderliche Wechsler, und für A besteht zwischen den Alternativen x und y nur eine vergleichsweise geringe Nutzendifferenz.

Demgegenüber sind die beiden übrigen Koalitionen AC:x und BC:z sehr viel labiler, denn das eine Mal hat Individuum C ein vergleichsweise starkes Interesse, von x nach z überzugehen, und das andere Mal hat Individuum B ein ebenso starkes Interesse, von z nach y überzugehen.

Das Koalitionskarussell wird unter diesen Voraussetzungen wahrscheinlich bei der Koalition AB:y zum Stehen kommen. Denn Individuum A hat durch die neue Koalition auf der Grundlage x keine großen Vorteile zu erwarten und muss außerdem befürchten, dass die neue Koalition mit C nicht sehr stabil sein wird, da C ein starkes Interesse daran hat, zusammen mit B anstelle von x die Alternative z durchzusetzen. Dies Ergebnis würde für A jedoch sehr nachteilig sein, wie aus Abb. 22.4 zu ersehen ist. {629}

Zugleich hat Individuum B im Falle einer Koalition BC:z ein vergleichsweise starkes Interesse, die Koalition AB:y herzustellen, denn B zieht y gegenüber z stark vor und B braucht auch seinerseits kaum zu befürchten, dass A dieser Koalition "untreu" wird, wie die obigen Überlegungen gezeigt haben.

Bei den vorangegangenen Überlegungen ist übrigens nicht unbedingt davon auszugehen, dass alle Koalitionen tatsächlich geschlossen und wieder aufgelöst werden. Eher werden die verschiedenen Möglichkeiten von den Beteiligten in Gedanken durchgespielt und führen dann schließlich zu einer bindenden Koalitionsvereinbarung. Oder man kann sich die Bestimmung der stabilsten Koalition so vorstellen, dass dieselbe Konstellation wiederholt durchgespielt wird nach Art eines Experimentes, sodass die Individuen ihre strategischen "Fehler" korrigieren können, bis schließlich eine bestimmte Koalition sich herauskristallisiert als die stabile Lösung.

Noch aus einem andern Grund kann man davon ausgehen, dass sich eine stabile Lösung auch im Falle zyklischer Mehrheiten ergibt. Wenn man z. B. davon ausgeht, dass in der Realität immer bereits bestimmte Koalitionen bestehen, so stellen mögliche Umstellungskosten von einer bereits bestehenden Koalition auf eine neue Koalition eine "Reibung" dar, die das Koalitionskarussell ebenfalls bremst. "Der Kern von Stabilität ist nicht Vollkommenheit sondern Reibung. ... In der Realität entsteht die Reibung aus den Kosten und Anstrengungen, die erforderlich sind, um genügend politische Kraft für die Bewirkung einer Änderung aufzubringen." [[25] WINCH 1971, S.187 u. 188.]

Wenn also {630} neue Koalitionsverhandlungen für die Beteiligten mit Kosten und möglichen Risiken verbunden sind, so werden sie u. U. selbst dann darauf verzichten, wenn im Prinzip eine andere Koalitionsvereinbarung auf Grundlage einer Alternative möglich wäre, die von ihnen bevorzugt wird.

Wenn diese Annahme über Umstellungskosten von einer Koalition auf die andere zutrifft, so tendiert jede einmal eingegangene Koalition zur Stabilität. Von dorther gibt es für die Individuen in einer offenen Koalitionssituation auch ein Motiv, möglichst als erster eine Koalitionsvereinbarung abzuschließen, um nicht der am schlechtesten gestellte Dritte zu sein. Neben dem Verhandlungsgeschick der Beteiligten wird dabei wiederum die relative Präferenzintensität der Individuen in Bezug auf die zur Entscheidung stehenden Alternativen Auswirkungen darauf haben, welche Koalition als erste "perfekt" ist.

Dies kann anhand des obigen Beispiels aus Abb. 22.4 verdeutlicht werden. Wenn für Individuum A die Nutzendifferenz zwischen den Alternativen x und y relativ gering ist, während die Nutzendifferenz zwischen y und z im Verhältnis dazu sehr groß ist, so wird Individuum A relativ rasch mit einer Koalition auf der Basis der Alternative y einverstanden sein, um nicht das Risiko einer Koalition zwischen B und C auf der Basis z einzugehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt würde also die Koalition von A und B auf der Grundlage von y das wahrscheinlichste Ergebnis sein. {631}

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§ 137  Nutzenmäßige Interdependenzen zwischen verschiedenen Entscheidungen im Mehrheitssystem

Wenn eine Reihe von Entscheidungen durch einzelne Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden, so kann dabei das Problem auftreten, dass man die eine Entscheidung sinnvoller Weise nicht unabhängig vom Ausgang anderer Entscheidungen treffen kann, da die Konsequenzen der einen Entscheidung die Ausgangsbedingungen der andern Entscheidung beeinflussen.

So hängt etwa die Entscheidung I, ob die Verkehrsverbindung zu einer bestimmten Stadt ausgebaut werden sollen oder nicht, von der Entscheidung II ab, ob diese Stadt Standort eines geplanten großen Industriewerkes wird oder nicht. Die Abstimmung der Individuen wird folglich bei der Entscheidung I auch bei identischer Interessenlage unterschiedlich ausfallen, wenn sie bei der Entscheidung II unterschiedliche Ergebnisse erwarten.

BLACK nennt solche Interdependenzen zwischen dem individuellen Nutzen der einen Alternative und der Realisierung einer andern Alternative aus anderen Entscheidungen "Komplementarität". "Wenn die Rangordnung der Anträge zu einem Gegenstand bei einem Gremiumsmitglied von Beschlüssen abhängt, von denen es glaubt, dass sie in Bezug auf einen anderen Gegenstand in Kraft treten werden, so sollen die Anträge komplementär in Beziehung zu dessen Bewertungen genannt werden. ... Ohne Zweifel sind sowohl in der Politik als auch in der Ökonomie komplementäre Wertungen die Regel und unabhängige Wertungen die Ausnahme." [[26] BLACK 1971, S.125.] {632}

Die Probleme solcher nutzenmäßigen Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Entscheidungen treten allerdings nicht nur bei Anwendung des Mehrheitsprinzips auf, sondern entstehen generell bei allen Entscheidungen, sogar bei den isolierten Entscheidungen eines einzelnen Individuums. Immer wenn die Ergebnisse der einen Entscheidung I zu den faktischen Ausgangsbedingungen einer andern Entscheidung II werden, entstehen solche nutzenmäßigen Interdependenzen. Wenn man nicht weiß, wie die Entscheidung I ausfällt, so entsteht Ungewissheit über die faktische Ausgangslage bei der Entscheidung II.

Wenn die Annahmen der Individuen über das zu erwartende Ergebnis der Entscheidung I nicht mit dem tatsächlichen Ergebnis übereinstimmen, so beruhen die Abstimmungen der Individuen bei Entscheidung II auf falschen faktischen Annahmen, ihre Präferenzäußerungen sind also in dieser Hinsicht unqualifiziert. Ein Individuum würde in diesem Fall sagen: "Hätte ich gewusst, dass die Entscheidung I so ausgehen wird, so hätte ich bei der Entscheidung II anders abgestimmt." BLACK hat die Probleme getrennter Abstimmungen bei Vorliegen nutzenmäßiger Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Entscheidungen näher analysiert. [[27] S. BLACK 1971, S.125ff. u. BLACK/NEWING 1951.]

Wenn die Individuen im Falle komplementärer Entscheidungen die Ergebnisse der andern Entscheidungen nicht kennen, so können kollektive Fehlentscheidungen auftreten, da die individuellen Präferenzäußerungen unqualifiziert sind und auf falschen faktischen Annahmen beruhen. Wenn die Individuen z. B. bei solchen Entscheidungen einzeln aber gleichzeitig abstimmen, {633} so fehlt ihnen notwendigerweise die Information über den Ausgang der andern Entscheidung.

Sofern diese Abhängigkeit zwischen den Entscheidungen nur einseitig ist und man zwar für die Entscheidung II das Ergebnis der Entscheidung I wissen muss, aber nicht umgekehrt, so lässt sich das Problem durch eine geeignete Reihenfolge der Abstimmungen lösen. Wenn es z. B. für die Entscheidung über die Verkehrsplanung wichtig ist zu wissen, welche Entscheidung in Bezug auf die Industrieansiedlung gefällt wird, kann man zuerst über die Industrieansiedlung abstimmen und auf der Grundlage des dabei erzielten Ergebnisses anschließend über die Verkehrsplanung abstimmen. In diesem Fall ergibt sich also eine "natürliche" Reihenfolge der zu treffenden Entscheidungen, die auch bei der Anwendung des Mehrheitsprinzips einzuhalten ist, wenn man zu Ergebnissen kommen will, die einen maximalen Gesamtnutzen darstellen.

Häufig existieren jedoch wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Entscheidungen: man muss bei Entscheidung I wissen, was das Ergebnis der Entscheidung II ist, und man muss bei Entscheidung II wissen, was das Ergebnis bei Entscheidung I ist. Ein solcher Fall kann z. B. vorliegen, wenn sich die Entscheidung über den Ausbau der Verkehrswege nach der Größe der Industrieansiedlungen richtet, und wenn sich umgekehrt die Größe der Industrieansiedlungen nach dem Ausbaustand der Verkehrswege richtet. In einem solchen Fall müssen beide Entscheidungen "aufeinander abgestimmt" werden. {634}

Dies kann am besten durch eine Zusammenfassung beider Entscheidungen zu einer einzigen Entscheidung geschehen, indem jetzt über ein Alternativenbündel abgestimmt wird, das Verkehrsplanung und industrielle Standortplanung gemeinsam umfasst. Insofern sind für die Lösung des Problems wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen den Entscheidungen Koalitionen vorteilhaft, da durch sie stabile Mehrheiten für ganze Entscheidungsserien zustande kommen.

Wenn eine Koalition auf der Grundlage eines bestimmten Alternativenbündels vereinbart wird, so werden dabei die nutzenmäßigen Interdependenzen der in diesem Bündel enthaltenen Alternativen automatisch berücksichtigt.

 

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§ 138  Die Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten durch das Mehrheitsprinzip

1. Intensitätsberücksichtigung bei Einzelentscheidungen

Die unter bestimmten Gesichtspunkten positiv zu wertende Tatsache, dass bei Anwendung des Mehrheitsprinzips alle Individuen auf die kollektive Entscheidung einen gleichgewichtigen Einfluss haben, wird dadurch zum Problem, dass die Interessen der Individuen dabei nur in Form von Präferenzordnungen, also nutzenmäßigen Rangordnungen der Alternativen berücksichtigt werden. Für jedes Individuum wird nur festgestellt, ob im Paarvergleich der Alternativen eine Alternative x besser, gleich gut oder schlechter ist als irgendeine andere Alternative y. Ausschlaggebend ist dann allein die größere Zahl derer, die sich für eine der beiden Alternativen entschieden haben. {635}

SEN illustriert diese Problematik durch ein extremes Beispiel: "Wenn eine Mehrheit will, dass ich jeden Morgen zwei Stunden lang Kopfstand mache, dann macht die Methode der Mehrheitsentscheidung dies zu einem kollektiv bevorzugten Zustand, ganz gleich wie ich diese anspruchsvolle Aussicht beurteile." [[28] SEN 1970, S.161f. Zur Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten durch das Mehrheitsprinzip siehe auch die relativ ausführliche Diskussion bei DAHL 1970, S.48f. und 90ff.]

Wenn Individuum A die Alternative x gegenüber y vorzieht und Individuum B die Alternative y gegenüber x, so heben sich die Interessen beider Individuen in ihrer Wirkung auf die kollektive Entscheidung auf. Das Problem ist jedoch, ob nicht bei einer genaueren als nur ordinalen Erfassung der individuellen Interessen das Interesse des Individuums A vielleicht schwerer ins Gewicht fallen würde als das Interesse des Individuums B.

Wie bereits oben ausgeführt wurde, erfordert das Solidaritätsprinzip eine möglichst genaue Berücksichtigung der Interessen jedes Individuums, sodass auch feststellbare interpersonale Unterschiede in den Präferenzintensitäten, also die Größe der Nutzendifferenzen zu berücksichtigen wären. [[29] Siehe oben § 37.] Wenn für Individuum A die Alternative x sehr viel besser ist als y, während für Individuum B beide Alternativen nahezu gleichwertig sind, so erscheint bei einer solidarischen Berücksichtigung der Interessen beider Individuen der Schluss unzulässig, {636} dass sich die Interessen beider Individuen in ihrer Bedeutung für das Gesamtinteresse aufheben.

Dies soll nach einmal an einem Beispiel veranschaulicht werden. Angenommen es geht um die Frage, ob eine bessere Straßenverbindung gebaut werden soll, wobei allerdings eine Reihe guter Wohnhäuser abgerissen werden müssten.
Die Alternative x würde (vereinfacht) lauten: "Schlechtere Verkehrsverbindung bei erhaltenen Wohnhäusern"
und die Alternative y würde umgekehrt lauten: "Bessere Verkehrsverbindungen bei Abriss der Wohnhäuser".

Die jetzigen Bewohner der Häuser würden sicherlich die Alternative x gegenüber y vorziehen, da sie dabei in ihren bisherigen Häusern wohnen bleiben könnten.

Dagegen würden die zukünftigen Straßenbenutzer wahrscheinlich die Alternative y gegenüber x vorziehen, weil sie dabei Zeit und Wege sparen.

Nach dem Mehrheitsprinzip würde die Präferenz eines Anwohners durch die Präferenz eines Straßenbenutzers aufgehoben, und insofern die Straßenbenutzer in der Mehrheit sind, würde die Alternative x siegen und die Häuser würden zugunsten des Straßenbaus abgerissen.

Das Mehrheitsprinzip berücksichtigt also nicht den Grad der Betroffenheit verschiedener Individuen durch die Entscheidung. Die Individuen können die unterschiedliche Gewichtigkeit ihrer Interesse bei einer nur ordinalen Nutzenbestimmung nicht deutlich machen. Selbst wenn Einigkeit darüber bestünde, dass der Verlust der eigenen Wohnung für ein Individuum nutzenmäßig sehr viel schwerer wiegt als eine tägliche Zeitersparnis von einigen Minuten, so könnte dies im reinen Mehrheitsprinzip nicht berücksichtigt werden. {637}

Das Problem, dass eine existentiell betroffene Minderheit von einer schwach betroffenen Mehrheit überstimmt werden kann, stellt sich besonders deshalb verschärft, weil bereits eine knappe Mehrheit von nur einer Stimme den Ausschlag geben kann, etwa wenn das Abstimmungsergebnis 1000:999 beträgt.

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2.  Intensitätsberücksichtigung bei Entscheidungsserien

Wie in Kapitel 21 gezeigt wurde, führt das eigeninteressierte Koalitions- und Abstimmungsverhalten der Individuen im Mehrheitssystem zu Ergebnissen, die keineswegs einer Anwendung des Mehrheitsprinzips auf die Einzelentscheidungen entsprechen. Sofern es zu Globalkoalitionen mit alle Entscheidungen umfassenden Abstimmungsvereinbarungen kommt, entspricht das Ergebnis stattdessen einer Anwendung des Mehrheitsprinzips auf globale Alternativenbündel.

Die Frage ist, ob dadurch das Problem der Berücksichtigung von Präferenzintensitäten bzw. Nutzendifferenzen gelöst oder doch zumindest gemildert wird.

Durch eine Koalitionsbildung auf der Grundlage von Alternativenbündeln wird auf jeden Fall die intrapersonale Differenz der Nutzen in Bezug auf die Einzelalternativen berücksichtigt. So fällt z. B. der erste Rangplatz einer Einzelalternative bei der Wahl des vorteilhaftesten Alternativenbündels umso schwächer ins Gewicht, je geringer die Nutzendifferenz zu den übrigen Alternativen dieser Einzelentscheidung ist. Je nach der intrasubjektiv vergleichbaren Wichtigkeit der Einzelalternativen fallen diese im Rahmen eines Alternativenbündels {638}auch unterschiedlich ins Gewicht.

Die Frage ist, inwiefern dadurch zugleich eine Berücksichtigung der interpersonalen Nutzendifferenzen erfolgt.

Dies wäre dann der Fall, wenn man davon ausgehen könnte, dass die Betroffenheit der Individuen in Bezug auf solche globalen Alternativenbündel annähernd gleich ist, oder doch zumindest weniger starke Unterschiede aufweist als die Betroffenheit von den Einzelalternativen.

Die Betroffenheit eines Individuums von einer bestimmten Entscheidung entspricht seiner Nutzendifferenz zwischen der individuell besten und der individuell schlechtesten Alternative. Diese Differenz zwischen den Extremwerten kann man als "Nutzenspannweite" einer Entscheidung für das Individuum bezeichnen. Die Frage ist, ob die Nutzenspannweiten zwischen den Individuen in Bezug auf die Alternativenbündel weniger stark variieren als zwischen dem Durchschnitt der Einzelalternativen. Wenn man einmal Nutzeninterdependenzen zwischen den Einzelentscheidungen ausschließt, so entspricht die individuelle Nutzenspannweite der Alternativenbündel der Summe der Nutzenspannweiten der Einzelalternativen, denn das individuell beste Alternativenbündel ist dann die Kombination aller Spitzenalternativen des Individuums und das schlechteste Alternativenbündel ist die Kombination aller schlechtesten Einzelalternativen.

In dem Maße, wie sich die durchschnitt1iche Nutzenspannweite der Individuen bei den Einzelalternativen angleicht, gleicht sich damit auch die Nutzenspannweite der Individuen bei den Alternativenbündeln an. Wenn man also nicht die Annahme {639} macht, dass bestimmte Individuen von sämtlichen Einzelentscheidungen stärker betroffen sind als andere Individuen, sondern wenn man davon ausgeht, dass mal die einen und mal die andern Individuen stärker betroffen sind, so ergibt sich daraus eine Tendenz zur Angleichung der individuellen Nutzenspannweiten bei den Alternativenbündeln und damit eine Annäherung des Betroffenheitsgrades der Individuen in Bezug auf die Gesamtentscheidung zu den Alternativenbündeln.

Diese Überlegung kann noch einmal an einem Beispiel veranschaulicht werden. Bei Einzelentscheidungen des Kollektivs über bestimmte Probleme wie Straßenbau, Schulstruktur, Wohnungsbedingungen, Arbeitsbedingungen, Familienrecht, Besteuerung usw. mag die Betroffenheit der Individuen im Einzelfall sehr unterschiedlich sein.

So mag einem Individuum A, das selber keine Kinder im schulpflichtigen Alter hat, die Schulpolitik ziemlich egal sein, d.h. dass seine Nutzenspannweite zwischen den verschiedenen schulpolitischen Alternativen nahezu gleich Null ist. Demgegenüber ist ein anderes Individuum B, das selber Kinder hat, die noch zur Schule gehen, von dieser schulpolitischen Entscheidung sehr viel stärker betroffen. Bei der Frage der Wohnbedingungen mag es jedoch genau umgekehrt so sein, dass Individuum A hier unter schlechten Wohnbedingungen stark leidet, während B hier gut versorgt ist und keine Probleme hat.

Durch die Bündelung von Einzelentscheidungen aus den verschiedensten Lebensbereichen mit jeweils unterschiedlicher Betroffenheit der Individuen ergibt sich dann die Tendenz zu einem Ausgleich der Betroffenheit der Individuen von der Gesamtentscheidung. {640}

Die berechtigte Kritik am Mehrheitsprinzip, dass es nach der Maxime 'Ein Individuum, eine Stimme' den Interessen aller Individuen bei einer Einzelentscheidung gleiches Gewicht gibt, auch wenn die Interessen der Individuen in Bezug auf diese Entscheidung unterschiedlich gewichtig sind, kann also nicht ohne weiteres auf das reale Funktionieren eines Mehrheitssystems übertragen werden, denn hier kommt es zu Koalitionen über ganze Alternativenbündel und "Programme", die sich aus Einzelentscheidungen auf den verschiedensten Lebensbereichen zusammensetzen, sodass eine gewisse Angleichung des Betroffenheitsgrades der Individuen möglich ist.

Mit diesen relativ allgemein gehaltenen Bemerkungen ist natürlich das Problem der Nicht-Berücksichtigung von Präferenzintensitäten durch das Mehrheitsprinzip noch keineswegs als gelöst anzusehen. Auch bei der Bildung von globalen Koalitionen entscheiden allein die nutzenmäßigen Rangplätze der globalen Alternativenbündel, welches von ihnen die Mehrheitsalternative bildet und sich durchsetzen wird. Deshalb ist es notwendig, unten im Kapitel 23 noch einmal Verfahren zur Berücksichtigung von Präferenzintensitäten im Mehrheitssystem zu erörtern.

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§ 139  Mehrheitsalternative und Alternative des  größten Gesamtnutzens

In Teil I dieser Arbeit wurde dargelegt, dass allein eine Entscheidung für die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen normative Allgemeingültigkeit beanspruchen kann im Sinne einer argumentativen Konsensusfähigkeit. [[30] Siehe dazu oben Kap. 7.] {641} Damit stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die Mehrheitsalternative auch gleichzeitig die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen ist.

Da bei Abstimmungsverfahren im Mehrheitssystem nur die Präferenzordnungen der Individuen in Bezug auf die zur Entscheidung stehenden Alternativen bzw. Alternativenbündel eine Rolle spielen, werden die individuellen Nutzen der Alternativen nur ordinal erfasst, sodass die Bestimmung des Gesamtnutzens der einzelnen Alternativen, bei dem eine Addition der individuellen Nutzengrößen notwendig ist, auf dem Wege der Mehrheitsabstimmung nicht geleistet werden kann. [[31] Zur Bestimmung des Gesamtnutzens s.o. § 39.] Trotzdem lässt sich allgemein angeben, unter welchen Annahmen hinsichtlich der individuellen Nutzenfunktionen die Mehrheitsalternative mit der Alternative des maximalen Gesamtnutzens identisch ist.

Dies kann anhand der Präferenzordnungen von 5 Individuen A bis E in Bezug auf die 2 Alternativen x und y verdeutlicht werden:

Präferenzordnungen

A B C D E
y y x x x
x x y y y

Abb.: 22.5


Die Mehrheitsalternative ist in diesem Fall die Alternative x. Um festzustellen, ob x auch die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen ist, müsste man die individuellen Nutzen für beide Alternativen bestimmen, {642} addieren und vergleichen.

Da sich der Gesamtnutzen einer Alternative aus der Summe der individuellen Nutzen und damit aus dem Produkt aus "Anzahl der Individuen" mal dem "durchschnittlichen individuellen Nutzen" ergibt, kann man auch sagen, dass die Mehrheitsalternative dann den größten Gesamtnutzen aller Alternativen hat, wenn bei ihr der durchschnittliche individuelle Nutzen am größten ist.

Anstelle der individuellen Nutzen kann man auch die Nutzendifferenzen zur Bestimmung der nutzenmaximalen Alternative verwenden. Dann müssen die durchschnittlichen individuellen Nutzendifferenzen zwischen der Mehrheitsalternative und jeder andern Alternative absolut gesehen bei den Befürwortern der Mehrheitsalternative mindestens ebenso groß sein wie bei den Gegnern der Mehrheitsalternative, damit die Mehrheitsalternative zugleich die Alternative des größten Gesamtnutzens ist.

Eine ähnliche Feststellung treffen auch BUCHANAN und TULLOCK. "Wenn angenommen wird, dass alle individuellen Präferenzen von gleicher Intensität sind, wird durch die einfache Mehrheitsregel garantiert, dass die aufsummierten 'Vorteile' (benefits) der Entscheidung die summierten 'Verluste' (losses) übersteigen werden. ... Wenn jedoch die individuellen Präferenzintensitäten nicht für alle Wähler gleich sind, verschwindet dieser besondere Zug der einfachen Mehrheitsregel." [[32] BUCHANAN/TULLOCK 1969, S.126f.]

Allerdings ist diese Formulierung nicht ganz korrekt, denn die Mehrheitsregel führt auch bei ungleichen Präferenzintensitäten der Individuen auf jeden Fall zur Auswahl der Alternative {643} mit dem größten Gesamtnutzen, sofern nur die durchschnittliche Präferenzintensität bei den Mitgliedern der Mehrheit ebenso groß oder größer ist als bei den Mitgliedern der unterlegenen Minderheit.

Dies wird auch von DAHL betont, der Mehrheitsentscheidungen je nach der Beschaffenheit der Präferenzintensitäten bei Mehrheit und Minderheit klassifiziert und diskutiert. Nach DAHL muss auch bei unterschiedlichen Präferenzintensitäten die Anwendung der Mehrheitsregel nicht ethisch problematisch sein, denn "in diesen Fällen enthält die Mehrheit ... mindestens ebenso viele Individuen, die stark für oder gegen eine Politik sind, wie die Minderheit." [[33] DAHL 1970, S.94.]

Problematisch ist nach DAHL nur eine Konstellation, die er "schwere asymmetrische Uneinigkeit" nennt, "wo eine große Minderheit eine starke Präferenz für eine von zwei Alternativen hat und die dagegen stehende Mehrheit nur eine schwache Präferenz für die andere hat. [[34] DAHL 1970, S.99.]

Wie oben festgestellt wurde, kann die Mehrheitsalternative nur dann nicht den maximalen Gesamtnutzen besitzen, wenn die durchschnittliche Präferenzintensität der Minderheit bei einer der konkurrierenden Alternativen größer ist als die der Mehrheit.

Aber selbst in diesem Fall kann die Mehrheitsalternative weiterhin die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen sein, sofern nur die Mehrheit entsprechend zahlenmäßig überlegen ist. Dies kann anhand des obigen Beispiels aus Abb. 22.5 veranschaulicht werden, indem einmal fiktive Nutzenwerte angenommen {644} werden:

Präferenzordnungen (mit Nutzenwerten)

A B C D E
y(10) y(10) x(10) x(10) x(10)
x(6) x(6) y(7) y(7) y(7)

Abb.: 22.6

In diesem Beispiel ist die Mehrheit von 3 Individuen (C, D und E) für die Alternative x und die Minderheit von 2 Individuen (A und B) für y. Wie man sieht, ist in diesem Fall die Präferenzintensität der Minderheit mit 4 Nutzeneinheiten größer als die Präferenzintensität der Mehrheit mit 3 Nutzeneinheiten. Trotzdem hat hier die Mehrheitsalternative x mit 42 Nutzeneinheiten immer noch einen größeren Gesamtnutzen als die Minderheits-Alternative y mit 41 Nutzeneinheiten. Durch die zahlenmäßige Überlegenheit der Mehrheit kann also eine stärkere Präferenzintensität der Minderheit wieder wettgemacht werden.

Allgemein kann man sagen, dass die Mehrheitsalternative immer dann auch die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen ist, wenn gilt, dass das zahlenmäßige Verhältnis zwischen der Mehrheit und der Minderheit größer ist als das Verhältnis zwischen der durchschnittlichen Präferenzintensität der Minderheit und der der Mehrheit.

In unserm Beispiel war das zahlenmäßige Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit 3:2 und das Verhältnis zwischen den durchschnittlichen Präferenzintensitäten von Minderheit und Mehrheit 4:3. Da 3:2 größer ist als 4:3, muss in diesem Fall die Mehrheitsalternative zugleich auch den maximalen Gesamtnutzen besitzen.{645}

Ob bei Anwendung des Mehrheitsprinzips tatsächlich die Alternative des größten Gesamtnutzens gewählt wird, kann also im Einzelfall auch von der zahlenmäßigen Überlegenheit der Mehrheit gegenüber der Minderheit abhängen.

Dadurch wird die weitverbreitete Anschauung verständlich, dass die Legitimation einer Mehrheitsentscheidung umso stärker ist, je größer das zahlenmäßige Gewicht dieser Mehrheit ist. Die Existenz dieser Auffassung stützt die in dieser Arbeit gemachte Annahme, dass auch bei der Legitimation von Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip quantitative Nutzenvorstellungen im Hintergrund stehen, obwohl in der Abstimmung selber nur die ordinalen Nutzenwerte zum Ausdruck kommen. Andernfalls müsste in Bezug auf die normative Anerkennbarkeit Mehrheitsentscheidung gleich Mehrheitsentscheidung sein, gleichgültig ob die Mehrheit das eine Mal "hauchdünn" und das andere Mal "überwältigend" war. {646}

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23. Kapitel

Verfahren zur Berücksichtigung der Präferenzintensitäten im Mehrheitssystem


§ 140  Die Anhebung der erforderlichen Mehrheit

Da das Mehrheitsprinzip auf nur ordinalen individuellen Nutzen basiert, können interpersonale Unterschiede der Präferenzintensitäten nicht erfasst werden. Unter dem Gesichtspunkt einer Maximierung des Gesamtnutzens ist dies die zentrale Schwäche des Mehrheitsprinzips. Es sind jedoch Verfahren denkbar, die unter Ergänzung oder Modifizierung des Mehrheitsprinzips eine Berücksichtigung von Präferenzintensitäten ermöglichen.

Um sicherzustellen, dass die kollektiv gewählte Alternative auch dann noch die Alternative des größten Gesamtnutzens ist, wenn die durchschnittliche Präferenzintensität der Minderheit größer ist als die der Mehrheit, könnte man fordern, dass die gewählte Alternative nicht nur von einer relativen oder absoluten Mehrheit gegenüber jeder anderen Alternative vorgezogen wird, sondern von einem höheren Anteil der Individuen, z. B. mehr als zwei Dritteln oder mehr als drei Vierteln. Dann wäre die derart qualifizierte Alternative, die man als "Zwei-Drittel-Alternative" bzw. "Drei-Viertel-Alternative" bezeichnen könnte, auf jeden Fall noch die Alternative des größten Gesamtnutzens, selbst wenn die durchschnittliche Präferenzintensität der Mehrheit nur 1/2 bzw. 1/3 so groß wäre wie die der Minderheit. {647}

Diese Eigenschaft qualifizierter Mehrheitsregeln, wie diese auch genannt werden, kann an einem Beispiel nach der Regel der Zwei-Drittel-Mehrheit veranschaulicht werden, bei der 3 interessemäßig in sich homogene Gruppen zwischen den 3 Alternativen x, y und z abstimmen. (Die Anzahl der Individuen und die individuellen Nutzenwerte sind in Klammern gesetzt.)

Präferenzordnungen mit Nutzenwerten für 3 Gruppen

A (9) B (9) C (11)
x (30) z (18) y (30)
y (20) y (10) y (26)
z (16) x (5) x (25)

Abb.: 23.1

Die dazugehörige Wahlmatrix sieht folgendermaßen aus:

Wahlmatrix zu Abb. 23.1

  x y z
x - 9:20 9:20
y 20:9 - 20:9
z 20:9 9:20 -

 Abb.: 23.2

Wie man sieht, ist hier die Alternative y jeder anderen Alternative mit 2/3 Mehrheit überlegen. In diesem Fall könnte die durchschnittliche Präferenzintensität in Bezug auf y gegenüber x und gegenüber z bei den jeweiligen Befürwortern von y sogar nur halb so groß sein wie bei den jeweiligen Gegnern von y, denn es gibt in jedem Paarvergleich mehr als doppelt soviel Befürworter wie Gegner von y.

In unserm Beispiel aus Abb. 23.1 bestehen folgende durchschnittliche Nutzendifferenzen bei der Zwei-Drittel-Mehrheit {648} und bei der Minderheit:

Durchschnittliche individuelle Nutzendifferenzen zu Abb. 23.1

y und x y und z  
5 4 bei den Befürwortern von y (2/3-Mehrheit)
10 8 bei den Gegnern von y (Minderheit)

Abb.: 23.3

Obwohl in diesem Fall die Minderheit von der Entscheidung sehr viel stärker betroffen ist, bleibt y mit 600 Nutzeneinheiten immer noch die Alternative mit dem größten Gesamtnutzen, wie die folgende Aufstellung des Gesamtnutzens für alle Alternativen zeigt:

   Gesamtnutzen  von    x = (9 x 30) + (9 x 5) + (11 x 25) =  470

   Gesamtnutzen von     y = (9 x 20) + (9 x 10) + (11 x 25) = 600

   Gesamtnutzen von     z = (9 x 16) + (9 x 18) + (11 x 26) = 592.


Je höher der erforderliche Anteil der Befürworter der siegreichen Alternative gegenüber jeder andern Alternative gesetzt wird, desto stärker darf die Präferenzintensität der überstimmten Minderheit im Verhältnis zur durchschnittlichen Präferenzintensität der Mehrheit werden, ohne dass die siegreiche Alternative ihre Eigenschaft als Alternative des größten Gesamtnutzens verliert.

Im Extremfall, wo eine Mehrheit von 100% der Individuen gegenüber jeder andern Alternative gefordert wird, wo die siegreiche {649} Alternative also einstimmig für besser gehalten werden muss als jede andere Alternative, spielen mögliche Unterschiede der individuellen Präferenzintensitäten überhaupt keine Rolle mehr, da es nur noch Befürworter der siegreichen Alternative gibt. Bei Anwendung einer derartigen Einstimmigkeits-Regel kann man sicher sein, dass eine erfolgreiche Alternative zugleich immer die Alternative des höchsten Gesamtnutzens ist. [[1] Zu den Einstimmigkeits-Regeln s.o. Kap.12. Da hier die Präferenzintensitäten keine Rolle spielen, bot sich dies Kriterium für die ordinalistische Paretianische Wohlfahrtsökonomie an, die ohne interpersonale Nutzenvergleiche auskommen will. Allerdings erfährt die Einstimmigkeits-Regel durch die Eigentumsrechte entscheidende Veränderungen.]

Je höher der geforderte Anteil von Befürwortern für die kollektiv gewählte Alternative gesetzt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt keine der Alternativen dem Kriterium genügt. Wenn eine Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert wird, dann muss eine erfolgreiche Alternative im paarweisen Vergleich gegenüber jeder andern Alternative mindestens doppelt so viel Stimmen bekommen wie die konkurrierende Alternative, und bei einer Drei-Viertel-Mehrheit sogar dreimal so viel.

Es würde wahrscheinlich häufig der Fall eintreten, dass keine der Alternativen dem Kriterium derart qualifizierter Mehrheiten genügt, sodass die Entscheidungs-Regel unvollständig ist und es zu gar keiner Entscheidung kommt. [[2] Übrigens setzen sich vorhandene qualifizierte Mehrheitsalternativen ähnlich wie einfache Mehrheitsalternativen bei rationaler Koalitionsbildung auch bei einmaligen Abstimmungen durch.] {650}

Wenn man nun für solche Fälle eine Status-quo-Klausel einführt, so entsteht dadurch eine Bevorzugung der bestehenden Verhältnisse und eine konservative Schlagseite des Entscheidungsverfahrens, die sich umso stärker auswirkt, je höher der geforderte Mehrheitsanteil gesetzt wird. Die Konsequenzen solcher Status-quo-Klauseln wurden anhand der Einstimmigkeits-Regeln bereits ausführlich erörtert. [[3] Zur Status-quo-Klausel s.o. § 71.]

Die Probleme liegen hier ähnlich, denn durch die Status-quo-Klauseln wandeln sich die qualifizierten Mehrheitsregeln zu Minderheits-Veto-Regeln. Die Regel der Zwei-Drittel-Mehrheit mit Status-quo-Klausei muss deshalb richtiger "Ein-Drittel-Veto-Regel" heißen, denn es handelt sich hier um Varianten der Veto-Regel. Man spricht deshalb hier auch von Sperr-Minoritäts-Regeln.

Bei diesen Sperr-Minoritäts-Regeln haben nicht mehr alle Individuen gleichen Einfluss auf die kollektive Entscheidung, denn ein Individuum der Sperrminorität hat ein größeres Gewicht bei der Durchsetzung des Status quo als ein Individuum der relativen Mehrheit, die erfolglos gegen den Status quo zugunsten einer andern Alternative votiert. Veto-Regeln sind gegenüber den Alternativen nicht neutral, da der Status quo bevorzugt wird. [[4] Siehe dazu oben § 120.]{651}

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§ 141  Die Einführung individueller Abstimmungskosten

Häufig ist die Abstimmung für ein Individuum mit bestimmten Kosten verbunden, die vor allem in der Form des Zeitaufwands auftreten. In diesem Fall wird ein eigeninteressiertes Individuum an der Abstimmung dann nicht teilnehmen, wenn die individuelle Nutzenspannweite zwischen bester und schlechtester Alternative geringer ist als der individuelle Abstimmungsaufwand. Denn selbst im günstigsten Fall, wenn die Spitzenalternative des Individuums durch dessen Stimmabgabe die erforderliche Mehrheit erhält, überwiegen die Nachteile der Abstimmung die Vorteile des Ergebnisses für das betreffende Individuum.

Abstimmungskosten stellen also eine Schwelle dar, die solche Individuen von der Beteiligung an der Abstimmung abhält, die den zur Entscheidung stehenden Alternativen weitgehend indifferent gegenüberstehen, die also nur eine sehr geringe Präferenzintensität in dieser Frage besitzen. Dadurch werden diejenigen Individuen, die von der anstehenden Entscheidung kaum betroffen sind, automatisch von der Abstimmung ferngehalten, und es verringert sich die Gefahr, dass eine "laue" Mehrheit eine "engagierte" Minderheit überstimmt.

Allerdings ist der Rückschluss von der Nicht-Teilnahme an der Abstimmung auf die geringe Betroffenheit des Individuums von der Entscheidung nicht unbedingt zulässig. Abgesehen von der Möglichkeit irrationaler politischer Apathie und von der generellen Frage, ob die Individuen überhaupt hinreichend über ihre Interessenlage aufgeklärt sind, muss geprüft werden, {652} ob bestimmte Abstimmungskosten - etwa in Form einer Teilnahme an mehrstündigen Versammlungen, an deren Ende die Abstimmung stattfindet - auch für alle Individuen vergleichbare Abstimmungskosten beinhaltet, oder ob nicht für einige Individuen die Teilnahme an der Versammlung einen vergleichsweise größeren Aufwand darstellt als für andere Individuen.

Man denke etwa an eine Situation, wo ein Teil der Individuen Kinder zu versorgen hat, sodass deren Zeit verhältnismäßig knapper ist als die der andern Individuen. In ähnlicher Weise kann auch eine gleiche Abstimmungsgebühr für die Individuen ein unterschiedlich großes Opfer bedeuten. [[5] Siehe dazu oben §§ 115 u. 46]

Weiterhin spielt für ein eigeninteressiertes Individuum nicht nur seine Nutzenspannweite eine Rolle bei der Entscheidung darüber, ob es an der Abstimmung teilnehmen soll oder nicht. Von entscheidender Bedeutung ist es dabei, ob das Individuum der Ansicht ist, dass die eigenen Stimmabgabe einen Einfluss auf das Endergebnis haben wird oder nicht. [[6]Zur Auswirkung von Abstimmungskosten s. DOWNS 1968, S.260ff.]

Wenn ein Individuum z. B. der Ansicht ist, dass die von ihm bevorzugte Alternative sowieso die Mehrheit bekommen wird, so wird es die Kosten der Abstimmung scheuen, selbst wenn seine Präferenzintensität relativ groß ist. Dasselbe gilt für alle Fälle, in denen das Ergebnis der Abstimmung für das Individuum von vornherein festzustehen scheint. Vor allem in sehr großen Kollektiven wird die Überlegung für eigeninteressierte Individuen eine große Rolle spielen, dass die eigene Stimme sowieso keinen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis haben wird und man deshalb lieber die Kosten der {651} Abstimmung spart.

Damit stellt sich hier ein ähnliches "Trittbrett-Fahrer-Problem" wie bei öffentlichen Gütern im Eigentum-Vertrags-System. [[7] Zu kollektiven Gütern s.o. § 92.] Man kann nämlich den Abstimmungssieg einer bestimmten Alternative als ein kollektives Gut auffassen, das allen Individuen mit entsprechender Interessenlage zugute kommt, gleichgültig ob sie nun an der Abstimmung teilgenommen haben oder nicht. Bei Existenz von individuellen Abstimmungskosten kann es deshalb für ein eigeninteressiertes Individuum die vorteilhafteste Strategie sein, durch Nicht-Teilnahme an der Abstimmung Kosten zu sparen und trotzdem aufgrund der Abstimmung anderer an den Vorteilen der durchgesetzten Alternative teilzuhaben.

Wenn allerdings jeder so denken und handeln würde, so würde eine Alternative bei der Abstimmung unterliegen, obwohl sie von der überwiegenden Mehrheit der Individuen bevorzugt wird, nur weil ihre Anhänger die individuellen Kosten der Abstimmung gescheut haben und sich auf die Teilnahme der jeweils anderen verlassen haben. Aus diesem Grund stellt die bewusste Einführung individueller Abstimmungskosten als Barriere gegenüber indifferenten Individuen ein zweifelhaftes Mittel zur Berücksichtigung von Präferenzintensitäten im Mehrheitssystem dar.

Insofern die zur Entscheidung stehenden Alternativen den Charakter kollektiver Güter haben, von deren {653} Nutzen niemand gezielt ausgeschlossen werden kann, bedeutet jede Erhöhung der individuell anfallenden Abstimmungskosten eine Verschärfung des Trittbrett-Fahrer-Problems. Zu dessen Lösung erscheint also umgekehrt eine Minimierung der individuellen Abstimmungskosten geboten sowie die Formulierung einer moralischen oder sogar rechtlich sanktionierten Pflicht zur Teilnahme an der Abstimmung. [[8] Der Umstand, dass es bei Mehrheits-Abstimmungen um kollektive Güter gehen kann, ist übrigens ein weiterer Grund gegen den Stimmenkauf, weil dabei Individuen versuchen könnten, doppelt zu "kassieren" : durch Verkauf ihrer Stimme und durch das Endergebnis.]

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§ 142  Die Einrichtung kollektiver oder individueller Verfügungsbereiche

Ein Verfahren zur Ergänzung des Mehrheitsprinzips, das sowohl eine Verringerung des Entscheidungs-Aufwands als auch eine Berücksichtigung der Präferenzintensitäten gestattet, ist die Einrichtung separater Verfügungsbereiche. [[9] Siehe dazu oben §§ 64 u. 80.] Dabei werden für einen bestimmten Entscheidungsbereich nur die vor allem davon betroffenen Individuen zu einem Teilkollektiv zusammengefasst und diesem Teilkollektiv wird die Zuständigkeit für diesen Bereich übertragen. Dadurch sind die weniger betroffenen Individuen von der Entscheidung ausgeschlossen, sodass es nicht möglich ist, dass eine selber kaum betroffene Mehrheit eine stark betroffene Minderheit überstimmt.

Je nach der Art der Entscheidungsbereiche kann diese Untergliederung in dezentral entscheidende Teilkollektive {655} nach den unterschiedlichsten Kriterien vorgenommen werden und kann unterschiedlich fein gegliedert sein, von Territorial-Staaten, über föderale Untergliederungen und Gemeinden bis hin zu den einzelnen Individuen, die in Fragen, die vor allem sie selber betreffen, das alleinige Verfügungsrecht erhalten. Dadurch unterteilt sich die Gesamtheit aller Individuen in eine Vielzahl von Teilkollektiven, denen jeweils bestimmte, vor allem sie selber betreffende Entscheidungskomplexe zur autonomen Entscheidung überlassen sind.

Dabei kann natürlich ein einzelnes Individuum ohne weiteres Mitglied in verschiedenen Teilkollektiven sein. Es kann z. B. zugleich als Mitglied des Staates, der Gemeinde, des Betriebes, der Familie oder als Nutzer eines Wirtschaftsbetriebes sein Interesse artikulieren.

Zur Funktionsfähigkeit eines solchen untergliederten Systems, dessen Teilkollektive jeweils nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, bedarf es einmal einer Regelung der Zuständigkeit der verschiedenen Teilkollektive für die auftretenden Entscheidungen, und es bedarf außerdem einer Zuordnung der Individuen zu den verschiedenen Teilkollektiven. Die dabei auftretenden Probleme einer Abgrenzung der Verfügungsbereiche und einer Einschätzung des Betroffenheitsgrades der Individuen sollen hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, da sie bereits oben angesprochen wurden.

Auch hier gelten übrigens wieder die Vorteile der Dezentralisierung durch eine bessere Information der Individuen über die zu treffenden Entscheidungen und durch eine größere Motivation zur Qualifikation der eigenen Interessenäußerung, die bereits oben in § 81 erörtert wurde. {656}

Die Einrichtung separater Verfügungsbereiche mit relativ autonomen Teilkollektiven scheint das am besten geeignete Mittel zu sein, um die Schwächen des Mehrheitsprinzips auszugleichen. Eine derartige Dezentralisierung der Entscheidungen kann sowohl den Informations-und Entscheidungsaufwand radikal senken, als auch die Voraussetzungen für eine annähernd gleiche Betroffenheit aller Abstimmungsberechtigten von den zu treffenden Entscheidungen schaffen. {657}

 

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24. Kapitel

Zusammenfassung und Schluss

§ 143 Zusammenfassung und Schluss

Zum Abschluss soll noch einmal der insgesamt durchlaufene Gedankengang zusammengefasst werden, um den erreichten Stand zu markieren, von dem aus weitere Untersuchungen durchzuführen wären.

Ausgangspunkt war das Ungenügen an der Beschränktheit des positivistischen Erkenntnisprogramms und die Forderung, auch in Bezug auf normative bzw. werthaltige Fragen methodisch gesicherte, allgemeingültige Antworten zu suchen. Die Absicht war also, neben der positiven Wissenschaft auch die methodischen Grundlagen für eine normative Wissenschaft zu klären bzw. die dazu bereits vorhandenen Ansätze fortzuführen. Damit war die Aufgabe gestellt, analog zur bereits hochentwickelten Methodologie der Erfahrungswissenschaften eine entsprechende Methodologie für die normativen Wissenschaften zu entwickeln, anhand derer sich Fragen nach dem was sein soll, allgemeingültig beantworten lassen.

Ohne eine derartige normative Methodologie müsste jede Kritik oder Rechtfertigung gesellschaftlicher Ordnungen im Zustand bloß subjektiver Meinungsäußerungen verbleiben, die vielleicht mit viel rhetorischer Kunst und großem Engagement vorgetragen sein mögen, denen jedoch die Eigenschaft zwingender Argumentation fehlt.

Die erkenntnistheoretische Basis für eine derartige normative Methodologie im Sinne einer "Lehre von den Methoden zur allgemeingültigen {658} Beantwortung normativer Fragen" findet sich in den notwendigen Voraussetzungen jeder Argumentation einschließlich der Argumentation für und wider normative Behauptungen.

Diese Voraussetzungen formuliert das Intersubjektivitätsgebot, das alle Beteiligten an der Auseinandersetzung um Behauptungen mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit darauf verpflichtet, nach einem argumentativen Konsensus zu streben, der nur durch Vernunftgründe und unter Ausschluss jeder Form von Gewalt herstellbar sein muss.

Diese allgemeinen Voraussetzungen der Argumentation können nun zwar bestimmte Pseudo-Argumentationen auf normativem Gebiet eliminieren, aber das Intersubjektivitätsgebot, das ja für alle Formen allgemeingültiger Erkenntnis gilt, ist als Kriterium noch nicht hinreichend, um normative Streitfragen zu entscheiden. Es bedarf analog zum Erfahrungskriterium in den positiven Wissenschaften, das dort einen gewaltfreien intersubjektiven Konsensus ermöglicht, eines entsprechenden Kriteriums für die normativen Wissenschaften.

Dieses Kriterium, das einen gewaltfreien Konsensus in normativen Fragen ermöglicht, bildet das Solidaritäts-Prinzip, das von jedem Teilnehmer einer normativen Argumentation verlangt, bei der Bestimmung allgemeingültiger Normen das Interesse jedes andern Individuums so zu berücksichtigen, als wäre es sein eigenes Interesse.

Während der Dissens in positiven Fragen im Kern auf eine unterschiedliche Wahrnehmung der Wirklichkeit zurückgeht und durch das Kriterium intersubjektiv nachvollziehbarer Erfahrung im Prinzip vernünftig {659} auflösbar ist, handelt es sich beim Dissens in normativen Fragen im Kern um einen unterschiedlichen Willen in Bezug auf die Wirklichkeit. Ein solcher willensmäßiger Dissens ist nur durch den Bezug auf das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der individuellen Interessen und ihrer solidarischen Zusammenfassung zu einem Gesamtinteresse vernünftig auflösbar.

Ähnlich wie das Kriterium der Beobachtbarkeit in seiner allgemeinen Form jedoch noch nicht hinreicht, um über die Wahrheit sämtlicher Behauptungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Wirklichkeit zu befinden - man denke etwa an Behauptungen über Vorgänge auf dem Mars, über den inneratomaren Bereich oder über innerpsychische Prozesse, deren Überprüfung erst die Entwicklung eines geeigneten Beobachtungsinstrumentariums voraussetzt -, so bedarf auch das Solidaritäts-Prinzip einer Umsetzung in geeignete Verfahren der Interessenermittlung auf den verschiedenen Bereichen. Auf diesem Bereich der interpersonal vergleichbaren Nutzenmessung liegen noch große Probleme, die in dieser Arbeit nur ansatzweise gelöst werden konnten.

Im Folgenden wurden dann konkrete Verfahren der Interessenermittlung und ihrer Zusammenfassung unter dem Gesichtspunkt des Solidaritätsprinzips analysiert.

Wenn man sich auf individualistische Entscheidungsverfahren beschränkt, in denen jedes Individuum seine Interessen selbst bestimmt, so erscheinen vor allem zwei Grundmodelle der kollektiven Entscheidung von Bedeutung: einmal das Eigentum-Vertrags-System, in dem Entscheidungen gefällt bzw. Normen gesetzt werden durch Märkte, {660} die nach dem Tausch-Prinzip funktionieren, und zum andern das Mehrheitssystem, in dem Normen gemäß dem Willen der in Abstimmungen erfolgreichen Mehrheiten gesetzt werden.

Die Auswahl dieser beiden Verfahren der Normsetzung rechtfertigt sich daraus, dass sie die Kernstrukturen der industrialisierten Gesellschaften des kapitalistisch-parlamentarischen Typs darstellen. "In kapitalistischen Demokratien gibt es im wesentlichen zwei Methoden, durch die Entscheidungen gefällt werden können: die Abstimmung, die typischerweise für 'politische' Entscheidungen benutzt wird, und der Marktmechanismus, der typischerweise für 'ökonomische' Entscheidungen benutzt wird." [[1] ARROW 1963, S.1.]

Außerdem lassen sich die großen politischen Richtungen der Gegenwart vor allem danach charakterisieren, inwiefern sie die kollektiven Entscheidungen einer industrialisierten Gesellschaft eher dem Marktmechanismus oder eher einem Wahlmechanismus übertragen wollen, wenn man einmal von den Befürwortern autoritärer Entscheidungs-System stellvertretender Herrschaft absieht.

Wie aus den Ausführungen deutlich geworden ist, stellen weder das Eigentum-Vertrags-System noch das Mehrheitssystem 'letzte Werte' dar, wie es manchmal den Anschein hat, etwa wenn die Wahl zwischen beiden Formen gesellschaftlicher Willensbildung als 'Wahl zwischen den Grundwerten Freiheit und Gleichheit' interpretiert wird. Stattdessen müssen Märkte und Abstimmungen als Normsetzungsverfahren in den allgemeinen Rahmen einer normativen Methodologie gestellt werden, um von dort aus auf ihre Legitimation geprüft {661}zu werden.

Unter dem Gesichtspunkt des Solidaritäts-Prinzips können beide Verfahren keine obersten Maßstäbe sein, sondern sind nur als mehr oder weniger geeignete Annäherungsverfahren zur Bestimmung allgemeingültiger Normen bzw. zur Realisierung des Gesamtinteresses anzusehen.

Es handelt sich bei diesen Verfahren schon insofern um Annäherungsverfahren, als die Bestimmung der individuellen Interessen den Betroffenen selbst überlassen bleibt. Damit steht und fällt die Legitimation beider Verfahren jedoch mit der Fähigkeit der Individuen, ihre eigenen Interessen richtig bestimmen zu können.

Ebenso kann die im Eigentum-Vertrags-System praktizierte Beschränkung der individuellen Interessen auf den eigenen Eigentumsbereich sowie ihre Gewichtung entsprechend dem Einkommen höchstens als eine Annäherung an eine solidarische Berücksichtigung aller individuellen Interessen gerechtfertigt werden, jedoch keineswegs einen letzten normativen Maßstab abgeben. Entsprechendes gilt für das Mehrheitssystem, in dem die individuellen Interessen nur ordinal erfasst werden und dann gleichgewichtig behandelt werden.

Hinsichtlich der Überlegenheit des einen oder des andern Systems muss jedoch vor voreiligen Schlussfolgerungen gewarnt werden. Als erstes ist festzustellen, dass es keine pauschale Alternative zwischen dem Eigentum-Vertrags-System und dem Mehrheitssystem geben kann, da die verschiedenartigsten Kombinationen beider Systeme möglich sind, je nach der Ausdehnung des privaten Eigentumsbereichs. Wie aus den obigen Erörterungen deutlich wird, hängt es immer von bestimmten, Bedingungen ab, wie {662} gut oder wie schlecht das jeweilige System die Annäherung an das Gesamtinteresse vollzieht.

So wird die Anwendung des Eigentum-Vertrags-Systems unter normativen Gesichtspunkten umso problematischer, je ungleicher Vermögen und Einkommen auf die Individuen verteilt sind, je stärker die Interdependenzen zwischen den Eigentumsbereichen sind und je ungleicher die Verhandlungsmacht der Individuen aufgrund von Monopolbildung ist.

Andererseits ist die Anwendung des Mehrheitssystems umso problematischer, je größer die Unterschiede in der Betroffenheit der Individuen sind, je zahlreicher und komplexer die zu entscheidenden Probleme sind und je geringer die Eigenmotivation der Individuen zur Befolgung der Mehrheitsbeschlüsse ist.

Es wird deshalb keine pauschale Entscheidung für das eine oder das andere System geben können, sondern man wird je nach Entscheidungsbereich und nach der Art der dort vorliegenden Bedingungen das besser geeignete Verfahren anwenden müssen, sodass ein aus beiden Systemen gemischtes Gesamtsystem entsteht. Weil dabei die konkreten Ausgangsbedingungen berücksichtigt werden müssen, kann es folglich kein für alle Zeiten und Länder bestes ökonomisches oder politisches System geben.

Außerdem muss im Auge behalten werden, dass Eigentum-Vertrags-System und Mehrheitssystem in der hier analysierten Form nur hochabstrakte Modelle darstellen, zu denen es die verschiedensten Modifikationen, Zwischenstufen und Ergänzungen gibt, die bei konkreten Entscheidungen über die Verfassung einer Gesellschaft in die Überlegungen mit einzubeziehen.  {663} wären. [[2] Dies betonen DAHL/LINDBLOM 1963, S.6ff.]

So gibt es nicht nur die Alternative, das private Eigentum als unbeschränktes Verfügungsrecht beizubehalten oder es ganz abzuschaffen, sondern es sind verschiedene Zwischenstufen in Form normativer Beschränkungen des Verfügungsrechts der Eigentümer denkbar, z. B. durch die Möglichkeiten staatlicher Gesetzgebung in Form von Arbeitsrecht, Unternehmensrecht, Bodenrecht, Mietrecht oder Kartellrecht.

Weiterhin könnte man versuchen, die Auswirkungen der systemimmanenten Tendenz zur ungleichen Verteilung der Einkommen durch gesetzlich geregelte Umverteilungen über Steuergesetze, Sozialgesetze oder Subventionsgesetze zu mildern.

Ob nun in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt ein derartig "demokratisch gebändigter Kapitalismus" eine bessere Annäherung an das Gesamtinteresse erzielt als z. B. eine "sozialistische Marktwirtschaft" mit öffentlichem Eigentum an den sachlichen Produktionsfaktoren, kann nicht durch eine pauschale Gegenüberstellung von Tauschprinzip und Mehrheitsprinzip entschieden werden. Dazu müssen die beiden Alternativen als vollständige Systeme analysiert werden, einschließlich der Ausgangsbedingungen personeller und technologischer Art. Insbesondere müssen dazu genauer die Informations- und Motivationsprobleme derartig hochkomplexer Entscheidungs-Systeme ökonomisch-politischer Art in die Untersuchung mit einbezogen werden. Für einen solchen Vergleich konkreter Institutionen-Systeme in normativer Absicht kann die vorliegende Arbeit zumindest die theoretischen Grundlagen liefern.{664}

 

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LITERATUR - VERZEICHNIS

Zur Erläuterung: Bei Aufsätzen wurde der Titel in Anführungszeichen gesetzt. Ihr erstes Erscheinen wird durch die eingeklammerte Jahreszahl angegeben. Der Ausdruck "Zitiert nach Wiederabdruck" wird abgekürzt mit "Z. n. W.". Bei Büchern wurde zur Information das Jahr des erstmaligen Erscheinens in Klammern hinzugefügt. Die Auflage wird durch die hochgestellte Zahl unmittelbar vor dem Erscheinungsjahr angegeben.

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