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Eberhard Wesche:
Mein wissenschaftlicher Werdegang
(Dieser Text wurde 1976 im Zusammenhang mit
der Bewerbung um eine Stelle als Assistenzprofessor am Fachbereich
Politikwissenschaft
der Freien Universität Berlin verfasst. Er verdeutlicht ganz
gut die Entwicklung meiner theoretischen Position.)
Ich begann mein Studium im Sommersemester 1965 an der Freien Universität Berlin
zunächst im Hauptfach Philosophie mit den weiteren Fächern Soziologie,
Psychologie und Politikwissenschaft.
Der Wunsch, Philosophie zu studieren, war bereits relativ früh während der
Schulzeit entstanden und beruhte auf einer intensiven Auseinandersetzung mit der
christlichen Theologie sowie der Lektüre verschiedener philosophischer bzw.
literarischer Autoren, vor allem Friedrich NIETZSCHE und Sören KIERKEGAARD, aber
auch Bertrand RUSSELL und André GIDE.
Hinzu kam bereits während der Schulzeit die Lektüre der
Schriften Sigmund FREUDs und anderer psychoanalytischer Autoren, was auch später
noch ein wichtiger Teil meiner wissenschaftlichen Interessen blieb.
Während des zweijährigen Militärdienstes von 1963 bis 1965 war ich auf die
Arbeiten von Theodor W. ADORNO, Herbert MARCUSE und Jürgen HABERMAS gestoßen
(was unter anderem dazu führte, dass ich Soziologie als erstes Nebenfach
wählte). Die hier formulierte Gesellschaftskritik kam meinen eigenen
Vorstellungen in vielen Punkten entgegen.
Die Militärzeit bewirkte außerdem eine Entwicklung meines politischen
Bewusstseins in Bezug auf die Probleme von Demokratie und Herrschaft, sowie ein
verstärktes Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
sowie mit Gesellschaftsordnungen sowjetischer Prägung.
Dies politische Interesse war ausschlaggebend dafür, dass ich mein Studium in
Berlin aufnahm und nicht - wie ursprünglich geplant - in Heidelberg. Die
Entscheidung für den Studienort Berlin wurde dabei insofern folgenreich, als der
Beginn meines Studiums 1965 zusammenfiel mit der Entstehung der politischen
Studentenbewegung an der Freien Universität Berlin, an der ich selber - vor allem in Bezug auf
die Hochschulreform - aktiv teilnahm.
Bereits nach dem ersten Semester stellte sich für mich heraus, dass das Fach
Philosophie - zumindest in der Form, wie es damals in Berlin vertreten wurde –
nicht der Ort war, wo die mir relevant erscheinenden Auseinandersetzungen
geführt wurden, vor allem, da die Philosophiegeschichte eine dominierende
Rolle spielte.
Demgegenüber wurde in der Soziologie der 'Positivismusstreit' geführt zwischen
Karl POPPER und Hans ALBERT auf der einen und Theodor W. ADORNO und Jürgen HABERMAS auf der
anderen Seite. Hier ging es um die mich zentral interessierenden Fragen der
Möglichkeiten und Aufgaben von Wissenschaft, insbesondere um das Verhältnis von
Wissenschaft, Gesellschaftskritik und Politik.
Außerdem war im Rahmen der Soziologie ein relativ fortgeschrittenes
methodologisches Forschungsinstrumentarium der Datenerhebung, der statistischen
Datenverarbeitung und der Theoriebildung entstanden, das in meinem Studium einen
relativ breiten Raum einnahm.
Aus diesem Grunde wechselte ich zur Soziologie als Hauptfach, wo ich u. a.
Lehrveranstaltungen zu 'Experiment und Faktorenanalyse' (HOLM),
'Skalierungsverfahren' (HOLM), 'Methodologische Grundlagen der empirisches
Soziologie' (MAYNTZ, HÜBNER, v. FRIEDEBURG), 'Inhaltsanalyse' (HÜBNER) sowie
'Deskriptiver und schließender Statistik' (WETZEL) besuchte.
Der Positivismusstreit in der Soziologie hatte insofern für meine weitere
wissenschaftliche Entwicklung eine besondere Bedeutung, als sein Ausgang für
mich unbefriedigend blieb. Letztlich konnte ich mich keiner der beiden
Positionen anschließen, so dass die aufgeworfene Problematik einer Möglichkeit
wissenschaftlicher Gesellschaftskritik offen blieb.
Für die Vertreter eines an
den Naturwissenschaften orientierten strikt erfahrungswissenschaftlichen
Programms - vor allem durch ALBERT repräsentiert - sprach, dass sie um eine
möglichst strenge, intersubjektiv überprüfbare Theoriebildung und Argumentation
bemüht waren und damit gerade dem in den Sozial- und Geisteswissenschaften
wuchernden Gemisch aus Beschreibung, Bewertung, Erklärung und Sprachschöpfung
mit den strengen Kriterien der Logik und der Überprüfung an der Erfahrung zu
Leibe rücken wollten. Diese an der analytischen und empirischen Tradition des
westeuropäischen Denkens orientierten Elemente erschienen mir unverzichtbar für
den Fortschritt der Sozialwissenschaften und für die Entwicklung einer
aufgeklärten politischen Öffentlichkeit.
Andererseits ließ das strikt erfahrungswissenschaftliche Wissenschaftsprogramm
wesentliche Fragen nach der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in
Politik, Ökonomie, Recht, Erziehung und Moral unbeantwortet oder
bestritt diesen
Fragen als 'wertend' bzw. 'normativ' sogar die wissenschaftliche
Beantwortbarkeit und Zulässigkeit. Dies war besonders unbefriedigend in einer
Situation, wo nach dem Ende der restaurativen Wiederaufbauphase eine neu
heranwachsende Generation auf die Veränderung überkommener Normen und Ordnungen
drängte und auf den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen praktische
Versuche der Umgestaltung unternahm.
Diesen Vorstellungen kam die 'Kritische Theorie' mit ihrer umfassend angelegten
Analyse und Kritik stärker entgegen. Ihre zentralen Begriffe enthielten Elemente
der Gesellschaftskritik und -veränderung, die den meist noch sehr diffusen
politischen Zielvorstellungen in der kritischen Studentenschaft Ausdruck
verliehen.
Ich beteiligte mich in Arbeitskreisen des Argument-Clubs, der Humanistischen
Studenten Union und der 'Kritischen Universität' an diesen theoretischen
Diskussionen, die später auch zunehmend Eingang in die 'offiziellen'
Lehrveranstaltungen fanden.
Trotz weitgehender inhaltlicher Gemeinsamkeiten mit den Intentionen der
Kritischen Theorie blieb ich ihrer methodischen Vorgehensweise gegenüber
skeptisch und empfand ihre Argumentationsweise häufig eher als
essayistisch-intuitiv anstatt als wissenschaftlich zwingend.
Es fehlte
weitgehend an methodologisch geklärten Kriterien der Beweisführung und es ergab
sich deshalb auch keine stabile Systematik der Theorie.
Die Bezugnahme auf die HEGELsche Dialektik war zwar durchgängig vorhanden, doch
konnte von einer systematischen Klärung und Explikation der darin enthaltenen
methodologischen Kriterien eigentlich keine Rede sein. Deshalb konnte die
'Kritische Theorie' in einigen Epigonen schließlich auch zum bloßen "Frankfurter
Jargon" verkommen. Die 'Kritische Theorie' konnte deshalb nicht als Einlösung
des Programms einer wissenschaftlich fundierten Gesellschaftskritik gelten und
hatte aufgrund ihrer methodischen Schwächen auch schwerwiegende Schwächen in der
Konstruktion konkreter gesellschaftspolitischer Alternativen im ökonomischen und
politischen Bereich.
Damit stellte sich weiterhin die Aufgabe, die Gesellschaftskritik auf eine
methodisch gesicherte wissenschaftliche Grundlage zu stellen, ohne dabei jedoch
hinter den analytischen Stand der modernen erfahrungswissenschaftlichen
Methodologie zurückzufallen und die alten Fehlschlüsse vom Sein auf das Sollen
zu reproduzieren.
Diese Position formulierte ich 1968 in einem Beitrag zur damaligen
Reformdiskussion am Otto-Suhr-Institut, der in der 'Berliner Zeitschrift für
Politologie' unter dem Titel "Politologie als Emanzipationswissenschaft"
abgedruckt wurde.
Darin wurde einerseits das erfahrungswissenschaftliche Programm der
Sozialwissenschaften als sinnvolles Unternehmen gegen ungerechtfertigte Kritik
verteidigt, andererseits wurden gegenüber einer positivistischen Verengung der
Fragestellung die Notwendigkeit wissenschaftlicher Gesellschaftskritik betont
und die Aufgaben einer politischen Wissenschaft skizziert, die sich ausdrücklich
auch mit kritischer bzw. legitimierender Theoriebildung befasste und sich auch
als normative politische Wissenschaft verstand.
Damit waren die Linien meiner späteren Forschungsarbeit bereits weitgehend
vorgezeichnet, bei denen es um die methodologischen Grundlagen für eine
wissenschaftliche Rechtfertigung bzw. Kritik der politischen und ökonomischen
Systeme ging. Dieser Aufgabe widmete ich mich nach Abschluss des
Soziologiestudiums.
Dabei hatte die Diplomarbeit bei Professor CLAESSENS zum Thema "Zur sozialen
Kontrolle des sexuellen Verhaltens" insofern einen Bezug zur normativen
Problematik, als es hier um die Herrschaftsmechanismen zur Aufrechterhaltung der
traditionellen Institution der monogamen Ehe ging.
Nach Beendigung des Studiums bemühte ich mich vor allem deswegen um eine Stelle
am Otto-Suhr-Institut, weil die "Politische Wissenschaft" in ihrem
traditionellen Selbstverständnis als "Wissenschaft von der Gestaltung des
öffentliche Lebens" mit der normativen Problematik in besonderer Weise
konfrontiert ist, insofern es hier neben der empirisch-theoretischen
Beschreibung und Erklärung politischer Vorgänge auch immer um die Bestimmung von
Zielen und Prioritäten für politisches Planen und Entscheiden geht sowie um die
Rechtfertigung und Kritik konkurrierender politisch-ökonomischer Systeme und
Programme.
In der Zeit von 1971 bis 1976 führte ich am Fachbereich Politische Wissenschaft
der Freien Universität Berlin selbständig Lehrveranstaltungen auf den folgenden Gebieten durch:
Methoden der empirischen Sozialforschung / Statistische Methoden /
Wissenschaftstheorie / Planungs- und Entscheidungstheorie / Arbeiterbewusstsein
und Demokratietheorie.
Neben dieser Lehrtätigkeit, die mit der Betreuung von Arbeitsgruppen einherging,
und der Mitarbeit in Gremien der Hochschulselbstverwaltung (mehrjährige
Tätigkeit in der Forschungskommission des Fachreichs und später der
Ausbildungskommission) widmete ich meine Forschungszeit der Untersuchung der
folgenden Bereiche, die für eine normative Theoriebildung relevant sind:
1. Allgemeine Erkenntnistheorie und Methodologie der Erfahrungswissenschaften:
Hier ging es vor allem die Klärung des Wahrheits- bzw.
Allgemeingültigkeitskriteriums in den empirischen Wissenschaften sowie um die
Abgrenzungskriterien gegenüber nicht-positiven Elementen wie Normen,
Werturteilen usw. Von besonderer Bedeutung waren für mich dabei die Arbeiten von
Max WEBER, Karl POPPER, Hans REICHENBACH, Hans ALBERT, Bertrand RUSSELL, A.
J. AYER und Karl HEMPEL.
2. Ethik (" Praktische Philosophie", "Methodologie der normativen Erkenntnis" ):
Hier ging es um die erkenntnistheoretischen Grundlagen für jede normative,
handlungs- und entscheidungsleitende Wissenschaft, insbesondere um das
Kriterium
der Allgemeingültigkeit für Normen und Werturteile. Ansatzpunkt hierfür war die
Auseinandersetzung vor allem mit zwei Hauptströmungen:
a.) zum einen der gewöhnlich als 'Metaethik' bezeichneten Analyse ethischer Begriffe wie
'gut', 'sollen', 'Wert' etc., die vor allem von angelsächsischen Theoretikern
vorangetrieben wurde ('common language philosophy'). Von Bedeutung waren hier
die Arbeiten von G. E. MOORE, Richard M. HARE, Viktor KRAFT, William K. FRANKENA und
Stephen TOULMIN. Diese Untersuchungen stehen meist in einer kritischen
Auseinandersetzung mit der starken utilitaristischen Tradition, die durch
Theoretiker wie Jeremy BENTHAM, John Stuart MILL und Henry SIDGWICK verkörpert
wird, und die auf das gesamte sozialwissenschaftliche Denken auch heute
einen kaum zu unterschätzenden Einfluss ausübt.
b.) zum andern den im deutschen Sprachraum aus verschiedenen Strömungen (Kantische
Transzendental-Philosophie, Hermeneutik, konstruktive Wissenschaftstheorie)
zusammenfließenden Bemühungen um eine nach-positivistische Rekonstruktion der
praktischen Philosophie. Hier sind für mich vor allem bedeutsam die Arbeiten von
Jürgen HABERMAS, Karl-Otto APEL, Paul LORENZEN, Oskar SCHWEMMER und Friedrich KAMBARTEL,
die
- orientiert an einer Konsenstheorie der Wahrheit - Regeln vernünftiger
Argumentation klären und auf die normative Fragestellung übertragen wollen.
3. Normen- und Entscheidungslogik:
Diese Disziplinen untersuchen die logische Struktur normativer Satzsysteme und
sind deshalb für jede normative Theoriebildung von besonderer Relevanz. Von
Bedeutung waren für mich auf dem Gebiet der Normenlogik die Arbeiten von
G. H. v. WRIGHT und F. v. KUTSCHERA.
Auf dem Gebiet der Entscheidungslogik war die umfassende Darstellung von Gerard
GÄFGEN zur Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung wichtig für mich. In diesem
Zusammenhang habe ich mich außerdem mit den methodischen Grundlagen der
gewöhnlich unter dem Begriff 'Operationsforschung' zusammengefassten
Entscheidungsmodelle vertraut gemacht, die bei vorgegebenen Zielen optimale
Lösungen zu bestimmen versuchen, sowie mit den Methoden der
Spieltheorie, die
Optimierungsprobleme bei wechselseitig abhängigen Strategien untersucht.
Von besonderer Bedeutung für meine eigene Entwicklung waren die von Kenneth J.
ARROW eingeleiteten präferenzlogischen Untersuchungen zur Logik kollektiver
Entscheidungen, bei denen verschiedene Entscheidungsregeln (Pareto-Kriterium,
Mehrheitsprinzip usw.) auf ihre logische Vereinbarkeit mit unterschiedlichen
normativen Postulaten untersucht werden. Neben ARROWs Untersuchungen habe ich
mich hier vor allem mit den Arbeiten von John C. HARSANYI und Amartya SEN beschäftigt,
in denen die tradierten Probleme der politischen und ökonomischen Philosophie -
insbesondere das Problem der Zusammenfassung der individuellen Interessen zu
einem Gesamtinteresse - mit dem modernen Instrumentarium der Präferenzlogik bzw.
der Nutzentheorie angegangen werden.
An dieser Stelle sei betont, dass es mir bei dieser Beschäftigung mit oft sehr
abstrakten methodologischen Grundlagen normativer Erkenntnis letztlich immer
darum ging, Kriterien für eine wissenschaftliche, und das heißt allgemeingültige
Beantwortung der zentralen normativen Streitfragen im politischen und
ökonomischen Bereich zu schaffen.
Dazu gehört insbesondere die Rechtfertigung und Kritik der kapitalistischen
Marktwirtschaft sowie die Rechtfertigung und Kritik des auf Grundrechten,
Mehrheitsprinzip und Repräsentation basierenden Parlamentarismus. Ohne eine
solche Klärung der Gültigkeitskriterien für normative Behauptungen muss
jede Gesellschaftskritik in einem vorwissenschaftlichen Raum von dezisionistischen Setzungen bzw. einem rhetorischen Anschließen an bereits
bestehende Wert- und Zielsetzungen verbleiben.
In Bezug auf den Kapitalismus als einer Wirtschaftsordnung, die auf den
Institutionen des Privateigentums an den Produktionsfaktoren und der Vertrags-
bzw. Gewerbefreiheit basiert, beschäftigte ich mich vorwiegend mit zwei
theoretischen Ansätzen:
a.) Zum einen setzte ich mich mit der MARXschen Kapitalismusanalyse auseinander. Von besonderer Bedeutung war hier für mich
die Theorie der Klassenbildung entsprechend dem Eigentum an den
Produktionsfaktoren sowie die dynamische Analyse eines auf private
Kapitalakkumulation angelegten Systems mit seinen Tendenzen zur Konzentration
und Zentralisation des Kapitals, zu krisenhaften Stockungen des
Wirtschaftskreislaufs und zur Polarisierung der Klassen.
Neben der marxistischen Theorie beschäftigte ich mich auch mit der
Kapitalismuskritik nicht-marxistischer Autoren wie Gunnar MYRDAL, W. K. KAPP, Bertrand
RUSSELL, George B. SHAW und Erich FROMM.
b.) Zum andern beschäftigte ich mich mit der neoklassisch orientierten Preistheorie, die das Marktgeschehen
unter den Bedingungen atomistischer Konkurrenz als ein Gleichgewichts-System
interpretiert, das sich aus den eigeninteressierten Aktivitäten der
Wirtschaftssubjekte ergibt. Von besonderer Bedeutung war für mich dabei die offene oder
versteckte normative Wendung dieser Theorie, die dem Gleichgewicht zugleich
Optimalität von Produktion und Verteilung bescheinigt.
Die Grundlagen hierfür sind in der am paretianischen Optimalitätsbegriff
orientierten Wohlfahrtsökonomie entwickelt worden, mit der ich mich in meiner
Dissertation ausführlich auseinandergesetzt habe. Wichtig waren hier die
Arbeiten von I. D. M. LITTLE, F. M. BATOR und D. M. WINCH.
c.) Einen Schwerpunkt meiner Untersuchungen bildeten dabei Phänomene des Marktversagens aufgrund von externen Effekten, kollektiven Gütern, Monopol-
bzw. Kartellbildung und die darauf bezogenen Theorien der staatlichen
Budgetpolitik, Infrastrukturpolitik und Wettbewerbspolitik. Von Bedeutung ist
hier die Kosten-Nutzen-Analyse, mit der man die Marktlogik auch auf
solche Bereiche staatlicher Wirtschaftspolitik übertragen will, in denen eine
Bewertung durch den Markt aus den verschiedensten Gründen versagt, weshalb man
hier z. T. mit theoretisch geschätzten "Preisen" operiert. Solche Versuche von
Wirtschaftlichkeitsberechnungen staatlicher Investitionen spielen eine wachsende
Rolle in der Bildungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Strukturpolitik.
Die Auseinandersetzung mit den Instrumentarien staatlicher Wirtschaftsplanung
resultierte in einer Lehrveranstaltung zu diesem Bereich (" Das Bewertungsproblem
in der Planungsarbeit" ) sowie einem Referat über "Methodologische Probleme
sozialer Kosten und Nutzenkalküle", das ich 1973 im Rahmen des
Forschungsprojekts "Bürgerpartizipation am Planungsprozess" (Prof. DIENEL) an
der Gesamthochschule Wuppertal hielt.
Parallel zur Analyse der kapitalistischen Marktwirtschaft beschäftigte ich mich
mit sozialistischen Wirtschaftsordnungen ohne Privateigentum an den
sachlichen Produktionsfaktoren. Von besonderer Bedeutung waren für mich die
Arbeiten von Oskar LANGE, W. BRUS, NOWOSHILOW und Maurice DOBB, sowie die
Versuche zu einer Theorie des gesellschaftlichen Wohlstands in einer
sozialistischen Planwirtschaft, wie sie in der Konzeption der Optimalen Planung
entwickelt wird.
Neben den normativen Theorien der Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik
bildeten die Theorien zur Rechtfertigung und Kritik der parlamentarischen
Demokratie mit ihrer Verbindung von Grundrechten, Mehrheitsprinzip und
Repräsentation den anderen Schwerpunktbereich meiner theoretischen Arbeit.
Auf dem Gebiet der Demokratietheorie beschäftigte ich mich einerseits mit
klassischen Autoren wie Jean Jacques ROUSSEAU oder John Stuart MILL und
andererseits mit modernen Verfassungstheorien, wie sie etwa von J. BUCHANAN / G. TULLOCK oder John RAWLS entwickelt wurden.
Daneben bildete die vor allem von sozialistischen Theoretikern vorgetragene
Kritik am parlamentarischen Repräsentationsverfahren und seinen Manipulations-
und Selektionsprozessen einen weiteren Schwerpunkt.
In meiner Dissertation habe ich den Entscheidungsprozess in Kollektiven und Gremien,
die nach dem Mehrheitsprinzip verfahren, eingehender untersucht, wobei die von
der traditionellen Demokratietheorie meist vernachlässigten Aspekte der
Koalitionsbildung und der Ausbildung kollektiver Abstimmungsstrategien
einen besonderen Schwerpunkt bildeten.
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Letzte Bearbeitung 12.01.2007 / Eberhard Wesche
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