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Konfliktlösung durch Interessenabwägung?

(Diskussion bei PhilTalk)

 PhilTalk Philosophieforen: Praktische Philosophie >> Ethik >> Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
(Thema begonnen von: Eberhard am 2007-03-14, 16:44 Uhr)
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Titel: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-14, 16:44 Uhr
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Hallo allerseits,
In dieser Runde soll es um die Frage gehen, ob man Konflikte durch eine Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann. Der Konflikt wäre dann gemäß dem überwiegenden Interesse zu entscheiden.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies eine ungewohnte Fragestellung ist und bisher in den PhilTalk-Foren wohl noch niemals so gestellt worden ist. Aber ich will trotzdem den Versuch wagen, zum einen, weil die Beantwortung dieser Frage in einer Welt ungelöster und gefährlicher Konflikte erhebliche Bedeutung besitzt, und zum andern, weil mit der Beantwortung dieser Frage grundsätzliche philosophische Fragen verbunden sind.

Eine dieser Fragen ist, ob und wie sich die Interessen verschiedener Individuen in ihrer Gewichtigkeit intersubjektiv vergleichbar einschätzen oder messen lassen.

Ich bin der Ansicht, dass dies - trotz aller Probleme - grundsätzlich möglich ist, bin mir allerdings zugleich darüber im Klaren, dass ich mich mit dieser Meinung auf ziemlich einsamem Posten befinde. Es interessiert mich, ob und was die verschiedenen philosophischen Schulen dazu zu sagen haben.

Im Alltag spielt die Interessenabwägung bei allen Formen der Rücksichtnahme auf die Interessen anderer eine Rolle, insbesondere bei der freiwilligen Hilfeleistung.

Wir sagen z. B.:
"Das kannst Du mir nicht zumuten!"
"Es ist ihm zuzumuten, dass er gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, wo es um die Rettung eines Menschen geht."
"Die Gesundheit von Menschen ist wichtiger als jedes wirtschaftliche Interesse."
"Könnten Sie mir bitte einen Gefallen tun? Sie würden mir damit sehr helfen."
"Könnten Sie mich bitte vorlassen? Es handelt sich um einen dringenden Notfall."
"Es geht hier schließlich um das Wohl unserer Kinder. Da haben andere Interessen zurückzustehen."
 
Offenbar wird im Alltag eine interpersonale Abwägung der Interessen praktiziert.
 
Auch im Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich Passagen, wo der Richter sein Urteil z. B. nach Abwägung der berechtigten Interessen von Mieter und Vermieter zu fällen hat.
 
Hat jemand eine Meinung zu der Frage, ob eine interpersonale Abwägung von Interessen möglich ist? Lassen sich damit Konflikte "vernünftig" lösen?
 
fragt Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am 2007-03-14, 17:03 Uhr
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Hallo Eberhard,

das fast identische Problem beschäftigt mich seit ein paar Wochen, mit dem Unterschied, dass ich die Konfliktlösung zunächst nur für ein Individuum betrachtete. Dabei stellte ich fest, dass selbst dann, wenn der Konflikt (so oder so, jedoch immer) gelöst wird, nicht einmal zur Zufriedenheit des Einzelnen, der ja selbst entscheidet,
ausfallen muss. Folglich glaube ich nicht recht an Deine doch sehr positive Einschätzung.
 
Viele Grüße, Gnoseias
 
PS: Beziehen sich die Interessen auf Handlungen? Ich kann mir nur schwer etwas anderes vorstellen.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-14, 19:25 Uhr
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Hallo Gnoseias,
 
mit Konflikt ist hier nicht der innerpsychische Konflikt "in der eigenen Brust" gemeint sondern der soziale Konflikt zwischen Individuen oder Kollektiven. Die Interessen der Beteiligten Parteien beziehen sich immer auf realisierbare Zustände der Welt, zwischen denen eine Entscheidung zu treffen ist. Diese alternativen Handlungsmöglichkeiten sind für die Beteiligten mehr oder weniger erwünscht, oder anders ausgedrückt: sie entsprechen dem Interesse der Beteiligten in unterschiedlichem Maße. 
Es grüßt Dich Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am 2007-03-14, 20:16 Uhr
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Guten Abend Eberhard,
 
ich stimme Dir gerne zu. Doch glaubst Du nicht, dass das Prinzip der Interessenabwägung mehrerer Individuen dasselbe ist, das auch bei der begründeten Entscheidung eines Einzelnen zum Tragen kommt?
 
Viele Grüße, Gnoseias
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am 2007-03-14, 22:11 Uhr
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Hallo Eberhard,
 
natürlich lassen sich Konflikte durch Interessensabwägungen und die Ermittlung ausgewogener Kompromisse lösen. Und zweifellos ist das die beste Methode, Aggressionen zu vermeiden. Doch viele tausend Jahre Menschheitsgeschichte lehren, dass dies nicht die Norm ist. Man kämpft für seine Interessen und der stärkere siegt. Wär ja auch blöd, wenn Bayern München und Real Madrid ihren Konflikt durch Verhandlungen gelöst hätten. [cheesy]
 
Stellt sich übrigens die Frage, warum die Methode Interessensabwägungen, die auch mir sehr sympathisch erscheint, sich in der Natur nicht durchgesetzt hat.
 
Gruß HP
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-15, 00:06 Uhr
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Yepp!
Auferstanden von den Nondualisten. Freudig begrüße ich endlich mal wieder nen interessanten Thread von Dir.
 
Schön, wirklich schön.
 
Da ich ins Bett muss: Stichwort Mediation.
Bei Konflikten, die vor Gericht ausgetragen werden, gilt meines Wissens im Zivilrecht ja durchaus das Prinzip Interessenausgleich. Heißt, es wird angestrebt - deswegen die häufigen Vergleichsbemühungen - eine Entscheidung zu finden, die beide Parteien als rechtmäßig akzeptieren können.
 
Grüße
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von UG am 2007-03-15, 08:08 Uhr
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on 03/14/07 um 22:11:54, Hanspeter wrote:Stellt sich übrigens die Frage, warum die Methode Interessensabwägungen, die auch mir sehr sympathisch erscheint, sich in der Natur nicht durchgesetzt hat.
 
Hallo zusammen.
 
Ich erkenne in der Natur sogar ausschließlich Interessensabwägungen: Ökologische Nischen, Reviere, Rangordnungen, Symbiose etc. Wie sollte sonst jemals Gleichgewicht entstehen?
 
Gruß UG
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-15, 08:47 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: in dieser Runde soll es um die Frage gehen, ob man Konflikte durch eine Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann. Der Konflikt wäre dann gemäß dem überwiegenden Interesse zu entscheiden.
 
Löbliches Vorhaben. Mit der Bezeichnung "Konflikt" geht es uns aber ähnlich wie mit der Bezeichnung "Gerechtigkeit" - jeder weiß, wovon er spricht, aber der andere hört was anderes.
 
Definition: Konflikt heiße, wenn zwei Meinungen (= Informationen, die weder beleg- noch widerlegbar sind) zu zwei Verhaltensweisen führen, die miteinander unvereinbar sind.
 
Beispiel: Gebirge, Via Mala, Maximilian heißt unser kaiser, Pferdegespanne, einspurig, aber Gegenverkehr.
Wer muß mit seinen Pferden den Rückwärtsgang einlegen und den Absturz riskieren?
 
Natürllich werden Dir beide Kutscher zustimmen: "Jawoll, natürlich lösen wir diesen Konflikt gemäß dem überwiegenden Interesse! Sagen sie dem anderen, er muß zurücksetzen. mein Interesse ist wichtiger!"
 
Der anfängliche offensichtliche Konflikt "Gegenverkehr" hat sich nun entpuppt als Konflikt der Interessen, welches Interesse schwerer wiege.
 
Und dieser Konflikt ist grundsätzlich.
 
Abrazo, Dein Vorschlag "Mediation" paßt zur allgemeinen Mode in der Wirtschaft.
Aber die ist Müll. Selbst die Worte tausender Mediatoren auf der Via Mala können mit den spitzfindigsten Begründungen keinen der beiden Fuhrleute zum Meinungsumschwung bewegen.
 
Aber: Wird auf beide Fuhrleute gemeinsam immer höherer Druck aufgebaut, wird derjenige zurücksetzen, dem der Druck nun schlimmer erscheint als das Rücksetzen.
 
So wirkt ein Mediator im Beruf besondes wirksam: Fliege ihn mit Hubschrauber und Blaulicht und Spruchband "Mediator" ein.
Damit das ganze Indrústrieviertel sieht: "Bei der Abrazo-AG können sie sich schon wieder nicht einigen. Wer eigentlich genau streitet da? Warum kriegt die Vorstandsvorsitende das nicht selbst hin?"
Schon wackeln Gesichter, das Wackeln der Gesichter ist der Druck, der den einen zum Rückzug zwingt.
 
Billiger als täglich Hubschrauber mit Mediatoren in der Via Mala: Kaiser Maximilian entscheidet eine Straßenverkehrsordnung "Auf abschüssiger Strecke hat der bergfahrende zurückzusetzen. Bei ebener Strecke das Gefährt mit mehr PS/Tonne." Oder was auch immer, aber der Verkehrspoliist auf Motorrad gehört dazu, wie auch Staatsanwalt und Verkehrsrichter.
 
Konflikte zwischen Personen können im gemeinsam übergeordneten Interesse leichter gelöst werden. Besonders, wenn jemand da ist, der es verkörpert und Druck auf die Streithähne ausüben kann.
 
Dies Muster gilt für Interessenkonflikte aller Art - weil sie alle derselben Art sind: Zwei Personen nehmen ihr jeweils persönliches Interesse wichtiger als das des anderen.
 
Der Anteil der Mediatoren-Einsätze in einem Unternehmen ist ein Maß für die Unfähigkeit des Managements, insbesondere des Vorstands und Aufsichtsrats.
 
Ciao Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am 2007-03-15, 09:20 Uhr
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on 03/15/07 um 08:47:54, Wolfgang_Horn wrote:Der anfängliche offensichtliche Konflikt "Gegenverkehr" hat sich nun entpuppt als Konflikt der Interessen, welches Interesse schwerer wiege.
 
Das anfänglich offensichtliche Interesse „schnell ans Ziel zu gelangen“ hat sich nun entpuppt als „Interesse des Konfliktes“, wer den Konflikt besser bewältige. :-)
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-15, 09:29 Uhr
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Hi,
 
Quote:Ich erkenne in der Natur sogar ausschließlich Interessensabwägungen
 
Sieht mein Hund genau so.
Seine Freundin, eine kleinere Hündin, ist zur Zeit zu Besuch.
Interessenabwägung: sie will nachts menschliche Nähe, also in meinem Schlafzimmer schlafen.
Er ist der Ansicht, menschliche Nähe kommt ihm allein zu, denn dort schläft schließlich seine Herrschaft.
In der Abwägung der Interessen kommt er selbstverständlich zu dem Schluss, dass seines absoluten Vorrang hat.
Ergebnis: er wechselt seinen gewohnten Schlafplatz und legt sich im Schlafzimmer fett und breit vor die Tür und die kleine Hündin jammert davor, weil sie nicht rein darf.
Irjendswie haben Menschen eine andere Vorstellung von Interessenabwägung, oder?
 
@ Wolfgang:
Nach Deiner Theorie müsste ein solches Unternehmen, dass vor Gericht einen Streitfall auszufechten hat, außer Dokumenten, den Streitfall betreffend, nichts einreichen müssen. Der Richter entscheidet machtvoll nach eigenem Gusto.
 
Sieht aber in der Praxis anders aus. Kann schon mal so aussehen, dass ein mit gesundem Menschenverstand begabter Richter sagt, so, ich gehe jetzt ne Stunde frühstücken, und wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dass Sie sich mit Ihren Anwälten geeinigt haben und mir das Ergebnis mitteilen. Sonst gibt's ein Urteil, und dazu habe ich keine Lust, weil, das macht Arbeit und kostet Geld.
 
Man sollte auch bedenken, in den USA z.B. heißt der Zivilrichter meines Wissens Friedensrichter. Warum? Weil er dazu da ist, den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Eine Aufgabe, die die hiesigen Zivilrichter durchaus auch als die ihre ansehen. Heißt, es ist nicht gut, wenn eine Partei sich durch richterliche Entscheidung in ihrem Recht verletzt fühlt. Das schafft keinen Frieden. Von daher achten die, im Gegensatz zum Strafrecht, schon darauf, wenn irgend möglich eine Entscheidung zu bewirken, die beide Parteien zwar nicht unbedingt begrüßen, wohl aber einsehen sollten.
 
In einem Punkt gebe ich Dir allerdings Recht: es wird in einem strittigen Fall nicht zu einer halbwegs friedlichen Lösung kommen, wenn die sie steuernde neutrale Autorität fehlt. Der Moderator, der eben nicht aus eigener Machtfülle heraus entscheidet (es sei denn, die sind sich so verhasst, dass eine Einigung absolut nicht möglich erscheint).
 
Ich wäre übrigens dankbar, wenn man Konflikte nicht immer auf persönliche Konflikte unter Einzelpersonen beziehen würde. Der Einzelmensch in allen Ehren - aber ich meine, es gibt wichtigeres als seine mehr oder minder privaten Streitigkeiten.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von UG am 2007-03-15, 11:33 Uhr
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on 03/15/07 um 09:29:02, Abrazo wrote:Irjendswie haben Menschen eine andere Vorstellung von Interessenabwägung, oder?
 
Hallo Abrazo,
ist es nicht herrlich, wie einfach die Welt ist?
Wo Du auch hinsiehst - überall Abrazo!
 
[sun]

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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-15, 12:42 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
Du: Nach Deiner Theorie müsste ein solches Unternehmen, dass vor Gericht einen Streitfall auszufechten hat, außer Dokumenten, den Streitfall betreffend, nichts einreichen müssen.
 
Hu? Rätsel. Also, wenn die Abrazo AG einen Streit unter Mitarbeitern hat oder im Management, dann sollte der nur vor Gericht gehen, wenn ein Recht verletzt worden ist.
Beispielsweise Arbeitsschutzklage.
 
Betreffen Klage und Gegenklage aber allein interne Angelegenheiten der Abrazo AG, die der Vorstand entscheiden darf, dann ist der Gang zum Gericht ein Mißbrauch der Justiz - und eine Unfähigkeitsbescheinigung für den Vorstand.
 
Der große Vorteil des Unternehmens: Solange sich alle einig sind "wir wollen die Zukunft und das Wachstum der Abraho AG, Dienstleistungen in Unterholz, Gestrüpp und Gordischen Knoten" , solange ein gemeinsames höchstes Ziel, ein gemeinsamer Zweck alle anderen Fragen dominiert, so lange hat die Vorstansdsvorsitzende in allen Fragen das letzte Wort.
 
Klugerweise wird sie ihre Arbeit weitgehend delegiert haben. Deshalb läßt sich in jedem Unternehmen zu jeder betriebsinternen Frage ein Manager finden, der in ihr das letzte Wort sprechen darf - oder sich vielleicht darum drückt.
 
Du: . Kann schon mal so aussehen, dass ein mit gesundem Menschenverstand begabter Richter sagt, so, ich gehe jetzt ne Stunde frühstücken, und wenn ich wiederkomme, hoffe ich, dass Sie sich mit Ihren Anwälten geeinigt haben und mir das Ergebnis mitteilen. Sonst gibt's ein Urteil, und dazu habe ich keine Lust, weil, das macht Arbeit und kostet Geld.
 
Und die Chancen zur Beilegung sind so gut, wie für mindestens eine Partei der Schrecken des Gesichtsverlustes größer ist als der Verlust in der Sache.
 
Du: Von daher achten die, im Gegensatz zum Strafrecht, schon darauf, wenn irgend möglich eine Entscheidung zu bewirken, die beide Parteien zwar nicht unbedingt begrüßen, wohl aber einsehen sollten.
 
Hier geht's nicht um betriebsinterna, oder? Sondern um Streitfälle zwischen Unternehmern.
Kommt da ein großer Druck zur Beilegung von der Öffentlichkeit des Urteils - und des damit verbundenen Gesichtsverlustes?
 
Du: In einem Punkt gebe ich Dir allerdings Recht: es wird in einem strittigen Fall nicht zu einer halbwegs friedlichen Lösung kommen, wenn die sie steuernde neutrale Autorität fehlt.
 
"steuernde neutrale Autorität"? Klingt so nett, so harmlos, so freundlich. Nee.
Du als Vorstandsvorsitzende der Abrazo AG bist Autorität und sollst steuern, bist aber nicht neutral in betriebsinternen Angelegenheiten. Sondern Du willst Zukunft und Wachstum für Dein Unternehmen. Oder was immer Du anstrebst.
Und wegen Deiner Aufgabe wirst Du jeden betriebsinternenen Streit, der an Dich herangetragen wird, einer Lösung herbeiführen im Sinne von "Zukunft und Wachstum".
 
Du kannst Dich allenfalls um Neutralität gegenüber den Personen selbst bemühen, solange sie sich erkennbar für das gemeinsame Ziel einsetzen.
 
Du: Der Moderator, der eben nicht aus eigener Machtfülle heraus entscheidet
 
"Ein Vorstandsvorsitzender muß eine Aura schaffen, in der sein Team sich mit seinen positiven, negativen, kreativen Elementen voll einbringen kann. Was dabei herauskommt, ist immer kontrovers. Irgendwann muß die Analysephase aber abgeschlossen werden und der Vorsitzende auf den Putz hauen: Schluß, aus, ..., so wird's gemacht." (Helmut Werner, einst Mercedes-Benz)
 
Das ist ein Chef, der entscheidet. Der erst Einigkeit in seinem Team herstellt, alle wollen Zukunft und Wachstum mehr als alles andere in der Arbeitszeit. Der Fragen zur Entscheidung stellt, ein Forum zum Mitdenken bietet, und schließlich das letzte Wort auf eine Art und Weise spricht, daß seine Leute ihm weiter vertrauen.
 
Der braucht keinen Moderator. Protokollführer genügt.
 
Der typische Moderator wird geholt, wenn der Manager das ihm zuerkannte letze Wort eben nicht sprechen will.
Wahrscheinlich, weil er das Mißtrauen der Kontrahenten ihm gegenüber spürt.
 
Du: Ich wäre übrigens dankbar, wenn man Konflikte nicht immer auf persönliche Konflikte unter Einzelpersonen beziehen würde.
 
Grundsätzlich Zustimmung. Aber: So sehr Personen ihr eigenen Gesicht an eine betriebliche Frage kleben, so sehr klebt der Ausgang einer Frage an ihren Gesichtern.
 
Ciao Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-15, 18:37 Uhr
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hallo zusammen!
 
Also Eberhard, ich finde, dass man "Konflikte durch eine Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen kann".
Es gibt zwei Arten, dies zu tun:
Erstens: Können die beiden Parteien miteinander reden, können sie sich verstehen, verstehen sie auch die Argumente der anderen Partei? Dann können sie das unter sich lösen und zwar, indem sie miteinander evaluieren, was für beide Parteien den grösstmöglichen Vorteil und den kleinstmögl. nachteil bringt. Optimum Prinzip.
Zweitens: Die Parteinen bringen es nicht fertig, sich vernünftig zu unterhalten, verstehen sich nicht und können sich in keiner Weise in die Bewegründe der anderen Partei hinein versetzten? Dann muss eine dritte, neutrale Instanz her und für die beiden Parteien entscheiden. Das wäre grundsätzlich das Gericht. Oder auch eine Mutter, die den Streit zwischen ihren Kindern schlichtet (jeder kriegt drei Bonbons - nein, Heiri, nicht du vier und der Fritzli nur zwei.)
 
Eine Abwägung der Interessen machen sowohl die Parteien selbst (bei erstens), oder aber die Mutter und das Gericht (zweitens). Im ersten Fall geht das jedoch besser, da dann indiviuelle Lösungen getroffen werden können, die so zum Beispiel von einem Gericht nicht verordnet werden können. (Das muss sich ja ans Gesetz halten, auch, wenns vielleicht mal besser wäre, das ein bisschen zu verbiegen).
 
Generell gilt: Wenn die Konfliktparteien sich kennen (Kolleg Kurt und Kolleg Hans), funktionierts meistens besser, als wenn sie sich nicht kennen (Firma Pi und Organisation Ip).
Auch gehts besser, wenn die Streithähne eine gewisse Streitkultur haben und nicht stur bis weiss ich wo hin sind.
 
Lg weahterlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-15, 19:48 Uhr
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Hallo allerseits,
 
Die Frage lautet: Lassen sich Konflikte durch Abwägung der Interessen der Konfliktparteien lösen?
 
Gnoseias hat darauf hingewiesen, dass auch der Einzelne seine verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen muss, wenn deren Befriedigung nicht gleichzeitig möglich ist und eine Entscheidung getroffen werden muss. Dies ist das Problem, das die "Theorie der rationalen Entscheidung" behandelt und - im Falle mehrerer unabhängig ihre Interessen verfolgender Akteure - die Spieltheorie.
 
John von Neumann und Oskar Morgenstern, die Begründer der Spieltheorie, haben sich für die Erfassung und Gewichtung der Interessen der Akteure ein interessantes Verfahren ausgedacht, das mit dem "Erwartungsnutzen" (expected utility) der verschiedenen möglichen Spielergebnisse für die Akteure arbeitet.
 
Ein Beispiel soll das Konzept des Erwartungsnutzens verdeutlichen: Angenommen Person A muss mit vier möglichen Ergebnissen rechnen:
 
1. Es bleibt für A alles beim Alten, also Fortdauer des Status quo,
2. A wird zum Abteilungsleiter befördert mit 300 ? mehr Gehalt.
3. A behält seinen Arbeitsplatz aber bekommt 50 ? mehr Gehalt im Monat.
4. A wird fristlos entlassen.
 
Gefragt, welches Ergebnis er denn bevorzugen würde, ergibt sich z. B. folgende Präferenzordnung:
 
Resultat 2 (Beförderung mit Gehaltserhöhung) entspricht am meisten seinen Interessen, dann folgt Resultat 3 (nur Gehaltserhöhung), dann Resultat 1 (Status quo) und am wenigsten mag er Resultat 4 (Entlassung), also 2>3>1>4.
 
Hier ist die Interessenlage von A durch eine Rangordnung der möglichen Resultate wiedergegeben. Man kann aufgrund einer bloßen Rangordnung jedoch nicht sagen, um wie viel Resultat 2 für A besser ist als Resultat 3.
 
Kann man den subjektiven Wert, den Resultat 2 (Beförderung) gegenüber Resultat 3 ( nur Gehaltserhöhung) hat, noch genauer bestimmen?
 
Neumann/Morgenstern schlagen vor, nicht die sicheren Resultate zu vergleichen, sondern ein Risiko einzubauen und A zu fragen: "Bei welchem Risiko wird Resultat 2 für Dich gleichwertig mit dem sicheren Resultat 3?"
 
Man fängt z. B. an mit einem Topf von 100 Losen, die alle lauten: "Du bekommst Resultat 2". (In diesem Fall ist Resultat zwei sicher und es besteht kein Risiko, weil alle Lose Gewinnlose sind.)
 
Dann ersetzt man zunächst 1 Gewinnlos durch eine "Niete", auf der steht: "Es bleibt beim Status quo".
 
Dann ersetzt man 2 Gewinnlose durch Nieten, dann 3, dann 4 usw. bis zu dem Punkt, an dem A sagt: "Bei diesem Risiko ziehe ich die Lotterie nicht mehr gegenüber der sicheren Gehaltserhöhung vor."
 
Angenommen diese Gleichwertigkeit der Alternativen stellt sich ein, wenn im Lostopf 50 Gewinnlose und 50 Nieten sind. Dann bedeutet dies, dass der Erwartungsnutzen des sicheren Resultats 2 für A doppelt so groß ist wie der Erwartungsnutzen des sicheren Resultats 3.
 
Allgemein gesprochen: Wenn die Wahrscheinlichkeit, ein Gewinnlos zu ziehen und Resultat x zu bekommen, 1/3 beträgt - bei Gleichwertigkeit mit y - dann ist der Erwartungsnutzen von x dreimal so groß wie der Erwartungsnutzen von y.
 
Ist die Gleichwertigkeit der Alternativen erst bei einer Wahrscheinlichkeit von 1/10 erreicht, so ist der Erwartungsnutzen von x zehnmal so groß wie der von y.
 
(Ich habe das Konzept des Erwartungsnutzens etwas länger ausgeführt, damit gewisse Grundbegriffe bekannt sind.)
 
Noch mal zur Bestimmung des überwiegenden Interesses eines Individuums: das Individuum gewichtet bei seinen Entscheidungen die Interessen und arbeitet nicht nur mit Präferenzordnungen.
 
Ein Beispiel: Angenommen Herr K möchte lieber ein schnelleres Auto als ein langsameres, und er möchte lieber ein Auto, das weniger Kraftstoff verbraucht als mehr.
 
Nun stehen zwei Autos zur Wahl: Auto 1 ist schneller als Auto 2. Aber Auto 2 verbraucht weniger Kraftstoff als Auto 2. Welches Auto entspricht dem Interesse des Herrn K mehr? Anhand der bloßen Rangordnungen lässt sich keine Entscheidung treffen. Wenn man jedoch die Interessen des Herrn K genauer erfasst und z. B. die beiden Kriterien "Schnelligkeit" und "Kraftstoffverbrauch" gewichtet, dann ist eine Entscheidung möglich.
 
Grüße an alle von Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am 2007-03-15, 19:51 Uhr
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Hallo UG,
 
du schreibst: "Ich erkenne in der Natur sogar ausschließlich Interessensabwägungen: Ökologische Nischen, Reviere, Rangordnungen, Symbiose etc. Wie sollte sonst jemals Gleichgewicht entstehen?"
 
Im Prinzip ja, nur glaube ich, Eberhard hat das so nicht gemeint. Die Interessen der Schwachen werden dort in der Regel nicht in seinem Sinn gewürdigt. Und umgekehrt stellt er sich mit Sicherheit die Interessensabwägung beim Menschen etwas anders vor als in der Natur üblich.
 
Gruß HP
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-15, 22:58 Uhr
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Hi,
 
die Gewichtung der Interessen so pi mal Daumen auszubaldowern, gehört durchaus zu den praktischen Tätigkeiten professioneller Konfliktschlichter. Allein schon deshalb, weil man keine Lust hat, ne Woche später die Bande wieder vor dem Tisch sitzen zu haben. Aber Du hast vollkommen Recht: Interessen hat man viele, nur einige sind interesser als andere. Wie wichtig einem sein bestimmtes Interesse ist, muss schon herausgefunden werden, will man einen entsprechenden Konflikt lösen.
 
Das führt mich zu einem weiteren Aspekt. Denn im Konfliktfall - nein, Wolfgang, ich denke nicht an Konflikte innerhalb eines Unternehmens, eher an so Sachen, wie, ob der andere wg Schlechtleistung schadenersatzpflichtig ist oder nicht, oder, ob einer ne Urananreicherungsanlage in seinem Land bauen darf oder nicht, oder, wer auf welches Eigentum Anspruch erheben kann. Konflikte innerhalb eines Unternehmens mögen die Unternehmensleitung stören, gesamtgesellschaftlich oder gar außenpolitisch gesehen sind sie, möchte ich mal sagen, unbedeutend.
 
Also, im Konfliktfall treffen wir auf unterschiedliche Interessen, die die Konfliktparteien recht unterschiedlich gewichten. Beispiel: Freiheit und Sicherheit. Klassisches Beispiel: Reagans Spruch "lieber tot als rot". Die Empörung sprach dafür, dass zumindest in Deutschland das Ergebnis der Interessengewichtung genau anders herum lag.
 
Dahinter steckt imho das sehr häufige (auch hier oft zu findende) Phänomen der Projektion. Viele sehen es als selbstverständlich an, dass alle Menschen genau das sehen, genau das wollen, genau das wünschen, wie man selbst. Also auch die gleichen Prioritäten setzen. Und sind dann bass erstaunt, wenn ihr guter Wille zu schweren Konflikten führt.
 
Und nunmehr sehe ich es als problematisch an, Konflikte einfach durch Interessenabwägung lösen zu wollen. Denn die Frage ist: mit welcher Waage will man die denn abwägen?
Ich behaupte nun nicht, dass das gänzlich unmöglich sein soll. Sieht aber nach nem vertrackten Problem aus.
 
Vielleicht sollten wir wirklich so im Hinterkopf als Konfliktbeispiel die unterschiedlichen Gewichtungen der Interessen Freiheit und Sicherheit behalten. Oder auch - da gab es vor Jahrzehnten einen konfliktträchtigen Diskurs in der UNO zu - die Frage, ob Arbeit ein Menschenrecht sei; von den Chinesen verlangt, vom Westen abgelehnt. Ich weiß aber nicht, wieviele Menschen in Deutschland eher der chinesischen Meinung zuneigen.
 
Grüße
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Hanspeter am 2007-03-16, 07:50 Uhr
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Die entscheidende Frage ist doch: Will man eine Konfliktlösung durch Interessensabwägung oder nicht.
Wenn man sie will, kann man sie finden. Die beste Lösung ist dann eine, die beide Interessen gleichermaßen berücksichtig. Üblicherweise ist ein neutraler und gut informierter Beobachter auch in der Lage, eine solche zu finden.
 
Das Problem ist doch aber, dass oft genug eine oder beide Konfliktparteien keine Interessensabwägung wollen! Und dann kommt es eben zum Kampf (Krieg).
 
Daher Antwort auf die eingangs gestellte Frage:
Konfliktlösung durch Interessensabwägung ist stets möglich, sicher auch meist wünschenswert,
doch sie wird häufig nicht von allen gewünscht bzw. akzeptiert.
 
Gruß HP
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am 2007-03-16, 08:45 Uhr
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Guten Morgen,
 
 
Eberhards sehr schönes Beispiel zielt auf die Bewertung als solche ab, wobei auf die
vielschichtigen Interessen leider nicht eingegangen wird. (War auch nur als Muster gedacht)
 
Die Findung des genaueren Wertes, ist interessant beim Abwägen mit Interessen, die die Reihenfolge
(hier 2>3>1>4) nicht beeinflussen, jedoch ungleich schwieriger, wenn das Interesse Arbeitsplatz mit
dem Interesse Familie und dem Interesse Freizeit kollidiert.
z.B.:
 
2. A wird zum Abteilungsleiter befördert mit 300 ? mehr Gehalt.
Das bedeutet oft auch mehr Arbeitseinsatz und mehr Zeiteinsatz -> Einschränkung für Familie und Freizeit
Die Bezahlung wirkt eventuell nur als Entschädigung, nicht als Hebung des Status quo
Demgegenüber steht die Anhebung von Verantwortung und Macht
die auf die Persönlichkeit auch in der Freizeit (Verein o.a.) einfliesst.
 
4. A wird fristlos entlassen.
Das bedeutet gleichzeitig mehr Zeit, um sich weiterzubilden, sich um die Familie zu kümmern, uvm.
Wenn die finanzielle Situation, weil die Frau gut verdient oder man etwas geerbt hat, nicht kritisch wird,
eventuell gar nicht schlecht.
 
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Abrazo hat den auch für mich entscheidenen Aspekt eingebracht, die Freiheit, ich glaube
den eigentlichen Ansatzpunkt für unser Problem liefert die Handlungsfreiheit.
 
Wenn eines in dieser Welt sicher ist, dann das, dass die Welt (irgendwohin) strebt.
 
Unser persönliches Streben wollen wir möglichst frei gestalten, deshalb scheint es
überhaupt nur nötig, Interessen abzuwägen, wenn die Freiheit für alle Konfliktbeteiligten
eingeschränkt ist.
 
Wer sich bereits jetzt und für die Zukunft vollkommen frei fühlt, wird nicht zu
Abwägungen bereit sein.
 
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weatherlady schrieb was für beide Parteien den grösstmöglichen Vorteil und den kleinstmögl. nachteil bringt
 
In genau diesem Punkt wird die Abwägung doch überhaupt kritisch, denn was heute Optimum ist,
kann einer Konfliktpartei einen solchen Vorteil verschaffen, dass in Zukunft keine Abwägungen
mehr möglich (nötig) sind, was natürlich alle vermeiden wollen.
 
 
Viele Grüße,
Gnoseias
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-16, 09:32 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
 
Du: Denn die Frage ist: mit welcher Waage will man die denn abwägen?
 
Exakt. Ich als Trucker auf der Via Mala bin mit jeder Waage einverstanden, die meine berechtigten und gesamtwirtschaftlich wichtigeren Interessen so wichtet, wie sie sind - Weg frei! Subito!
Und wenn ihr noch lange diskutieren wollt - bevor meine Pferde verdursten, räume ich den Wicht da im Gegenverkehr aus dem Weg!
 
Aus dem Legendenarchiv des Projektmanagements:
Types of Project Managers
If you get in my way, I'll kill you! -- ideal project manager
If you get in my way, you'll kill me! -- somewhat less than ideal project manager
If I get in my way, I'll kill you! -- somewhat misguided project manager
If I get in your way, I'll kill you! -- tough project manager (eats glass, cats, dogs, etc.)
If get kill in will way I you. -- dyslexic, functionally illiterate project manager
I am the way! Kill me if you can! -- messianic project manager
Get away, I'll kill us all! -- suicidal project manager
If you kill me, I'll get in your way. -- thoughtful but ineffective project manager
If I kill you I'll get in your way. -- project manager who has trouble dealing with the obvious
If you kill me, so what? If you get in my way, who cares? -- weak, uninspired, lackluster project manager
If I kill me, you'll get your way. -- pragmatic project manager
If we get in each others' way, who will get killed? -- An utterly confused manager
Kill me, it's the only way. -- every project manager to date.
 
Der schreckliche Hintergrund: Wenn die Resultatverantwortlichen eines Unternehmens (Entwicklung, Vertrieb, Abwicklung der Projekte für den Kunden) gegeneinander arbeiten, dann ist es, als würden im Unternehmen nicht nur eine Straßenverkehrsordnung gelten, sondern mehrere gleichzeitig.
Die einen Manager müssen, wie ihr Herr ihnen befahl, auf der linken Straßenseite fahren, die anderen auf der rechten, und der Vertrieb will mit niemandem anecken und wählt dafür immer die "goldene Mite"....
Aus weiser Voraussicht für das persönliche Wohl delegieren diese Herren das Fahren, die Ausführung der Arbeiten, dann gern an jeweils ihre Projektmanager.
Wer in diesem Stock Car Rennen dann übrig geblieben ist, der hat Aussicht auf Beförderung.
 
Das ist mein bitterer Ernst und die Bitterkeit, die ich seit Jahren empfinde - hier werden gute, engagierte Leute verheizt - und Kapital und Arbeitsplätze - weil Verantwortung und Komplexität (Bürokratie) schneller gezüchtet werden können als die Kunst des richtigen Denkens - die aber um so wichtiger wird, je größer die Macht.
 
(Dies ist keine Bauchpinselei: Nein, in der Abrazo AG passiert dies alles nicht, weil die Vorstandsvorsitzende klug genug ist, die gemeinsame Arbeit zweckmäßig zu teilen und zu delegieren, - und über eine schreckliche Waffe zum Abbürsten der Widerspenstigen verfügt - und auch über die Konsequenz, diese Schreckenswaffe einzusetzen, wenn die Zukunft der Abrazo AG in Gefahr ist :-)
 
Wer die Geisterfahrerei auf den Hierarchieebenen vermeiden will, der darf nicht konfliktscheu sein und auch nicht alle Nase lang nach dem Mediator rufen und damit seine Inkompetenz erneut beweisen. Nein, er muß das tun, was getan werden muß, damit das Unternehmen im Markt bleibt, damit noch mehr Investoren als Trittbrettfahrer aufspringen wollen und noch mehr Leute eingestellt werden müssen.
Und an Abrazo erleben wir diese Bereitschaft, auch mal abzubürsten.
 
) Jetzt ist die angefangene Klammer doch nicht mehr so gut, weil ich die rote Linie wieder in der Hand habe - wer Konfliktmanagement so versteht wie der Bilderbuch-Kuschel-Boss (streicheln, loben, ja kein hartes Wort), der vernichtet das Kapital seiner Investoren und die Arbeitsplätze. Aber manche Sozialträumer fordern solches Verhalten als "Teamfähigkeit".
 
Zurück zu den Beispielen "Schlechtleistung" und "Urananreicherung", die Abrazo genannt hat.
 
"Schlechtleistung" braucht keine Mediation. Das Handelsgeetzbuch reicht. Die Kunst ist nur bei der Auftragsvergabe an den Friseur nicht nur zu sagen "Manchen sie mir mal ne schöne Frisus, machen sie mich glücklich", sondern auch das zu spezifizieren, was nachher geprüft werden kann.
Den Rechtsanwalt fragt man gemeinsam besser vor dem Vertrag als ihn nacher vor dem Richter gegen seinen Kollegen zu hetzen.
 
"'Urananreicherung" - ich kenne bisher noch keinen legale Grundlage, einen Staat, dessen Erdölressourcen auf der Bestell- nein, Raubliste der USA stehen, davon abzuhalten, sich das Verteidungsmittel zu schaffen, das als Einziges tauglich ist, die Raubmördertruppen der USA fernzuhalten.
Daß der Klub der Atommächte seine Eingangstüren geschlossen hat, um seine Macht zu erhalten, gibt ihm noch nicht das Recht, anderen die Entwicklung solcher Waffen zu verbieten.
Als sich USA und UdSSR noch jeweils als Garantiemächte für das Glück dieser Erde verstanden, wenn auch unterschiedlich, da habe ich Furcht gehabt vor einer Ausweitung der Kernwaffen.
 
Aber seitdem die USA zur Raubmördernation geworden sind "Wir rauben, unterdrücken und foltern für das uns als größter Verschwender rechtmäßig zustehende Erdöl", muß man heute schon Verständnis haben für die bereits auserwählten Raubmordopfer.
 
Seufz.
 
 
Zurück zum Thema Konflktlösung. Wenn an der Via Mala nicht gerade zwei konfliktscheue Sozialträumer ihre Konfliktscheuheit umsetzen, indem sie über Konfliktmanagement reden und reden, bis alle Pferde verreckt sind und die Kadaver den Konflikt beendet haben, sondern zwei echte Trucker, dann ist denen das Ergebnis der Konfliktlösung wesentlich wichtiger als die Methode.
 
Welche Waage? Nein, nur meine. Aber ich werde berücksichtigen: "man trifft sich immer zweimal", "auch ich brauche mal Hilfe", "mein Ruf ist mir wichtig", und daher wird mir ungebührliches Verhalten gar nicht erst in den Sinn kommen und ich mich eher an die Goldene Regel halten.
 
Damit verringert sich die Menge der möglichen Konflikte. Wo die Sachlage klar ist, da setzt man wortlos zurück und baut so seinen guten Ruf aus. Und die Auslegungssachen werden so seltener - und verlieren an Wichtigkeit.
 
Jetzt wieder zurück ins Unternehmen: Die Projektmanager könnten ihre Sachkonflikte viel schneller lösen, müßten sie keine Angst vor Nachteilen haben, wenn sie gegen die Verkehrsordnung ihres Chefs verstoßen.
 
Auch deshalb ist derjenige Mediator im Unternehmen Dummfug, der im Konfliktfalle nur zwischen den streitenden Projektmanagern vermitteln wollte - nein, er muß eher lautlos zwischen deren Chefs vermitteln! Haben sich die Bosse geeinigt, klappts auch unter deren Mitarbietern wieder.
 
Deshalb ist das Gerede über die "richtige Methode zur Lösung von Konflikten zwischen Projektmanagern" Beweis für Weltfremdheit der Redner. Die Lösung der Konflikte liegt selten auf der Ebene der Konflikte, sondern in der Bossetage.
Und dann reichen "gesunder Menschenverstand" und die sanfte Drohung von Eskalation eine Ebene höher und Gesichtverlust.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-16, 20:35 Uhr
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Hallo allerseits,
 
richtig ist, dass durch eine Interessenabwägung allein kein Konflikt beseitigt wird, wenn nicht anderweitig gewährleistet wird, dass dann auch entsprechend dem Ergebnis dieser Abwägung verfahren wird.
 
Ich möchte aber das Problem der Durchsetzung einer durch Abwägung aller beteiligten Interessen gewonnenen Entscheidung ausklammern. (Wir brauchen uns ja mit diesem Problem überhaupt nicht zu beschäftigen, wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine Interessenabwägung als solche gar nicht möglich ist.)
 
Abrazo schreibt: "Die Frage ist: mit welcher Waage will man die denn abwägen?
Ich behaupte nun nicht, dass das gänzlich unmöglich sein soll. Sieht aber nach nem vertrackten Problem aus."
 
Ich wähle mal mit Absicht ein etwas irreales und banales Beispiel, um die Probleme der Interessenabwägung besser zu verdeutlichen.
 
Es geht um einen Verteilungskonflikt.
 
Für das Fußballspiel Werder Bremen gegen Bayern München gibt es zehnmal soviel Interessenten wie Plätze im Stadion. Damit ist ein Konflikt unter den Interessenten gegeben, denn jeder möchte gern der 10. sein, der die Eintrittskarte bekommt, was nicht realisierbar ist. Der Konflikt soll durch Interessenabwägung entschieden werden.
 
Man könnte die Dringlichkeit der Interessen, das Spiel im Stadion mitzuerleben, auf verschiedene Weise messen.
 
Man könnte z. B. die Gewichtigkeit des Interesses an einer Eintrittskarte durch die Zeit messen, die jemand bereit ist, für diese Eintrittskarte in einer Warteschlange anzustehen.
 
Oder man könnte die Gewichtigkeit der Interessen durch den Geldbetrag messen, den jemand bereit ist, für die Eintrittskarte zu zahlen. Das würde bedeuten, dass die Eintrittskarten an den Meistbietenden versteigert werden.
 
Soviel erstmal von Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-16, 21:10 Uhr
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Die kölsche Lösung ist: Schlange stehen.
Warum?
Geld, das man nicht hat, kann man nicht opfern.
Heißt, wer mehr als jeder andere zahlen würde, aber nicht kann, der würde aus der Wahl fallen.
Das haben nicht nur die Veranstalter (bei uns liegt das Problem eher bei berühmten Karnevalsveranstaltungen) nicht so gern. Frage der Chancengleichheit. Man kann nicht etwas zum Maßstab des Interesses machen, was aus anderen Gründen ungleich verteilt ist.

Das Ergebnis wäre alsbald eine Prügelei um die Karten, denn die, die von vorn herein mangels Geld keine Chance haben, würden das erfahrungsgemäß nicht auf die Dauer hinnehmen.
Für uns kommt also, mit Blick auf die Chancengleichheit, heißt, überhaupt einen Maßstab anzulegen, der auf alle passt, also nur das Schlange stehen in Frage.
Nun kann man einwenden, es gibt aber auch genug Menschen, die haben zum Schlangestehen keine Zeit. Dann haben sie aber auch entweder keine Zeit, zur Veranstaltung zu gehen, oder sie haben Geld.
Und wer Geld hat, kann nen Studenten für's Schlange stehen zahlen.
 
Fazit: wer Interessen abwägen will, muss auf den Kontext achten, die Lebensumstände. Er darf keinen Maßstab setzen, der für einen Teil von vornherein unmöglich zu erfüllen ist; so etwas dann noch als Interessenabwägung zu bezeichnen wäre zynisch. Und nicht der Friedlichkeit förderlich.
 
Es dürften uns eine Menge Beispiele, außerhalb von Fußball und Karneval, für einen solchen Zynismus einfallen.
 
Grüße
 
P.S.: es wäre sogar mehr als zynisch. Es wäre eine Interessenabwägung, die bei Licht besehen gar keine ist, sondern eine ideologisch schöngefärbte Verkleisterung privilegierter Interessen.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-17, 10:46 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
 
Du: ...Die kölsche Lösung ist: Schlange stehen....Und wer Geld hat, kann nen Studenten für's Schlange stehen zahlen....Er darf keinen Maßstab setzen, der für einen Teil von vornherein unmöglich zu erfüllen ist; so etwas dann noch als Interessenabwägung zu bezeichnen wäre zynisch. Und nicht der Friedlichkeit förderlich.
[applause] [applause] [applause]
Kurz, prägnant, stimmig, einleuchtend, - und ich fühle mich bestätigt - Klasse.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-18, 12:52 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
 
um die Dringlichkeit oder Gewichtigkeit der Interessen verschiedener Individuen zu vergleichen, kann man fragen, was die Einzelnen bereit wären, für die Befriedigung dieses Interesses zu opfern.
 
Das Problem dabei ist, dass das Ergebnis davon abhängt, wie reichlich die Individuen mit dem zu opfernden Gut ausgestattet sind.
 
Je ungleicher die Verteilung, desto problematischer erscheint die daraus entstehende Gewichtung der Interessen zu sein.
 
Deshalb hat Abrazo offenbar dem Schlangestehen den Vorzug gegenüber der Versteigerung an den Meistbietenden gegeben.
 
Allerdings sollte man auch die Kosten der jeweiligen Verfahren mit in die Überlegungen einbeziehen. Das Schlangestehen ist im Unterschied zur Abgabe an den Meistbietenden mit erheblichen "Kosten" verbunden in Form verlorener Zeit.
 
Zu fragen wäre deshalb: Was ist denn das Kriterium für die Anerkennbarkeit verschiedener Abwägungsverfahren?
 
Offenbar suchen wir nach einem "gerechten" oder "fairen" Verfahren, das allgemein akzeptabel ist. Es fiel auch schon das Wort "Chancengleichheit".
 
Frage: Wie könnte ein solches Verfahren aussehen?
 
Weatherlady hat dazu bereits einiges ausgeführt. Danach scheinen für eine einvernehmlich vernünftige Lösung des Konfliktes durch die Konfliktparteien selber verschiedene Dinge wichtig zu sein:
 
dass die Konfliktparteien miteinander reden,
dass sie sich verstehen,
dass sie auch die Argumente der anderen Partei verstehen,
dass sie sich vernünftig unterhalten,
dass sie sich in die Beweggründe der anderen Partei hineinversetzen,
dass sie miteinander herausfinden, was für beide Parteien den größtmöglichen Vorteil und
   den kleinstmöglichen Nachteil bringt und
dass neutral entschieden wird.
 
Kann man sich in die Beweggründe der andern Konfliktpartei hineinversetzen? Ist so etwas möglich und wenn ja, wie? fragt
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-18, 14:20 Uhr
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Hi,
 
 
Quote:Kann man sich in die Beweggründe der andern Konfliktpartei hineinversetzen? Ist so etwas möglich und wenn ja, wie? fragt
 
 
Nein.
Und erfahrungsgemäß gibt dat nur Ärger.
Denn was unter 'sich in einen anderen hinein zu versetzen' gemeint ist, ist letztlich immer, die eigenen Vorlieben und Wünsche und, besonders nervend, Gefühle in einen anderen hineinzuprojizieren. Das führt zu der ach so 'beliebten' Sozialtherapeutenantwort: "ja, ich verstehe, wie du dich fühlst", auf die nicht immer, aber fast immer die meist unausgesprochene Antwort folgt: "Arschloch".
 
Auch im politischen Bereich. Auch die kriegslüsternen Amerikaner haben ihre eigenen Gefühle in die Iraker projiziert, indem sie glaubten, die würden ihnen ob der Befreiung von allem Übel um den Hals fallen. Dass sie selbst denen als das größte Übel gelten könnten, ist denen nicht eingefallen, schließlich sind die Amerikaner für sich selbst ja auch nicht das größte Übel.
 
Also: wenn ich wissen will, wie der andere denkt und fühlt, muss ich ihn fragen, denn außer ihm weiß das keiner. Führt kein Weg dran vorbei. Heißt, führt kein Weg am Dialog vorbei.
 
Nächste Frage dazu: wat interessiert mich eigentlich, ob du dich in mich hineinfühlen kannst oder nich? Wat mich interessiert is, wat dabei herauskommt, wat du tust. Ob mir das, was du tust, passt oder nich. Aus welchem Grund du das tust, is mir primär erst mal wurscht.
 
Desweiteren: was heißt verstehen? Wenn verstehen heißt, ich fühle mit dir, s.o., es mr ejal. Wenn Verstehen aber heißt, ich verstehe den Sinn deiner Sätze, ich verstehe, was du damit meinst, dann ist mir das ganz und gar nicht egal; denn wenn du meine Sätze nicht verstehst, brauche ich sie ja auch nicht zu sagen. Dann ist meine Rede sinnlos.
 
Folgt: wenn ich Interessen abwägen will, und das gilt für mich als Vertreter meiner Interessen ebenso wie für einen möglichen Neutralen, muss ich erst einmal für die Verstehbarkeit von Sätzen sorgen. Sowohl für meine eigenen Sätze als auch dafür, dass ich den anderen richtig verstehe, verstehe, was er meint. Ich muss mich auf den Gesprächspartner einlassen, muss zu ihm in Beziehung treten. Gegenseitiges Anmonologisieren ist kein Dialog.
 
Verstehen, was der andere meint, kann ich nur dann, wenn ich den Kontext verstehe, in dem er denkt. Den kenne ich nicht. Im Zweifel muss ich ihn erfragen. Kontext läuft letztlich auf Weltbild hinaus. Das kann meinem sehr ähnlich sein, erleichtert das Verständnis. Kann aber auch sehr verschieden sein, dann wird das Verstehen zur mühseligen Arbeit. Setze ich jedoch voraus, dass der andere das gleiche Weltbild hat wie ich, dass er also mit seinen Worten dasselbe meint wie ich, dann wird eine Verständigung unmöglich und ich breche den Dialog de facto ab.
 
 
Quote:dass sie miteinander herausfinden, was für beide Parteien den größtmöglichen Vorteil und den kleinstmöglichen Nachteil bringt
 
 
Das ist natürlich die ideale Lösung. Aber setzt sie nicht ein für beide zunächst ungelöstes Problem voraus, an dessen Lösung man gemeinsam arbeitet? Von einem Konflikt sprechen wir doch eher, wenn beide Parteien bereits je eine Lösung für ein Problem haben, bloß, dass diese beiden Lösungen miteinander unvereinbar sind. Allerdings - so mal ins Unreine - wäre wohl eine kooperative Lösungssuche dann möglich, wenn beide Parteien ihre jeweilige Lösung wegen der Unvereinbarkeit mit der Lösung der anderen Partei nicht als Lösung ansehen könnte. Anders gesagt, wenn sie der Auffassung wären, eine Lösung wäre nur dann eine Lösung, wenn sie Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Das wäre jedoch wohl eine Frage der grundsätzlichen Einstellung dazu, was eine Lösung ist, was eine Lösung zu einer Lösung macht.
 
Setzt aber Interessenabwägung nicht im Grunde voraus, dass eine gemeinsame Lösung nicht möglich ist? Dass also gegen die Interessen einer Partei notwendigerweise verstoßen werden muss?
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-18, 15:14 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: Offenbar suchen wir nach einem "gerechten" oder "fairen" Verfahren, das allgemein akzeptabel ist.
 
Du vielleicht. Ich nicht.
 
Denn was in Kölle wohl mit Schlangestehen gelöst wird, dafür kennt Bayern die Amigo-Lösung.
 
Jede Gruppe von Menschen, die sich "Wir" bezeichnen, entwickelt ihre eigene Vorliebe für Lösungen, die eben keine Patentlösngen sind.
 
Wenn Du keine Patentlösung hast, allgemein anerkennbar und von deutlich größerem Vorteil für alle und jeden als die zweitbeste, dann schätze ich den Vorteil der Verordnung der besten allgemeingültigen Notlösung geringer als den Schaden durch die Verordnung selbst.
 
Und wenn es sie gäbe, dann, vermute ich, wäre sie schon seit dem Alten Testament bekannt.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-19, 08:18 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
wenn ich frage, ob und wie man die Interessen von Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen, dann suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des Konfliktes. (Deshalb steht diese Runde auch in der Abteilung "Ethik" und nicht in der Abteilung "Public Relations" oder "Personal Management".) Wenn Du nicht nach allgemein akzeptablen Lösungen suchst, dann bist Du offenbar in der falschen Diskussionsrunde gelandet.
 
Allerdings muss Dir klar sein, dass jede andere "Lösung" des Konfliktes den Konflikt fortbestehen lässt, und zwar für diejenigen, die das Verfahren der Abwägung nicht akzeptieren konnten.
 
Darüber muss man sich ganz klar sein: entweder man sucht nach Lösungen, die für alle Seiten akzeptabel sind, oder der Konflikt wird durch überlegene Macht entschieden.
 
Weatherlady hatte zu den Möglichkeiten der Einigung in Interessenkonflikten einiges angerissen, was allerdings noch näher ausgeführt werden müsste.
 
Sie sprach von den Vorteilen und Nachteilen der verschiedenen denkbaren Konfliktlösungen für die am Konflikt Beteiligten. Wenn z. B. gesagt wird: "A hat bei dieser Lösung weitaus größere Vorteile als B", wie kann man solche Aussagen begründen. Wie sind Vor- und Nachteile größenmäßig bestimmbar? Es handelt sich ja hier offenbar nicht um ein empirisches Messproblem, wie z. B. die Messung des Zufriedenheitsgrades der Beteiligten mit den verschiedenen Lösungen. Eher ähnelt es der in der Rechtsprechung praktizierten "Güterabwägung".
 
Hat jemand dazu eine Meinung? fragt
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-19, 11:15 Uhr
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Jep, weatherlady selbst ;-)
 
Aber ich muss erst noch kurz ausholen:
Zur Spieltheorie: Diese Möglichkeit ist interessant und kann einem einzelnen, der seine Entscheidung möglichst mit allen Mitteln abwägen will auch gute Dienste leisten (Bsp. A mit seinen möglichen Lohnerhöhungen). Für den Alltag kann dieser Lösungsansatz mMn jedoch nicht verwendet werden. Wenn die von mir beschriebene Mutter ihren Heiri und ihren Fritzli fragt: Ok, ihr zwei, jetzt gebt mal dem x eures angestrebten Ergebnisses eine Wahrscheindlichkeit von 0-1. --> Die werden ihre Mutti wohl ziemlich komisch angucken. Oder angenommen, sie verstehen die Spieltheorie: Dann sagen beide: Wahrscheindlichkeit 0 (oder 1? Wenn ichs falsch herum verstanden habe...). Aber auf jeden Fall sind sie wohl nicht in der Lage, ihre Interessen losgelöst von ihren eigenen Wunschvorstellungen zu beurteilen. Auch die beiden Trucker auf der Via mala, können mit dieser Theorie nichts anfangen. Aber als Theorie ist sie dennoch interessant.
 
Zu dem sich-in-andere-hineinversetzten:
Ich hab nicht die psychologische Variante im Sinne von "Ich verstehe, wie du dich fühlst", gemeint. Es sei denn, der Lösungsweg des Problems führt unweigerlich an deinen Gefühlen vorbei, dann muss ich wohl versuchen, die zu verstehen.
Was ich meine, ist, dass beide Konfliktparteien erst mal verstehen müssen, was der andere will und warum er denkt, dass ers bekommen soll. Und da geb ich Abrazo völlig recht: Das geht am besten mit reden.
Aber da gibts zwei (oder mehr) Probleme:
1.: Der, der auf den Mund gefallen ist, ist dem, der das nicht ist unterlegen. Bin ich ein genialer Demagoge (manche würden auch Vertreter sagen ;-)) kann ich dir einreden, dass meine Lösung auch für dich das Beste ist.
2.: Hab ich jetzt leider vergessen... wenns mir wieder in den Sinn kommt, liefere ichs nach..
 
Aber eigentlich ist das Problem 1 der Dialog-Variante auch das Problem jeder Lösungssuche: Die eine Partei ist mächtiger als die andere und nutzt ihren Vorteil aus. Dann helfen natürlich weder Vernunft noch Spieltheorie und die andere partei wird sich die Haare raufen und die Konsenssuche abbrechen.
So zum Beispiel auf der Via mala: A kommt von oben und hat gleich hinter sich einen Ausweichplatz. B kommt von unten und der nächste Ausweichplatz hinter ihm ist 2 km weiter unten. B versucht das A zu erklären: Senor, podria usted por favor... - Werter Herr, könnten sie bitte... weiter kommt er nicht, da ihm A ins Wort fährt: NO! Tu bajas! - Nein, du gehst runter!
So, jetzt kann B noch eine Weile lang auf A einquatschen, aber wenn der keine Lust hat, dann hilft das nix. Wenn B klug ist, dann erklärt er A: Tengo mas agua. - Ich hab mehr Wasser --> ich kann hier länger ausharren als du, also hast du durchaus Interesse an einer schnellen Lösung.
Die Bereitschaft zur Verhandlung ist Voraussetztung, dass die Lösung des Konfliktes mittels hier diskutierten Mitteln überhaupt möglich ist.
 
Ok, jetzt zur Frage von Eberhardt
"Wie sind Vor- und Nachteile größenmäßig bestimmbar? Es handelt sich ja hier offenbar nicht um ein empirisches Messproblem, wie z. B. die Messung des Zufriedenheitsgrades der Beteiligten mit den verschiedenen Lösungen. Eher ähnelt es der in der Rechtsprechung praktizierten "Güterabwägung". "
 
Ich würde sagen, ja, es ähnelt der Güterabwägung (aber ich kenne mich in Rechtsdingen zuwenig aus... Abrazo?). Es ist eine Abwägung der Zugeständnisse und Gewinnen und beruht auf Vernunft und Verständniss.
(Heiri sieht ein, dass Fritzli auch Anrecht auf 3 Bonbons hat.
Oder die Mutter erfährt, dass Heiri viel mehr Beete gejätet hat, als Fritzli (sie hat die Bonbons als Belohnung dafür versprochen) und deshalb wirklich ein Anrecht auf mehr Bonbons hat... und gibt ihm vielleicht 4 und dem Fritzli 3)
Ich glaube nicht, dass es eine praktikable, allgemein gültige Art der Vor-, Nachteil-Bewertung gibt. Oder sieht jemand eine?
 
Lg weatherlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-20, 01:04 Uhr
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Quote:Ich würde sagen, ja, es ähnelt der Güterabwägung (aber ich kenne mich in Rechtsdingen zuwenig aus... Abrazo?). Es ist eine Abwägung der Zugeständnisse und Gewinnen und beruht auf Vernunft und Verständniss.
 
 
In rechtlich regelbaren Angelegenheiten kann man Güterabwägung betreiben. Nach dem Motto keine Strafe ohne Gesetz (Strafrecht) sind Rechtsgüter klar definiert, letztlich über das Grundgesetz. HIer kann man dann abwägen, ob, in welchem Maße und vor allem mit welchem Maß an Schuld ein definiertes Rechtsgut verletzt worden sein mag. Ein altbewährtes Verfahren, das in der Regel zu für alle Seiten befriedigenden Ergebnissen führt. Setzt allerdings geschriebenes Recht voraus, das in seinen wichtigsten Grundzügen ebenfalls sehr alt ist - und de facto nicht mehr hinterfragt wird. In der Praxis steht es da, ohne dass es einer Begründung bedarf. Letztlich ist es selbstbegründend. Denn es bedarf keiner Begründung, mit der man die Mitglieder einer Gesellschaft dazu überreden müsste, Totschlag, Diebstahl und Betrug unter Strafe zu stellen; im Gegenteil. Die politische Erfahrung in unterschiedlichen Kulturen zeigt, wenn man dies nicht unter Strafe stellt, werden die früher oder später verdammt sickig.
Im Zivilrecht ist das anders. Da geht es meist darum, dass Parteien einen Vertrag geschlossen haben, der nun von einer Partei - meint jedenfalls die andere - nicht eingehalten wird. Da geht es im Wesentlichen um Regeln, um die berühmten Verfahrensfragen, die so nerven können, die keinen groß kümmern, nur im Streitfall entscheidend werden. Recht bekommt der, der nachweisen kann (oder glaubhaft machen kann), dass er die Regeln zumindest am meisten eingehalten hat. Es ist in meinen Augen schon eine Art ritualisiertes Verfahren der Auseinandersetzung (oder Streitschlichtung), und die friedensstiftende Bedeutung von Ritualen sollte man ganz und gar nicht unterschätzen. Allerdings setzen sie eine bereits bestehende Gemeinschaft voraus, denn die Rituale müssen akzeptiert sein.
Hier ist übrigens das diplomatische Protokoll hochinteressant, ein strenges Ritual mit genauen Regeln, da einzig zu dem Zweck, Konflikte unter sich nicht sonderlich Grünen zu vermeiden oder abzuschwächen. Unter Menschen, die nun weiß Gott keine Gemeinschaft sind - und doch sind, denn sie werden es durch ihren Status, der in einem der m.E. absonderlichsten und für unsere Zeit urtümlichsten Gesetzeswerke festgeschrieben ist, der Wiener Konvention.
In der Pädagogik sind ja im Moment Regeln ganz en vogue. Problem: es sind sozusagen bilaterale Verträge, zwischen Zögling und Erzieher oder Patienten und Therapeuten; das bringt's nicht. Regeln sind keine Verträge. Verträge hat man zu halten und tuts oft genug nicht. Regeln hält man, die bieten allgemeinen Halt und Sicherheit, weil sie moralischen Wert haben. Das tut man nicht, sonst wird man von allen geschnitten und fliegt raus aus der Gemeinschaft.
Hier fällt mir auf, dass die individuelle, sozusagen bilaterale, auf Verträgen beruhende Streitschlichtung im Grunde nicht allzu viel taugt. Wie gesagt, es sind meist Vertragspartner, die vor dem Zivilgericht ihr jeweils wohlverstandenes Recht suchen.
 
Man glaube allerdings nicht, es ließe sich jeder Konflikt mit einer vernünftigen Güterabwägung lösen. Die schärfsten Konflikte sind die, bei denen es gar nicht um Güter geht, sondern um Werte. Wenn man da mit Güterabwägung kommt (und ich meine das als Art zu Denken, nicht unbedingt als Abwägung materieller Güter), dann kann einem schon mal jemand an die Gurgel springen wollen.
 
Scheiterten nicht Integrationsbemühungen in unserer Gesellschaft vielfach daran, dass man sich auf die Macht des Faktischen verließ und darunter verstand, die Attraktivität des möglichen Lebens in individueller, bindungsloser Freiheit und Wohlstand? Welche Güter will man denn im Konfliktfall da abwägen?
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-20, 19:39 Uhr
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Hallo allerseits,
 
nach dieser Skizzierung der rechtlichen Verfahrensweisen will ich noch mal das Ausgangsproblem deutlich machen:
 
Meiner Ansicht nach wägen wir im Alltag ständig Interessen verschiedener Individuen gegeneinander ab und rechtfertigen auf dieser Grundlage viele unsere Entscheidungen.
 
Ich nehme mal ein krasses Beispiel.
 
Ich sehe, dass jemand auf der Straße zusammenbricht. Wenn ich ihm helfen würde, käme ich zu spät zum Konzert.
 
Hier würde wohl jeder sagen: Das Interesse dessen, der möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, an Erster Hilfe überwiegt mein Interesse an dem vollständigen Hören eines Konzertes. Also sollte ich ihm helfen.
 
Auf welcher Grundlage treffen wir diese Abwägungen? Die Erfahrungswissenschaften sagen: "Das ist keine wissenschaftliche Frage, denn es handelt sich um einen interpersonalen Nutzenvergleich (engl.: interpersonal comparison of utilities), der Werturteile impliziert. Werturteile lassen sich aber nicht erfahrungswissenschaftlich begründen."
 
Ich halte das für einen philosophisch unhaltbaren Zustand und suche deshalb nach einem Ausweg aus diesem Dilemma.
 
Ich sehe eine Lösungsmöglichkeit durch eine unparteiische und wohlwollende Berücksichtigung und Gewichtung der Interessen aller Beteiligten.
 
Könnte man sich darüber einige werden? Was spricht dagegen? Lassen sich die sicher vorhandenen Schwierigkeiten methodisch bewältigen und kann man auf argumentativem Wege zu übereinstimmenden Gewichtungen der jeweiligen Interessen kommen? fragt
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-20, 19:57 Uhr
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Eberhard, Du kennst meine Ansicht, die ich deswegen nicht wiederhole: es geht.
Es geht aber nicht auf den Wegen, die Du Dir vorstellst. Und zwar deshalb nicht, weil unsere empirischen Humanwissenschaften ideologisch begründet sind. Sie unterschlagen wesentliche Aspekte des Menschseins, genau die, die Menschen erst zu Menschen machen.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-03-20, 19:58 Uhr
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unnötige denke.
 
 
in solchen konfliktsituationen handelt man, wie man eben handelt.
der denkkommentar, falls überhaupt ressourcen und zeit dafür vorhanden sind, ist allenfalls dekoration, die der selbstadelung dient oder dem völlig virtuellen theater des inneren sich-selbst-verurteilens und dann doch wieder freisprechens qua 'neuen' argumenten.
für dieses theater braucht es moral, und von dort stammt sie auch.
 
 
 
viele grüsse
 
laertes
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-21, 00:58 Uhr
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Hi, Eberhard
 
 
'Du: wenn ich frage, ob und wie man die Interessen von Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen, dann suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des Konfliktes.
 
Schon so verstanden. Mit der Entgegnung: Die Absicht, so etwas finden und dann umsetzen zu wollen, ist selbst pure Unfairneß, böse.
Diese Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Diktatur. Und zwar technokratische Diktatur, die das letzte Wort in einer Auseinandersetzung keiner Person lassen, sondern einer unpersönlichen Regel übertragen will.
 
Du hast es sicher nicht so gemeint, aber ich vermute, nicht jeder Diktator wollte schon zu Anfang einer sein, sondern hatte eigentlich nur Gutes im Sinn.
 
Eigentlich ist es logisch: Gäbe es ein allgemeingültiges Kriterium für diese faire Entscheidung, dann wäre es schon längst gefunden.
Oder willst Du all unseren Vorfahren eine Dummheit unterstellen, die ausgerechnet Dich - oder auch uns - nicht geschlagen hätte?
 
 
Du: Allerdings muss Dir klar sein, dass jede andere "Lösung" des Konfliktes den Konflikt fortbestehen lässt, und zwar für diejenigen, die das Verfahren der Abwägung nicht akzeptieren konnten.
 
Jede andere? Ohne Ausnahme?
Zugestanden, immer dann, wenn nicht beide Kontrahenden nachher zufrieden ist, schiebt mindestens einer Frust.
Frust aber ist kein Konflikt.
 
 
Du: ...entweder man sucht nach Lösungen, die für alle Seiten akzeptabel sind, oder der Konflikt wird durch überlegene Macht entschieden.
 
Klar bin ich mir über dies: Jeder Konflikt kann nur durch überlegene Macht entschieden werden. Für die betroffene Gesellschaft kommt es darauf an, daß diese Macht im Sinne dieser Gesellschaft genutzt wird. Und zwar so, daß
a) die frustrierte Partei sich trösten kann, diese überlegene Macht bemühe sich um Fairneß,
b) die frustrierte Partei mit dem Frust - und vor allem dessen Demonstration - sich selbst mehr schadet, als wenn sie die nicht-perfekte, aber gute Entscheidung akzeptiert.
 
Diese Macht kann der Gruppendruck sein. Falls die Gruppe dazu nicht fähig oder willens ist, brauchen wir eine mächtige Person in der Gruppe.
 
 
Du: ...Vorteilen und Nachteilen der verschiedenen denkbaren Konfliktlösungen für die am Konflikt Beteiligten. Wenn z. B. gesagt wird: "A hat bei dieser Lösung weitaus größere Vorteile als B",
 
Richtig, da haben wir dasselbe Problem erneut: Die eine Person wertet die "größere" eben anders als die andere.
 
Eberhard, solange wir jedem Individuum das Recht auf eigene Meinung zuerkennen, solange sind Meinungsunterschiede unvermeidlich. Und statt diese als "böse" abstellen zu wollen durch eine perfekte Entscheidungsregel, akzeptieren wir die Unterschiede besser als Preis für das Recht auf eigene Meinung.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-03-21, 01:14 Uhr
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hi wolfgang,
 
Eberhard: wenn ich frage, ob und wie man die Interessen von Konfliktparteien gegeneinander abwägen kann, um einen Konflikt zu lösen, dann suche ich in der Tat nach einer "gerechten" oder "fairen" Lösung des Konfliktes.
 
Wolfgang:"Schon so verstanden. Mit der Entgegnung: Die Absicht, so etwas finden und dann umsetzen zu wollen, ist selbst pure Unfairneß, böse. Diese Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Diktatur. Und zwar technokratische Diktatur, die das letzte Wort in einer Auseinandersetzung keiner Person lassen, sondern einer unpersönlichen Regel übertragen will."
 
 
damit hast du die herstell- und fixierbare gerechtigkeitsidee eberhards beispielhaft demontiert.
volle zustimmung.
was sagst du jetzt, eberhard?
schliesst du deine ethik-diktatur-werkstatt?
 
 
viele grüsse
 
laertes
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-21, 10:01 Uhr
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Hi,
 
 
Quote:Klar bin ich mir über dies: Jeder Konflikt kann nur durch überlegene Macht entschieden werden. Für die betroffene Gesellschaft kommt es darauf an, daß diese Macht im Sinne dieser Gesellschaft genutzt wird. Und zwar so, daß
a) die frustrierte Partei sich trösten kann, diese überlegene Macht bemühe sich um Fairneß,
b) die frustrierte Partei mit dem Frust - und vor allem dessen Demonstration - sich selbst mehr schadet, als wenn sie die nicht-perfekte, aber gute Entscheidung akzeptiert.
 
Diese Macht kann der Gruppendruck sein. Falls die Gruppe dazu nicht fähig oder willens ist, brauchen wir eine mächtige Person in der Gruppe.
 
 
Praktisches Beispiel: Wehrdienst Heute fast vergessen, aber noch zu meiner Schulzeit ein großes Problem - und in den Jahrzehnten zuvor noch mehr. Es hatte jeder Wehrdienst zu leisten. Nun gab es aber immer Menschen, die diesen verweigerten, aus Gewissensgründen. Die standen nicht nur unter dem früheren Strafvorbehalt des Gesetzes - stellvertretend für die mächtige Person - sondern auch unter massivem Gruppendruck. Nicht nur, dass in patriarchalisch geprägten Gesellschaften ein Wehrdienstverweigerer als asoziales, feiges Weichei galt, er hatte auch praktisch keine Chancen, eine seinen Qualifikationen entsprechende Position zu erreichen, denn, wie Tucholsky auch so schön schilderte, die erste Frage beim Einstellungsgespräch war, "Wo hammse gedient?"
 
Wir haben heute das Recht auf Wehrdienstverweigerung. Warum? Weil das Gegenteil nicht durchsetzbar ist. War es auch nicht z.B. in der DDR ('Bausoldaten'). Was auf das schöne Wort hinweist "das ist politisch nicht durchsetzbar".
 
So einfach ist das also nicht mit den Entscheidungen unter Druck . Kommt drauf an, worüber entschieden wird.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-21, 12:55 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
Du: So einfach ist das also nicht mit den Entscheidungen unter Druck
 
'türlich nicht Vor allem da nicht, wo der Gruppendruck zu Mobbing eskaliert, zu Hexenjagd, Lynchen und Pogrom.
 
"Kompliziert" aber ist nicht das Gegenteil von "einfach".
Sondern "schwer" ist das Gegenteil zu einfach.
 
Die weise Konfliktlösung ist so schwer wie die Entscheidungen Salomos salomonisch waren.
 
Der schwerere Teil: Die Vorstandsvorsitzende der Abrazo AG kann nicht nur entscheiden, das wäre Pfusch. Sie muß auch für die Umsetzung der Entscheidung sorgen. Und zwar so, daß sie nachher immer noch anerkannt wird wie "Also, montags morgens darfst du ihr nicht auf dem Flug begegnen, da ist sie unausstehlich, da bürstet sie jeden ab. Das muß man abwettern. Aber sie weiß in unserem Geschäft bestens Bescheid, sie will die Zukunft für unser Unternehmen, sie ist kompetent, lieber die als irgendeinen anderen."
 
Diese Umstände der Konfliktlösung halte ich für viel wichtiger als das, was beim Versuch einer Regel für faire Konfliktlösung rauskommen könnte.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-21, 14:15 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
ich beziehe mich auf Deine Antwort #31 vom 21.03.07.
 
Darin erhebst Du schwere Vorwürfe gegen mich, die ich Ernst nehmen muss, es sei denn, Du wolltest selber mit Deinen Äußerungen nicht ernst genommen werden.
 
Der eine Vorwurf lautet:
 
"Die Absicht, so etwas (eine "gerechte" oder "faire" Lösung des Konfliktes) finden und dann umsetzen zu wollen, ist selbst pure Unfairneß, böse. Diese Absicht hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Diktatur. Und zwar technokratische Diktatur."
 
Außerdem unterstellst Du mir, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen, indem ich Meinungsunterschiede als "böse" abstelle.
 
Angesichts derart massiver Angriffe stellt sich die Frage umso schärfer, wie Du Deine Vorwürfe begründest.
 
Erstaunlicherweise findet sich so gut wie kein Argument, das Deine schweren Vorwürfe gegen mich irgendwie rechtfertigen würde.
 
Das einzige, was finde, ist die Unterstellung, dass ich die Diktatur einer unpersönlichen Regel übertragen wolle.
 
Da ich jedoch immer wieder betont habe, dass es um eine allgemein akzeptable Methode der Interessenabwägung geht, ist mir unerfindlich, wieso Du darauf kommst, ich wollte eine technokratische Diktatur errichten. Was ist das denn für eine Diktatur, die zusammenbricht, wenn nur einer aufsteht und sagt: "Für mich ist diese Lösung aus den-und-den Gründen nicht akzeptabel?"
 
Die Frage der Durchsetzung von gefundenen Lösungen hatte ich ausdrücklich ausgeklammert. Ich bin - wie man aus meinen Beiträgen unschwer erkennen kann - kein Befürworter einer Philosophenherrschaft und kann das auch begründen.
 
Wieso schränkt eine Methode, die allgemein nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein? Im Gegenteil, sie erfordert sogar die Meinungsfreiheit. Wie könnte denn sonst überprüft werden, ob die Methode allgemein nachvollziehbar und anerkennbar ist?
 
Mein Fazit: Wenn Du als Diskussionspartner von mir ernst genommen werden willst, dann begründe Deine Vorwürfe entweder genauer oder nimm Sie zurück.
 
Es grüßt Dich Eberhard.
 
p,s.: Da Laertes sich prinzipiell von der Verpflichtung distanziert hat, seine Behauptungen zu begründen, hat er sich als philosophischer Diskussionspartner bereits selber disqualifiziert.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Patrik am 2007-03-21, 15:17 Uhr
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Ein vehementer Einspruch zur Antwort 31 am: Heute, 00:58 Uhr von Wolfgang Horn.
 
 
Quote:aber ich vermute, nicht jeder Diktator wollte schon zu Anfang einer sein, sondern hatte eigentlich nur Gutes im Sinn.
 
 
Kein Diktator hatte jemals das „Gute“ beabsichtigt, die Zielrichtung war immer auf das Verbrechen ausgerichtet.
 
Noch etwas, wer in Philtalk öffentlich einem Verbrecher, nämlich dem Teilnehmer Abrazo, der das geistige Eigentum einer Firma (Oscar Weil GmbH) klaut und das noch öffentlich besudelt, dieses befürwortet, der ist mit Abstand von der Erfassbarkeit einer Lösungsbereitschaft am weitesten entfernt.
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-21, 15:50 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
nein, so ganz ernst sind meine Angriffe nicht zu nehmen.
Sondern:
a) nicht ernst gegen DICH, Eberhard, Dir unterstelle ich, die Nebenwirkungen noch nicht bedacht zu haben,
b) durchaus ernst aber gegen die Vorstellung, nach mehreren Jahrtausenden seit dem Alten Testament könne ein heutiges Genie die größten Probleme der Menschheit mit sich selbst durch eine einfache Regel lösen.
 
Wiederholung der Begründung.
 
"...die Unterstellung, dass ich die Diktatur einer unpersönlichen Regel übertragen wolle. "
 
Keine Unterstellung, sondern die logische Fortführung Deiner Überlegungen. Wenn Deine Überlegungen nicht von Anfang als Selbstzweck gedacht waren, dann würdest Du das Ergebnis umsetzen wollen.
 
Das Ergebnis wäre eine "neue Weltordnung", eine Regel, wie Konflikte in allen Teilen der Welt zu lösen seien.
Ich traue Dir zu, eine Regel finden zu können, die auch ich für klug halten könnte, sogar für brauchbar.
Aber - Muslime und Christen haben schon ihre solche Regel. Ebenso alle anderen, die tief gläubig sind, und manche Sizilianer bevorzugen die Blutrache.
 
Gegen sie und gegen ihren Glauben müßtest Du Deine Regel durchsetzen, und das ohne die Unterstützung der größten unterdrückungswilligen Armee der Welt.
 
 
Du: Da ich jedoch immer wieder betont habe, dass es um eine allgemein akzeptable Methode der Interessenabwägung geht
 
Genau das ist es: "allgemein akzeptable Methode". Diese ist solange nicht denkbar, wie wir den Menschen eine eigene Meinung zubilligen.
 
 
Du: Was ist das denn für eine Diktatur, die zusammenbricht, wenn nur einer aufsteht und sagt: "Für mich ist diese Lösung aus den-und-den Gründen nicht akzeptabel?"
 
Hihi, guter Gedanke - vermutlich das Problem all derer, die erst eine tolle Idee hatten, im Zuge der Umsetzung auf Widerstand stießen und meinten, die Nutzen der guten Sache rechtfertige die Opferung der Widerständler - und plötzlich nannten Journalisten sie Diktator.
 
 
Du: Die Frage der Durchsetzung von gefundenen Lösungen hatte ich ausdrücklich ausgeklammert.
 
Das geht aber nicht, denn solch eine Regel kannst Du nur durchdenken, wenn Du Dir ihre Umsetzung vorgestellt hast, zumindest im kleinen Kreise.
 
„Ich habe drei Arten von Geheimhaltung. Die erste, wenn wir beide unter vier Augen sprechen; die zweite, die behalte ich für mich; die dritte, das sind Probleme der Zukunft, die ich nicht zu Ende denke.“ (Adolf Hitler gegenüber Großadmiral Raeder, 23.5.1939)
 
Verkürztes Denken, Dinge nicht zu Ende denken wollen, das ist eine der Ingredienzen des Bösen.
 
Wer den Anfängen wehren will, muß auf die Anfänge achten. Selbst da, wo sie noch unschuldig aussehen.
 
 
Du: Wieso schränkt eine Methode, die allgemein nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein?
 
Nicht jede Methode. Aber eine, die bestimmt, welche von zwei widersprüchlichen Meinungen Recht zu bekommen hat, ganz egal, was die Betroffenen dazu meinen.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-21, 19:56 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
Ich erspare es mir, auf Deine Voraussagen über die - von mir noch nicht erkannten angeblichen Konsequenzen - meiner Fragestellung einzugehen. Du hast wirklich eine blühende Fantasie!.
 
Wollte man Deine Ausführungen ernstnehmen, dann dürfte man sich auch nicht mit den Kriterien für die Wahrheit empirischer Aussagen beschäftigen, weil dadurch abweichende Meinungen unterdrückt werden und eine Diktatur zu erwarten ist..
 
Wenn Du Dich sachkundig machen willst über das, was ich hier diskutieren möchte, dann gib bei GOOGLE ein "interpersonal comparison of utility". Vielleicht löst sich dann Deine fixe Idee etwas auf.
 
Es grüßt Dich Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-21, 21:28 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: Wollte man Deine Ausführungen ernstnehmen, dann dürfte man sich auch nicht mit den Kriterien für die Wahrheit empirischer Aussagen beschäftigen
 
Abgelehnt, weil nicht vergleichbar aus folgendem Grunde: Wenn es um Wahrheit geht, dann geht um die treffende Modellierung der Materie - und eben nicht um Meinungen und Wertungen.
 
Das Recht jedes Individuums - die große Errungenschaft von Aufklärung, Freiheitskämpfern und Menschenrechten - ist, seine eigene Meinung haben zu dürfen.
 
 
Du: Wenn Du Dich sachkundig machen willst über das, was ich hier diskutieren möchte, dann gib bei GOOGLE ein "interpersonal comparison of utility". Vielleicht löst sich dann Deine fixe Idee etwas auf.
 
Schön, wir beiden sind schon im Konflikt. Ich bin bereit für Deine Verteidigung und Deine Angriffe.
Eine ausweichende Antwort wie Deine gerade aber akzeptiere ich nicht von Dir. Allenfalls von einem mentalen Leichtgewicht, das nur nachplappern kann.
 
Interessant wäre jetzt: Kannst Du die grundsätzliche Möglichkeit einer Synthese aufzeigen zwischen solch einer Regel und dem Menschenrecht der Meinungsfreiheit?
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-21, 22:12 Uhr
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Ich schrieb beireits:
 
"Wieso schränkt eine Methode, die allgemein nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein? Im Gegenteil, sie erfordert sogar die Meinungsfreiheit. Wie könnte denn sonst überprüft werden, ob die Methode allgemein nachvollziehbar und anerkennbar ist?"

 
Ohne Meinungsfreiheit bleibt jeder Anspruch, richtig zu denken und zu handeln, eine hohle Phrase.
 
Dieser Punkt ist zentral für mein Denken, weshalb ich die von Dir behaupteten Konsequenzen meiner Fragestellung als besonders entstellend betrachte.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-21, 23:17 Uhr
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Ich denke, man benötigt mal wieder ein bisschen Anschaulichkeit. Also ein Beispiel für Interessenkonflikte mitten aus dem Leben.
 
Uns Oma, die mit Fug und Recht uralt genannt werden kann, ist zwar noch recht rüstig, aber ein Haus mit Garten zu besorgen fällt ihr langsam doch zu schwer. Also hat sie sich folgendes überlegt:
 
Ich solle doch zu ihr ziehen und mich um Haus und Garten kümmern, welche zum Teil sowieso schon mir gehören. Und natürlich um sie. Im Prinzip ist sie der Ansicht, sie habe darauf einen Anspruch; wozu ziehe man schließlich Kinder groß? Meine Arbeit müsste ich dann natürlich aufgeben. Worin Oma kein Problem sieht, denn sie war immer Hausfrau und findet arbeiten außer Haus abscheulich. Wobei sie ihr Empfinden als normal betrachtet; wer das anders sieht, denkt unnormal. Nicht arbeiten heißt, Hartz IV in Anspruch nehmen. Findet Oma nichts dabei, machen doch andere auch. Und nebenher einen 400 ? - Job annehmen. Dann ist man den Rest der Zeit ein freier Mensch, Oma unterstützt fleißig mit nicht gar so geringer Rente - natürlich schwarz, was geht das den Staat an - alles ideal, alles in Butter.
Der Staat, also unsere Gesellschaft, hätte für derlei Maßnahmen natürlich nicht das geringste Verständnis; ich als Staatsbürgerin übrigens auch nicht.
Bleiben drittens meine persönlichen Interessen; dass die in andere Richtungen gehen, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Nichts desto trotz haben wir hier divergierende Interessen, von denen jede Seite für die zentralen Interessen der anderen fast kein Verständnis hast.
Wie willst Du das anfangen, mit dem Abwägen von Interessen?
Wenn Du diskutieren willst, ich übernehme den advocatus diaboli - die Oma. [cheesy]
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-21, 23:25 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: "Wieso schränkt eine Methode, die allgemein nachvollziehbar sein soll, die Meinungsfreiheit ein?
 
Das habe ich ausdrücklich nicht behauptet.
Hast Du es nötig, Thesen als verfälschte Fragestellung zu wiederholen?
 
So würde die Fragestellung zu meiner Behauptung passen: "Wieso schränkt eine Methode zur Definition, welche zweier Meinungen grundsätzlich als die bessere gilt, die Meinungsfreiheit ein?"
Aber so hast Du eben nicht gefragt. Wozu nicht?
 
 
Du: Ohne Meinungsfreiheit bleibt jeder Anspruch, richtig zu denken und zu handeln, eine hohle Phrase.
 
Da lauert eine Mehrdeutigkeit. Denn "richtig" denken verstehen die einen als "das Richtige denken", ich aber im Sinne von "richtig rechnen".
 
 
Du: Dieser Punkt ist zentral für mein Denken
 
Ja, das habe ich schon so verstanden.
 
 
Du: ..weshalb ich die von Dir behaupteten Konsequenzen meiner Fragestellung als besonders entstellend betrachte.
 
Tja, leider ergeben sie sich als folgerichtige Weiterführung Deiner Gedanken, die Du ja gerade nicht weiterdenken willst: Wenn Du eine Regel durchsetzen willst, welche Meinungen im Konfliktfalle zu bevorzugen sind, dann bist Du ein Diktator.
 
Ciao
Wolgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-22, 06:56 Uhr
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Es gab mal zwei Meinungen über den Kosmos, die eine betrachtete die Erde als Mittelpunkt, um das sich alles dreht. Die andere nahm an, dass die Erde ein Planet der Sonne ist.
 
Derjenige, der sagte: "Das Weltbild mit der Erde als rotierendem Planeten der Sonne ist die richtige Meinung, weil damit besser die Erscheinungen (Bahn der Wandelsterne, Mondfinsternisse, Sonnenfinsternisse, Mondphasen etc.) erklärt werden können", war ein Diktator, und ab da begann die Diktatur der modernen Wisssenschaft. Das sind die unvermeidlichen Konsequenzen des empirischen Wahrheitskriteriums, nicht wahr Wolfgang?
 
p.s.: Vielen Dank noch zu der Gleichsetzung mit Adolf Hitler, der es genauso machte wie ich bei der Geheimhaltung seiner wahren Absichten.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Gnoseias am 2007-03-22, 07:58 Uhr
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Guten Morgen Eberhard,
 
 
das Problem besteht doch darin, dass die allgemeine
Nachvollziehbarkeit einer Methode nicht automatisch dazu
führen muss, diese Methode auch anzuwenden.
 
Wird jedoch diese Methode freiwillig von allen angewandt,
ist kein Zwang nötig, allerdings besteht bereits zu diesem
Zeitpunkt kein Konflikt mehr, den es zu lösen gilt.
 
-------------------
Wir diese Methode nicht freiwillig angewandt, wird daraus
eine "Diktatur", unabhängig ob es die Gemeinschaft ist,
die diesen Druck ausübt oder die eigene Vernunft:
Unser Verhalten ist dann hereronom.
(Tugendhat spricht sich gegen diese kantianische
Vernunftdiktatur aus und betont:
"Wir sind nicht mit unserer Vernunft ident")
 
Nur wenn bei allen freier Wille vorhanden ist, lässt sich Deine
Vorstellung verwirklichen, was sich jedoch kaum voraussetzen
lässt.
 
-------------------
Als Beispiel sieht man bei laertes, wie sehr er sich von
moralischen Gedanken geradezu zwingen lässt, diese
abzulehnen: Er hat Moral noch nicht verstanden, doch wie
willst Du es ihm beibringen?
 
 
Gruß, Gnoseias
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-22, 17:16 Uhr
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Hallo allerseits,
 
ich will mal weitermachen mit dem Weg ins Böse, in die Diktatur.
 
Danke Abrazo für das anschauliche Oma-Beispiel. Ich denke, hier überwiegt Dein Interesse an einer Berufstätigkeit und die alte Oma kann sich sicherlich nicht mehr so gut in Deine Situation hineinversetzen, so wie es auch in empirischen Fragen trotz begründeter wissenschaftlicher Standards immer Menschen geben wird, die durch kein noch so einleuchtendes Argument akzeptieren werden, dass unsere Antipoden mit dem Kopf in dieselbe Richtung weisen, wie wir mit unseren Füßen.
 
Ich möchte noch mal auf meine offenbar untergegangene Frage zurücckkommen. Ich hatte geschrieben:
" Meiner Ansicht nach wägen wir im Alltag ständig Interessen verschiedener Individuen gegeneinander ab und rechtfertigen auf dieser Grundlage viele unsere Entscheidungen.
Ich sehe, dass jemand auf der Straße zusammenbricht. Wenn ich ihm helfen würde, käme ich zu spät zum Konzert.
 
Hier würde wohl jeder sagen: Das Interesse dessen, der möglicherweise in Lebensgefahr schwebt, an Erster Hilfe überwiegt mein Interesse an dem vollständigen Hören eines Konzertes. Also sollte ich ihm helfen.
 
Auf welcher Grundlage treffen wir diese Abwägungen?"
 
Hierzu hätte ich gerne eine Stellungnahme.
Entweder sagt man:
 
(1) "Ich wäge bei einer derartigen Entscheidung keine Interessen oder Güter ab, weil ich meine Entscheidungen unter anderen Kriterien entscheide (eigenes Wohlergehen, 10 Gebote, Kategorischer Imperativ, Goldene Regel, soziales Ansehen bei den Leuten, geltende Rechtsnormen u.a.m.) "
oder man sagt:
 
(2) "Das Interesse an einem Konzertabend wiegt ebenso schwer oder sogar schwerer als die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr und ich begründe diese Ansicht so-und-so",
oder man sagt:
 
(3) "Ich wäge in einem solchen Fall die beteiligten Interessen ab und bin davon überzeugt, dass das Interesse eines Menschen an lebensrettenden Maßnahmen gewichtiger ist als das Interesse an einem Konzertabend. Ich begründe meine Ansicht so-und-so"
oder
 
(4) ?
 
Welcher Position neigt Ihr zu? fragt Euch Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-22, 20:25 Uhr
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Hy
 
@Wolfgang: Eberhardt der Diktatur zu bezichtigen ist deshalb falsch, weil er nicht sagt, dass jeder seine Lösung-Find-Methode anwenden MUSS. Er will sie lediglich finden. Und dann vielleicht selbst einsetzten und sie seinen Kollegen und Philosophen erzählen (oder hab ich da was falsch verstanden, Eberhardt?)
 
@ alle: Wenns eine allgemeingültige Lösungsmethode für Konflikte gibt, dann wärs doch nett, diese zu kennen? Ich glaube aber nicht, dass es sie gibt. Dazu sind die Menschen zu unberechenbar (ist doch schön so). Und zu verschieden. Deshalb brauchts auch für jeden Konflikt eine individuelle Lösung.
Aber selbst, wenns jetzt so eine Methode gäbe, glaube ich nicht, dass sie in Alltag verwendbar ist, da zu aufwändig. Auch vermute ich stark, dass viele die methode nicht verstehen und somit auch nicht anwenden könnten, weil zu kopliziert. Da's die Lösung aber wohl nicht gibt, ist das pure guess of me.
 
Zu Eberhardts Beispiel mit dem Konzert... Ich würde dem anderen helfen. Warum? Hmm, ich glaube, ich hab ein Helfersyndrom. Und ich bin der Meinung, ein Menschenleben ist mehr Wert als ein verpasster Konzertanfang. Und ich versuch mich anderen gegenüber so zu verhalten, wie ichs gerne hätte, dass sie sich mir gegenüber verhalten würden. Aber in Grenzen. Und ich versuch mich an Kants Imp. zu halten. Und, und, und... Und andere Menschen haben noch andere Gründe. Das kann man nicht vereinheitlichen.
 
Lg weatherlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-23, 10:19 Uhr
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Hallo allerseits,
Hallo weatherlady,
 
ich glaube, dass es sich die Philosophen zu leicht machen, wenn sie ihre Hände in Unschuld waschen und sagen: Die Konflikte dieser Welt müssen wir dem Gang der Dinge (und damit den aktuellen Machtverhältnissen) überlassen, denn wenn wir dazu kritisch Stellung beziehen, dann enthält das Werturteile und die kann man nun mal nicht begründen.
 
Ich glaube allerdings nicht, dass es ein patentiertes Verfahren geben wird, dass - nach Einfütterung der relevanten Daten eines Konfliktes - die gerechte Lösung fertig ausdruckt.
 
Wissenschaft kommt wegen der prinzipiell nicht zu beseitigenden Offenheit für neue Argumente und wegen der prinzipiell nicht zu beseitigenden Ungewissheit bei der Beantwortung von Fragen nicht zu ein-für-alle-mal feststehenden, definitiven Ergebnissen.
 
Deshalb wäre ein Philosophenkönig auch kein Philosoph mehr sondern ein König, der - angesichts von Ungewissheit und unvollkommenem Wissen Entscheidungen zu fällen hat.
 
Wer behauptet, dass derjenige, der die Kriterien für gerechte Entscheidungen zu klären versucht, immer ein Möchte-gern-Diktator ist, - ob er es sich nun eingesteht oder nicht -, der verkennt das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis grundlegend.
 
Die Philosophie hat für mich die Aufgabe, möglichst genau den Weg zu einer allgemein akzeptablen Lösung von Konflikten zu bestimmen.
 
Sie kann damit ein ethisches Kriterium präzisieren, an dem dann konkrete soziale Entscheidungsverfahren beurteilt werden können - seien es Abstimmungen und Wahlen auf staatlicher und regionaler Ebene oder seien es - auf Eigentumsrechten und Vertragsfreiheit beruhende - Märkte, seien es gerichtliche Verfahren, seien es hierarchische Strukturen in Organisationen oder seien es die elterlichen Bestimmungsrechte innerhalb der Familie, um nur die wichtigsten Institutionen zu nennen.
 
Aber nun zu konkreten Punkten Deines Beitrags.
 
Du schreibst: "Deshalb brauchts auch für jeden Konflikt eine individuelle Lösung."
 
Da ist was Wahres dran, was sich in dem Spruch niederschlägt: "Jeder Fall liegt anders".
 
Die Probleme einer radikal situationsbezogenen Ethik sehe ich allerdings in zwei Punkten:
 
Zum einen: Wenn man einen Konflikt x beschreibt und eine auf diesen speziellen Fall zugeschnittene Lösung gefunden hat, dann kann es einen gleichartigen Fall y geben, auf den genau dieselbe Beschreibung zutrifft und der sich nur in den Personen und raumzeitlichen Bezügen unterscheidet.
 
Wäre es nun gerecht, zwei ihrer Beschreibung nach völlig gleichartige Konflikte das eine Mal so und das andere Mal so zu entscheiden? Ich meine nicht.
 
Zum andern will man doch nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, um dann den Schuldigen zu bestrafen, sondern das Kind soll gar nicht erst in den Brunnen fallen.
 
Deshalb formuliert man von vornherein bestimmte Normen, die so gestaltet sind, dass bestimmte Katastrophen oder Schädigungen nicht eintreten können.
 
Solche Normen können jedoch nicht ohne Konkretisierung bestimmter verbotener Handlungen formuliert werden. Es wäre wenig hilfreich zu sagen: "Handelt richtig! Ob ihr richtig gehandelt habt, wird sich dann anhand des jeweiligen Einzelfalles zeigen."
 
In Bezug auf mein Beispiel (Hilfeleistung) führst Du eine ganze Reihe verschiedenster Gesichtspunkte an, die für Dein Handeln maßgebend sind. Ich frage mich, wie Du entscheidest, wenn diese verschiedenen Kriterien einmal nicht zu den gleichen Ergebnissen führen. Dann müsstest Du in Deiner Vielfalt ethischer Maßstäbe wohl doch etwas aufräumen.
 
Für unsere Fragestellung ist wichtig, wenn Du sagst: "Ich bin der Meinung, ein Menschenleben ist mehr Wert als ein verpasster Konzertanfang."
 
Diese Meinung teile ich auch und ich finde eine philosophische Position armselig, die z. B. besagt, dass man nicht wissen könne, ob nicht das ästhetische Vergnügen Neros am brennenden Rom den Schaden der römischen Bürger aufgewogen hat.
 
Die Frage ist: Woher weißt Du, dass das Interesse von A an der Beseitigung einer Gefahr für sein Leben schwerer wiegt (mehr Wert besitzt) als das Interesse von B, den Anfang eines Konzertes nicht zu verpassen?
 
Bleibt es beim Rückzug auf die Position: "Das ist alles subjektiv?!" Können wir nicht doch intersubjektiv nachvollziehbar begründen, dass ein Menschenleben mehr wiegt als ein verpasster Konzertanfang?
 
Ich hoffe dass der Beitrag nur lang und nicht auch langweilig geworden ist und grüße alle, die ethische Fragen mit vernünftigen Argumenten zu beantworten suchen,
 
Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von philautos am 2007-03-23, 11:08 Uhr
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Eberhard,
 
Sie verkörpern ja die reinste Ausprägung der Seinsvergessenheit. Sie generieren hier Pseudo-Probleme und meinen auch noch, das wäre philosophisch wertvoll.
 
Sie wollen einen allgemein gültigen Handlungskatalog zur Konfliktlösung, den Sie dann für konkrete Anlassfälle zupfen können, darin nachschlagend ein sicheres Geleit für alle Zukunft an der Hand.
 
Schön, Eberhard, da können Sie dann beruhigt Ihre Wampe weiter vollstopfen, alles geregelt und der Betrieb kann weiterlaufen - beruhigt und seeligst.
 
 
Wesentlicher aber als alle Aufstellung von Regeln ist, dass der Mensch zum Aufenthalt in die >Wahrheit des Seins< zurückfinde - nur das verbürgt den rechten Halt - den Halt für alles Verhalten.
 
 
philautos
 
 
 
PS: In einem Punkt wohl haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen: Ihre Beiträge sind >elendslangweilig< - nicht wegen der Länge, sondern inhaltlich ! [cheesy]
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-23, 19:05 Uhr
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Hallo allerseits,
 
ich hatte geschrieben:
"Die Frage ist: Woher weißt Du, dass das Interesse von A an der Beseitigung einer Gefahr für sein Leben schwerer wiegt (mehr Wert besitzt) als das Interesse von B, den Anfang eines Konzertes nicht zu verpassen?"
 
Ich will mal skizzieren, wie ich mir eine Lösung vorstelle, dann könnt ihr den Vorschlag kritisieren.
 
(Allerdings muss ich aufpassen. Denn ich bin gerade darauf hingewiesen worden, das Sein nicht zu vergessen. Na, ich hoffe, ich denke dran …)
 
Aber Spaß beiseite. Wie kann man angesichts der obigen Frage vernünftig argumentieren und die eigene Position begründen gegenüber jemandem, der auf dem Standpunkt steht, sein Musikerlebnis sei wichtiger als das Leben irgendeines Menschen?
 
Ich könnte mir folgenden Dialog zwischen mir und ihm - nennen wir ihn Kool - vorstellen:
 
Ich zu Kool: Wir sind hinsichtlich des vergleichsweisen Wertes eines Konzerterlebnisses und eines Menschenlebens unterschiedlicher Meinung. Deshalb diskutieren wir und suchen nach der richtigen Antwort auf die Frage: "Ist Dein Musikerlebnis wichtiger als die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr?" Sind wir uns da einig?
 
Kool: O.K. Das kann man so formulieren, aber damit darf nicht vorausgesetzt werden, dass es eine richtige Antwort hier überhaupt gibt.
 
Ich: Nein, das bleibt offen. Wir suchen nicht irgendeine Antwort sondern eine Antwort, die für Dich wie für mich gilt und die für uns beide akzeptabel ist.
 
Kool: Das ist wohl der Sinn jeder Diskussion - oder sollte es zumindest sein.
 
Ich: Das bedeutet, dass die Antwort mit Argumenten begründet werden sollte, die wir beide nachvollziehen und auch übernehmen können. Sehe ich das so richtig?
 
Kool: Ich denke schon.
 
Ich: Na gut, dann können wir ja loslegen. Mal sehen, wie weit wir kommen.
 
Also Du stehst auf dem Standpunkt, Dein Konzerterlebnis sei wichtiger als die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr. Dir muss doch klar sein, Kool, dass zumindest der Zusammengebrochene deine Wertung nicht teilen wird.
 
Kool: Das ist sein Problem, wenn er das nicht einsieht. Ich rücke von meiner Position deswegen nicht ab.
 
Ich: Dann frage ich Dich: Was wäre denn, wenn die Rollen vertauscht wären: Du wärst zusammengebrochen und der andere zieht den Konzertbesuch der Ersten Hilfe bei Dir vor.
Wärst Du dann immer noch der Meinung, dass der Konzertbesuch wichtiger ist als die Hilfe in Lebensgefahr?
 
Kool: Das ist ja ganz etwas anderes. In dem Fall geht es ja um mein Leben.
 
Ich: Wenn Du Unterschiede in der Lösung der Konflikte machst, nur weil es sich einmal um Dich und ein andern Mal um jemand anders handelt, dann kannst Du nicht erwarten, dass andere diese prinzipielle Bevorzugung Deiner Person freiwillig akzeptieren. Deshalb ist auch sinnvoll, dass wir von der Frage, welche Person welche Rolle in dem Konflikt einnimmt, völlig absehen und nur fragen: "Wiegt das Interesse eines Menschen an der Rettung aus Lebensgefahr schwerer als das Interesse eines Menschen an einem ungestörten Konzertabend?"
 
Kool: Führst Du mit der Forderung, die Frage ohne Ansehung der jeweiligen Personen zu entscheiden, nicht unter der Hand eine Wertprämisse, eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit ein?
 
Ich: Nein, der Meinung, dass ich hier Wertprämissen einschmuggele, bin ich nicht. Ich leite die Forderung nach einer neutralen Berücksichtigung aller Interessen aus dem auch von Dir geteilten Ziel ab, zu einer allgemein akzeptablen Antwort zu kommen.
 
Da bei dieser Form der Fragestellung die Zuordnung bestimmter Rollen zu bestimmten Personen keinen Einfluss auf das Ergebnis mehr hat, muss jeder die Frage unter der Annahme beantworten, dass er jede dieser Rollen einnehmen könnte.
 
Und ich bin der Ansicht, dass sich unter diesen Bedingungen alle für die Lösung entscheiden werden, dass die Hilfe in Lebensgefahr wichtiger ist als der ungestörte Konzertabend.
 
Wenn die Einzelnen vor der Entscheidung zwischen zwei Alternativen stehen würden, die sich nur darin unterscheiden würden, dass sie bei Alternative 1 in Lebensgefahr geraten und bei Alternative 2 den Anfang eines Konzertes verpassen, so ist die Entscheidung für die Alternative 2 wohl allgemeiner Konsens.
 
Soweit unser fiktiver Dialog. Ich glaube nicht, das ich Kool damit auf Anhieb davon überzeugt habe, dass man auch Werturteile rational diskutieren und begründen könne. Aber im Augenblick fand er keine Argumente gegen meine Schlussfolgerungen.
 
Ich hoffe, ihr habt etwas zum Nachdenken und zum Zerpflücken für das Wochenende.
 
Es grüßt Euch Eberhard.
 
p.s.: Oh, jetzt habe ich ja doch wieder das Sein vergessen. Wie kann man nur so vergesslich sein ...
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am 2007-03-24, 13:16 Uhr
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Da gibt es ein sehr schönes Kommunikatiosn-Spiel, in dem Streitkultur, Zuhören und Analysefähigkeit geschult wird.
 
Es ist das "Ugly-Orangen" Spiel. Unter diesem Stichwort wird man sicher in Google fündig und da kann anhand der vorgegebenen Ausgangslage -wie im Vorpost dargestellt - mal eine Diskussion führen.
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-24, 17:47 Uhr
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Hy
 
Ich glaube nicht, dass es zwei völlig identische Situationen gibt. Ähnliche schon. Somit haben die auch ähnliche Lösungen, aber eben nicht identische. Man kann also nicht die Lösung von Problem A ohne Nachdenken für Problem B auch verwenden.
 
Hmm, Kool und Eberhard. Ich glaube, dass für eine bestmögliche Antwort Kant herzitiert werden sollte. Und zwar sein kategorischer Imperativ. Wenn Kool so handelt, wie er's gerne hätte, dass sich die ganze Welt verhält, dann wird er den Notfall-Patienten versorgen (nach dem ABCD-Schema ;-)). Aber, er wird auch nicht jedem sein Geld schenken (übertriebener Altruismus), da es ja keinen Sinn macht, wenn die ganze Welt dauernd Geld verschenkt und niemand was damit anfängt.
 
So wäre also die beste allgemeine Richtlinie, waron man seine Entscheidungen anlehnen kann, der kantsche kategorische Imperativ, oder nicht?
 
lg weatherlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-24, 20:46 Uhr
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Hallo weatherlady,
 
mit der Diskussion zwischen Kool und mir will ich skizzieren, wie eine nachvollziehbare Argumentation zur Bestimmung der relativen Gewichtigkeit unterschiedlicher Interessen aussehen könnte. Kool kann seine egozentrische Position nicht durchhalten und stimmt zu, dass das Interesse an einer Rettung aus Lebensgefahr interpersonal gößeres Gewicht hat als der ungeschmälerte Konzertabend.
 
Der Kategorische Imperativ passt nicht so recht in die Problemstellung. Wenn das allgemein richtige Handeln durch unparteiische Abwägung aller Interessen bestimmt werden soll, dann hat man eine Variante der Wert- oder Güterethik, die Kant ablehnte. Der Kategorische Imperativ lautet ja in seiner meistzitierten Fassung:
"Handele so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte."
 
Kool könnte sagen: "Ja, das könnte Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein: Die Interessen vom Kool sind von größerer Gewichtigkeit als die entgegenstehenden Interessen anderer Individuen. Also "Alle außer mir sind verpflichtet, Menschen in Lebensgefahr zu helfen."
 
Nun könnte man sagen: "Das ist mit einer allgemeinen Gesetzgebung nicht gemeint. 'Allgemein' heißt, dass für niemanden eine Ausnahme gemacht wird."
 
Auch dann verlangt der Kategorische Imperativ keine interpersonale Abwägung von Interessen oder Gütern, sondern jeder muss nur sich selber befragen, ob er damit einverstanden ist, dass andere nach demselben Grundsatz handeln wie er.
 
Es muss sich deshalb auch nicht notwendigerweise ein Konsens aller aus der Anwendung des kategorischen Imperativs ergeben.
 
Dazu ein Beispiel: Angenommen, ein Mann möchte gern, dass seine Frau sich seinen Entscheidungen unterordnet. Dann kann er ohne Probleme wollen, dass dies zum allgemeinen Gesetz erhoben wird. Die Frau, die ihre Meinung auch berücksichtigt sehen will, kann der allgemeinen Anwendung der patriarchalischen Maxime ihres Mannes keineswegs zustimmen.
 
Ich glaube also nicht, dass Kants Kategorischer Imperativ die ethischen Probleme besser löst.
 
Es grüßt Dich und andere freundliche Leute unter den PhilTalkern Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-24, 22:33 Uhr
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Hi,
 
 
Quote:Danke Abrazo für das anschauliche Oma-Beispiel. Ich denke, hier überwiegt Dein Interesse an einer Berufstätigkeit und die alte Oma kann sich sicherlich nicht mehr so gut in Deine Situation hineinversetzen, so wie es auch in empirischen Fragen trotz begründeter wissenschaftlicher Standards immer Menschen geben wird, die durch kein noch so einleuchtendes Argument akzeptieren werden, dass unsere Antipoden mit dem Kopf in dieselbe Richtung weisen, wie wir mit unseren Füßen.
 
 
Eberhard, Du hast die Pointe nicht verstanden - vielleicht weil ich sie nicht klar genug ausgedrückt habe. Die Pointe ist, dass die Oma sich sehr wohl in meine Situation hinein versetzt, so, wie sie sich in die Situation aller möglichen Leute hineinversetzt; nur: sie ist nicht dieser 'Leut'. Sie projiziert ihr Denken in andere Leute hinein, weil sie gar kein anderes kennt (vergleiche das mal in größerem Rahmen mit den Amis, die ihr Denken in die Iraker projizierten). Wer anders denkt, denkt für sie nicht, sondern der ist entweder dumm oder krank oder böse. Kommt Dir das nicht bekannt vor?
 
Kool kann ich im Zweifel besser, Eberhard: ein Mann bricht zusammen. Ist er denn noch bei Sinnen, so dass ich ihn fragen könnte, ob er überhaupt Hilfe will? Kann ich nicht. Also gehe ich zum Konzert, denn es widerspricht der Freiheit des Menschen, anderen Menschen etwas anzutun, was man selbst für etwas Gutes hält, ohne den anderen zu fragen, ob er das genau so sieht.
 
Amplifikation: der Mann steht gerade mit Strick um den Hals am Brückengeländer. Offenbar will er runterspringen. Du verlangst, ich soll mein Konzert verpassen, um einen Menschen an etwas zu hindern, was er doch offensichtlich will?
 
Amplifikation: der Zusammengebrochene ist offenbar ein Penner, der zu viel Stoff im Balg hat und nach Schnaps stinkt. Soll ich seinetwegen mein Konzert verpassen? Selbst, wenn ich ihm etwas täte, was er wünscht, nämlich Erste-Hilfe-Leistung; ist dies im Interesse unserer Gesellschaft, die ihn ernähren und sich auch sonst mit ihm abplagen muss, und sind das nicht viel mehr Menschen?
 
Willste noch mehr von Kool hören? Vielleicht ein bisschen Nietzsche gefällig, wonach das Kranke, Schwache einzustampfen ist?
 
Philautos, Du Eremit, Abrazo ist promisk; lass den Eberhard in Ruhe.
 
Eberhard, die Wege des Metaphysikers sind unergründlich. Also lass mich Dir mal was vorgründeln, wenn ich das eigentlich auch nicht vor hatte.
 
Siehe, Wittgenstein behauptete, es gäbe in der Welt keinen Wert; die Ethik könne nur außerhalb der Welt sein. Alldieweil wohl auch Du einst als junger Student im Rahmen der wissenschaftstheoretischen Propädeutik seine Wahrheitstafeln lernen musstest, konnte er wohl kein Dummkopf sein; seine Auffassung ist also diskussionswürdig.
 
Sie besagt allerdings nichts weniger, als dass Deine Bemühungen tatsächlich vergeblich sind. Du kannst aus der Welt heraus moralisches Handeln nicht begründen. Jede Begründung endet im Utilitarismus und ist damit wertlos. Denn Nutzen ist abhängig, abhängig von denen, denen er Nutzen ist. Etwas finden zu wollen, was für alle Menschen gleichermaßen von Nutzen ist, halte ich für vergebliche Liebesmüh, da meist dem einen genau das von Nutzen ist, was dem anderen von Schaden ist. Insofern kannst Du zwar innerhalb einer Gesellschaft, denen gemeinsam etwas von Nutzen ist - gemeinsam, weil jedes ihrer Mitglieder diesen Nutzen gegen andere Gesellschaften und Subgesellschaften als sein Interesse verteidigen will, denen er zum Schaden ist - zu von allen gleichermaßen akzeptierten Normen finden, nicht jedoch darüber hinaus.
 
So ziehe ich denn - unverantwortlich abgekürzt - doch das Sein aus dem Hut. Es ist alles, was der Fall ist. Alles, worüber einer reden kann. Alles, was ist. Alles, was Du denken, empfinden, fühlen kannst, wird hervorgerufen von dem, was ist, und ist selber. Du, der das merkt, der das Sein und nichts anderes reflektiert, bist ohne Sein nichts, weißt noch nicht einmal von Dir selbst. Dies zu erkennen heißt, zum Sein, zur Welt in eine Beziehung zu treten. Sofern dies eine Beziehung des Ja zum Sein ist - ein Nein schließt die Selbstvernichtung ein - so ist diese Beziehung der Wert. Der einzige Wert. Sein ist aber alles. Folglich ist alles wertumfasst. Was aber Wert hat, zerstört man nicht und schmeißt man nicht weg. Wenn Du nach gemeinsam Menschlichem suchst, findest Du die Abscheu vor der Zerstörung, vor einer Art Vandalismus, auch, was Menschenleben betrifft, auch das Leben von Menschen, die einen überhaupt nichts angehen - und selbst die Zerstörung von tierischem Leben. Mythen von heiligen Hirschkühen, Rituale von Naturvölkern, Kunstwerke aus der Steinzeit weisen darauf hin, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gibt. Kein Tier rührt Zerstörung, sofern es nicht höchstselbst davon betroffen ist. So rührt es auch nicht den Menschen, wenn das Menschliche in ihm, aus welchem Grund auch immer, verschüttet ist, denn ohne dies ist er ein Viech wie jedes andere auch. Allerdings zeigt die Menschheitsgeschichte, dass sich das Menschliche nicht dauerhaft verschütten lässt; irgendwo dringt es immer wieder durch.
 
Schlimmstenfalls dringt es durch im plötzlichen Entsetzen über das eigene, nun begriffene Tun (siehe Deutschland nach Krieg und Nationalsozialismus).
 
Nachtrag zur an anderer Stelle von Dir gestellten Sinnfrage:
 
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist unsinnig. Auf eine unsinnige Frage gibt es aber keine wahren oder falschen Antworten, sondern nur unsinnige Antworten. So, wie es auf die Frage danach, wie man den Tod erlebt, keine sinnvolle Antwort gibt, weil man den Tod nun mal nicht erlebt.
 
Da die Frage aber offenkundig nicht, wie es bei unsinnigen Fragen häufig der Fall ist, aus purer Laberlust gestellt wird, ist zu fragen, warum denn Menschen sich mit einer unsinnigen Frage abplagen; normal ist das nicht, denn unsinnige philosophische Fragen rühren im Grunde keinen Schwanz. Was also steckt dahinter?
 
Meiner Ansicht nach das, was man mit Philautos Seinsvergessenheit oder Seinsverlassenheit nennen könnte (allerdings verstehe ich da wohl etwas anderes drunter als er). Es ist eine Art innere Einsamkeit, Verlorenheit, Nichtigkeit, die die Folge der nicht vorhandenen Beziehung eines Menschen zur Welt, zum Sein ist. Also sucht man letztlich nach etwas Höherem, was der eigenen, individuellen Person Sinn verleiht. Fleutjepiepen, so etwas kann nicht gefunden werden (man kann es sich freilich einbilden, sich den Glauben daran einreden und, damit die eigenen Zweifel daran ersterben, damit hausieren und missionieren gehen nach dem Motto, Scheiße ist lecker, Millionen Fliegen können nicht irren).
 
Wenn man denn unbedingt auf einem Sinn des eigenen Daseins bestehen will, so ist es der, zu begreifen, dass Sein Wert ist. Allerdings ist der Sinn in dem Moment erfüllt, wo man es begriffen hat. Und dann gibt es eben keine Frage nach dem Sinn mehr, denn niemand fragt nach dem Sinn von etwas, was Wert ist; täte er es, so wäre es kein Wert.
 
Grüße
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-25, 10:32 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
Du hast Dein Verständnis von Ethik eindrucksvoll formuliert, doch schätze ich die Schwierigkeiten einer utilitaristischen Ethik - die bei deutschen Philosophen schon immer als Ausfluss englischen Krämergeistes angesehen wurde - nicht als so unüberwindlich ein, wie Du es tust.
 
Dass moralische Normen etwas mit der Berücksichtigung von Interessen zu tun haben könnte, geht vielen deutschen Philosophen immer noch gegen den Strich. Für viele ist Moral das Reich der Pflicht um der Pflicht willen. Da hat das menschliche Wünschen und Wollen nichts zu melden.
 
Unter diesen Bedingungen ist die Abstempelung einer ethischen Konzeption als "utilitaristisch" meist schon ausreichend, um diese Position zu "erledigen". Dass Du Deine Ablehnung auch begründest, ehrt Dich.
 
Deine Kritik am Utilitarismus und an der Vergleichbarkeit menschlichen Wohlergehens bzw. menschlicher Interessen ist ohne wenn und aber. Du schreibst:
 
"Jede Begründung endet im Utilitarismus und ist damit wertlos. Denn Nutzen ist abhängig, abhängig von denen, denen er Nutzen ist. Etwas finden zu wollen, was für alle Menschen gleichermaßen von Nutzen ist, halte ich für vergebliche Liebesmüh, da meist dem einen genau das von Nutzen ist, was dem anderen von Schaden ist. Insofern kannst Du zwar innerhalb einer Gesellschaft, denen gemeinsam etwas von Nutzen ist - gemeinsam, weil jedes ihrer Mitglieder diesen Nutzen gegen andere Gesellschaften und Subgesellschaften als sein Interesse verteidigen will, denen er zum Schaden ist - zu von allen gleichermaßen akzeptierten Normen finden, nicht jedoch darüber hinaus."
 
Kernargument Deiner Kritik ist wohl der Satz: "Meist ist dem einen genau das von Nutzen, was dem anderen von Schaden ist."
 
Aber ist eine menschliche Gesellschaft tatsächlich notwendigerweise so aufgebaut, dass das, was der eine gewinnt, der andere notwendigerweise verliert? Ist das Ergebnis immer Null? Gibt es gemeinsame Interessen nur nach außen, also dann, wo man sich vor einem Dritten gemeinsam schützen oder ihn gemeinsam ausbeuten will?
 
Ich sehe die gesellschaftliche Ordnung dagegen auch als eine Möglichkeit, durch umfassende Abstimmung der individuellen Handlungen aufeinander und durch Zusammenarbeit mit vereinten Kräften die Lage aller zu verbessern. Das sind dann keine Nullsummenspiele, um es in der Sprache der Spieltheorie zu sagen.
 
Es bleiben dabei nicht nur Optimierungsverfahren, wie der Vertrag und speziell der Tausch, den die Beteiligten zum gegenseitigen Vorteil abschließen, während grundlegende Ungerechtigkeiten nicht angetastet werden dürfen.
 
Wenn man eine moralische oder allgemein eine soziale Ordnung rechtfertigen (oder kritisieren) will, dann muss man dafür allgemein nachvollziehbare Argumente haben, d.h. die Ordnung und die sie stützenden (oder angreifenden) Argumente müssen konsensfähig sein.
 
Jeder, der in diesem Sinne vernünftig argumentieren will und in einem allgemeingültigen Sinne recht haben will, der muss sich auf das Kriterium der Konsensfähigkeit festlegen lassen.
 
(Eine Nebenbemerkung: Der oft geschmähte Thomas Hobbes formulierte in ähnlicher Weise folgende 'allgemeine Regel der Vernunft': "Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen Rechts: Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.")
 
Und da jedes Sollen Ausfluss eines Wollens ist, stellt sich das Problem dar als die zwangfreie Bildung eines Gesamtwillens, einer volonté générale oder eines allgemein akzeptablen Gesamtwillens bzw. Gemeinwohls.
 
Ich teile nicht die Skepsis, dass die Regel: "Berücksichtige bei der Suche nach Normen für das gemeinsame Verhaltens die Interessen jedes Beteiligten so wie Du Deine eigenen berücksichtigst" entweder inhaltlich leer oder aber nicht zu befolgen ist.
 
Es gibt viele Wege, um die eigene Interessenlage andern mitzuteilen, und es gibt viele Wege, um die Interessenlage eines anderen zu erkennen. Wichtigster Bezugspunkt sind die äußeren Lebensbedingungen, die sich empirisch bestimmen lassen.
 
Ich weiß in vielen Fällen meist recht gut, warum ich nicht "in seiner der Haut stecken möchte", und "warum ich mit denen nicht tauschen möchte".
 
Und nicht ganz sinnlos begrüßen wir uns gegenseitig mit der Frage nach dem Wohlergehen des andern: "Hallo, wie geht es Dir?"
 
Soviel erstmal zur Verteidigung einer ethischen Konzeption, die auf einer Abwägung der Interessen aller Beteiligten beruht.
 
Sonntägliche Grüße an Dich und alle Interessierten.
 
Eure vernichtende Kritik erwartet Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-25, 16:59 Uhr
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Hi Eberhard,
 
lass mich erst mal Hobbes fleddern.
 
 
Quote:Der oft geschmähte Thomas Hobbes formulierte in ähnlicher Weise folgende 'allgemeine Regel der Vernunft': "Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich: Suche Frieden und halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des natürlichen Rechts: Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen
 
 
Dass "suche Frieden und halte ihn ein" das erste und grundlegende Gesetz der Natur sei, wird bestritten. Es sei denn, man pervertiert die Sache ein wenig, wie z.B. auf einer Briefmarke aus den frühen Sechzigern der DDR zu sehen war. Darauf abgebildet war nämlich ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat mit der Unterschrift: "Kämpft für den Frieden in der Welt." Hat mich schon als Kind ob der Paradoxie schwer beeindruckt.
 
Problem: wessen Frieden ist zu suchen? Herr Hund ist im Rudel ein wahrer Friedensfürst. Denn er hat dafür gesorgt, dass alle ihm bekannten Rüden ihn ehren, achten, respektieren, ihm aus dem Weg gehen und ihm freiwillig alle Bälle, Stöcke und Weiber überlassen. Diese Art Frieden war und ist ja auch bei Menschens durchaus populär, ebenso wie das angebliche Naturrecht, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diejenigen zu verteidigen, die diesen wunderbaren Frieden stören - z.B. Deutschland mit Tornados am Hindukusch.
 
Wenn Du meinst, Kants kategorischer Imperativ tauge nix für die Praxis - worin ich Dir durchaus recht gebe - dann meine ich, Hobbes auf wahrlich tönernen Füßen stehendes 'Naturrecht' taugt mindestens genau so wenig.
 
 
Quote:Aber ist eine menschliche Gesellschaft tatsächlich notwendigerweise so aufgebaut, dass das, was der eine gewinnt, der andere notwendigerweise verliert?
 
 
Nicht notwendigerweise, meinte Marx, das glorreiche Ziel und Ende der Menschheitsentwicklung und damit der Geschichte sei die klassenlose kommunistische Gesellschaft, in der Staat und Eigentum abgeschafft seien und damit auch die Notwendigkeit, seine Interessen zum Schaden anderer Leute durchzusetzen.
 
Ich bin da einerseits skeptisch, andererseits pragmatisch: was haben wir heute davon, wenn in 250 Jahren der friedliche Kommunismus ausbricht?
 
Dass jedoch die eigenen Interessen, im Falle Rudeltier Mensch im Zweifel die des Rudels, nur zum Schaden anderer durchgesetzt werden können, die ja auf der Erde überall vorhanden sind, halte ich für ein Naturgesetz. Heißt, für eine biologische Steuerung. Die sich auch am Menschen zeigt, sofern, aus welchen Gründen auch immer, seine spezifisch menschlichen Eigenarten unterdrückt sind.
 
Hier stellt sich nun die Frage, warum soll der Mensch denn nicht wie jedes andere Viech seiner biologischen Natur gemäß leben.
 
Wenn Du nun mit den Interessen kommst, so überlege, welche das denn sind. Offenbar sind es grundverschiedene. Nimm das Beispiel Sklaverei. Es war in allen Kulturen zweifellos das Interesse der Landeigentümer, zur Bewirtschaftung Sklaven zu halten (in Stadt und Fabrik ist das weniger opportun, denn da können sich die Sklaven nicht, wie auf dem Land, durch ihrer Hände Arbeit selber mit den notwendigen Nahrungsmitteln versorgen; die muss man ihnen dann ranschaffen, und das wird zu teuer). Nun gab es aber auch andere freie Menschen, die grundsätzlich gegen Sklavenhaltung waren; die haben sich letztlich durchgesetzt. Je nach Standpunkt kann jede Seite der anderen vorwerfen, den Frieden gebrochen zu haben, kann jede Seite der anderen ihr Naturrecht auf Verteidigung vorhalten. Haben sie meines Wissens ja auch getan.
 
Das gleiche, was für die Interessen gilt, gilt im Prinzip für die Vernunft. Die Vernunft kalkuliert mit Daten. Je nach zugrunde liegenden Daten kann das Ergebnis so oder genau gegenteilig aussehen. Also kann die Vernunft keine Basis für die Ethik sein.
 
Das ist nun keineswegs eine Absage an Vernunft und Interessenausgleich. Ich sage nur, Du wirst damit nicht erreichen, was Du wünschst, solange die Sache nicht auf einer sicheren, und das heißt ob ihrer Wahrheit gültigen, humanen ethischen Basis steht. Dass eine solche Basis niemals in einem Soll liegen kann sondern nur in einem Ist, müsste sich von selbst verstehen.
 
Als praktisches Beispiel siehe unser Rechtssystem. Art. 1 GG ist ein ethisches Prinzip, eine Grundlage. Doch macht diese Grundlage Vernunft und Interessenausgleich keineswegs überflüssig, im Gegenteil.
 
 
Quote:Und da jedes Sollen Ausfluss eines Wollens ist ...
 
 
Sieh, genau da stimme ich Dir zu. Die Basis kann kein Soll sein, sondern nur ein Ist. Also stellt sich die Frage, was Menschen wollen.
 
Was Menschen wollen, ist offenbar verschieden, und damit meine ich hier nicht, je nach Mensch verschieden. Vielmehr verweise ich auf ein altbekanntes menschliches Phänomen: die Reue. Reue gleich "das habe ich nicht gewollt". Wobei Reue ja nicht nur dann zutage tritt, wenn einer die Konsequenzen seines Tuns nicht übersehen hat (oder zu bequem war, sich vorher darüber Gedanken zu machen), sondern auch dann, wenn er das, was er nun bereut, tatsächlich hat tun wollen. Jetzt aber will er es nicht mehr, ja, wenn es ginge, würde er die Zeit zurück drehen und es ungeschehen machen. Der, der jetzt entscheidet, ist offenbar ein anderer als der, der zum Tatzeitpunkt entschieden hat. Er sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive, aus der humanen. Und Mensch hat andere Handlungsmaxime als Viech.
 
Reue kann verdammt weh tun. Sie kann Menschen in dauerhafte Depression oder gar in den Selbstmord treiben. Nicht umsonst gibt es in unterschiedlichen Kulturen diverse Entsühungsrituale. Umgekehrt scheint es mir aber auch eine spezifische, oft gefährliche Borniertheit aus Angst vor der eigenen Reue zu geben.
 
Fazit: wie ich schon sagte, so leicht lässt Mensch sich nicht dauerhaft unterdrücken; der bricht immer wieder aus. Stand und steht allerdings auch immer im Zwiespalt zwischen biologischer Steuerung und humaner Ethik. In Anbetracht des Leides, das der Verlust humanen Denkens und Entscheidens nicht nur über andere, sondern auch über den Handelnden selbst bringen kann, halte ich es durchaus für einen Akt der Menschenfreundlichkeit, der schlafenden Biomasse ab und an mal den nassen Scheuerlappen ins Gesicht zu schlagen. :-)
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am 2007-03-25, 20:49 Uhr
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Hallo Abrazo,
Du "erzählst" Du immer sehr schön blumig mit Beispielen, aber scheinst irgendwie derart deskriptiven und normativen Ansatz zu vermischen, dass mir geradezu schwindlig wird...
Einerseits echauffierst Du Dich über unethisches Verhalten und beziehst dabei selbst den moralischen Standpunkt, andererseits ...
 
Aber ich habe da schon bei Deinen früheren Beiträgen den roten Faden nicht gefunden.
 
Worauf willst Du hinaus?
 
Ethik soll irgendwie außerhalb der Vernunft stehen? Dennoch gibt es einen Maßstab für "richtiges ethisches Handeln"? (sonst könntest Du Dich über falsches ethisches Handeln nicht empören)
 
Die Durchsetzbarkeit ethischer Normen steht ja auf einem anderen Blatt. Ich kann mich erinnern, dass ich schon einmal nachgehakt hatte, aber irgendwie ist mir Deine Position nicht klargeworden...
 
Liebe Grüße
Xenon
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-25, 22:01 Uhr
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Bin leider die nächsten Tage verhindert. Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-03-25, 22:08 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: ...Meinungen...Erde als Mittelpunkt...Erde ein Planet der Sonne ist.
 
Das waren einmal beides Meinungen. Bis die Astrologen seit Galilei diese Meinungsverschiedenheit entschieden.
 
Definition:
a) Meinung nenne ich eine Information, die eine Person für eher wahr hält als ihr Gegenteil, dies aber nicht belegen kann.
b) Wissen nenne ich eine Information, die eine Person ebenfalls für eher wahr hält als deren Gegenteil - und der dies belegen kann.
 
Wie eben die Astrologen alle vernünftigen Zweifel am Planetensystem ausräumen konnten.
 
Wenn wir uns streiten, dann behandelen wir Meinungen besser anders als Wissen.
Wir belegen unser Wissen, und dann wird der Vernünftige sicher erst so viele Zweifel haben, wie er eben kein Leichtgläubiger ist.
Aber wenn die ausgeräumt sind, dann wird er die Realität so sehr anerkennen, wie er lieber exakte Landkarten in seinem Handschuhfach hat als illusorische.
Meinungen - über die läßt sich genausowenig streiten wie über Geschmack, da hat jeder seinen eigenen.
Das macht auch so lange nichts, wie er uns seinen Geschmack nicht aufzwingen will.
Über Meinungen kann man auch nicht streiten, da sie per definitionem weder belegbar sind noch widerlegbar. Denn wären sie es, wären sie Wissen.
 
Mit Deinem Beispiel vom Sonnensystem hast Du nun den Übergang von Meinung zu Wissen beschrieben, bewirkt durch die naturwissenschaftliche Aufklärung.
 
Das aber ist kein Gegenargument gegen die Gründe meiner Ablehnung einer Methode, mit der man kalkulatorisch entscheiden könne, welche zweier Meinungen mehr recht habe als die andere, so daß einer der beiden Kontrahenten verpflichtet wäre, seine Meinung aufzugeben.
 
Wie man Meinungen in Wissen wandelt, das lehren Naturwissenschaft und Logik.
Wie man Meinungen zur Synthese auflöst, das zeigt die Dialektik.
 
 
Aber das, was Du suchst - ohne weiter denken zu wollen - ist eine Methode zur kalkulatorischen Bestimmung, welche von zwei widersprüchlichen Meinungen eher zu gelten habe.
Und das ist nur mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen.
Ja, überhaupt der Gedanke, solch eine Entscheidung suchen zu wollen, ist ein Keim der Diktatur.
 
Und weil ich denkfaul bin, greife ich auch zu drastischen Vergleichen - sofern sie sachlich richtig sind.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-25, 22:45 Uhr
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Hi Xenon,
 
das liegt wahrscheinlich daran, dass Du etwas anderes erwartest als das, was ich tue, und das Erwartete nun natürlich nicht findest.
 
 
Quote:Ethik soll irgendwie außerhalb der Vernunft stehen? Dennoch gibt es einen Maßstab für "richtiges ethisches Handeln"? (sonst könntest Du Dich über falsches ethisches Handeln nicht empören)
 
 
Es geht mir gerade nicht um Sollnormen, um Maßstäbe (damit hatte es Augustinus), um richtiges ethisches Handeln, sondern um die Frage, warum wir überhaupt ethisch handeln bzw. handeln sollen. Also nicht um die Frage eines richtigen oder falschen ethischen Handelns, wobei es nur ethisches Handeln und anderes Handeln gibt, also kein falsches ethisches Handeln.
 
Ich kann die Frage auch ganz einfach zusammenfassen: es heißt, du sollst nicht töten. Warum soll ich eigentlich keinen Menschen umbringen, wenn es mir Vorteile bringt oder mir - z.B. aus Wut - danach ist?
 
Die Frage ist nicht neu und m.E. der Kern aller Philosophie.
 
Ich verweise auf die Sophisten, insbesondere Thrasymachos: "Das Gerechte ist nichts anderes als der Vorteil des Stärkeren". Und der Stärkste ist der, der am besten reden kann, also ist es gerecht, wenn er die Menschen dazu bringt, das zu tun, was ihm passt. "Thrasymachos war fähig, wie er sagte, eine Masse in Leidenschaft zu bringen und die leidenschaftlich Erregten wieder durch Besprechung zu besänftigen." (Diels 6. und 6a.)
 
Die Antwort waren Sokrates, Platon und Aristoteles. Daran siehst Du schon, wie komplex diese Frage ist, denn eine Antwort lässt sich tatsächlich nur finden, wenn man denkend das ganze Sein und seine Prinzipien durchmisst.
 
Eine Menge hervorragende Philosophen haben sich in der Folge mehr oder minder intensiv mit dieser Kernfrage beschäftigt; ich greife einen heraus: Descartes. Schau Dir seine Zeit an, geprägt von Inquistition, Hexenverbrennung, Religionskriegen, Entwürdigung, Missachtung und Verarmung von Bauern und Bürgern. Und all dies im Namen Gottes. Könnte es sein, dass dies alles so seine Ordnung hat? Ist Gott böse?
 
Uns hat der Nationalsozialismus den Schuss vor den Bug versetzt. Denn der erklärte die humane Ethik zu einer Lüge, erfunden von den Juden, um ihr eigenes schmarotzendes Überleben zu sichern, indem sie den Menschen an der Entwicklung seiner natürlichen Vollkommenheit hindern; ohne diese Lüge wären sie längst zugrunde gegangen. Die Juden waren historisch die Naheliegendsten, aber man kann eine Lüge Ethik aus Eigennutz ohne weiteres auch anderen zuschreiben.
 
Mit der Vernunft kommst Du hier nicht mehr weiter, denn Aristoteles und auch Descartes lebten in Zeiten, in denen der Unterschied zwischen Mensch und Tier schier unermesslich und selbstverständlich, weil gottgeschaffen war und das, was sie als Vernunft betrachteten, überhaupt nicht in Frage zu stellen war. Es gab keine Psychologie, keine Genforschung, keine Hirnforschung, keine Mendelschen Erbgesetze und auch nicht Darwin (dafür aber Barbaren, denen man die Vernunft absprach).
 
Heute hingegen bleibt gar nichts anderes übrig als danach zu fragen, wie Mensch und Welt denn eigentlich beschaffen sind, um zu klären, ob es denn humane Ethik, unabhängig von Einzel- und Gruppeninteressen, von Historie und Kulturen, überhaupt gibt. Denn wenn nicht, dann kannst Du die Humanität als alten Aberglauben auf den Schrotthaufen werfen.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-27, 11:21 Uhr
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Grüezi mitenand!
 
Gibts ein Interesse, das alle Menschen haben?
Ich sage: Jep. Und dafür nehm ich jetzt die Menschlichkeit (die ja laut Abrazo den Mensch vom Viech unterscheidet). Ih glaub, die ist in jedem Menschen vorhanden.
Was ist die menschlichkeit? Können wir nicht eingrenzen, weil sie nicht vernünftig ist, oder wir sie mit unserer vernunft noch nicht durchleuchten können (wir sind also zu doof dazu).
Jetzt nehm ich noch den Kant hinzu:
("Handele so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte." --> Kool hat da einen Fehler gemacht: Die Formulierung der Maxime des Willens muss unpersönlich sein (also nicht: Kools Wohl steht über allem, sondern des Menschen Wohl steht über allem). Hat Kant aber leider nicht in seinen Satz verpackt.)
Eberhard: "Auch dann verlangt der Kategorische Imperativ keine interpersonale Abwägung von Interessen oder Gütern, sondern jeder muss nur sich selber befragen, ob er damit einverstanden ist, dass andere nach demselben Grundsatz handeln wie er."
Genau. Dieser Grundsatz kann aber nicht beliebig sein (wie Eberhard ja oben erklärt hat), denn der einzelne Mensch hat individuelle Wünsche, welche bei Erfüllung derer meist irgendwelchen anderen Schaden zufügen würden.
Ich finde aber nicht, dass das für alle Wünsche gilt. Was ist jetzt mit dem Wunsch nach Menschlichkeit?
Wenn alle gerne menschlich behandelt werden würden, dann hätten sie es somit gerne, wenn die allgemeine Gesetzgebung so lauten würde: handle menschlich.
Ich behaupte jetzt, dass durch Menchlichkeit keine Nachteile für andere entstehen (Denkfehler der Handelnden sind mal ausgeschlossen).
Noch mal zum Beispiel mit dem armen tropf, der auf der Strasse zusammenbricht und dem armen Konzertbesucher, der ihn rettet und den Anfang seines Konzertes verpasst.
Der zweite Arme rettet also den ersten Armen. Dann geht er ans Konzert, regt sich darüber auf, dass er seinen Lieblingssong verpasst hat, aber da er den zweitliebsten Song hört, findet er das Konzert trotzdem toll und hat Freude dran. Dann geht er nach Hause und ins Bett. Am nächsten Morgen steht er auf und da kommt ihm der gestrige Abend wieder in den Sinn: Mist, den Song habe ich ja verpasst, weil der Arsch da auf der Strasse rumlag!
Dann denkt er an den "Arsch" und daran, dass er ihm vielleicht das Leben gerettet hat. Und er ist ein bisschen stolz auf sich.
Dann am Nachmittag klingelt das Telefon und die Frau vom armen Arsch ist dran und bedankt sich ganz doll beim Retter. Der sagt: Ach, war doch nich der Rede wert. Gehts ihm gut? - Ja.
Nochmal vier Tage später steht der Arsch vor der Haustüre seines Retters und bedankt sich bei dem, dass er noch lebt. Die beiden verquatschen sich eine Weile und dann gehen sie gemeinsam in die Lieblingsbar vom Arsch einen heben. Zwei Wochen später hat der Retter Geburtstag. Und da bringt ihm der Postbote ein Päckli. Er packts aus und: Hurra, die DVD des verpassten Konzertes. Und ne Karte dazu: "Habs nicht vergessen. Viel Freude daran und nen schönen Geburtstag wünscht dir Arsch."
Der Retter ruft den Arsch an und lädt ihn ein, die DVD mit ihm zu gucken...
So. Beide haben Freude, nen neuen Kollegen, Arsch lebt noch und der Retter ist ein Retter und stolz drauf.
Ist das jetzt utopisch? Ein bisschen. Aber nicht viel. Denn zumindest bei gesunden Menschen kommts bis zu dem teil der Story, wo Retter stolz auf sich ist und sich darüber freut, ein Held zu sein.
 
Jetzt komm ich mal mit einer theorie von mir:
Wenn jeder Mensch das, im Rahmen der Möglichkeiten (alle Menschen leben auf der gleichen Erde und sind gleichwertig), schönste überhaupt mögliche Leben führen würde... würden wir es bemerken? - Nein, weil es für uns normal ist. - Dann ist es vielleicht so.
 
So, ich warte auf eure Kommentare [cloud]
lg weatherlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-27, 12:29 Uhr
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Ein nicht mehr taufrischer oller Junkie war, wie ich hörte, im Park nach einem Schuss zusammengebrochen. Seine Kameraden, dessen als olle Junkies durchaus kundig, machten Wiederbelebungsversuche, und als sie erkannten, dass das nicht reichen würde, riefen sie den Notarzt.
Der Junkie kam ins Krankenhaus, Ambulanz, wo ich ihn zwei, drei Stunden später aufsuchte.
Ich sprach mit ihm, als er im Rollstuhl aus der Intensivstation gefahren wurde.
"Was machst Du denn? Hast Du nicht aufgepasst? Du hättest tot sein können!"
Antwort:
"War aber geiles Zeug."
Wie üblich, wurde er zwei, drei Stunden später entlassen (die sind nicht zu halten) und machte weiter wie bisher.
Dank?
Nada.
(Das sind Rettungsmannschaften und Krankenhausnotärzte allerdings auch nicht gewohnt).
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-03-27, 17:18 Uhr
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Nein, Ärzte wohl nicht. Das kratzt die aber auch nicht so. Das ist ihr Beruf. (Wenn sich einer bedankt, dann ist das schon schön, aber stell dir mal vor, jeder Patient, der das Krankenhaus verlässt, schenkt edm Arzt ne Schachtel Pralinen... bald würden wir einen Ärztemangel haben, da alle an Fettsucht gestorben sind.) Eine Einzelperson, die zum ersten Mal ein Leben rettet, die schätzt das viel mehr.
 
Aber, ich habe vorhin geschrieben, dass ich mich auf (ich find die Stelle grad nicht drum ists vielleicht ein anderes Wort) "gesunde" Menschen beziehe. Damit meine ich auch und vorallem die psychische Gesundheit eines Menschen. Der Junkie ist meiner Meinung nach psychisch krank. Er findet sein Leben nicht wertvoll und hat darum auch nicht sonderlich Freude, wenns gerettet wird (Oder zumindest will er, dass die anderen das von ihm denken).
 
Aber du hast Recht (auch wenn du nichts ausserhalb des Beispiels gesagt hast), ich darf die Ausnahmen nicht auslassen. Frage ist aber auch, wer alles als Ausnahme gilt?
Und was man da als Richtlinie für Konfliktlösungen finden kann... Mach ich jetzt grad nicht, weil mein Hirn qualmt und ich mit dem Hunchen spazieren muss.
 
Aber doch noch schnell: manchemal weiss der Mensch nicht, was gut für ihn ist. Wissen tuns die anderen auch nicht. Aber, wenn sie jemanden davor bewahren, sich von ner Brücke zu stürzen, also das leben rettet, dann tun sie mMn nie das Falsche. Die so "Geretteten" werden erst furchtbar sauer sein, aber oft - später - dankbar sein, da sie doch noch die Freude am Leben gefunden haben.
 
Zum "Dank" noch. Ich habe oben geschrieben, das auch ohne Dank eine gewisse Freude für den Retter anfällt. Einfach, weil er sich sagen darf: Hab ich gut gemacht.
Ist ja wohl nicht schlecht so.
 
Lg weahterlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am 2007-03-27, 21:51 Uhr
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Hallo Abrazo,
 
wir reden nach meinem Eindruck tatsächlich aneinander vorbei.
 
Mir ging es um DEINEN Standpunkt, mit dem Du Deine Ausführungen vorträgst.
 
Du versuchst gleichsam "von außen" die Beliebigkeit bzw. Machtabhängigkeit des moralischen Standpunkts vorzutragen.
 
Aber es gelingt Dir nicht, denn Du nimmst ja selbst Wertungen vor und beanspruchst für diese Gültigkeit (schließlich möchtest Du diskutieren und erwartest, dass man Dir zustimmt oder widerspricht). Ich entdecke jedenfalls normative Überzeugungen bei Dir - etwa wenn Du schreibst, es gebe ethisches Verhalten und unethisches Verhalten.
 
Wer aber legt fest, welches die Maßstäbe für ethisches Verhalten sind? Derjenige, der die Macht dazu hat? Aber wenn Menschlichkeit nur eine Machtfrage wäre, dann würde doch die Unterscheidung in ethisches und unethisches Verhalten entweder unnötig, sinnlos und unmöglich oder eine bloße Frage der Titulierung (der Mächtige legt aufgrund seiner Definitionsmacht fest, was "gut" ist).
 
Wäre "Gerechtigkeit" immer nur die Gerechtigkeit aus der Sicht des Stärkeren, wieso führte gerde der Stärkere dann dieses Wort so häufig im Munde? Womöglich mit der Absicht der Legitimation seiner Machtausübung, die er umso dringender benötigte, je mehr er die Gerechtigkeit eigentlich pervertiert ... ?
 
Der "Witz" an der Gerechtigkeit ist, dass sie von der Idee des ursprünglichen Begriffes her, eben nicht an Machtpositionen und Einzelinteressen gebunden ist, ja sogar regelmäßig in Opposition zu ihnen steht.
 
 
 
Gruezi Weatherlady,
 
bist Du aus der Schweiz? Sehr sympathisches Plädoyer für Menschlichkeit... Irgendwie scheint mir die menschliche Vernunft mehr zu sein als nur ein "gutes Gefühl". Ich wüßte die Vernunft gern besser verankert, aber da bin ich immer noch auf der Suche :-)
 
 
Allesamt liebe Grüße
Xenon
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-03-27, 22:40 Uhr
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Hi Xenon,
 
 
Quote:Aber es gelingt Dir nicht, denn Du nimmst ja selbst Wertungen vor und beanspruchst für diese Gültigkeit (schließlich möchtest Du diskutieren und erwartest, dass man Dir zustimmt oder widerspricht). Ich entdecke jedenfalls normative Überzeugungen bei Dir - etwa wenn Du schreibst, es gebe ethisches Verhalten und unethisches Verhalten.
 
 
Du wirst gewiss nicht bestreiten wollen, dass es ethisches und unethisches Verhalten in dem Sinne gibt, dass in zahlreichen unterschiedlichen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten Menschen etwas - keineswegs alles! - gleichermaßen mit einer Scheu, Abscheu, Verurteilung oder wie auch immer negativ betrachteten, ohne dass dies vernünftig begründbar wäre (jedenfalls wenn man über das Oberflächliche hinaus geht). Dies nenne ich ethisches Verhalten.
 
Was Du automatisch hineinbringst, ist durchaus interessant: nämlich die Wertung. Um die geht es mir aber nicht. Es geht mir nicht darum, wie Menschen sich verhalten sollen - das gehört m.E. zur Moral - sondern wie sie sich tatsächlich verhalten, wie sie urteilen, wie sie entscheiden, was sie tun. Da sehe ich nun einmal einen Unterschied zwischen ethischem Verhalten, das von mir beschriebene, und unethischem Verhalten. Wie es z.B. die biologisch gesteuerten Viecher tun, aber meist auch der Mensch.
 
Nun werten wir aber automatisch ethisches Verhalten als gut und unethisches als böse.
 
Was aber wäre der Fall, wenn ethisches Verhalten auf einer Lüge oder einem Irrtum beruhen würde, wenn es also keine Ethik gäbe? Wie wäre ethisches Verhalten dann zu werten? Gar nicht, weil es dann gar keine Werte gäbe; oder fällt Dir einer ein? Angenommen, einer würde nachts in Dein Haus einbrechen, um zu stehlen, und Du erwischst ihn. Würdest Du natürlich Dein Eigentum verteidigen. Ihn z.B. ein bisschen totschießen. Warum? Weil es Dein Eigentum ist, Dein Revier, und das brauchst Du zum Leben. Haut der Dieb ab, bevor Du ihn triffst, hat er Deine überlegene Stärke erkannt und Glück gehabt. Erkennt er das nicht und Du schießt ihn tot, hat er eben Pech gehabt. Fertig is die Laube. Und wenn er Dich aus Deinem Haus schmeißt, um es selbst in Besitz zu nehmen, dann hast Du eben Pech gehabt und es nicht besser verdient.
 
Nun nimm an, er würde Dich vertreiben, Du suchst Zuflucht bei Deiner Gemeinschaft. Die sagt, Du gehörst zu uns, wir verteidigen uns gegenseitig, wir ziehen jetzt los und bringen den Kerl um. Jetzt würdest Du vielleicht sagen, nö, nicht umbringen, er soll am Leben bleiben. Würden die anderen Dich für bekloppt halten und sich nicht drum scheren. Aber könnten sie Dich deswegen verurteilen? Aus welchem Grund? Sagen sie, Dein Wunsch ist schlecht oder böse, dann machen sie eine Gegenethik auf, bestätigen also das, was sie als Lüge ablehnen. Sagen sie, das ist unvernünftig, man bringt sich in solchen Fällen immer gegenseitig um, müssen sie diese Norm begründen; wie?
 
Werden diese Überlegungen nicht langsam aberwitzig und vollkommen irreal? Denn so denken, reden, urteilen und entscheiden wir ja gar nicht.
 
Wir hier. Doch gibt es für unethisches Handeln auch das Argument, "das haben wir immer schon so gemacht". Heißt, das steht außerhalb jeder Wertung. Aber so ist Natur.
 
Mensch ist nun allerdings anders.
 
(Spontan in's Unreine - meine Gedanken dazu sind noch keineswegs systematisiert und ausgegoren)
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-03-31, 22:30 Uhr
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Hallo allerseits, hallo weatherlady,
 
ich habe etwas Probleme, deinen Gedankensprüngen hinterher zu springen.
 
Wenn ich Dich richtig verstehe, so bist Du der Meinung, dass alle gern menschlich behandelt werden wollen. Daraus folgerst Du, dass alle zustimmen können, dass die Norm: "Handele menschlich!" zum allgemeinen Gesetz erhoben wird.
 
Das Problem ist, dass der Satz
"Alle wollen, dass alle menschlich behandelt werden" zweierlei bedeuten kann:
 
Er kann zum einen bedeuten: "Jeder will, dass er selber menschlich behandelt wird".
 
Daraus folgt jedoch nur, dass jeder zustimmen kann, dass die jeweils anderen ihn menschlich behandeln, jedoch nicht, dass jeder nun auch selber die andern menschlich behandeln soll.
 
Der Satz "Alle wollen, dass alle menschlich behandelt werden", kann zum andern auch bedeuten: "Alle wollen gemeinsam (im Sinne von: "Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, …"), dass Jeder menschlich behandelt werden soll."
 
Wenn dem so wäre, dann wären die moralischen Fragen der Lösung näher. Aber das Problem ist, dass nicht feststeht, welches Handeln "menschlich" ist und welches nicht. Ist z.B. die Verwendung einer Antibabypille menschlich oder nicht? Wenn 'Menschlichkeit' eine Leerformel bleibt, kann damit die Frage, wie man handeln soll, nicht beantwortet werden.
 
Du sagst, dass durch Menschlichkeit keine Nachteile für andere entstehen. Das Problem sind hier jedoch die entgangenen eigenen Vorteile, die ich mir aus "Menschlichkeit" versage. Etwa, wenn man die Notlage eines andern Menschen ausnutzen könnte.
 
Grüße an alle von Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-01, 00:43 Uhr
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So isses, Eberhard.
Praktisches Beispiel: Gäfgen beschwert sich auch darüber, dass er nicht menschlich behandelt wird.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-01, 01:08 Uhr
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Der Eberhard, der springt so sehr
vergeblichen Gedanken her.
 
Die Werkstatt kommt nun bald zur Ruh.
Die Eule ruft schon dunkel: 'huh'.
 
Zu was ist denn Moral noch nütze,
wenn Ebi schläft mit seiner Mütze?
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-01, 10:50 Uhr
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Hallo allerseits,
 
ich will im Folgenden noch einmal meinen ethischen Ansatz im Zusammenhang darstellen.
 
Ausgangspunkt ist der Interessenkonflikt zwischen Menschen, seien es nun Einzelne oder Gruppen.
 
In einem Interessenkonflikt gibt es mehrere Möglichkeiten, zu entscheiden. Jede Alternative ist mit der Befriedigung bestimmter Interessen und der Nicht-Befriedigung anderer Interessen verbunden.
 
Die Fragestellung lautet: Kann man die Interessen der Konfliktparteien gewichten und den Konflikt entscheiden, indem man die Alternative wählt, bei der diejenigen Interessen befriedigt werden, die am gewichtigsten sind?
 
Das letzte Beispiel war ein Zwei-Parteien-Konflikt. Etwas umformuliert ist die Konfliktlage dabei wie folgt:
 
Person A hat einen Kreislaufkollaps und bedarf dringend medizinischer Hilfe. Person B ist die einzige, der dies mitbekommt. B ist gerade auf dem Weg zu einem Konzert. Wenn B sich um A kümmern würde, käme er zu spät zum Konzert.
 
Wir haben also zwei Interessen, die miteinander "konfligieren", die also nicht beide zugleich befriedigt werden können: das Interesse von A, zu überleben, und das Interesse von B, den Anfang des Konzertes nicht zu versäumen.

Ich behaupte, dass bei einer unparteiischen, wohlwollenden Abwägung der beiden Interessen das Interesse von A moralisch schwerer wiegt als das Interesse von A.
 
Dies ist keine empirische (positive) Aussage, die ein Faktum feststellt wie die Aussage: "Das Körpergewicht von A ist größer als das von B". Die Richtigkeit dieser Behauptung kann also nicht durch gewöhnliche Sinneswahrnehmung intersubjektiv nachvollziehbar begründet werden. Es gibt keine Waage, auf der man die Interessen wiegen könnte und das Gewicht durch Hinsehen ablesen könnte.
 
Trotzdem ist die Aussage: "Das Interesse von A an der Erhaltung seines Lebens wiegt (moralisch) schwerer als das Interesse von B an einem ungeschmälerten Konzertvergnügen" meiner Ansicht nach nicht sinnlos oder subjektiv beliebig, sondern ist vernünftiger Argumentation zugänglich.
 
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Ziel einer zwangfreien Einigung von allen an der Argumentation Beteiligten geteilt wird.
 
Nun kann jemand dies Ziel zwar ablehnen und stattdessen auf seine überlegenen Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Interessen vertrauen, jedoch hat er sich damit von vornherein als Amoralist zu erkennen gegeben.
 
Er kann damit für sein Handeln in keiner Weise so etwas wie allgemeine Richtigkeit oder Rechtfertigung beanspruchen. Er kann nur seine überlegene Gewalt demonstrieren.
 
Die Moralphilosophie kann und muss in einem solchen Fall nicht mehr tun als dies ganz klar zu machen. Alles Weitere ist keine Frage der besseren Argumente sondern eine Frage der überlegenen Macht.
 
Wer dagegen das Ziel einer vernünftigen Einigung teilt, der ist dadurch gehalten, Lösungen vorzuschlagen, denen alle Konfliktparteien zustimmen können.
 
Er ist weiterhin gehalten, nur solche Argumente zur Begründung der von ihm vertretenen Lösung einzubringen, die ebenfalls für alle andern nachvollziehbar sind und von ihnen geteilt werden können.
 
Für alle nachvollziehbar können m. E. nur solche Lösungen und Begründungen sein, die unparteiisch und gleichermaßen wohlwollend sind.
 
Deshalb können Argumente nach dem Muster "… weil es für mich das Beste wäre" nicht zählen.
 
Deshalb können auch Lösungsvorschläge nicht akzeptiert werden, die der Vorschlagende selber nicht akzeptieren würde, wenn die Rollen vertauscht wären. Denn das heißt, dass er die Lösung eigentlich selber nicht für allgemein konsensfähig hält.
 
Auf das Beispiel bezogen heißt das, dass B die Interessen von A genauso gewichten muss wie seine eigenen Interessen. Wenn B das Konzert für wichtiger als den Kreislaufkollaps hält, dann müsste er für sich selber ebenfalls so entscheiden.
 
Könnt ihr der Logik dieser Argumentation folgen und wenn nicht, warum nicht?
 
fragt Eberhard.
 
p.s.: Offenbar haben Joy und Co. für jeden wichtigen Thread jemanden eingeteilt. Eine gut organisierte Truppe.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?"man
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-01, 12:11 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: [i]In einem Interessenkonflikt gibt es mehrere Möglichkeiten, zu entscheiden. Jede Alternative ist mit der Befriedigung bestimmter Interessen und der Nicht-Befriedigung anderer Interessen verbunden.
 
Die Fragestellung lautet: Kann man die Interessen der Konfliktparteien gewichten und den Konflikt entscheiden, indem man die Alternative wählt, bei der diejenigen Interessen befriedigt werden, die am gewichtigsten sind?[i]
 
Nein, solange
a) "man" eine menschliche Person bezeichnet und nicht einen Gott mit der Fähigkeit, Naturgesetze außer Kraft zu setzen,
b) die Parteien ihr jeweiliges Interesse für wichtiger nehmen als das der anderen
c) und "man" auch nicht zum Schmieren bereit ist (Beschwichtigen, indem "man" die Interessen der Streithähne befriedigt) ("befriedigt" im doppelten Sinn).
 
Solange eines der Kriterien a)...c) nicht erfüllt ist, sehe ich Chancen. Im Falle c) sehe ich bei jeder Reise eines Politikers in ein Streitgebiet einen Teil meiner Steuergelder mitreisen.
 
Und bekannt ist wohl auch die Taktik des Schau-Konfklikts, in dem sich zwei Wrestler beispielsweise lauthals streiten und sogar zu kämpfen scheinen, um durch den Kampf gemeinsam Geld zu verdienen.
 
Zur Frage des "man": Dieser Schlichter benötigt die Legitimation durch jede der streitenden Parteien.
Im Tarifkonflikt, wenn die Delegationen beider Tarifparteien gemeinsam-demonstrativ die Nächte durchfechten, um ihrer jeweilige Klientel zu verdeutlichen, wie hart sie ihren Job gemacht haben, dann genügt auch ein Bundesarbeitsminister a.D., damit beide Delegationen meinen, nun sei der Schau Genüge getan.
 
 
Eberhard, Deine Absicht, eine Methode der Konflktlösung erarbeiten zu wollen durch lediglich Kalkulieren der Konstellation der Interessen, das erleben wir bereits umgesetzt in beispielsweise Routenplanern, Fahrzeugnavis. Dort könnten wir Weg A und Weg B zum Ziel als Kontrahenden auffassen, und der Routenplaner kalkuliert einfach.
 
Sobald es aber um Menschen geht, muß nachher jeder von ihnen überzeugt sein, er hätte das Maximum herausgeholt - oder weiteres Streiten lohne sich nicht mehr.
Vor der Entscheidung "ich bin überzeugt" geht uns Menschen mehr durch den Kopf als nur die Kalkulation.
 
Deswegen - soillte mir als Trucker auf der via Mala ein Schwächling entgegenkommen und hat nach meiner Berufsehre Vorfahrtsrecht, dann lasse ich ihn fahren - und wenn er kein Recht, mir meines aber nicht gibt, dann stelle ich ihn an die Seite. Basta.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-01, 12:30 Uhr
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Hi Eberhard,
 
 
Quote:Nun kann jemand dies Ziel zwar ablehnen und stattdessen auf seine überlegenen Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Interessen vertrauen, jedoch hat er sich damit von vornherein als Amoralist zu erkennen gegeben.
 
Er kann damit für sein Handeln in keiner Weise so etwas wie allgemeine Richtigkeit oder Rechtfertigung beanspruchen. Er kann nur seine überlegene Gewalt demonstrieren.
 
Die Moralphilosophie kann und muss in einem solchen Fall nicht mehr tun als dies ganz klar zu machen. Alles Weitere ist keine Frage der besseren Argumente sondern eine Frage der überlegenen Macht.
 
 
 
Einverstanden.
Dieser Ansatz hat in meinen Augen Hand und Fuß (wenn wir uns nicht von dem Wort 'Amoralität' beeinflussen lassen, heißt, es rein als Beschreibung einer Tatsache ansehen und alle Wertung außen vor lassen).
 
Das Interssanteste scheint mir die allgemeine Gültigkeit zu sein, oder vielmehr, die Ablehnung der allgemeinen Gültigkeit. Denn nun frage ich mich: ist das überhaupt möglich?
 
Denn wenn man dies zum Prinzip abstrahiert, so folgt dem letztlich das Handeln ohne jede Regel. Kann Robinson ohne jede Regel handeln? Ist es möglich zu handeln, ohne dabei auf irgend eine Regel zu bauen - und wie sähe ein solches Handeln aus?
 
Das führt nur scheinbar vom Thema weg. Denn wenn einer seine persönlichen Interessen zum Maßstab seines Handelns macht, so ist auch dies eine Regel, für die er Allgemeingültigkeit beansprucht. Begibt er sich damit nicht in eine Paradoxie?
 
Laertes, lass die anderen Herrschaften in Ruhe. Es reicht, wenn Du Deine Gesänge Abrazo widmest, der macht dat nix, die is dat gewöhnt; aber andere sollst Du nicht damit belästigen.
Entschuldige, Eberhard, aber mein Hofstaat hat leider lausige Manieren.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-01, 13:23 Uhr
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dem ebi tut ein liedchen gut,
jetzt steht er auf, fasst neuen mut.
konflikt, problem und interesse,
auf dass es ja niemand vergesse.
 
in lösungsrichtung schreitet er
zum selbstgemachten problemmeer.
dort rudert ebi, pass schön auf,
moral und ethik im verkauf.
 
doch fische wollen nichts verwalten,
teilen, wägen, setzen, halten.
so wird zum köder ebi's gut
was lösung meinte, führt zu blut.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hhmoeller am 2007-04-01, 19:50 Uhr
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AUFHÖREN!
 
Wie grausam kann das Lesen seim,
begengnet man laertes Reim!
Viel schlimmer noch der Rhythmus holpert,
über den man beim Durchlesen fürchterlich stolpert.
 
Der Inhalt ist an sich schon schwer,
doch Dichtkunst, die verlangt noch mehr:
Der Reim muß passen, welche Qual,
der Rhythmus auch, so ist's nun mal!
 
Des Dichters Kunst zu schwierig ist,
d'rum kommt heraus nur großer Mist.
Des Klemptners Dichtkunst, das wä'r besser
dein Steckenpferd als Herr der Wässer!
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-01, 22:40 Uhr
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du bist aber nicht gerade ein vorbild, moeller
 
Viel schlimmer noch der Rhythmus holpert,
über den man beim Durchlesen fürchterlich stolpert.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Joy am 2007-04-01, 22:47 Uhr
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on 04/01/07 um 10:50:46, Eberhard wrote:p.s.: Offenbar haben Joy und Co. für jeden wichtigen Thread jemanden eingeteilt. Eine gut organisierte Truppe.
 
 
 
 
Was sich alles so einbilden lässt...
Was sind denn wichtige Threads?
Etwa die, wo blind moralisiert wird?
 
 
 
Joy
 
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-02, 10:10 Uhr
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Hallo allerseits,
 
in dem vorgestellten ethischen Ansatz wird kein Schlichter vorausgesetzt, der den Konflikt entscheidet. Es ist die Aufgabe aller Beteiligten, nach einem Konsens suchen. Dieser Konsens ist ein argumentativer Konsens, der frei von irgendeiner Form des Zwanges sein muss.
 
Ein Schlichter, der von allen Konfliktparteien gemeinsam bestellt wird mit dem Versprechen, den Schiedsspruch dieses Schlichters als für sich verbindlich anzuerkennen und zu befolgen, ist ein Verfahren, um verbindliche Normen zu setzen, das schon von den Römern angewendet wurde.
 
Ein derartiges Normsetzungsverfahren kann verbindliche Normen erzeugen. Die so gesetzten Normen müssen jedoch nicht inhaltlich richtig sein im Sinne eines argumentativ gewonnenen normativen Konsenses. Die Setzung von verbindlichen Normen und die inhaltliche Bestimmung konsensfähiger Normen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen der Geltung.
 
Allerdings sind diese Ebenen nicht unabhängig voneinander. Der Schlichter soll ja auch nicht willkürlich entscheiden, sondern er sollte das Wohl aller Beteiligten im Auge haben und insofern wohlwollend entscheiden und er sollte nach einer allgemein konsensfähigen Lösung streben, also unparteiisch entscheiden.
 
Letztlich muss er jedoch nach "billigem Ermessen" entscheiden, und zwar auch und gerade dann, wenn bestimmte Fragen nicht mit Gewissheit beantwortet werden können und deshalb mehrere Lösungen argumentativ vertretbar bleiben.
 
Deshalb kann gegen die Verbindlichkeit des Schlichterspruches auch nicht mehr inhaltlich argumentiert werden in dem Sinne, dass der Schlichterspruch in bestimmten Punkten von falschen Annahmen ausgehe.
 
Die argumentative Interessenabwägung als solches verstehe ich nicht als ein verbindliches Entscheidungsverfahren sondern als normativen Orientierungspunkt für die Gestaltung und die Arbeitsweise der verschiedenen sozialen Institutionen (Abstimmungen, Verträge, Gerichte, Hierarchien etc.), die sozial verbindliche Normen setzen.
 
Die normsetzenden Institutionen sind an dem möglichst deutlich herauszuarbeitenden Maßstab zu messen, der sich als "Gemeinwohl" und "soziale Gerechtigkeit" aus der wohlwollenden und unparteiischen Berücksichtigung aller Interessen im ethischen Diskurs ergibt.
 
Ich wiederhole meine Frage:
 
Könnt ihr der Logik dieser Argumentation folgen und wenn nicht, warum nicht?
 
Um möglichst eng an meinem Text festgemachte Kritik bittet
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-02, 10:53 Uhr
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Sorry, ich kann der Logik deiner Argumentation nicht folgen.
 
Ein Schlichter ist ein Kind dieser Gesellschaft und wird immer einen Standpunkt begünstigen, weil auch er einen Erziehungsprozess durchlaufen ist.
 
Das möglich Machbare in einem Dialog unter Gleichberechtigten, wäre die konsensfähigen Punkte herauszustellen. Dann könnte es leichter fallen, sich auf einen Kompromiss zu einigen, der von allen Beteiligten getragen werden kann. Es gibt aber sich unversöhnlich gegenüber stehende Interessen, die vom Schlichter nur willkürlich entschieden werden können. Dann muss der sich benachteiligt fühlende entscheiden, ob er sich weiterhin wehren will, oder sich beugen soll.
 
 
Quote:Der Schlichter sollte das Wohl aller Beteiligten im Auge haben.
 
 
Es gibt Unmöglichkeiten, die eben genannte Forderung ist so eine.
 
 
Quote:Ein Schlichterspruch soll auch nicht mehr inhaltlich argumentiert werden in dem Sinne, dass er von falschen Annahmen ausgehen könnte
 
 
Das würde in Despotismus ausarten.
 
Die normsetzenden Institutionen selbst sind widersprüchlich, weil sie vorgeben, sich am "Gemeinwohl" und der "sozialen Gerechtigkeit" zu orientieren, aber von der Lobby der herrschenden Klasse besetzt sind und die, um die es letztendlich geht, mit keiner Stimme in den Institutionen vertreten sind.
 
Um die es geht, das sind die Individuen der beherrschten klasse, um die wir uns angeblich sorgen.
 
hedgi
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hhmoeller am 2007-04-02, 17:24 Uhr
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on 04/01/07 um 22:40:41, laertes wrote:du bist aber nicht gerade ein vorbild, moeller
 
Viel schlimmer noch der Rhythmus holpert,
über den man beim Durchlesen fürchterlich stolpert.
 
 
Aber Du bist meines!
 
 
Wie wär's damit?
 
Des Klemptners Dichtkunst, Herr der Wässer,
ist Dein Talent, das kannst Du besser!
 
oder auch nicht!
 
Des Klemptners Dichtkunst, Herr der Wässer,
beherrschst Du, fürcht' ich, auch nicht besser!
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-02, 17:33 Uhr
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gut gemacht
takt vollbracht!
 
zäsuren ehre auch,
sie weiten engen brauch.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von weatherlady am 2007-04-02, 22:00 Uhr
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Dia dhuit!
 
Hallo Eberhard.
Ich verstehe deine Argumentation. Freut mich, dass du auch meinen Gedankensprüngen folgen kannst.
 
Ein Problem deiner Voraussetzung ist, dass du von einem Konflikt ausgehst, bei dem zwei Menschen je ein Interesse haben (oder nicht?). A will leben, B will ans Konzert.
Ich glaube nicht, dass man einen Menschen auf ein Interesse reduzieren kann. Sein Ziel auf X festlegen und alles andere ausser vor lassen.
Was ein Mensch will ist ein Komplex aus verschiedenen Interessen, die er alle neben- oder nacheinander zu befriedigen sucht.
Der Versuch einen allgemeinen Lösungsweg für Konflikte zwischen zwei Parteien zu finden ist gut, aber ich fürchte, dass die Voraussetzungen, welche du im Leben vorfindest (Interssenskomplexe, Egoismus, Launen, ungleiche Voraussetzungen der Parteien für die Gewichtung der Interesen, sprachliche Verständigung, bzw. das Nachvollziehen der Gründe der anderen Partei als Hinderniss,...), zu kompliziert sind, als dass sie sich in in einzelne Gruppen und Ereignissketten gliedern lassen.
Das ist wie bei einem Computerprogram. Wenn der Computer alle erfoderlichen Daten hat, kann er mit Eberhards-Lösungs-Program jeden Konflikt nach demselben Muster lösen.
Es gibt zu viele mögliche "Zustände", zu viele Bedingungen (wenn Feld A1 gleich 3, dann Feld A2 gleich 5, wenn Feld B4 gleich 77, ausser Feld F4 sei 8 oder 7...).
Aber vielleicht blicke ich nicht durch und es gibt für jeden Konflikt einen roten Faden, dem man folgen kann.
 
Allerdings bin ich der Meinung, dass ein unparteiischer Richter durchaus neutral richten kann. Er kann sich von seinen anerzogenen Werten für eine Weile lossagen. Alles im Rahmen des ihm Möglichen. Aber, das ist jetzt nicht Hauptdiskussionspunkt.
 
weatherlady
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-02, 23:34 Uhr
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Ne, et geht nich mehr, et is nich mehr zu unterdrücken, et muss eraus.
 
Laertes, wenn in einem ansonsten flüssigen Gedicht, das sich mit stümperhaft-stolperndem Rhythmus befasst, plötzlich eine Zeile in stümperhaft-stolperndem Rhythmus steht -
DANN IS DAT ABSICHT!
Dat dient zu Demonstrationszwecken.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-03, 02:14 Uhr
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eben, meine liebe!
eben!
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Joy am 2007-04-03, 04:46 Uhr
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on 04/02/07 um 23:34:21, Abrazo wrote:Ne, et geht nich mehr, et is nich mehr zu unterdrücken, et muss eraus.
 
Laertes, wenn in einem ansonsten flüssigen Gedicht, das sich mit stümperhaft-stolperndem Rhythmus befasst, plötzlich eine Zeile in stümperhaft-stolperndem Rhythmus steht -
DANN IS DAT ABSICHT!
Dat dient zu Demonstrationszwecken.
 
 
 
 
on 04/03/07 um 02:14:35, laertes wrote:eben, meine liebe!
eben!
 
 
 
Naja, das alte Lied, dass Abrazo genau das eben nicht erkennt. Hätte sie sonst das geschrieben, was sie geschrieben hat? Ihr Kommentar offenbart ja geradezu ihre Unkenntnis, die sie in ihrem Kommentar bestreitet. Abrazo, so meine ich, versteht eigentlich gar nichts, noch nicht einmal, um was es eigentlich geht... Daher ja auch stets ihre geistig völlig konfusen Kommentare. :-)
 
 
 
 
Joy
 
 
 
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-03, 08:39 Uhr
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Hi, weatherlady
 
 
Du: Ich glaube nicht, dass man einen Menschen auf ein Interesse reduzieren kann. Sein Ziel auf X festlegen und alles andere ausser vor lassen.
 
Richtig, "man" kann das nicht. Aber jeder kann in seiner eigenen Not entscheiden, was ihm wichtiger ist.
Zu lesen in großen Dramen bei Homer, Bibel, Shakespeare, Goethe und Schiller, vermutlich in jedem Drama, das groß genannt wird.
 
Voraussetzung: Der Einzelne hat die Not dazu. Freiwillig tut das wohl keiner.
 
"Messy" nennt man wohl die Leute, deren Wohnung zur Gerümpelbude verkommen, weil sie nichts aufgeben können.
Wie ich meine elektronischen Bauteile zum Basteln oder meine Oma damals ihre Sammlung Knöpfe zum Nähen - man hat eigentlich zu viel, aber wenn man dann doch mal etwas braucht, dann fehlt genau das...
 
Solche Personen sind als Vorgesetzte untauglich, denn bis sie sich auf ein Ziel fokussiert haben und es erreichen, ist die Konkurrenz schon dagewesen.
 
Ihnen fehlt wohl das Dramatische im Leben. Ich vermute, eine Vertreibung, einmal bittere Not, und dann weiß man wieder, wofür sich das Leben lohnt.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-03, 18:13 Uhr
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Hallo allerseits,
 
bevor ich auf Kritik eingehe, will ich noch mal meine Argumentationsstrategie verdeutlichen.
 
Ich wende mich gegen die - weit verbreitete - Auffassung, dass ein allgemeingültiger Vergleich der Gewichtigkeit bzw. Dringlichkeit von Interessen verschiedener Personen (ein "interpersonaler Nutzenvergleich") prinzipiell nicht möglich sei, weil es sich dabei um Werturteile handele.
 
In anderen Begriffen formuliert lautet diese These: Der Wert, den Alternative x für Person A hat, kann nicht mit dem Wert verglichen werden, den Alternative y für Person B hat.
 
Um diese Position anzugreifen, habe ich bewusst ein sehr einfaches und drastisches 2-Personen mit nur 2 Alternativen gewählt. (Damit sind die Fragen von wheatherlady wohl beantwortet.)
 
In diesem Beispiel vertritt A die Ansicht, dass sein Konzertgenuss wichtiger sei als der Wunsch von B, in Lebensgefahr Hilfe zu bekommen.
 
Wer eine Abwägung der Gewichtigkeit dieser Interessen verschiedener Personen für unmöglich hält, kann gegen die Ansicht von A nichts einwenden. Damit nimmt er allerdings eine etwas ungemütliche Position gegenüber seinen Mitmenschen ein.
 
Wer eine solche Position jedoch nicht einnehmen möchte sondern der Meinung ist, dass die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr gegenüber dem Konzertgenuss eines anderen Menschen größeres Gewicht bzw. Vorrang besitzt, der müsste sagen, wie er diesen interpersonalen Wertvergleich nachvollziehbar begründet.
 
Bisher sehe ich dazu noch wenig klare Stellungnahmen.
 
Zu den Einwänden von Hedgi gegen das Schlichtungsverfahren und allgemein gegen die Interessenabwägung:
 
Die Schlichtung im Sinne einer freiwilligen Gerichtsbarkeit der Konfliktparteien ist m. E. dort von Bedeutung, wo psychologische Mechanismen zur Eskalierung des Konflikts und zum Abbruch des Gesprächs zwischen den Parteien führen. Sie stellt keineswegs das dominierende Entscheidungsverfahren dar.
 
Dass eine unparteiische Schlichtung grundsätzlich unmöglich ist, kann ich nicht einsehen. Ein Schlichter der "befangen" ist, muss durch einen Schlichter ersetzt werden, der sich nicht mit einer der Parteien identifiziert.
 
Wichtig ist natürlich die möglichst genaue Herausarbeitung dessen, was eine wohlwollende und unparteiische Berücksichtigung der Interessen ausmacht und wie dabei im Einzelnen vorzugehen ist, um zu intersubjektiv übereinstimmenden Gewichtungen zu kommen. Auf diesem -von den Philosophen weitgehend vernachlässigten - Bereich ist noch reichlich zu tun.
 
Dass es Interessen gibt, die sich unversöhnlich gegenüberstehen ist m. E. kein Grund gegen eine Gewichtung und wertende Beurteilung dieser Interessen.
 
Zu Deiner Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung als Herrschaft einer Klasse über eine andere. Die sich unversöhnlich gegenüberstehenden Klasseninteressen und die unüberwindlichen ideologischen Schranken ("Das gesellschaftliche Sein der Menschen bestimmt ihr Bewusstsein") machen Deiner Meinung nach eine allgemeingültige Interessenabwägung unmöglich.
 
Dies ist nicht einsichtig, denn in dem von mir eingebrachten Beispiel handelt es sich ebenfalls um entgegengesetzte Interessen, die keinen Kompromiss oder "Mittelweg" zulassen.
 
Ich halte es auch nicht für prinzipiell ausgeschlossen, dass man bei wohlwollender und unparteiischer Berücksichtigung aller Interessen zu dem Schluss kommt, dass eine andere Gesellschaftsordnung als die bestehende die überwiegenden Interessen auf ihrer Seite hat. Denkbar ist z. B. die Position eines ethisch begründeten Sozialismus.
 
Ich sehe allerdings gegenwärtig keine ernst zu nehmende leistungsfähige Alternative zum System einer parlamentarisch korrigierten Marktwirtschaft.
 
Solange dies so ist, haben nicht nur die Kapitaleigner sondern auch die abhängig Beschäftigten ein Interesse am Funktionieren des parlamentarisch-marktwirtschaftlichen Systems.
 
Solange die gesellschaftliche Umwälzung nicht auf der Tagesordnung steht, haben sowohl die Kapitaleigner wie auch die abhängig Beschäftigten ein Interesse an der Rentabilität ihres Betriebes.
 
Solange reiche Staaten für ihre Bevölkerung erhebliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber ärmeren Staaten erlangen, solange wird der kollektive Egoismus der Staatsvölker, der Nationalismus, ein stärkeres Gewicht haben als die Gemeinsamkeiten aufgrund der Zugehörigkeit zur selben ökonomischen Klasse. Der Aufruf: "Proletarier aller Länder! Vereinigt Euch!" stößt deshalb nur auf geringe Resonanz.
 
Grüße an alle Interessierten und auch an die, die durch Spielchen am Rande unsere Diskussion begleiten, von
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-03, 18:40 Uhr
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"Grüße an alle Interessierten und auch an die, die durch Spielchen am Rande unsere Diskussion begleiten, von
 
Eberhard."
 
 
ein bisschen erfrischung im parlamentarisch-marktwirtschaftlichen tut doch gut!
 
 
wünsche schönen abend
 
laertes
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am 2007-04-03, 21:41 Uhr
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[user]
Hallo Eberhard,
 
du hast leider vergessen in deiner Beschreibung den Aspekt zu berücksichtigen, dass je mehr As mit x und Bs mit y eine Vielfaches von Entscheidungen zu einem Konzertbesuch oder Lebensrettung vorhanden sind.
 
Die Ebenen von 2 Involvierten in deinem Beispiel führt bei aufsteigender Personen Zahl zu anderen Ergebnissen.
 
Beweis:
 
Ungelöste Probleme nehmen in der Vielzahl und der Vielschichtigkeit zu, je mehr Personen an der selben Sachen knabbern.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-03, 23:26 Uhr
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Hi Eberhard,
 
was ist eigentlich Dein Problem und worauf willst Du hinaus?
Es gibt Richter, Streitschlichter, Schiedsmänner, Mediatoren usw. und vergleichbares schon seit etlichen hundert oder gar tausend Jahren in den unterschiedlichsten Kulturen. Das wird Dir nicht unbekannt sein, also - was willst Du eigentlich?
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-04, 06:39 Uhr
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Ich will zeigen, dass eine Wertethik möglich ist.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-04, 09:11 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: Ich will zeigen, dass eine Wertethik möglich ist.
 
"Wert-ethik", das ist doppelt gemoppelt.
Die Wortwahl nehme ich als Indiz, Deine Begeisterung war schneller als Deine Reflektion.
 
Ich habe Dich so verstanden
1. Du willst gedanklich probieren, ob eine allgemeingültige, objektive Befriedungsmethode machbar sei. Kein Unkraut-Ex, sondern Streit-Ex. Das auf jeden Streit angewendet werden könne und nur zwei Lösungen kennt:
 a) die Streitenden streiten nicht mehr
 b) mindestens einer der Streitenden wird aus der Gesellschaft verbannt mit dem Urteil, er sei eine unethische Person, die das Wertesystem der Gesellschaft, exekutiert durch Streit-Ex, nicht angenommen habe.
 
2. In weiser Voraussicht der Problematik der Umsetzung (deshalb habe ich das Wort "exekutiert" gewählt) hast Du diese ausgeklammert, Dir ginge es erstmal nur um die Kalkulation der Interessenabwägung.
 
 
Grundsätzllich halte ich solche Gedankenspielereien "was wäre, wenn" für sinnvoll.
Denn so erkennen wir die Grenzen zwischen Machbarem und Nicht-Machbarem klarer.
 
Ich halte Streit-Ex für nicht machbar in einer Gesellschaft von Individuen. Warum, habe ich schon in meiner ersten Antwort ausführlich dargelegt.
 
Ein weiterer Gedanke: Würde eine Gesellschaft Streit-Ex anerkennen und sich ihm unterwerfen, wäre das die Sofort-Erstarrung dieser Gesellschaft. Null Fortschritt. Die Ewiggestrigkeit sofort.
Warum? Weil Konflikte das Begleitgeräusch des Fortschritts sind.
Die einen in der Gesellschaft denken flinker als die anderen, die dritten sogar so flink, daß sie sich auf Holzwege verirren und zurückgepfiffen werden müssen.
Streit-Ex würde die Auseinandersetzungen des Fortschritts als gesellschaftsschädlich verhindern.
 
Schon jetzt, in der aktuellen politischen Lage, erleben wir, wie jede Auseinandersetzung in einer Partei um die beste Lösung von Journalisten zerrissen wird als "Streit, bäh, pfui".
Diese Journalisten sind im Herzen böse Antidemokraten, weil sie der Demokratie das notwendige Mittel der Auseinandersetzung verbieten wollen.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung??
Beitrag von Abrazo am 2007-04-04, 09:54 Uhr
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Hi Eberhard,
 
dann sage mir, wie eine Wertethik möglich sein soll ohne Wert.
Müsste nicht erst einmal untersucht werden, was Wert überhaupt ist? Was damit gemeint ist?
Mit dem Wert des Euro gegenüber dem Dollar ist doch offenbar etwas anderes gemeint als mit dem Wert eines Bauwerkes, das zum Weltkulturerbe erklärt wird.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-04, 15:35 Uhr
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Es geht noch einmal um das für und wider von Schlichtern.
 
Wir können uns zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden, und werden bei jeder etwas finden, das einer Lösung bestehender Konflikte entgegensteht. Wir können dann von Fall zu Fall uns für die uns am besten geeignete Lösung entscheiden.
 
Fall 1: Konflikte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften werden oft über einen Schlichter versucht zu lösen. Vom Schlichter wird einerseits erwartet, dass er über ökonomisches Expertenwissen verfügt, anderseits soll er sich völlig unparteiisch verhalten. Das sind zwei sich widersprechende Forderungen, weil ein Schlichter gewöhnlich eine leitende Position in der Wirtschaft innehatte. Ein völlig vom ökonomischen Wissen Unbeleckter würde dieser Aufgabe völlig hilflos gegenüberstehen. Eine leitende Position in der Wirtschaft konnte er aber nur einnehmen, weil er sich mit den wirtschaftlichen Interessen seiner Auftraggeber identifizierte. Um seiner Aufgabe als Schlichter gerecht zu werden, müsste er all das vergessen, wofür er sein Leben lang gestanden hat. Da niemand seine Lebenserfahrungen von einem Moment zum anderen ablegen kann, ist er gezwungen, zumindest eine Seite der streitenden Parteien zu täuschen.
 
Fall 2: In entscheidenden Fragen, wie der Verabschiedung von Verfassungen, könnten Volksbefragungen die beste Alternative darstellen. Damit ist sicherlich nicht die beste Lösung sichergestellt. Aber diese Alternative ist auf jeden Fall die bessere, als wenn die Abgeordneten über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entscheiden, die dazu verurteilt ist mit dieser Verfassung zu leben. Wir sind uns natürlich darüber im Klaren, die Leute, die die Unternehmen im Staat besitzen, haben alle Möglichkeiten über ihre Presse Meinungen wie Wachs in ihrem Sinne zu formen. Dass Entscheidungen des Volkes unzuverlässig sind, konnten wir am Beispiel der Athener sehen, als sie über das weitere Schicksal Sokrates abstimmten. Sokrates wurde zum Tode verurteilt, weil er mit seiner Philosophie die Jugend verdorben haben soll. Diese Gefahr der Fehlentscheidungen eines nicht aufgeklärten Volkes erscheint mir immer noch das kleinere Übel zu sein, als wenn wir uns einer despotischen Instanz ausliefern. Despotisch sind Entscheidungen im Parlament, die nicht im Interesse des Volkes sind, deren Folgen der Bürger erst zu spüren bekommt, wenn es zu spät ist.
 
Die von mir eingewendeten sich gegenüberstehenden Klasseninteressen könnten neutral verhandelt werden, gäbe es eine neutrale Instanz, die die Bezeichnung neutral verdient. Nehmen wir als Beispiel die UNO, diese Organisation gibt vor neutral und gerecht zu entscheiden. Sie wird aber vom militärisch mächtigsten Staat der Welt dominiert. Das konnten wir am Beispiel als die Entscheidung, Krieg gegen den Irak anstand, sehen. Die angeblichen Beweise über MVW waren derartig fadenscheinig, sodass es offensichtlich wurde, der USA war es völlig egal, ob die anderen Staaten von der Notwendigkeit eines Überfalles auf den Irak überzeugt waren.
 
Da wir nun die vielen Widersprüche in unserer Gesellschaft erkennen, die die Ursache sind, dass in vielen Angelegenheiten von den Verhandelnden kein Konsens erreicht wird, ist das Sache der Politiker praktisch zu handeln und sich durch die Probleme hindurchzulavieren. Mit Philosophie hat das nicht viel zu tun, denn ein Philosoph kann einem Schlichter keine Verhaltensregeln für seinen Fall geben. Es ist Sache der Philosophen zu überlegen, wie wir aus dem mit unserem System verbundenen Dilemma herauskommen können. Es ist keine Frage mehr zwischen bekannten Systemen. Dass wir mit dem sozialistischen System nicht weiterkommen, wissen wir inzwischen. Gefragt ist vielmehr eine Synthese aus den gegensätzlichen Interessen der Klasse, die die Reichtümer des Landes besitzen, und der Klasse, die dadurch in Abhängigkeit gerieten, weil einige wenige alle Reichtümer dieser Welt besitzen.
 
Die unterschiedlichen Klasseninteressen sind nicht Verhandlungsgegenstand heutiger Politik. Sie sind vorhanden, und sorgen für ein stetiges Anwachsen der Spannungen. Was über scheinbare Schlichter versucht werden kann, bestehende Spannungsspitzen abzubauen, sodass eine unkontrollierte Entladung auf einen Zeitpunkt in ferner Zukunft verschoben werden kann.
 
hedgi

 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-04, 15:38 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
wenn ich die Interessen der an einem Konflikt beteiligten Parteien in ihrer Gewichtigkeit abwäge, um zu entscheiden, welches Interesse Vorrang besitzt und befriedigt werden sollte, dann bewerte ich die Interessen. Die jeweilige Terminologie ist erstmal zweitrangig, ob ich nun von Wille, Interesse, Nutzen oder Wert spreche, ist nicht entscheidend, solange die Frage klar ist, um die es geht.
 
Deshalb noch einmal meine Frage, die jeder möglichst beantworten sollte:
Besitzt der Wunsch (der Wille, das Interesse) eines Menschen nach Hilfe in Lebensgefahr ein größeres Gewicht (einen größeren Wert) als der Wunsch (der Wille, das Interesse) eines Menschen nach ungeschmälertem Konzertgenuss?
 
Bitte begründet Eure Antwort.
 
Dass diess nicht zuviel verlangt ist, hofft
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-04, 16:37 Uhr
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wer stellt die waage her?
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-04, 19:59 Uhr
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Erste Priorität für Hilfe von Menschen in Lebensgefahr, dann zweitrangige Freuden durch Genuss, sollte prinzipiell die Reihenfolge unserer Werte sein, und das ohne Ausnahme.
 
Ich meine damit, das sollten nicht nur Werte des kleinen Mannes sein, über die Menschen aus gehobenen Kreisen stehen dürfen.
 
Ist unser Wertesystem noch in Ordnung, wenn wir Tornados in ein Land schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten Leben auszulöschen, in einem Land in dem wir nichts verloren haben. Dort geht es nur um die Sicherung eines Vergnügens unserer Wirtschaftsführer, nämlich um die Ausbreitung ihrer Macht.
 
Werte können nur Bestand haben, wenn sie prinzipiell Gültigkeit haben und nicht, wenn das nur für eine Klasse gelten soll.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-04, 22:15 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hedgi,
 
Du bewertest den Wunsch nach Erhaltung des eigenen Lebens höher als den Wunsch nach einem ungeschmälerten Konzertgenuss.
 
Ich bin der gleichen Ansicht.
 
Frage: Wie kann man dies begründen gegenüber jemandem, der das Gegenteil behauptet?
 
Grüße an alle, die noch überlegen von
 
Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-04, 22:47 Uhr
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Da ich langsam etwas ungeduldig werde, lieber Eberhard, habe ich mal gebuddelt, nach dem Motto: da war doch mal was.
 
Kursbuch 60 von 1980
In einem Essay wird der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch zitiert:
 
"Der transpersonalen Auffassung gibt das Wort Kurt Eisners Ausdruck: 'Ich wenigstens werte mein Leben nicht so hoch wie die Schöpfung ewiger Kunst und schätze die Kunst nicht so niedrig ein, dass sie weniger wert sei als lebendige Wesen' , wie jenes andere, unsäglich harte Wort: 'Eine Statue des Phidias wiegt alles Elend der Millionen antiker Sklaven auf' (Treitschke) ... Als der Tempel auf der Nilinsel Philä einer Bewässerungsanlage geopfert wurde, erhob Sir George Birdwood darüber in der Öffentlichkeit Klage. Darauf richtete Sir George Knollys an ihn die Frage: Was würde Sir George Birdwood tun, wenn er sich in einem brennenden Haus allein befände mit einem lebenden Kinde und der Dresdener Madonna Raffaels? Sir George Birdwood erwiderte, er würde der Dresdener Madonna den Vorzug geben." (Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, (5) 1956, S. 150)
 
So. Nu redet weiter.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-05, 00:56 Uhr
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Eberhard schrieb:
Quote:Du bewertest den Wunsch nach Erhaltung des eigenen Lebens höher als den Wunsch nach einem ungeschmälerten Konzertgenuss.
 
Frage: Wie kann man dies begründen gegenüber jemandem, der das Gegenteil behauptet?
 
 
 
In diesem thread ging es vielmehr um die allgemeine Frage nach Hilfe für in Gefahr geratene Menschen in Lebensgefahr. Dies ist etwas anderes, als wenn es nur um persönliche Belange gehen soll.
 
Wenn jemand einem nicht allgemeingültigen Wertesystem folgt, kann man ihn überhaupt nicht überzeugen und deren Einhaltung nur noch erzwingen, so wie das in unserem Staat üblich ist.
 
Dazu möchte ich auf den §323c des StGB (http://dejure.org/gesetze/StGB/323c.html) hinweisen.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Sheelina am 2007-04-05, 06:47 Uhr
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Guten Morgen Eberhard, hedgi, Wolfgang_Horn, hytlodeus, weatherlady... und alle
 
Achtung, vielleicht interessantes: [smiley=schilder0367.gif] für Euch, aber eher so --> :-) --> Es organisiert sich grade ein Philtalkreallivetreffen. Es wäre schön, wenn Ihr Euch auch beteiligen könntet und mitteilt, ob ihr vielleicht auch kommen möchtet.
 
http://www.philtalk.de/msg/1175486433.htm
 
Kurze zusammenfassende aktuelle Informationen (wer zum derzeitigen Stand teilnehmen möchte, wo, etc. findet ihr in Antwort 10 und 18).
 
Mir scheint, dass Interessenabwägung dann in Frage kommt, wenn keine Problemlösung gefunden werden kann. Interessenabwägung hat ja zur Lösung entweder ein Ja und ein Nein bzw. ein Für und Dagegen von dem Gegenübergestelltem. Wenn ich versuche Probleme zu lösen, dann steht am Ende z.B. ein gewünschtes Ja, nur die Frage ist, wie können wir das erreichen? Wenn mich nicht alles täuscht.
 
viele Grüße
Sheelina
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-05, 22:08 Uhr
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Hallo allerseits,
 
ich hatte in der Einleitung zu dieser Diskussion geschrieben:
 
"Frage ist, ob und wie sich die Interessen verschiedener Individuen in ihrer Gewichtigkeit intersubjektiv vergleichbar einschätzen oder messen lassen. Ich bin der Ansicht, dass dies - trotz aller Probleme - grundsätzlich möglich ist."
 
Das Problem stellt sich für mich folgendermaßen dar:
 
Es gibt Konflikte zwischen Menschen, insofern als sich die Ziele, die Menschen verfolgen, das was sie wollen, ihre Interessen, nicht immer miteinander vereinbaren lassen. Es können nicht alle Interessen befriedigt werden. Damit ist der Konflikt gegeben und es stellt sich die Frage, wer sich mit seinen Interessen durchsetzt.
 
Wenn dies allein den bestehenden Stärkeverhältnissen überlassen bleibt, kommt es zum Kampf, in dem die Partei mit der überlegenen Kraft siegt. Oft genügt schon die Drohung mit der überlegenen Stärke, um sich durchzusetzen. Das Beste, was dabei herauskommen kann, ist eine Hackordnung, die von Zeit zu Zeit in Frage gestellt wird, das so genannte "Recht" des Stärkeren.
 
Wenn man dies nicht will, wenn man den Konflikt nicht immer im Sinne des Stärkeren entscheiden will, dann muss man versuchen, sich - gewaltfrei - zu einigen. Das heißt, aus den widerstreitenden Interessen muss ein gemeinsames Interesse gebildet werden, es muss nach der Lösung gesucht werden, die am ehesten konsensfähig ist.
 
Auf das Beispiel "Lebensrettung oder Konzertgenuss" bezogen heißt das, es müssen Wege gefunden oder gebahnt werden, um zu einer gemeinsamen Einschätzung darüber zu gelangen, wie der Konflikt für alle Beteiligten gemeinsam am besten zu lösen ist.
 
Mit der Formulierung "es müssen Wege gebahnt werden" will ich deutlich machen, dass es sich bei der Herstellung eines Konsens um eine konstruktive Aufgabe handelt. Es ist also nicht so, dass man nur nachsehen muss: "Sind sich die Parteien einig oder nicht?" und dementsprechend das Kriterium des gewaltfrei erzielten Konsens für brauchbar oder für gescheitert erklären kann.
 
Die Wege zum gewaltfreien Konsens müssen durch Nachdenken und Ausprobieren erst gebahnt und argumentativ begründet werden. Allgemeingültigkeit von Normen und Werten liegt nicht einfach vor oder auch nicht, sondern ist durch unser gemeinsames Bemühen erst zu schaffen.
 
Soweit die allgemeine Vorbemerkung.
 
Nun zum konkreten Beispiel. Das Beispiel ist so konstruiert, dass es nur zwei Lösungen gibt:
 
Alternative 1: A bleibt mit Kreislaufkollaps liegen und B kommt rechtzeitig zum Konzert und
 
Alternative 2: B leistet A Hilfe (ruft einen Notarzt etc.) und versäumt den 1. Satz der 3. Sinfonie von Beethoven (oder auch die ersten 3 Stücke von Lionel Ritchies Tourneeprogramm).
 
Alternative 1 ist für B besser (hat für B einen größeren individuellen Wert, wird von B vorgezogen, hat für B einen größeren individuellen Nutzen).
 
Alternative 2 ist für A besser (hat für A einen größeren individuellen Wert, wird von A vorgezogen, hat für A einen größeren individuellen Nutzen).
 
Die Aufgabe besteht in der Einigung darüber, welche der beiden Alternativen für beide gemeinsam besser ist (welche Alternative für A und B gemeinsam einen größeren kollektiven Wert hat, welche Alternative von A und B gemeinsam am ehesten gewollt bzw. vorgezogen werden kann, welche Alternative für A und B gemeinsam einen größeren kollektiven Nutzen hat).
 
Ich halte diese Fragen nicht für sinnlos und auch nicht für unbeantwortbar.
 
(Ich hoffe, es ist klar geworden, in welchem Sinne ich das Wort "Wert" hier benutze. "Wert" ist immer "Wert für jemanden". "Werte" stehen nicht wie die Sterne am Himmel und auch nicht als nicht-hinterfragbares Urgestein im Grundgesetz.)
 
Grüße an alle, die die aufgeworfenen Fragen ruhig und gründlich durchdenken wollen, von
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-05, 22:58 Uhr
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Also gut.
Damit es weiter geht - ich halte nicht viel von Fragen, die keine sind - es dürfte zu einem weitgehenden Konsens darüber kommen, dass einer, der auf dem Weg zu seinem vierzehntägigen Konzertabonnement ist, dieses Konzert wenigstens teilweise sausen lassen wird, um einem sauber gewaschenen normalen Durchschnittsbürger Hilfe zu leisten, der zusammengebrochen ist.
So.
Und nu weiter?
 
Gruß
 
P.S.:
 
Quote:Ich hoffe, es ist klar geworden, in welchem Sinne ich das Wort "Wert" hier benutze. "Wert" ist immer "Wert für jemanden". "Werte" stehen nicht wie die Sterne am Himmel und auch nicht als nicht-hinterfragbares Urgestein im Grundgesetz.
 
 
Philosophen sind aber hartnäckige Zweifler.
Die fragen auch, was denn mit Wert überhaupt gemeint ist und wieso es so etwas wie Wert, egal für wen, überhaupt gibt.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-06, 02:50 Uhr
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abrazo merkt was.
 
eberhard tendiert dazu, probleme herzustellen, statt sie aufzulösen.
 
gefangen in den klauen der eigenen trockenen theorien, möchte er wenigstens auch ein paar andere in seinen vorschlägen mitgefangen wissen, um die welt der ethik mit sozialer engreibung aufzubauen.
 
 
meint laertes
 
und grüsst alle teilnehmer, die sich nicht einteilen lassen wollen.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-06, 09:10 Uhr
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Hoffentlich bin ich nicht der Alptraum Deiner schlaflosen Nächte ...
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-06, 10:11 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
Philosophen sind nicht nur hartnäckige Zweifler, sie sind auch sehr genau - oder sollten es doch zumindest sein.
 
Das Problem, um das es mir geht, ist die Frage, ob und wie man angesichts widerstreitender Interessen (Willensinhalte, individueller Werte oder Nutzen) zu einer Einigung kommen kann, zu einem gemeinsamen Interesse (Willen, Wertung, Nutzen).
 
Ich habe die Ansicht geäußert, dass das Interesse von A an Hilfeleistung gewichtiger ist als das Interesse von B am Konzert. Wer diese Ansicht teilt, muss sich als hartnäckig fragender Philosoph auch fragen, wie ein solches Urteil begründet werden kann.
 
Was dagegen in einer solchen Situation tatsächlich geschieht, ist eine empirische Frage und steht auf einem anderen Blatt. Deshalb verfehlst Du das Problem, wenn Du schreibst:
 
" … es dürfte zu einem weitgehenden Konsens darüber kommen, dass einer, der auf dem Weg zu seinem vierzehntägigen Konzertabonnement ist, dieses Konzert wenigstens teilweise sausen lassen wird, um einem sauber gewaschenen normalen Durchschnittsbürger Hilfe zu leisten, der zusammengebrochen ist."
 
(Kürzlich gab es übrigens eine Fernsehsendung, in der solche Notsituationen simuliert wurden, um die Reaktionen der Passanten zu testen. Die Ergebnisse waren eher niederschmetternd.)
 
Ohne hier eine abgehobene Diskussion über die Wörter "bewerten" oder "Wert" anfangen zu wollen, dienen Wertbegriffe wie "gut" und "besser" bzw. "schlecht" und "schlechter" nach meinem Verständnis der Anleitung des Handeins: Wenn x besser ist (einen größeren Wert besitzt) als y, dann sollte im Falle einer Entscheidung zwischen x und y die Alternative x gewählt (gefördert, erhalten, verstärkt etc.) werden. Wenn man etwas positiv wertet, empfiehlt man etwas.
 
Man muss bei Wertbegriffen jedoch vorsichtig sein, weil sie auch deskriptiv verwendet werden, etwa wenn man die Werthaltungen einer Person beschreibt.
 
Außerdem entsteht Verwirrung dadurch, dass das positiv bewertete Objekt selber als "Wert" bezeichnet wird, wobei dann "Wert" dem entspricht, was man gewöhnlich ein "Gut" nennt.
 
Man muss je nach der Art des Subjektes unterscheiden zwischen individuellen Werten ("Welchen Wert hat x für mich bzw. für A?") und kollektiven Werten ("Welchen Wert hat x für uns bzw. für A und B gemeinsam?").
 
Wenn von Werten die Rede ist, ohne dass der Bezug zu einem Subjekt hersgestellt wird, dann handelt es sich gewöhnlich nicht um "Werte an sich" sondern um allgemeine Werte, also Werte für alle gemeinsam.
 
Ich hoffe, damit ist der philosophischen Zunft und ihren Regeln erstmal genüge getan.
 
Wie bereits gesagt: Mir kommt es darauf an, dass die Problemstellung richtig verstanden wird und wenn möglich auch akzeptiert wird. Nur dann hat es Sinn, weiter zu diskutieren,
 
meint Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am 2007-04-06, 11:04 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Abrazo,
 
in der Diskussion geht es ja augenblicklich um den Wertebegriff und damit kann ich sehr passend anknüpfen an Abrazos Beitrag # 64, auf den ich noch nicht antworten konnte. Es geht mir hier gewissermaßen noch um Vorbedingungen für die eigentliche Diskussion. Darum, was „Werte“ (moralische Normen) eigentlich sind, in welchem Verhältnis sie stehen zu bloßen Empfindungen usw...
 
„Werte“ entsprechen nicht bloßen Gemütsverfassungen, sondern sind Ausfluß menschlichen Verstandes bzw. menschlicher Vernunft. Ebenso ist auch der Begriff der (normativen) Ethik (Abrazo würde wohl sagen: Moral) unbedingt mit dem "Denken" verbunden. Tiere verhalten sich so gesehen unethisch. Nun will ich nicht behaupten, dass ethische Einstellungen in keinem Zusammenhang stehen zu Gefühlen (der Ab- und Zuneigung, Mitleid usw.) und menschlichen Instinkten. Aber Ethik und „Wert“-Verständnis gehen m.E. darüber hinaus, sie sind mehrfach „gespiegelt“ durch den Einsatz des Verstandes, Früchte unserer Vernunft.
 
Ich stelle mir die Ursprünge ethischer Werthaltungen etwa so vor: Beteiligen sich Menschen am Sprachspiel, geht es Ihnen um Aussagen allgemeiner Gültigkeit. Es geht Ihnen darum, festzustellen, „was der Fall ist“ (z.B. Wetter, geografische Verhältnisse, Nahrungsmittelsituation). Dies gilt nun jedoch auch für den gegenseitigen Umgang, das soziale Miteinander.
 
Man stelle sich vor, dass sich in der Steinzeit ein Mensch gegenüber einem anderen Hordenmitglied darüber beklagt, dass ihm seitens seiner Horde von einer Ressource nicht genügend zugeteilt wird, er sich mithin als benachteiligt (ungerecht behandelt) empfindet. Kann diesen Person am nächsten Tag eine andere übervorteilen, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln? Wer für sein Vortragen allgemeine Geltung beansprucht (und das tut wie gesagt ein jeder durch seine Teilnahme am Sprachspiel), muss sich in seinem eigenen Verhalten an seinen zuvor geäußerten Grundsätzen messen lassen. Was immer Vernunft ist, der Begriff hat etwas zu tun mit Konsequenz, Widerspruchsfreiheit und logischer Folgerichtigkeit.
 
Wenn ich schrieb, dass „Werte“ über bloße Gemütsbewegungen wie Mitleid usw. hinausgehen, so meine ich doch nicht, dass sie erst individuell „erdacht“ werden. Vielmehr sind sie zum großen Teil bereits über kulturelle Prägungen dem Einzelnen – unbewußt – vorgegeben, lassen sich aber durch Reflexion hinterfragen. Über das, was „vernünftig“ ist, kann und soll man streiten.
 
Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Zusammenspiel verstandesmäßig reflektierter abstrakter „Werte“ und den konkreten aufgrund von (auch emotionaler) Nähe bestehenden sozialen Beziehungen. Moral muss ja auch gelebt werden. Soziales Miteinander funktioniert nur, wenn innerhalb von Solidar- und Verantwortungsgemeinschaften (Familie, Stamm, Staat) auf der Grundlage empfundener Bindungen soziales Engagement an den Tag gelegt wird. Nur innerhalb von überschaubaren Verantwortungsgemeinschaften lassen sich auch funktionierende Ordnungssysteme etablieren. „Werte“ hingegen scheinen allumfassend zu sein. Hier entsteht ein Spannungsverhältnis, das vielleicht noch in einzelnen zu problematisieren wäre. Wer sich für die gesamte Menschheit gleichermaßen verantwortlich fühlt wie für seinen Nächsten, droht leicht am moralischen Rigorismus zu zerbrechen. In einem wohlverstandenen Sinne ist der „Wert“ (=Bedeutung), den ein Mensch für mich hat, etwas Subjektes. Dies steht wie gesagt in einem Konflikt zum intersubjektiven Anspruch moralischer Normen (?).
 
 
on 03/27/07 um 22:40:31, Abrazo wrote:Was aber wäre der Fall, wenn ethisches Verhalten auf einer Lüge oder einem Irrtum beruhen würde, wenn es also keine Ethik gäbe? Wie wäre ethisches Verhalten dann zu werten? Gar nicht, weil es dann gar keine Werte gäbe; oder fällt Dir einer ein?
 
 
Das verstehe ich nicht. Wer Grundsätze seines Verhaltens reflektierend hinterfragt, kann doch nicht meinen, dass alles auf Lüge oder Irrtum beruhe. Ethisches Verhalten besteht ja gerade darin, die Lüge – ein höchst ethischer Begriff - zu erkennen bzw. zu vermeiden. Wo es Irrtum und Lüge gibt, muss auch es Raum für Wahrheit geben, denn nur in der Abgrenzung zur Wahrheit macht diese Begriff Sinn. Dass die gesamte Ethik Irrtum und Lüge sei, ist ein Widerspruch in sich. Wer einmal sein ethisches Verhalten hinterfragt, hat dies bereits verinnerlicht (ohne es vielleicht bewußt verstanden zu haben) und kann dahinter nicht mehr zurück. „Warum soll ich moralisch handeln?“ Die Antwort liegt bereits in der Frage verborgen. Indem ich mich auf sie einlasse, sehe ich mich selbst als Subjekt, das „richtig“ oder „falsch“ handeln kann. Damit bereits habe ich mich unumkehrbar in den Raum der Moral hineinbegeben...
 
 
on 03/27/07 um 22:40:31, Abrazo wrote:Angenommen, einer würde nachts in Dein Haus einbrechen, um zu stehlen, und Du erwischst ihn. Würdest Du natürlich Dein Eigentum verteidigen. Ihn z.B. ein bisschen totschießen. Warum? Weil es Dein Eigentum ist, Dein Revier, und das brauchst Du zum Leben. Haut der Dieb ab, bevor Du ihn triffst, hat er Deine überlegene Stärke erkannt und Glück gehabt. Erkennt er das nicht und Du schießt ihn tot, hat er eben Pech gehabt. Fertig is die Laube. Und wenn er Dich aus Deinem Haus schmeißt, um es selbst in Besitz zu nehmen, dann hast Du eben Pech gehabt und es nicht besser verdient.
 
Nun nimm an, er würde Dich vertreiben, Du suchst Zuflucht bei Deiner Gemeinschaft. Die sagt, Du gehörst zu uns, wir verteidigen uns gegenseitig, wir ziehen jetzt los und bringen den Kerl um. Jetzt würdest Du vielleicht sagen, nö, nicht umbringen, er soll am Leben bleiben. Würden die anderen Dich für bekloppt halten und sich nicht drum scheren. Aber könnten sie Dich deswegen verurteilen? Aus welchem Grund? Sagen sie, Dein Wunsch ist schlecht oder böse, dann machen sie eine Gegenethik auf, bestätigen also das, was sie als Lüge ablehnen. Sagen sie, das ist unvernünftig, man bringt sich in solchen Fällen immer gegenseitig um, müssen sie diese Norm begründen; wie?
 
Werden diese Überlegungen nicht langsam aberwitzig und vollkommen irreal? Denn so denken, reden, urteilen und entscheiden wir ja gar nicht.
 
Wir hier. Doch gibt es für unethisches Handeln auch das Argument, "das haben wir immer schon so gemacht". Heißt, das steht außerhalb jeder Wertung.
 
 
 
Die Begründung „das haben wir schon immer so gemacht“ ist nicht wirklich eine Begründung aus Vernunft, die intersubjektiv nachvollzogen werden kann. Und ansonsten hast Du ja die Möglichkeit - um nicht zu sagen: Notwendigkeit - von ethischem Denken bereits schön aufgezeigt. Auch die „Gegenethik“ ist (normative) Ethik und nicht Negierung jeglicher Ethik. Der Streit um das, was ethisch "richtig" (bzw. "falsch") ist, setzt voraus, dass es "Richtigkeit" (bzw. "Falschheit") überhaupt geben kann... Er setzt weiterhin voraus, dass es einen Standpunkt der Vernunft gibt, von dem aus eine Beurteilung prinzipiell möglich ist...
 
....
 
Speziell zu Eberhards Beispiel: Der Gegenüberstellung „Wert eines menschlichen Lebens“ zum entgegangenen Konzertbesuch. Die Rollenwechsel-Überlegung führt zu einem klaren Ergebnis. Dem Konzertbesucher bleibt, sofern er von der sozialen Gemeinschaft als vernünftiger Sprachspiel-Teilnehmer und akzeptiertes Mitglied gesehen werden will, nur die Möglichkeit der Hilfeleistung.
 
Was aber, wenn das menschliche Leben nun außerhalb der eigenen Sphäre in Gefahr gerät? Heißt es nicht immer, mit einem Minimum an Aufwand könnten Kinder in der dritten Welt vor dem Verhungern gerettet werden? Vielleicht könnte der Konzertbesucher gar dadurch, dass er auf seinen Konzertbesuch verzichtete und das eingesparte Geld spendete, ein Menschenleben in der Dritten Welt retten? Hiermit spreche ich erneut das Spannungsfeld an zwischen den subjektiven Bindungen innerhalb von „sozialen Zellen“ (Solidargemeinschaften), aus denen sich soziales Engagement letztlich nährt, und dem universellen Anspruch moralischer Werte andererseits.
 
Eine weitere Frage, die wohl bereits auch schon angesprochen wurde: In welchem Verhältnis steht das kleine Glück (Unglück) von vielen zum großen Unglück (Glück) von wenigen Menschen?
 
Hier muss ich leider abbrechen. Soweit einige – leider recht ungeordnete – Gedanken zum Thema des Threads...Vielliecht komme ich heute dazu, präziser auf Eberhards letzte Beiträge einzugehen...
 
Frohe Ostern wünscht allen Philtalk-Teilnehmern
Xenon
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-06, 12:42 Uhr
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Hi, Xenon,
 
 
Du: in der Diskussion geht es ja augenblicklich um den Wertebegriff...
 
Ja, so kann man das beschreiben - wir erleben hier die Wiederauferstehung der nicht enden wollenden Versuche um die Erklärung eines allgemeingültigen Wertesystems.
Der Unterschied: Eberhard hat die Diskussion nicht um allgemeingültige Werte eröffnet, sondern um eine allgemeingültige Methode zum Finden allgemeingültiger Werte.
 
Im Prinzip ist es dasselbe und ich sehe keinen Anlaß für die Hoffnung, die Diskussion um die Methode könne eine Lösung finden, welche dieselbe Diskussion in anderem Gewand um die Werte nicht hat erbringen können.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-06, 12:55 Uhr
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Welche Diskussion meinst Du?
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Xenon am 2007-04-06, 16:02 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
auch mir ging es durchaus um das Finden der Werte - im Rahmen der Vernunft.
 
Bezogen auf Eberhards Beispiel:
 
Ich stelle mir vor, ich selbst wäre derjenige, welcher mit Kreislaufkollaps auf der Straße läge. Ich stelle mir weiter vor, dass ich dann wohl entsetzt wäre, wenn die Menschen gleichgültig ihres Weges gingen und mich nicht weiter beachteten.
 
Also kann ich mich selbst in der Rolle des Passanten aber nicht gleichgültig verhalten, ohne zu einer Person zu werden, die ihr eigenes Verhalten nicht auf Schlüssigkeit hin reflektiert oder schizophren ist. Unreflektiertes oder schizophrenes Verhalten ist aber unvernünftig...
 
Da ich gerne an Vernunft glauben will, stimme ich auch Eberhard zu, dass intersubjektive Interessenabwägung prinzipiell möglich ist.
 
Zu dem konkreten Beispiel ist mir aber noch eingefallen, dass bei ihm gefühlsmäßig schwierig abzugrenzen wäre zwischen den eigenen Interessen des Konzertbesuchers und dem Interesse des Kollabierten.
 
Erstens ist ja auch der Konzertbesuch auf ein soziales Ereignis gerichtet - den "reinen Egoismus", der sich auf ein imaginäres "reines Ich" bezieht, das völlig losgelöst von jeder sozialen Interaktion und jeder sinnlicher Erfahrung wäre, gibt es nicht.
 
Ich möchte meinen Sinnen mit dem Konzertbesuch etwas Gutes tun. Und gleichermaßen täte es meinen Sinnen eben NICHT gut, ignorierte ich einfach den Kollabierten, Gewissensbisse verfolgten mich möglicherweise und die Selbstachtung würde leiden.
 
Umgekehrt verschaffte ich mir durch die Hilfeleistung ein Gefühl der Befriedigung: Ich hätte etwas Wichtiges und Sinnvolles getan.
 
Am Ende läßt sich dann vielleicht kaum gedanklich abstrahieren, ob ich letztlich eigene oder fremde Interessen abgewogen hätte...
 
 
Liebe Grüße
Xenon
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-06, 20:41 Uhr
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Hi, Eberhard, Xenon,
 
@Eberhard: Natürlich die Diskussion Deiner Erörterung der Möglichkeiten eines allgemeingültigen Schlichtungsprozesses.
 
 
 
@Xenon
Du: auch mir ging es durchaus um das Finden der Werte - im Rahmen der Vernunft.
 
Natürlich. Jeder hält die Werte, die er bevorzugt, für die besten aller denkbaren. Denn würde er einen besseren Wert erkennen, würde er ihn im Moment des Erkennens übernehmen.
 
Daher möchte jeder, die anderen würden seine Werte übernehmen, sonst wären sie ja dumm. Aus seiner Sicht.
Dabei erlebt er dann, was die USA gerade mal wieder erleben: Die anderen bevorzugen ihre eigenen Wertesysteme, und wer sein Wertesystem mit Gewalt durchsetzen will, dessen Werte sind wohl die eines Gewalttäters, eines Bösen, dessen Werte jeder gute Mensch ablehnt.
 
Natürlich ist die Vernunft auf den ersten Blick ein guter Kandidat zum Finden von Werten, die unter vernünftigen Menschen allgemeingültig sein könnten. Wenn "Vernunft" lediglich "Kalkül" bedeutet und alle Menschen identisch programmiert wären.
 
Sind wir glücklicherweise nicht. Sondern wir werden viele Menschen finden, die sich für überaus vernünftig halten, das Geschehen in der Welt aber anders bewerten als die Folterchefs im Weißen Haus, und auch untereinander anders.
 
Du: ...Kreislaufkollaps...gleichgültig
 
'Tschuldigung, aber das ist intellektuelle Magerkost.
Uns Menschen ist nämlich durchaus ein gemeinsames Wertesystem angeboren, jedem von uns.
Nämlich: Wir haben die Fähigkeit und Neigung, uns in die Lage eines anderen (Kranken) zu versetzen und ihm gegenüber so handeln zu wollen, wie wir an seiner Stelle würden behandelt werden wollen.
 
Solche deutlichen Fälle eignen sich nicht als Beispiele für den Versuch, eine allgemeingültige Methode zur Schlichtung von Konflikten zu finden.
 
 
Du: Umgekehrt verschaffte ich mir durch die Hilfeleistung ein Gefühl der Befriedigung: Ich hätte etwas Wichtiges und Sinnvolles getan.
 
Äh, geht mir nicht so. Wenn Mensch in Not, dann handele ich aus Mitgefühl, aus der Vorstellung, wie ich an seiner Stelle leiden würde und daß dies Leiden beseitigt werden muß.
 
Du: Am Ende läßt sich dann vielleicht kaum gedanklich abstrahieren, ob ich letztlich eigene oder fremde Interessen abgewogen hätte...
 
Letztlich immer für Deinen eigenen Interessen.
Denn die Arbeit für beispielsweise unseren Arbeitgeber ist Teil eines Handels.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-06, 22:10 Uhr
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Die Juden haben ein großartiges Sprichwort:
Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.
Ist die Welt es wert, gerettet zu werden?
Wenn ja, dann braucht es Eure Argumente nicht.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-06, 22:21 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
was meinst Du mit dem Satz: "Jeder hält die Werte, die er bevorzugt, für die besten aller denkbaren"?
 
Sind das die Bewertungen, die die Individuen von ihrem Interessensstandpunkt her vornehmem? Sind das diejenigen Werte, die die Individuen für allgemeingültig halten?
 
Von den Letzteren war bisher nur am Rande die Rede.
 
Ein Hantieren mit ungeklärten Begriffen kann nur Verwirrung erzeugen. Besonders wenn dies einhergeht mit schärfsten Werturteilen wie "böse" oder ähnlichem.
 
Es grüßt Dich Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-06, 22:26 Uhr
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Hallo Abrazo,
 
was folgt denn aus der positiven Bewertung der Welt hinsichtlich der Lösung von Konflikten?
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-07, 00:22 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: was meinst Du mit dem Satz: [a] "Jeder hält die Werte, die er bevorzugt, für die besten aller denkbaren"?
[b] Sind das die Bewertungen, die die Individuen von ihrem Interessensstandpunkt her vornehmem? [c] Sind das diejenigen Werte, die die Individuen für allgemeingültig halten?
 
zu c: Nein. Wer sein Trotzalter überwunden hat, der weiß, daß jeder seine Werte bevorzugt, manche teilen Werte, in anderen unterscheiden sie sich mit mehr oder weniger Toleranz.
 
zu b: In ihrer Rationalisierung vielleicht. Mir scheint aber folgende Unterteilung aller information für sinnvoll, die eine Person oder Gruppe für eher wahr hält als deren Gegenteil:
1. Wissen, darunter vestehe ich alle Informationen, für die man belegen kann, warum sie eher wahr sind als ihr Gegenteil. Vornehmlich Naturgesetze und alles, was logisch von ihnen abgeleitet werden kann.
2. Meinungen, jede Information, die eine Person für eher wahr hält als deren Gegenteil, dies aber nicht belegen kann. Dazu gehören Werte, Überzeugungen, Ahnungen, Neigungen und Geschmack.
 
Werte sind Bewertungen, was wir für wichtiger halten als etwas anderes, beispielsweise Nothilfe wichtiger als Genuß.
 
Die Meinungsbildung, also die Auswahl, welche von alternativen Meinungen wir wählen, scheint wesentlich Sache der Intuition zu sein (Menge der Denkfähigkeiten an anschaulichen, sinnesnahen, und eben nicht abstrakten Gedankenanteilen).
 
Wenn es um Fußball geht, und wir in München und Bayern wohnen, und wir Bayern für o.k. halten, dann bevorzugen wir als Fußballverein eben den TSV1860 München mit weiß-blau oder den FC Bayern mit rot.
 
Wenn die Intuition sich festgelegt hat, dann kann der Intellekt nur noch nach Argumenten suchen, die ihn nicht doof klingen lassen...
 
a) Bei der Meinungsbildung wählen wir. Das eine schmeckt uns, das andere nicht. Nach dieser Wahl ist unser Geschmack der beste der Welt für uns, denn wir kennen keinen besseren.
Vielleicht lernen wir ein neues exotisches Gericht kennen, dann wählen wir - und anschließend ist unser Geschmack wieder der beste der Welt - für uns.
 
Ebenso mit allen anderen Meinungen aller Kategorien, darunter auch Werte.
 
Bei der Meinungsbildung ist eine Gesetzmäßigkeit zu erkennen, egal, ob wir die Bildung mit dem Intellekt begründen oder nicht:
Von zwei alternativen Meinungen wählen wir eher jene, die zu unseren Wünschen und Zielen paßt, zu dem, was wir erreichen wollen. Die eher zu all unserem Wissen paßt und zu all unseren bisherigen Meinungen. Die eher zu den Meinungen unserer Freunde paßt und eher nicht zu denen unserer Feinde.
 
Das Wahlverhalten einer erfahrenen Person ergibt sich von selbst, wenn sie unnötige Mühen meidet und gelernt hat. Insbesondere, wie innere Konflikte zwischen Meinungen quälen können.
 
Teams und Gesellschaften wählen sich ihre kollektiven Meinungen, ihr kollektives Wertesystem, nach denselben Gesetzmäßigkeiten und aus denselben Gründen.
 
Ein Bayer mag wohl BMW, aber ein Fan des FC-Bayern würde einen BMW mit weißblauem Rautenmuster nicht mal geschenkt haben wollen, es sei denn, er dürfte ihn sofort umspritzen, vorzugsweise in Rot.
 
 
Übrigens, für Deine Suche nach einer allgemeingültigen Schlichtungsmethode: Jede Konfliktlösung bedeutet für mindestens einen der Beteiligten ein Schlag gegen sein Wertesystem. Der mag klein sein oder groß. Manche Personen nehmen ihren Ruf der Unfehlbarkeit derart wichtig (für sie ein hoher Wert), daß sie in einer Konfliktlösung lieber draufzahlen.
 
Deine Methode wird ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge innerhalb eines Wertesystems nicht allgemeingültig sein können.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-07, 00:43 Uhr
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ebis allgemeine werte
sind nur was für graduierte.
anders ist die wirklichkeit:
jeder trägt ein eigen kleid.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-07, 01:04 Uhr
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Hi Eberhard,
 
es folgt zunächst einmal eine andere Bewertung von Konflikten.
 
Wir haben uns angewöhnt, von berechtigten Interessen zu reden. Aber was heißt denn das? Ich habe ein Recht, dieses Interesse zu haben. Das ist aber schon ein Widerspruch, denn zum einen ist die Frage, wer mir denn das Recht auf mein Interesse geben sollte, und zum anderen kümmert sich mein Interesse nicht darum, ob es berechtigt ist oder nicht. Wer das Interesse hat, Frauen heimlich in der Umkleidekabine zu fotografieren, der fragt nicht vorher an, ob er das Interesse haben darf; der hat es. Was er zu fragen hat ist, ob er diesem Interesse nachgehen darf.
 
Etliche Gesellschaften behaupten, das berechtigte Interesse zu haben, Homosexualität zu untersagen. Mit welchem Recht? Sofern sie sich auf göttliche Gebote berufen, kannste nix dagegen machen (wohl aber die Konsequenzen diskutieren).
 
Andere wiederum behaupten ihr berechtigtes Interesse am straffreien Handel mit Betäubungsmitteln. Mit welchem Recht?
Behaupten, sein Interesse sei berechtigt, kann jeder.
 
Israel behauptet das berechtigte Interesse einer Existenz in sicheren Grenzen. Palästinenser behaupten, dieses Interesse sei nicht berechtigt, berechtigt sei vielmehr ihr Interesse auf Rückkehr in die ehemals palästinensischen Gebiete. Und nu?
 
Wenn ich mein Interesse als berechtigt ansehe, dann brauche ich mich weiter um nichts mehr zu kümmern, dann setze ich das durch, egal, was die Folge ist, denn ich bin ja im Recht. Der andere ist im Unrecht, und wenn er mit meinem Tun Probleme bekommt, dann geschieht im Recht.
 
Wir haben hier eine andere Bedeutung von Recht. Nicht die vernünftig diskutierten und entwickelten Spielregeln, sondern Recht als das, was ich beanspruchen kann. Dieses Recht ist also ein Anspruch. Es ist dieser Anspruch, der, verknüpft mit dem relativ neutralen Wort Interesse, zu Konflikten führt.
 
Anspruch heißt, ich will etwas haben (muss nicht nur materiell sein). Was ich haben will, hat im Zweifel ein anderer. Der das aber nicht freiwillig rausrückt. Alldieweil, der hat das berechtigte Interesse, das zu behalten. Meint er. Wie willst Du denn da vermitteln, wenn jeder sich im Recht sieht?
 
Hier versagt die Logik. Solche antagonistischen Gegensätze lassen sich nur dialektisch lösen, auf einer höheren Ebene. Bei individuellen Konflikten ist es das Recht in der Bedeutung Spielregeln der Gesamtgesellschaft. Die allerdings auch nur dann gerechtfertigt (!) sind, wenn sie ihre Begründung von einer höheren Ebene erfahren (Art. 1 GG). Heißt, ob mit oder ohne gültige Spielregeln, um die höhere Ebene kommt man nicht herum.
 
Problem: die höhere Ebene ist philosophisch. Also schwierig und nicht spontan für jeden einsichtig; muss erst einsichtig gemacht werden.
 
Bis dahin würde ich aus praktischen Gründen die Frage zur Diskussion stellen: für wieviel Zerstörung bist du willens, verantwortlich zu sein, um das zu kriegen, was du haben willst? Glaub mir, die Frage ist vertrackt. Die Menschen sind nämlich gar nicht so. Nur, wer meint, im Recht zu sein, verdrängt damit die Konsequenzen.
 
Wer lieber zum Konzert geht, denkt in der Regel nicht daran, dass er, wenn der Mann wg unterlassener Hilfeleistung stirbt, dafür verantworlich ist, dass er daran schuld ist. Die übliche Antwort ist dann ja immer, "das habe ich nicht gewollt". Ist aber gleichgültig für die Tatsachen, die sind, wie sie sind.
 
Ein positives Verhältnis zur Welt haben führt dazu, sich gegen Zerstörung zu stemmen, auch gegen die eigenen Interessen.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-07, 01:06 Uhr
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Wolfgang schrieb:
Quote:Ja, so kann man das beschreiben - wir erleben hier die Wiederauferstehung der nicht enden wollenden Versuche um die Erklärung eines allgemeingültigen Wertesystems.
 
 
Ich meine, Werte werden langsam und unmerklich dem Volk eingeimpft. So eigenartig in einem Philosophie-Forum das klingen mag, einen großen Anteil an den aktuellen Werten hat unter neben anderen Blättern die BILD-Zeitung. Im Grunde genommen liest man in fast allen Zeitungen dasselbe wie in der BILD. Die Journalisten kennen die Methoden, wie durch ständiges wiederholen über das Gefühl ansprechende Geschichtchen, der Leser sich manipulieren lässt. Auch wenn die Leser in ihrem Fach hervorragendes leisten, in dem Moment wenn sie die Bild zur Entspannung in sich einsaugen, sind sämtliche Kontrollmechanismen im Gehirn abgeschaltet, und der Leser merkt nicht, wie er langsam nach und nach seine Wertevorstellungen anpasst.
 
Eberhards Fragestellung nach der Priorität, Hilfe für in Not geratene Menschen oder der persönlicher Genuss bewirkt überhaupt nichts und war auch schnell beantwortet.
 
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Im Grunde genommen drehen wir uns in dieser Diskussion im Kreis, es geht in dieser Diskussion um ein Thema, das bereits seit 3000 Jahren als Goldene Regel (http://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Regel) in unterschiedlichsten Kulturen durchgehechelt wurde, ohne das wir uns wirklich daran halten.
 
hedgi
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-07, 10:33 Uhr
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Hallo Wolfgang,
 
Du skizzierst eine sozialpsychologische Theorie der Entwicklung von Einstellungen und Überzeugungen, verbunden mit einer z. T. ungewöhnlichen Umdeutung gebräuchlicher Begriffe. So halte ich es im Unterschied zu Dir für sinnvoll, immer dann von der "Meinung" einer bestimmten Person zu sprechen, wenn diese eine bestimmte Ansicht als richtig vertritt, unabhängig davon, ob und wie sie diese Ansicht belegen kann oder nicht.
 
Deine Thesen können nützlich sein, wenn jemand psychologische Konfliktberatung oder Mediation betreibt. Ich sehe allerdings nicht, dass sie für die ethische Frage nach einer gerechten, allgemein akzeptablen Konfliktlösung direkt relevant ist.
 
Aus sozialpsychologischen Annahmen, wie Menschen sich unter bestimmten Bedingungen verhalten, lässt sich rein logisch nicht folgern, ob und wie eine allgemein akzeptable Berücksichtigung von Interessen zu bewerkstelligen ist.
 
In entsprechender Weise lässt sich aus der Tatsache, dass manche Menschen aufgrund psychischer Hemmnisse für naturwissenschaftliche Argumente nicht empfänglich sind, nicht folgern, dass die naturwissenschaftlichen Methoden und Ergebnisse deshalb nicht allgemeingültig sein können - was für Dich ja andererseits vollkommen fest zu stehen scheint.
 
Wenn Du anderer Ansicht bist, dann bin ich auf die präzise Argumentation gespannt, aus der sich schlüssig der Satz ergibt: "Eine allgemein konsensfähige ethische Gewichtung von individuellen Interessen ist nicht möglich." Also: Von welchen Prämissen gehst Du dabei aus? Welche Schlüsse führen in welchen Schritten zum obigen Ergebnis?
 
fragt Dich Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-07, 11:00 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
Du diskutierst den Begriff des "berechtigten Interesses". Um sich auf ein berechtigtes Interesse berufen zu können, muss zuvor diese Berechtigung begründet worden sein. Wenn z. B. A und B in Deutschland leben, wo es - worauf Hedgi bereits hingewiesen hat - im Strafgesetzbuch den Paragraph "Unterlassene Hilfeleistung" gibt, dann hat A ein berechtigtes Interesse auf Hilfe.
 
Ich halte es um der Übersichtlichkeit der Diskussion willen jedoch für sinnvoll, diese Komplikationen jetzt noch nicht mit einzubeziehen und von der Annahme auszugehen, dass der Konflikt nicht bereits anderweitig geregelt wurde.
 
Das gleiche gilt auch für die von Xenon angeschnittene Differenzierung des Begriffs "Interesse".
 
So muss das Interesse eines Individuums nicht notwendig "eigeninteressiert" sein im Sinne eines Bezugs zum eigenen Wohlergehen. Man kann auch ein individuelles Interesse am Wohlergehen anderer haben (z. B. der eigenen Freunde oder Kinder) oder am "Schlechtergehen" (z. B. der eigenen Feinde).
 
Auch Phänomene wie Mitleid, Gewissen, Selbstachtung, Streben nach sozialer Anerkennung etc. mildern den Konflikt sicherlich häufig ab.
 
Herzliche Ostergrüße von der Spree an den Rhein und wo immer in der Welt Teilnehmer oder Leser unserer Diskussion leben von
 
Eberhard.
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-07, 15:10 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: ...verbunden mit einer z. T. ungewöhnlichen Umdeutung gebräuchlicher Begriffe.
 
Ja, die Entdeckung, für den klaren Zusammenhang, den ich vor meinem inneren Auge sehe, fehlen in der deutschen und englischen Sparche die passenden Begriffe, hat die größten Qualen verursacht.
Also habe ich den nächstbesten Begriff genommen und für meine Zwecke neu definiert.
 
 
Du: dass sie für die ethische Frage nach einer gerechten, allgemein akzeptablen Konfliktlösung direkt relevant ist.
 
Genausowenig wie die Thermodynamik für die Entwicklung eines Perpetuum Mobile.
 
Mit meinen angeführten Argumenten - und Folgerungen daraus - läßt sich logisch beweisen, warum der Wunsch nach einem allgemeingültigen Wertesystem, einer "neuen Weltordnung" genauso illusorisch ist wie ein Motor, der ohne Energieverbrauch ewig Energie liefert.
Einschränkung: Dies gilt nur für eine Gesellschaft von Individuen.
 
Entwarnung: Trotzdem können sich Individuen in ihrer Gesellschaft auf grundlegende Werte einigen - sofern sie einsehen, wie die Vorteile für das Individuum letztlich größer sind als die Nachteile.
 
Daß dies in m Unternehmen, die in ihrem Markt bestehen wollen, machbar ist, zeigen legendäre Sanierungen, wo der Sanierer im Haufen von Einzelkämpfern "um den letzten Arbeitsplatz" wieder Miteinander schaffen konnte. Mein Vorzeigebeispiel: Mettler-Toledo (Albstadt).
 
 
Du: Aus sozialpsychologischen Annahmen, wie Menschen sich unter bestimmten Bedingungen verhalten, lässt sich rein logisch nicht folgern, ob und wie eine allgemein akzeptable Berücksichtigung von Interessen zu bewerkstelligen ist.
 
Genau dasselbe sage ich. Solange die Menschen der betrachteten Gesellschaft Individuen sind, ist die Möglichkeit zum allgemein
 
 
Du: In entsprechender Weise lässt sich aus der Tatsache, dass manche Menschen aufgrund psychischer Hemmnisse für naturwissenschaftliche Argumente nicht empfänglich sind, nicht folgern, dass die naturwissenschaftlichen Methoden und Ergebnisse deshalb nicht allgemeingültig sein können - was für Dich ja andererseits vollkommen fest zu stehen scheint.
 
Allgemeingültige Methoden? Sicher gelten die Gesetze der Mathematik wohl im ganzen Universum. Jedenfalls sind keine Informationen bekannt, die Zweifel bestärken, die Kreiszahl PI könne in der Galaxis Andromeda anders sein als hier.
 
Aber niemand kann gezwungen werden, eine bestimmte Methode anzuwenden. Allenfalls sein Kunde kann die Anwendung zur Kaufbedingung machen und der Sachverständige kann vor Gericht bewirken, daß der Richter einen klaren Spruch fällt.
 
 
Deine These: "Eine allgemein konsensfähige ethische Gewichtung von individuellen Interessen ist nicht möglich."
 
Fein, ja so ist das gut für das Finden eines Konsens ohne allzuwilde Umwege.
 
Mein Tatsachen-Gegenbeweise:
a) Die Ermüdungssitzungen im Tarifkonflikt.
b) Der 30-jährige Krieg.
c) Die Überlastung der Gerichte mit Streit um Kleinigkeiten zwischen Nachbarn.
Wäre eine Methode denkbar, die eine allgemeingültige und allseits akzeptable Gewichtung der Interessen liefert, dann wäre sie angesichts der Kosten von Endlosdebatten in der Tarifverhandlung und von Kriegen schon längst umgesetzt worden.
Diesem Argument wird aber wohl nur zustimmen, wer sich nicht anmaßt, er oder diese Generation sei wesentlich weiser (nicht klüger!) als alle vorherigen Generationen.
 
Mein logischer Gegenbeweis gegen Deine These steckt in deren Widerspruch zwischen "individuell" und "allgemein konsensfähig". Was denn nun? Wenn individuell, dann eben nicht allgemein konsensfähig. Und wenn allgemein konsensfähig, dann eben nicht individuell.
 
Mein Ausweg aus dem Dilemma (Danke, Eberhard, für die Anregung, darüber nachzudenken und ihn zu erkennen!):
a) Wir Menschen vom Typ homo sapiens sind eher keine Individuen in dem, was uns allen gemeinsam angeboren ist. Wie eben auch das gemeinsam angeborene Wertesystem. Wir alle streben nach persönlichem Glück und Genuß, wir alle können uns in die Lage eines Herzanfallerkrankten versetzen, mitleiden, und spontan (also ohne Kalkül!) das Leid für uns und ihn abstellen wollen.
b) Wir Menschen sind aber sehr individuell in der Wahl unserer Wege zu unserem persönlichen Glück. Was uns Individuen unterscheidet, dann sind unsere die kleinen Unterschiede in unseren Erbanlagen, die größeren Unterschiede in unseren Startchancen, unsere angeborenen Varianten in unseren Geschmäckern und Fähigkeiten, und in der Menge unserer Meinungen, die wir im Laufe des Lebens bilden.
Wer die Chancen hat, auf der Arbeitgeberseite aufzusteigen und diese ergreift, der bildet andere Meinungen als der Klassenkamerad, der die Gewerkschaftskarriere machte und ihm in der Tarifverhandlung gegenüber sitzt.
 
Meine Antithese:
"1. Allen Menschen vom Typ Homo sapiens, ist ein gemeinsames Wertesystem angeboren. Dieses ist äußerst simpel. Darüber ist immer Konsens einer 2/3-Mehrheit zu erreichen. (Keine 100%, weil immer mit Rebellen zu rechnen ist und mit Personen, die nicht gesund sind.)
2. Allen Menschen sind auch Fähigkeit angeboren, seine eigenen Vorlieben und Geschmäcker zu habenm, seine eigenen Erfahrungen zu machenm, Meinungen und ein persönliches Wertesystem zu bilden. Eine Einigung in diesen individuellen Wertesystemen ist nur unter solchen Personen möglich, die in der Einigung einen Vorteil sehen für ihre angeborenen persönlichen Interessen."
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hythlodeus am 2007-04-07, 20:47 Uhr
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[talker]
 
Vielleicht hilft dies weiter:
 
http://www.kellmann-stiftung.de/index.html?/beitrag/hoerster_moral.html
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-07, 23:17 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Hedgi,
 
Du verweist auf die "Goldene Regel", mit der für Dich offenbar alle ethischen Fragen beantwortet sind. Was fehle sei nur die Befolgung dieser Regel.
 
Diese Position teile ich nicht, obwohl ich die Goldene Regel für eine genial einfache Faustregel halte, die in der Mehrzahl der Fälle zu brauchbaren Ergebnissen führt.
 
Die Goldene Regel beinhaltet in ihrer negativen Form die Regel:
 
"Füge dem andern nichts zu, von dem Du nicht willst, dass jemand es Dir zufügt."
 
Wenn Du z. B. nicht willst, dass jemand Dich als dumm bezeichnet, dann bezeichne Du selber auch niemanden als dumm.
Hier stellt sich einmal die Frage, worin die Begründung der Goldenen Regel besteht. Die Regel ist ja in keinerlei methodologische Argumentation eingebunden. Warum ist das, was die Goldene Regel sagt, richtig?
 
Ein weiteres Problem: Wenn zwei Individuen die Goldene Regel anwenden, muss das nicht zu einem einheitlichen Resultat führen.
 
Dies ist z. B. der Fall, wenn die beiden Individuen nicht die gleichen Vorlieben und Abneigungen haben. Ich mag es selber nicht mögen, dass mir jemand zum Geburtstag eine Operetten-DVD schenkt. Trotzdem mag es sinnvoll sein, dass ich einem Operetten-Fan eine solche DVD schenke.
 
Dies Problem entsteht dadurch, dass man sich bei Anwendung der Goldenen Regel nur fragen muss, wie die eigenen Bedürfnisse sind. Es wird also vorausgesetzt, dass die Menschen weitgehend identische Bedürfnisstrukturen haben.
 
Ein anderes Problem hängt mit der fehlenden Abwägung von Interessen bei Anwendung der Goldenen Regel zusammen. Ich mag z. B. nicht, wenn mein Nachbar in seinem Garten den Rasenmäher in Betrieb hat. Trotzdem nehme auch ich meinen Rasenmäher in Betrieb. Die Begründung hierfür ist, dass es wegen der Arbeitserleichterung sinnvoll sein kann, laute Maschinen zu benutzen, auch wenn man laute Maschinen an sich nicht mag.
Das Beispiel „Hilfeleistung oder Konzertbesuch“ interessiert hier nicht als reales ethisches Problem – da ist es wahrlich simpel. Das Beispiel wurde eingeführt, um ein theoretisches Problem zu demonstrieren. Das Problem besteht darin, dass wir uns wohl einig sind, dass die Hilfeleistung für A ethisch Vorrang hat vor dem Konzertgenuss von B. Gleichzeitig fehlt aber doch eine Begründung, wie wir zu diesem Vorrang der Hilfeleistung kommen, obwohl B von seiner Interessenlage her lieber weggucken und ins Konzert eilen möchte.
 
Die Frage ist: Wie kann man zu einem gemeinsamen Ergebnis bei der Abwägung der beiden Alternativen und der damit verbundenen Interessen kommen? Wie könnte man z. B. mit B argumentieren, wenn er nicht eine Moral verinnerlicht hat, die besagt: Die Rettung eines Menschenlebens hat einen höheren Wert als ein Kunstgenuss?
 
Ich hoffe, dass jetzt etwas besser klar geworden ist, welche Funktion das Beispiel erfüllen soll.
 
Grüße an alle Teilnehmer und Nur-Leser von
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-08, 01:09 Uhr
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Kant hat die Aussage der Goldenen Regel in seinem Kategorischen Imperativ (http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ) schon etwas präziser gefasst. Er schränkt diese ethische Forderung auf die Allgemeinheit ein, und fordert dass das gesetzlich verankert wird. Ihm ist klar, dass nicht jedem die Vernunft gegeben ist, die Interessen des Nächsten im Auge zu haben, weil auch er irgendwann in die Situation kommen könnte, auf die Hilfe des Nächsten angewiesen zu sein.
 
Wir können nicht erwarten, dass die Menschen aus antiker Zeit bereits die Probleme so scharf analisieren konnten, wie das zu Kants zeit möglich war, schließlich braucht alles seine Entwicklungszeit.
 
Wir dürfen nicht den Fehler begehen, die Goldene Regel auf alle Vorkommnisse im Leben anwenden. Es ist schon ein Unterschied ob es um banale Bedürfnisse wie Fragen des persönlichen Geschmacks, oder um existentielle Fragen geht.
 
Die Frage, ob die Rettung eines gefährdeten Menschen Vorrang vor persönlichen Genuss haben sollte, ist natürlich auch unsere Annahme gewichtig, dass er überhaupt gerettet werden möchte. In den meisten Fällen können wir davon ausgehen, dass das der Fall ist, fragen können wir in diesem Moment einen in Not geratenen jedenfalls nicht.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-08, 07:36 Uhr
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Fröhliche Ostern!
 
Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?
 
Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
 
Dies erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden, meint
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-08, 11:16 Uhr
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Quote:Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass ……. , als der Zwang sich zu einigen?
 
 
Also doch Zwang! So wie das während des Kalten Krieges dank der Atombombe die Welt im friedlichen Gleichgewicht hielt.
 
Weder der amerikanische Präsident noch der sowjetische KP-Chef verspürten in aller Klarheit große Lust, ihr verbleibendes Leben im atomsicheren Bunker zu verbringen. Hier kollidierten einmal nicht die Interessen.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-08, 12:41 Uhr
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Hallo Hedgi,
 
zum Verfahren: Wenn man die Behauptung eines andern Diskussionsteilnehmers kritisiert, dann sollte man ihn zumindest so zitieren, dass das Zitat einen sinnvollen Satz ergibt.
 
Der vollständige Satz lautet:
 
"Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?"
 
Der "Zwang" sich zu einigen ist doch kein realer Zwang sondern ergibt sich logsich "zwingend" aus dem Ziel, zu einem gemeinsamen Wollen zu kommen.
 
Soweit zur Klarstellung von
 
Eberhard.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-08, 13:15 Uhr
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hi ebi,
 
"Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der Zwang sich zu einigen?"
 
 
wenn der einigungszwang allem vorausgeht, so wird das 'gemeinsame wollen' letztlich nichts anderes als ein kollektivzwang sein.
 
siehe, nationalsozialismus, planwirtschaft, konsumismus, wobei letzterer schon wesentlich virtueller und raffinierter abläuft, weil der 'zwang' 'innerpsychisch' nur mit verschleierter aussenkontur vom individuum selbst hergestellt, respektive übernommen wird.
 
das zu erfassen, bräuchte schon ganz andere themenaufrisse als die simple, legolandhafte 1x1-ethik, die du, eberhard, hier dauernd als ernstzunehmende vorlage auftischst.
 
doch immer wenn jemand deine sprache um wesentliches zu bereichern versucht, klemmst du erfahrungsgemäss ab.
 
viele grüsse
 
laertes
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-08, 13:26 Uhr
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Hi, Eberhard
 
 
Du (zu wem auch immer): Du verweist auf die "Goldene Regel", mit der für Dich offenbar alle ethischen Fragen beantwortet sind.... Hier stellt sich einmal die Frage, worin die Begründung der Goldenen Regel besteht. Die Regel ist ja in keinerlei methodologische Argumentation eingebunden. Warum ist das, was die Goldene Regel sagt, richtig?
 
Eine Antwort zu "richtig" oder "falsch" kann ich mit meiner naturwissenschaftlichen Kulturlogik nicht geben, weil das künstliche Kategorien sind, erfunden wohl vom Menschen, der sein Empfinden verallgemeinerte.
 
Ich halte mich für aufgeklärt und argumentiere für Aufgeklärte.
 
Wohl aber habe ich eine Antwort, warum das Befolgen der Goldenen Regel die Überlebenschancen einer Gesellschaft und damit ihrer Individuen fördert.
Warum das Befolgen dieser Regel ein evolutionärer Vorteil ist.
 
Zur Begründung eine Vorannahme: Wir beobachten mehrere Horden derselben Art, darunter Horden O (wie Original) und M (wie mutiert). M hat durch Mutation die "Goldene Regel" eingepflanzt bekommen.
Wie stehen die Überlebenschanden für O und M?
 
Muß ich das noch ausführen? Oder sind die kurzen Worte klar genug, daß die Angehörigen von O über Leichen gehen, Feinde ansammeln, im Gegeneinander ihre Kräfte verschwenden und nachher so untergehen, wie wir es heute bei denjenigen Konzernen erleben, in denen das Gegeneinander tobt und Mitarbeiter als "Kostenfaktoren auf zwei Beinen" (Schrempp) beschimpft werden.
Während die Teilnehmer der Horde M eher Opfer für Einander bringen, Miteinander und Freunde gewinnen und die Volksweisheit "Einigkeit macht stark!" umsetzen,
 
So wahrscheinlich in der Evolution eine naheliegende Mutation auch irgendwann mal eintritt und sich auswirkt, vermute ich, daß die Goldene Regel schon unseren Urahnen eher angeboren war als nicht.
 
Daß sie eher Sache der Intuition ist (die Menge aller Denkfähigkeiten an sinnesnahen, anschaulichen Sinneserlebnissen und Gefühle, darunter auch die bildhafte Vorstellung "was wäre, wenn ich an seiner Stelle wäre?").
Erklärt dies vielleicht, warum herzlose Manager, deren Intellekt auf Kriegsfuß steht mit ihrer Intuition, eher gegen die Goldene Regel verstoßen?
 
So sehr ich vermute, daß die Goldene Regel allen lernfähigen und geselligen Arten eher angeboren ist, so sehr vermute ich, daß menschengemachte, künstliche Gesetze und Religionen diese angeborene Regel nur formuliert haben.
Und ferner: Weltliche und religiöse Gesetze, die gegen die Goldenen Regel verstoßen, haben eine kurze Lebenszeit.
 
 
Du:Wenn zwei Individuen die Goldene Regel anwenden, muss das nicht zu einem einheitlichen Resultat führen.
 
Zustimmung. Aber die Chance steht höher. Insbesondere, wenn die anderen Angehörigen der Horde eher Miteinander als Gegeneinander schätzen und fordern.
 
 
Oh, Du hast das ja anders gemeint! Ich mag es selber nicht mögen, dass mir jemand zum Geburtstag eine Operetten-DVD schenkt. Trotzdem mag es sinnvoll sein, dass ich einem Operetten-Fan eine solche DVD schenke.
 
Simple Antwort: Die Weihnachtsmann-Auslegung:-) der Goldenen Regel: "Ich mag gern das geschenkt bekommen, was ich mir wünsche."
 
 
Du: Ein anderes Problem hängt mit der fehlenden Abwägung von Interessen bei Anwendung der Goldenen Regel zusammen.
 
Das hatte ich von Anfang an eingeräumt mit einer Aufspaltung, und ich präzisiere: In angeborene Goldene Regel und erlernte Kriterien der Abwägung.
 
 
Du: Das Problem besteht darin, dass wir uns wohl einig sind, dass die Hilfeleistung für A ethisch Vorrang hat vor dem Konzertgenuss von B.
 
Eine künstliche Ethik taugt eher für Forderungen an andere.
 
Ich habe schon einen Zug mit Sitzkarte fahren lassen, um einem Armen, der im Schnee in der Gosse lag, zu helfen, bis die Sanitäter kamen. Und eben nicht aus Kalkül oder Gehorsam gegenüber einer Ethik, sondern aus Mitgefühl, aus der Vorstellung "was wäre, wenn ich an seiner Stelle da läge..."
 
„Um gutes zu tun, braucht‘s keiner Überlegung.“ (Goethe)
 
 
Du: Die Frage ist: Wie kann man zu einem gemeinsamen Ergebnis bei der Abwägung der beiden Alternativen und der damit verbundenen Interessen kommen?
 
Ich weiß keinen Weg. Ich meine nur erkannt zu haben, daß uns die Goldene Regel wohl angeboren ist und eine gute Grundlage für gemeinsamen Erfolg ist, aber nicht für eine allgemeingültige Methode der Abwägung in einem Tarifkonflikt.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-08, 21:17 Uhr
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Hallo allerseits,
hallo Wolfgang,
 
Deine Art zu argumentieren versetzt mich immer wieder in Erstaunen.
 
Die Worte „richtig“ oder „falsch“ sind für Dich „künstliche Kategorien“, die Du nicht verwenden willst. Aber wenn Du behauptest, dass das Befolgen der Goldenen Regel ein evolutionärer Vorteil für eine Gesellschaft ist, dann impliziert das doch, dass Du diese Behauptung für richtig hältst, oder? Was bringt das also?
 
Du schreibst: „Ich halte mich für aufgeklärt und argumentiere für Aufgeklärte.“ Aber was hat das mit Aufklärung zu tun, wenn Du die Frage, ob eine Theorie richtig ist, durch die Frage ersetzt, ob die Anwendung dieser Theorie einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil erbringt?
 
Ich halte diese Verschiebung der Fragestellung eher für eine methodischen Flop:
 
1. Es gibt eine Theorie Th 1 (die Goldene Regel), von der unbekannt ist, ob sie richtig oder falsch ist.
 
2. Der aufgeklärte Philosoph hält die Frage nach richtig oder falsch für künstlich.
 
3. Er stellt stattdessen die Theorie Th 2 auf („Die Anwendung der Goldenen Regel verschafft einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil“).
 
4. Ist Th 2 nun richtig oder falsch?
 
5. Der aufgeklärte Philosoph W hält die Frage nach richtig oder falsch für künstlich.
 
6. Er stellt stattdessen die Theorie Th 3 auf („Die Anwendung der Theorie Th 2, dass die Anwendung der Goldenen Regel einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil verschafft, verschafft einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil“)
 
7. Ist Th 3 nun richtig oder falsch?
 
8. Der aufgeklärte Philosoph hält die Frage nach richtig oder falsch für künstlich.
 
9. Er stellt stattdessen …
 
… … … … … …
 
Ich blende mich hier mal aus und lasse den aufgeklärten Philosophen alleine weitermachen.
 
Es grüßt Dich
 
Eberhard.
 
 
p.s.: Zu dem Kommentar von Laertes: „wenn der einigungszwang allem vorausgeht, so wird das 'gemeinsame wollen' letztlich nichts anderes als ein kollektivzwang sein.“
 
Bitte beachte: Ausgangspunkt ist der Wille zur Einigung angesichts der Kosten des Krieges.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-08, 21:54 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: Die Worte „richtig“ oder „falsch“ sind für Dich „künstliche Kategorien“, die Du nicht verwenden willst. Aber wenn Du behauptest, dass das Befolgen der Goldenen Regel ein evolutionärer Vorteil für eine Gesellschaft ist, dann impliziert das doch, dass Du diese Behauptung für richtig hältst, oder?
 
Wenn ich die Entscheidung oder das Handeln eines Handelnden bewerte, dann bewerte ich dessen angestrebten Nutzen aus seiner Sicht.
 
"Richtig" und "Falsch" lese ich als allgemeingültige Bewertungen. Der Handelnde sieht das oft anders.
 
Was das bringt? Es minimiert den Fehler, der entsteht, wenn ich eine subjektive Entscheidung nach allgemeingültigen Maßstäben messe.
 
Du: Aber was hat das mit Aufklärung zu tun, wenn Du die Frage, ob eine Theorie richtig ist, durch die Frage ersetzt, ob die Anwendung dieser Theorie einer Gesellschaft einen evolutionären Vorteil erbringt?
 
"Richtig" und "Falsch", allgemeingültig verstanden wie auch "Das Gute" und "das Böse" sind Erfindungen der monotheistischen Religionen.
 
Sie taugen für die Analyse der Handlung eines Einzelnen nur, wenn er sich diesen Kategorien und den zugehörigen religiösen Gesetzen unterworfen hat.
 
Wenn alle Angehörige einer Gesellschaft sich diesen Kategorien und Gesetzen bedingungslos unterwerfen, dann wäre Deine allgemeingültige Schlichtungsmethode leichter zu finden.
 
 
Du: 1. Es gibt eine Theorie Th 1 (die Goldene Regel), von der unbekannt ist, ob sie richtig oder falsch ist.
 
Können wir abkürzen. Ich halte die allgemeingültigen Kategorien von "richtig", "falsch", "das Gute" und "das Böse" für untauglich für eine Abwägung der Interessen von Personen, die sich diesen Kategorien und ihren zugehörigen Gesetzen nicht bedingungslos unterworfen haben.
 
Deshalb argumentiere ich mit der Nützlichkeit so, wie der jeweils Handelnde sie sieht.
 
 
Du: 4. Ist Th 2 nun richtig oder falsch?
 
Weder noch. Diese Kategorien sind nicht anwendbar.
Wer es versucht, verirrt sich zwischen den Mehrdeutigkeiten infolge der Widersprüche zwischen persönlicher und allgemeingültiger Wertung.
 
Deshalb bleibt: "die konsequente Anwendung der Goldenen Regel steigert die Überlebenschancen einer Gesellschaft".
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-08, 22:05 Uhr
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Hi,
 
Dreh- und Angelpunkt ist m.E. die Entfremdung von der Welt, dem Sein (gefällt Dir nicht, Eberhard, ist aber m.E. nur in diesen Tiefen zu lösen, das Problem). Wir legen uns Ideologien zurecht (Marx), debattieren über unsinnige Theorien (Wittgenstein), machen Entwürfe von der Welt und werfen damit das Sein denkend von uns fort (Heidegger). Dadurch schaffen wir mit unserem Denken, unseren Theorien eine fiktive Welt, und mit einer fiktiven Welt kann man anstellen, was man will, es passiert ja nicht wirklich etwas.
 
Aufwachen tun viele erst dann, wenn ihnen das, was sie tatsächlich bewirkt haben, tatsächlich vor Augen steht, und zwar mit Entsetzen aufwachen. Das ist vielfach der Fall bei fahrlässiger Tötung, Spruch "das habe ich nicht gewollt". Das war aber auch z.B. der Fall, als die Einwohner von Dachau kurzerhand ins KZ geführt wurden, bekannt ist dieses Phänomen auch von Soldaten und Bomberpiloten, wenn sie sehen, was sie tatsächlich angerichtet haben oder aus besinnungslosem Um-Sich-Ballern zwecks Selbstverteidigung aufgewacht sind. Und eben das zeigt, wie wohl die Mehrheit der Menschen letztlich doch tickt.
 
Wer der Welt nicht durch Theorien entfremdet ist, verabscheut Zerstörung, es sei denn, sein eigenes Sein ist bedroht, denn dies hat den gleichen Wert wie anderes. Wem klar vor wissenden Augen steht, wenn ich zum Konzert gehe, wird dieser Mensch sterben oder schwer geschädigt werden, wird etwas Unwiederbringliches zerstört, der hat keine Wahl: der hilft. Nicht wegen einer Norm, einer Moral, sondern weil er will. Er kann gar nicht anders.
 
Das Problem besteht in meinen Augen darin, dass wir alle möglichen Theoretisierungs- und Verdrängungsmechanismen haben, die uns die realen Tatsachen nicht erkennen lassen. Aus diesem Grunde ist es nötig, Richtlinien, Normen, Moralen zu entwickeln. Du wirst aber nie einen Konsens erreichen, wenn diese auf Theorien aufgebaut werden sollen. Ein Konsens ist nur dann möglich, wenn sie auf dem tatsächlich, im die Realität der Welt, des Seins sehenden, sich zeigenden menschlichen Willen aufgebaut werden.
 
Grüße
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von laertes am 2007-04-08, 22:31 Uhr
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hi eberhard,
 
 
"Ausgangspunkt ist der Wille zur Einigung angesichts der Kosten des Krieges."
 
 
eben, ein legolandausgangspunkt.
 
man hat ein alibi (krieg mit grossen schäden oder z.b. menschenrechte) um andere interessen durchzusetzen.
 
man einigt sich also auf etwas, was sowieso niemand mehr interessiert, um dem medienakt (d.h. dem kasperleteil des ganzen) den anstrich von ethischem wert zu geben.
die naiven, meist links-ausgerichteten sozi-ethikschafe nicken dann hinter der zeitung oder vor dem fernseher.
 
dann werden aber alle tricks hinten und vorne ausgespielt, die letztlich wieder den unterschied herstellen zwischen den trickreichen und den nicht-durchschauern der tricks, die in ihrer aussteuerung somit fremdbestimmt werden. das passiert so auf der menschlichen wie auf der nationalen ebene.
 
dass zeitunglesen und allgemein nachrichten verbreiten, konsumieren und glauben ausschliesslich zur selbstübereignung führt, dazu bedarf es wohl keiner grossen erkenntisfähigkeit.
die pathetischen, aufgeklärten info-heinis, die glauben, weltmänner zu sein, weil sie um das verbreitete tagesgeschehen wissen, werden schon bald aussterben, weil die unglaubliche virtualität diese bewusstseins nicht länger bestehen wird.
warum?
weil sich damit kein leben ausfüllen lässt und das wird irgendwann als schmerz spürbar. nicht die gläubigen werden das in erster linie spüren (und sich ändern), sondern deren kinder!
 
deine idee von einer nüchteren grundlage eines gemeinsamen interesses, das die 'individuelleren', sekundären spezialanliegen fair besprechen könnte, ist niemals gegeben, sondern geradezu eine schreiend naive und gestrige vorstellung.
es gibt in der politik immer das spiel vor und hinter dem vorhang.
ethik und moral haben keinen zutritt hinter den vorhang und sind auch aufgrund ihres theoretischen anganges, der nur eine unwirksame sprache abwirft, die im realgefecht null chance hat, weit zu träge, dort überhaupt etwas ausrichten zu können.
siehe 9/11.
 
wenn du eine 'andere welt' möchtest, dann ist das nachsinnen über ethik mittels moralen wohl das kontraproduktivste, was sich denken lässt.
 
weit folgenreicher ist das gewahrwerden, dass alles bewusstsein du selbst bist.
als spekulation:
würde dies breit global erkannt, würde das sich gegenseitige abmessen mittels moral und der daraus resultierenden mängel, fehler, versäumnisse, die wiederum für aggressionspotenziale und gewalt sorgen, wegfallen.
 
d a s wäre mal was!
den aufwand der schuldsuche vernichten!
 
wurstelt man aber in den moralischen kategorien selbst rum, so stärkt man letztlich nur alles, was man meint mittels ihnen verbessern zu können. oder spricht irgendwo der verlauf deiner vielen ethikthreads dagegen?
 
m.e. ist es interessant, diese bestätigung der moralischen, politischen, wirtschaftlichen (vorstellungs)systeme möglichst umfassend zu u n t e r l a s s e n ohne ressentiment und auch ohne verzicht.
 
wie kann das gehen?
 
indem man z.b. erfasst, was vorstellung und was wirklichkeit ist.
 
nur so könnte (endlich!) verhindert werden, dass ethik und politik probleme schaffen statt sie zu lösen.
 
 
 
viele grüsse
 
laertes
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-08, 22:36 Uhr
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on 04/07/07 um 20:47:11, hythlodeus wrote:[talker]
 
Vielleicht hilft dies weiter:
 
http://www.kellmann-stiftung.de/index.html?/beitrag/hoerster_moral.html
 
 
 
M.E. vollkommen sinnlos.
 
1. Seine Argumentation basiert auf der Einheit und Gleichheit aller Menschen. Genau das jedoch wird von den Freunden des Massenmordes abgelehnt. Nicht als Menschen oder richtige oder vollwertige Menschen angesehen wurden Schwarze, Braune, Gelbe, Juden, Andersgläubige, Behinderte, Homosexuelle, Frauen, Dissoziale, Psychiatrieinsassen, Kommunisten, Antikommunisten ... die Reihe ist endlos. Im Grunde sagt er das ja selber: im kleinen Haufen funktioniert sein Argument, um den großen drückt er sich herum.
 
2. Würde ich dem Autor dazu raten, sich mal etwas intensiver mit dem Nationalsozialismus zu befassen (und auch mit Nietzsche). Die nämlich beriefen sich letztlich auf die Wahrheit der Natur, anders gesagt, auf die Evidenz der biologischen Steuerungen. Also der Gefühle, und die sind evident, weil sie empfunden werden, denn von der Biologie her ist der Mensch ein Viech wie jedes andere auch und wird mit den gleichen Gefühlen gesteuert. Die Nazis erklärten die Ethik schlichterhand für eine Lüge der Juden, durch die diese 'Antimenschen' ihr Überleben sichern wollen, da sie ansonsten von der göttlichen Natur schon längst ausgerottet wären. Wobei zu bedenken ist, die biologische Steuerung funktioniert, das Viehzeug lebt damit seit Jahrmillionen. Sie ist vernünftig, sie ist logisch, sie funktioniert, sie ist nur nicht menschlich.
 
Von daher behaupte ich, eine Ethik ohne Metaphysik ist unmöglich, weil Ethik immer nur etwas spezifisch Menschliches sein kann; dass Menschen seit Jahrtausenden nach ethischen Grundsätzen leben, auch wenn diese immer wieder gebrochen werden, zeigt, dass Menschen über das Tier hinausreichen. Das schiere Vorhandensein ethischer Grundsätze zeigt das.
 
Eine Ethik ohne Metaphysik landet bestenfalls bei der zivilisatorischen Moral, wie sie z.B. in den USA vertreten wird, wonach die angeblich höchste = erfolgreichste Zivilisation auch die besten Werte hat, die folglich überall verbreitet werden müssen, vor allem unter den Unzivilisierten. Wieviel Unheil dadurch schon angerichtet wurde, ist allseits bekannt. Und letztlich landen solche Bemühungen genau da, wo alle anderen Bemühungen, eine eigene Moral auf ihrer ideologischen Basis zu schaffen, auch landen: in der Biologie, die das friedliche Zusammenleben im eigenen Rudel regelt und ansonsten nach dem Recht des Stärkeren funktioniert.
 
Kleiner Hinweis: wie brave Normen, Demokratie und friedliches Zusammenleben funktionieren, mag man an Oliver Cromwells Puritanern erkennen. Wobei man allerdings nicht übersehen sollte, wie diese mit Nichtpuritanern umgingen.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-08, 23:45 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
 
Du: Von daher behaupte ich, eine Ethik ohne Metaphysik ist unmöglich...
 
Beinhaltet Deine Behauptung auch den Umkehrschluß: "Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte metaphysikalische Ethik ist möglich"?
 
Wenn ja, wie?
 
Meine Antithese: In einer Gesellschaft von Individuen sind außer den wenigen angeborenen keine Gesetze denkbar mit Aussicht auf allgemeine Anerkennung und von jedem Individuum.
Sondern allenfalls in einer Gesellschaft von Nicht-Individuen.
 
Und ich müßte Dich bisher falsch verstanden haben, wenn Du eine Gesellschaft von Nicht-Individuen für erstrebenswert hältst.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-09, 01:34 Uhr
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Hi Wolfgang,
 
 
Quote:Beinhaltet Deine Behauptung auch den Umkehrschluß: "Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte metaphysikalische Ethik ist möglich"?
 
 
 
Sofern es die Grundlage betrifft, also das, auf dem eine im Konsens akzeptable Moral aufgebaut werden könnte (Du weißt, ich unterscheide zwischen Ethik = das, was ist und Moral = das, was sein soll), ja.
 
Und zwar deswegen, weil die humane Ethik im Menschen potentiell ebenso vorhanden ist wie die biologischen Steuerungen, mit denen sie im Konflikt steht. Nicht immer, aber immer dann, wenn die biologische Steuerung zu einem Tun treibt, das der humanen Ethik widerspricht. Denn die humane Ethik ist nicht positiv, sondern negativ. Heißt, durch sie will Mensch nicht etwas tun, sondern etwas nicht tun, etwas verhindern. Deswegen spreche ich vom ethischen Nein.
 
Das meiste, was Individuum Mensch tut, ist ethisch überhaupt nicht relevant.
 
Vergleich das mal mit Benimmregeln (gehören im Grunde auch zur Moral, soll man nicht vergessen): wie soll ich mich bewegen, wie soll ich mich anziehen, wie soll ich Messer und Gabel gebrauchen. Die lassen sich ethisch höchstens über Umwege begründen: wer direkt vom Teller frisst und ins Essen rotzt, benimmt sich wie ein Tier, also abscheulich, der Menschenwürde widersprechend und verdirbt den anderen den Appetit. Das ist schon eine ganz andere Sache als zu sagen, es ist abscheulich, die Oma ins Pflegeheim zu hauen, um ihr das Portmonne wegzunehmen.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-09, 09:51 Uhr
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Hallo allerseits,
 
die Kommentare, die zu meinem letzten Beitrag gekommen sind, unterstreichen für mich die dringende Notwendigkeit, Klarheit und Vernunft im Denken – auch in Bezug auf Wertungen und Handlungsregeln - zu erreichen.
 
Hallo Wolfgang.
 
Dein Satz:
 
" 'Richtig' und 'Falsch', allgemeingültig verstanden … sind Erfindungen der monotheistischen Religionen"
 
ist aus meiner Sicht ein Paradebeispiel für verwirrendes Denken.
 
Durch Vermeidung der Worte "richtig" oder "falsch" kann man das Problem des möglichen Irrtums nicht ausscheiden. Wenn Du behauptest, die Anwendung der Goldenen Regel sei ein evolutionärer Vorteil, dann bleibt doch immer die Frage, ob es auch so ist, wie Du behauptest. Es bleibt also die Frage, ob das richtig ist, was Du behauptest.
 
Diese grundlegende Frage nach der Wahrheit im weitesten Sinne haben doch nicht Moses, Jesus oder Mohammed erfunden!?
 
Hallo Laertes.
 
Ich halte es für eine extrem verzerrte Sicht der Dinge, wenn Du die Ursache für die schlimmen Dinge, die auf diesem Globus passieren, bei denen suchst, die sich um eine vernünftige, allgemein verständliche und einsichtige Beantwortung aller Fragen – auch der moralischen – bemühen.
 
Die Normen und der damit verbundene Zwang kommen nicht durch die Morallehren in die Welt, sie sind doch schon lange vorher da als fremder Wille und Befehl.
 
Diesen Zwang kann nur eine vernünftige, allgemein konsensfähige Moral auflösen, denn nur eine solche Moral ist ein Gesetz, das wir uns gemeinsam selber geben für unser Handeln.
 
Die Annahme, dass die Dinge besser werden, wenn man auf begründete Normen verzichtet, setzt voraus, dass der Mensch "gut" ist, dass also eine konfliktfreie Antriebstruktur den Menschen angeboren ist, die von selbst zu einer sozialen Harmonie führt.
 
Angesichts der scheußlichen Verbrechen, zu denen Menschen unter bestimmten Bedingungen fähig sind - und da schließe ich mich als Mensch ein – und angesichts der psychologischen Forschungsergebnisse über Aggression halte ich eine solche Sichtweise der menschlichen Natur für blauäugig, ja für fatal.
 
 
Hallo Abrazo,
 
Du setzt auf einen faktisch im Menschen vorhandenen ethischen Willen, der nur durch Theoretisierungs- und Verdrängungsmechanismen verschüttet ist, sodass wir die realen Tatschen nicht erkennen.
 
Das Problem ist der Nachweis eines solchen instinktähnlichen angeborenen ethischen Willens.
 
Handeln die Menschen zerstörerisch und bringen sich in Kriegen gegenseitig um - wie etwa bei den blutigen Stammesfehden in Afrika - dann kannst Du Deine Annahme immer dadurch retten, dass Du irgendwelche Theorien anführst, an die die Menschen glaubten. Soll heißen: Es besteht bei Deiner Position in ihrer jetzigen Form der Einwand der Immunisierung gegen Kritik. Um diesem Einwand zu entgehen, müsstest Du angeben, welche Fakten Deine Annahmen widerlegen würden.
 
Im Übrigen sehe ich keinen unbedingten Gegensatz zu meiner Position. Wenn Deine Position stimmt, dann wird es umso leichter fallen, zu einem Konsens über den Schutz menschlichen Lebens zu gelangen.
 
Noch ein letzter Punkt. Für mich sind Benimmregeln kein Bestandteil der Moral. Benimmregeln lösen keine Interessenkonflikte sondern sind symbolische Gesten, die eine exklusive Gemeinschaft sich zur Abgrenzung gegen Außenstehende gibt. Wer die Benimmregeln nicht beachtet, der "gehört nicht dazu", aber er ist kein moralisch schlechter Mensch.
 
Ob man z. B. Damen immer den Vortritt gewähren soll, ist keine moralische Frage. Wenn ich von einer Gleichberechtigung der Geschlechter ausgehe, dann darf auch eine Frau mir als Mann den Vortritt gewähren oder mir in den Mantel helfen.
 
Sonnenschein drinnen und draußen wünscht Euch zum Ostermontag
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am 2007-04-09, 12:32 Uhr
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Hi Eberhard,
 
 
Quote:Das Problem ist der Nachweis eines solchen instinktähnlichen angeborenen ethischen Willens.
 
 
Genau so ist es. Wenn der nämlich einfach als Axiom gesetzt würde, würde dies aufgrund der Dichotomie Humanum - Biologie in der Tat zu einer Immunisierung gegen jegliche Kritik führen.
 
Ich sehe die Sache folgendermaßen:
Wir wissen doch so einigermaßen, wie die biologische Steuerung funktioniert. Wissen wir sowohl von der Beobachtung des Verhaltens des Viehzeugs wie auch aus der Reflexion über das, was uns selbst antreibt. Diese Steuerung mit dem Ziel Überleben ist durchaus sinnvoll und vernünftig.
 
Wenn wir unter diesem Aspekt nun die uns bekannte Menschheitsgeschichte uns vor Augen halten - also nicht etwa uns auf die Gegenwart beschränken und von dort aus uns Erklärungen zusammensuchen - dann stellen wir fest, dass Menschen immer schon Verhaltensweisen zeigten, die nicht natürlich sind. Die den Interessen des Überlebens manchmal geradezu widersprechen. Die also mit Blick auf das Ziel Überleben unsinnig, unvernünftig und von der Biologie her betrachtet auch unlogisch sind. Gastfreundschaft z.B. ist unlogisch und auch nicht mit Gegenseitigkeit erklärbar, denn so regelmäßig haben sich die Menschen nicht von ihrem Rudel wegbewegt. Im Tierreich gibt es keine Gastfreundschaft. Da gibt es keine fremden Gäste, da gibt es nur Vertreibung oder Unterwerfung. Man teilt nicht sein Revier und seine Nahrung mit Fremden. Das ist biologisch widersinnig.
 
Hier erinnere ich an Kant: gut ist nur der gute Wille, der Wille, eine Tat zu tun, von der man nun wirklich keinerlei Vorteile hat, noch nicht einmal ein gutes Gefühl.
 
Tatsächlich ist das der Knackpunkt der Ethik: Menschen tun nun mal ab und an was, was ihnen überhaupt nichts nützt, ihnen vielleicht sogar schadet, und genau solche Taten sind es im Kern, die als gut bezeichnet werden. Da gibt es keinen vernünftigen Grund für.
 
Also gibt es da noch etwas anderes, was uns treibt, als die Biologie, die Natur, die Logik, die Vernunft. Und deswegen, weil die Ethik offenbar auf etwas anderem beruht, können die letzteren keine Ethik begründen.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-09, 14:00 Uhr
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Hi, Abrazo,
 
Ich: " Beinhaltet Deine Behauptung auch den Umkehrschluß: "Eine allgemein und von jedem Individuum anerkannte metaphysikalische Ethik ist möglich"?"
 
Du: Sofern es die Grundlage betrifft, also das, auf dem eine im Konsens akzeptable Moral aufgebaut werden könnte (Du weißt, ich unterscheide zwischen Ethik = das, was ist und Moral = das, was sein soll), ja.
 
Danke für den Hinweis auf die Unterscheidung, so kommen wir eher zusammen. Denn wer die Dinge so laufen läßt, wie sie laufen, der stößt auf weniger Gegenwehr.
 
Allerdings vermute ich, die Aufgabe "das, was ist" so zu beschreiben, daß Dir alle zustimmen, ist so gut wie unmöglich.
Zur Probe beginne mit den Tarifparteien und hole deren Zustimmung ein für Deine präzise Beschreibung von "Gerechter Tariflohn".
 
Ich vermute, eine Beschreibung des Ist ist nur dann allgemein zustimmungsfähig, wenn sie so schwammig gehalten ist, daß sie eben nichts mehr beschreibt, was irgendwer als Aufforderung zum persönlichen Opfer verstehen könnte, sondern allenfalls die Illusion einer Beschreibung vermittelt. So ähnlich wie "es wird zwar Vieles anders, aber Alles besser!"
 
Ich vermute auch, daß metaphysische Begründungen aufgrund ihrer Nicht-Hinterfragbarkeit dazu weit besser geeignet sind als naturwissenschaftliche mit deren Nachprüfbarkeit.
 
Du: Und zwar deswegen, weil die humane Ethik im Menschen potentiell ebenso vorhanden ist wie die biologischen Steuerungen, mit denen sie im Konflikt steht.
 
Nur teilweise Zustimmung.
Ja: Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der Evolution eher richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und erfolgreich lebenden Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
Oder im Umkehrschluß: Dann können nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf Zukunft im Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist.
Nein gegen die Formulierung : "wie die biologischen Steuerungen, mit denen sie [die humane Ethik] im Konflikt steht". Denn wenn meine Vermutung zutrifft, daß uns eine Goldene Regel angeboren sein muß, dann gehört sie eben zur "biologischen Steuerung" und kann mit dieser nicht in Konflikt geraten. Sondern dann sind eher künstliche, geschönte humanistische Bilder vom "edlen und guten Menschen" im Widerspruch zum Ist.
 
 
Du: Das meiste, was Individuum Mensch tut, ist ethisch überhaupt nicht relevant.
Nach Deiner unausgesprochenen Definiton für "Relevanz" wird das schon so sein.
 
 
Du: ...Benimmregeln ...ins Essen rotzt,... der Menschenwürde widersprechend...
Das laut Grundgesetz Unantastbare halte ich für wesentlich höherstehend als die Belästigung beim gemeinsamen Essen. Nämlich eher das Gebot der Anwendung der Goldenen Regel gegen Folter, Versklavung und Aberkennung des persönlichen Rechts, nach seinem persönlichen Glück streben zu dürfen.
 
Ciao
 
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-09, 14:41 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: Durch Vermeidung der Worte "richtig" oder "falsch" kann man das Problem des möglichen Irrtums nicht ausscheiden.
 
Den halte ich für sowieso nicht ausscheidbar, sondern immer für möglich.
Der Vorwurf "Irrtum" ist aber wahrscheinlicher, wenn wir eine Handlung mal aus der Sicht des Handelnden bewerten und mal aus der Sicht des Gesetzgebers.
 
 
Wenn Du behauptest, die Anwendung der Goldenen Regel sei ein evolutionärer Vorteil, dann bleibt doch immer die Frage, ob es auch so ist, wie Du behauptest.
 
Klar. Ich habe dazu nur die Herleitung mit den vermuteten Naturgesetzen der evolution anzubieten.
Wer eine Alternative zeigen kann, die nach Ockhams Regel als eher wahr zu gelten hat, der möge sie präsentieren.
 
Solange sich keiner meldet, erfreue ich mich der Tatsache, daß meine Erklärung unangefochten bleibt.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am 2007-04-09, 21:34 Uhr
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Hallo allerseits,
 
Ich schrieb:
 
„Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
 
Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
 
Dies erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden.“
 
Wenn ich die kritischen Einwände durchgehe, so finde ich kaum konkrete Kritik an diesem Konzept. Die vorgebrachten Einwände konnten jedenfalls aus meiner Sicht entkräftet werden.
 
Ich will deshalb in meinem Gedankengang erstmal weitermachen.
 
Wenn die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden sollen, dann setzt das voraus, dass man diese Interessen auch erkennen und bestimmen kann – und zwar intersubjektiv nachvollziehbar. (Hier sehe ich die größten Schwierigkeiten dieses Ansatzes.)
 
Man kann einmal die Individuen selber ihre Interessen formulieren lassen.
 
Ein Problem ist dabei, dass sich die Individuen aufgrund von Unwissenheit und „Manipulation“ über ihre „wirklichen“ Interessen täuschen. (Darauf wurde schon wiederholt hingewiesen.)
 
Allerdings ist bei der Diagnose „manipuliert“ Vorsicht geboten. Mit dem Argument, dass die Menschen manipuliert seien, kann man die Menschen auch entmündigen und einen Herrschaftsanspruch absichern, der sich jeder Kritik entzieht, weil jede Kritik mit dem Argument abgetan werden kann, sie sei nur Ausfluss der Manipulation. Anstatt durch allgemeine, gleiche und geheime Wahlen werden dann im Endeffekt alle politischen Institutionen von einer selbsternannten Elite kontrolliert.
 
Wenn man annimmt, dass den Menschen das Hemd näher ist als der Mantel, dass sie also vor allem um das eigene Wohl besorgt sind (das eigene individuelle Wohl, das Wohl der eigenen Familie und der eigenen Freunde, der eigenen Region und des eigenen Landes), so muss man damit rechnen, dass die Individuen die Dringlichkeit ihrer eigenen Interessen übertreiben und entgegenstehende Interessen anderer in ihrer Dringlichkeit herunterspielen.
 
Es gibt allerdings gewisse Möglichkeiten, solche Argumentationsstrategien aufzudecken. So können die äußeren Lebensbedingungen empirisch erfasst werden, aus denen sich die Interessenlage weitgehend ergeben, um nur eine Möglichkeit zu nennen.
 
Manchmal ist auch rein logisch eine Rangordnung der Dringlichkeit zu erkennen. So ist es schlimmer, eine Hand zu verlieren als nur einen Finger. Und es ist schlimmer, nie mehr einen Konzertgenuss zu erleben (weil man tot ist), als den Anfang eines einzigen Konzertes zu versäumen.
 
Ich muss hier leider abbrechen (ist allerdings schon lang genug) und grüße Euch
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am 2007-04-09, 22:32 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
 
Du: „Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
Dies erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden.“
 
Nein, nicht "dies erfordert". Sondern: Eberhard fordert dies von den Tarifparteien.
Leider werden die Gewerkschaftschefs Sommer und Bsirske seinetwegen keine Opfer im Namen ihrer Gewerkschafter bringen.
 
Deshalb, Eberhard, ist Deine Suche nach einer allgemeingültigen Methode zum Schlichten durch Abwägung der Interessen illusorisch.
 
Ich schreibe das zum wiederholten Mal, lese von Dir aber: so finde ich kaum konkrete Kritik an diesem Konzept...Die vorgebrachten Einwände konnten jedenfalls aus meiner Sicht entkräftet werden.
 
Ich fürchte, das Einfühlungsvermögen, das Du von anderen erwartest, fehlt Dir in dieser Sache selbst.
 
Was lohnt die Diskussion mit Dir, wenn Du Gegenargumente nicht wahrnimmst? Dann lohnt nur die Diskussion über Dich.
 
 
Ich bin erst mal sauer.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am 2007-04-09, 23:52 Uhr
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Von Wolfgang las ich:
Quote:….. , Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der Evolution eher richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und erfolgreich lebenden Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
 
Oder im Umkehrschluß: Dann können nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf Zukunft im Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist.
 
 
 
Das glaube ich nicht, denn das ist die Ethik des kleinen Mannes. Die Goldene Regel ist wie geschaffen für den Schwachen, für den, der nichts hat was sich lohnt zu verlieren, bis auf seine Existenz. Die Wirklichkeit zeigt uns, die Starken stellen das große Heer der Schwachen auf, und lassen sie für ihre Interessen kämpfen.
 
Bereits Nietzsche beschrieb den Starken im Übermenschen, der sich nicht hinter ein Gewissen verstecken musste. Dem schloss sich auch Sartre über seine Worte an, der Starke rechtfertigt die Verantwortung für sein Handeln nur sich selbst gegenüber, und braucht keine Rechtfertigung gegenüber einer von der Religion geprägten Ethik. Der Schwache aber, braucht eine Instanz, der er die Verantwortung für sein Handeln überantworten kann. Nur so können Kriege zu Ende geführt werden.
 
Darum, der Starke sucht keinen Konsens, er benutzt ihn, um dem Schwachen die Zustimmung erträglich zu gestalten. Die hat der Starke ohnehin sicher.
 
 
Quote:…… , ist Deine Suche nach einer allgemeingültigen Methode zum Schlichten durch Abwägung der Interessen illusorisch.
 
 
Dem kann ich nur noch beipflichten, der Schwache braucht die Illusion. Aber Eberhard sieht das nicht ein, dabei bräuchte er sich nur etwas ausführlicher mit Habermas zu befassen. Die Wahrheit über die Konsenstheorie (http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Habermas#Konsensustheorie_der_Wahrheit) war ihm eine Herzensangelegenheit. Einigung durch Konsens wäre möglich, wenn sich nur alle an die von Habermas genannten Regeln hielten. Die Goldene Regel würde in diesem Fall auch schon reichen, aber die ist von Eberhard, wie er dies am Beispiel eines Geschenks einer DVD anschaulich beschrieb, auch schon als unzureichend beschrieben worden.
 
Die Parteien die am Tisch sitzen und für uns um Konsens ringen, beurteilen das für und wider ihrer Ziele, nach Kosten-Nutzen Gesichtspunkten. Und diese Kalkulation wurde gewöhnlich schon durchgeführt, bevor die Verhandlungen überhaupt begannen. Dafür benötigt ein Staat sein Beamtenheer.
 
hedgi
 

 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am Vorgestern, 00:29 Uhr
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Hi, hedgi,
 
Ich: "….. , Ich vermute, wenn ich die Naturgesetze der Evolution eher richtig verstanden habe als falsch, dann muß gesellig und erfolgreich lebenden Arten eine "Goldene Regel" angeboren sein.
Oder im Umkehrschluß: Dann können nur solche gesellig lebenden Arten Aussicht auf Zukunft im Verdrängungswettbewerb haben, denen die Goldene Regel angeboren ist."
 
 
Du: Das glaube ich nicht, denn das ist die Ethik des kleinen Mannes.
 
Mehr als Dein Glaube kannst Du nicht anführen? Schwach.
Dein Glaube beweist leider gar nichts, weil Du die Richtigkeit des Glaubens nicht begründen kannst. Sonst wäre es ja kein Glaube.
 
Ich habe meine These von der angeborenen Goldenen Regel oben abgeleitet von offensichtlichen Naturgesetzen der Evolution.
 
Hast Du dagegen Argumente? Die würden mich durchaus interessieren.
 
 
Trotzdem gebe ich Dir Recht, interpretiere Deine Wahrheiten aber anders.
Die Wahrheit: ...die Starken stellen das große Heer der Schwachen auf...
 
Ja, groß ist die Verlockung nach Vorteilen, die der Starke durch Verletzung der Goldene Regel gewinnen kann, wenn die Mehrheit der Schwachen ihm das gestatten.
 
Aber das ist kein Argument gegen die angeborene Goldene Regel, sondern die Ergänzung der Tatsache der Mißbrauchsmöglichkeit.
 
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 09:11 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
 
Du kritisierst, dass ich Gegenargumente von Dir nicht wahrnehme.
 
Dabei beziehst Du Dich auf die folgende Stelle:
 
„Wie können Individuen angesichts eines Konflikts ihrer Interessen zu einem gemeinsamen Wollen kommen, ohne dass dabei ein anderer Zwang ausgeübt wird als der ‚Zwang’ sich zu einigen?
 
Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
 
Dies erfordert, dass dabei die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden.“
 
Dein Gegenargument lautet:
 
“Nein, nicht „dies erfordert“. Sondern: Eberhard fordert dies von den Tarifparteien. Leider werden die Gewerkschaftschefs .. seinetwegen keine Opfer bringen. Deshalb .. ist Deine Suche nach einer allgemeingültigen Methode zum Schlichten durch Abwägung der Interessen illusorisch.“
 
Hierzu ist einiges zu sagen und manches Missverständnis auszuräumen. (Das Problem bei unserer Diskussion ist offenbar, dass einige meiner Gedankengänge ungewohnt sind und deshalb eine erhöhte Gefahr von Missverständnissen besteht.)
 
Zum einen ist ein bloßes „Nein“ zu einer Position noch kein Gegenargument, sondern die Verneinung dieser Position, eine Gegenbehauptung. Zu einem Gegenargument wird die Gegenbehauptung erst dadurch, dass sie ihrerseits begründet wird.
 
Du schreibst, dass ich von den Tarifparteien fordere, die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch zu berücksichtigen. Dies habe ich jedoch niemals gefordert und bedeutet ein Missverständnis dessen, was mit Interessenabwägung gemeint ist.

 
Tarifkonflikte werden ja nicht durch zwangfreie Argumentation mit dem Ziel einer Einigung gelöst, sondern durch das Aushandeln von Tarifverträgen.
 
Das Aushandeln eines Vertrages ist jedoch etwas anderes als eine Argumentation mit dem Ziel eines allgemeinen normativen Konsens.
 
Bei Vertragsverhandlungen sind die Parteien nicht verpflichtet, die Interessen der andern Partei zu berücksichtigen, sondern sie sind freigestellt, ihren eigenen Vorteil zu verfolgen. Das schließt ein, dass es keine Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrages gibt.
 
Zwar darf keine Vertragspartei die andere durch Drohungen mit der Zufügung eines Übels zum Vertragsabschluss zwingen (das wären Mafia-Methoden nach der Manier: „Ich machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte). Trotzdem kommt ein Vertrag in der Regel nicht frei von Zwang zustande, weil die Verhandlungsmacht (englisch: bargaining power), über die die Parteien verfügen, eine entscheidende Rolle spielt.
 
Die Verhandlungsmacht einer Partei hängt entscheidend davon ab, wie gut die Partei mit einem Scheitern der Verhandlungen leben kann, d. h. wie stark sie auf einen Vertragsabschluss angewiesen ist.
 
Die Stärke einer Gewerkschaft in einer Tarifverhandlung hängt z. B. davon ab, wie groß der Prozentsatz der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ist, wie stark und dauerhaft deren Streikbereitschaft ist, wie voll die Streikkasse der Gewerkschaft ist, um ausgefallene Lohnzahlungen auszugleichen, wie groß die Gewinne der Unternehmen sind etc.
 
Ich hoffe, dass der wichtige Unterschied zwischen einer vertraglichen Einigung und einer rein argumentativen Einigung deutlich geworden ist.
 
Es grüßt Dich und alle andern Interessierten
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 10:12 Uhr
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Hallo Hedgi,
 
weil die Konsenstheorie von Habermas kritikwürdig sein mag, muss deshalb nicht jede andere Konsenstheorie kritikwürdig sein. Die bestehenden Unterschiede darf man nicht einfach unter den Teppich kehren.
 
Ich habe von Habermas viel gelernt, bin jedoch der Ansicht, dass der Versuch, durch Präzisierung der Bedingungen einer idealen Sprechsituation zum argumentativen Konsens zu kommen, nicht ausreichend ist und nicht zum Ziel führt.
 
Solche verfahrensmäßigen Festlegungen bleiben notwendigerweise an der Oberfläche der behandelten inhaltlichen Streitfragen. Man erkennt das leicht daran, wenn man einmal versucht, positive (empirische, faktische) Streitfragen durch eine ideale Sprechsituation zu lösen. Die verfahrensmäßigen Vorschriften führen nicht weit, solange nicht methodologische Kriterien wie logische Widerspruchsfreiheit und intersubjektiv und intertemporal übereinstimmende Wahrnehmungen als Bezug auf das, was ist, eingeführt werden.
 
Analog dazu muss eine ethische Theorie methodologisch begründet werden, mit den Kriterien der logischen Widerspruchsfreiheit und übereinstimmendem Wollen als Bezug auf das, was sein soll. Dies ist etwas holzschnittartig formuliert, um die Richtung der Überlegungen möglichst deutlich zu machen.

Um eine pauschale, undifferenzierte Kritik, die nichts taugt, zu vermeiden, empfiehlt sich eine Kritik, die möglichst dicht am kritisierten Text bleibt, meint
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 12:01 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
Du hast geschrieben:
 
“Tatsächlich ist das der Knackpunkt der Ethik: Menschen tun nun mal ab und an was, was ihnen überhaupt nichts nützt, ihnen vielleicht sogar schadet, und genau solche Taten sind es im Kern, die als gut bezeichnet werden. Da gibt es keinen vernünftigen Grund für.“
 
Meine Frage an Dich: Was ist für Dich ein „vernünftiger Grund“?
 
Nach meinem Verständnis kann es sehr wohl „vernünftig“ sein, sich für andere Menschen aufzuopfern. Ich denke an den Fall eines Feuerwehrmannes. Als ein Sprengkörper in unmittelbarer Nähe einer großen Gruppe von Kindern zu explodieren drohte, warf er sich mit seinem Körper über den Sprengkörper und bezahlte die Rettung der Kinder mit seinem Tode.
 
Diese Handlung war sicherlich nicht in seinem individuellen Interesse und insofern nicht „rational“ im engeren Sinne. Doch war sie sicherlich vernünftig und im höchsten Maße moralisch. Bei einer Abwägung der Interessen aller Beteiligten wiegt die Lebensrettung von 25 Kindern sicherlich höher als der Tod des Feuerwehrmannes.
 
Allerdings bedeutet diese positive moralische Wertung seines Handelns nicht, dass der Feuerwehrmann nun moralisch verpflichtet war, sein Leben für das der Kinder zu opfern. Moralische Normen sind auch danach zu beurteilen, ob die Menschen zu ihrer Befolgung in der Lage sind. Eine moralische Pflicht, die u. a. beinhaltet, in den sicheren eigenen Tod zu gehen, würde die allermeisten Menschen sicherlich überfordern.
 
Ich bleibe also dabei, dass es eine Moral auf vernünftiger Grundlage geben kann, bis mich ein überzeugendes Argument eines besseren belehrt.
 
Grüße an Dich und alle andern von
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 13:52 Uhr
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Hallo allerseits,
 
Ich will noch mal kritisch meine Argumentation hinterfragen. Die Kernthese des Ansatzes lautet:
 
Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen, dann muss jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als wären es zugleich seine eigenen.
 
Diese Formulierung beinhaltet, dass nur in dieser Weise ein allgemeiner Wille zwangfrei hergestellt werden kann.
 
Die Frage ist, wie sich dies begründen lässt.
 
Eine Implikation der Kernthese ist, das es bei der Interessenabwägung zur Bestimmung des allgemeinen Willens keine Rolle spielen darf, wer der Träger der Interessen ist, insbesondere wenn es sich um meine eigenen Interessen handelt, die zu gewichten sind. (Dies wird auch als die Forderung nach Verallgemeinerbarkeit oder Generalisierbarkeit oder Person-Unabhängigkeit bezeichnet.)
 
Es gilt also die methodologische Regel: „Gleichartige Sachverhalte sind gleich zu bewerten.“
 
Diese methodologische Regel wird meist als eine Art Axiom betrachtet, das unmittelbar einsichtig ist.
 
Ich neige eher dazu, diese Regel aus dem Ziel der zwangfreien Einigung abzuleiten. Welchen Grund könnte denn jemand haben, einer Lösung zuzustimmen, bei der seine Interessen geringeres Gewicht erhalten als die Interessen eines anderen, nur weil es sich um seine Interessen handelt?
 
Denkbar wäre die Vorstellung, dass der Andere ein „höheres Wesen“ als man selber sei. Ich sehe für diese Vorstellung jedoch keine Möglichkeit einer intersubjektiv nachvollziehbaren Begründung, weshalb ich diese Möglichkeit erstmal ausschließe.
 
Demnach ergibt sich das Prinzip der Gleichberücksichtigung aller Individuen und ihrer Interessen aus dem Ziel der zwangfreien Einigung.
 
Dies Ziel einer argumentativen Einigung muss jeder akzeptieren, der überhaupt für irgendeine moralische Norm Allgemeingültigkeit und nicht nur Gehorsam beanspruchen will, denn nicht allgemein nachvollziehbare Argumente sind wertlos. Was allgemein gültig sein soll, muss auch allgemein einsehbar sein. Andernfalls sind alle Rechtfertigungen nur verbale Verhüllungen eines Herrschaftsverhältnisses.
 
Ich merke, dass auf diesem Abstraktionsniveau die Luft allmählich dünn wird, und mache deshalb erstmal Schluss. Auf Eure textnahe Kritik wartet
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am Vorgestern, 15:07 Uhr
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Hi Wolfgang,
 
Ob nun die goldene Regel inhaltlich der Evolution geschuldet ist, kann bis heute geglaubt werden oder auch nicht, mehr ist zurzeit nicht drin. Sicher wäre es für uns wichtig über größere Feldversuche hierüber zu Klarheit zu gewinnen.
 
Theoretisch wären mehrere Versuchsreihen mit Gefängnisinsassen machbar, aber unsere eigene Ethik verbietet solche Versuche, weil sie auch nur gegen den Willen der Gefängnisinsassen im größeren Umfang durchgeführt werden könnten. Unsere Ethik gestattet lediglich medizinische Tests an Einzelpersonen sowie Tieren, und auch das halte ich für eine fragliche Praktik, weil selbst hier der ökonomische Gewinn vor dem Wohl des Menschen im Vordergrund steht. Um aber eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass Gruppen, in denen die Mitglieder das Gemeinwohl der gesamten Gruppe vor dem eigenen Vorteil im Auge haben, bessere Überlebenschancen haben, bräuchten wir Massendaten, um eine aussagekräftige Statistik zu erstellen.
 
Solange nicht über wissenschaftliche Methoden, die Geheimnisse über den Erfolg des Überlebens erforscht werden können, bleiben uns nur Beobachtungen aus der Natur. Hier lässt sich lediglich mit Bestimmtheit feststellen, dass größere Gruppierungen aufgrund ihres stärkeren militärischen Potentials kleinere Gruppen früher oder später schlucken. Die goldene Regel besagt auch, dass ihr Inhalt dem Wunsch vieler Menschen aus allen Kulturkreisen entspricht. Das besagen auch die Religionen und wenn, darf dort auch nur gemordet werden, wenn es der Verhinderung von anderen Morden dient.
 
Konsens ist überhaupt nur erreichbar, wenn er von allen ohne Ausnahme gewünscht wird. Das erscheint unwahrscheinlich zu sein, es wird immer jemanden geben, der von seiner Macht dermaßen überzeugt ist, dass er der Meinung ist, durch Druckausübung auf seine Umwelt, das Maximale herauszuholen.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am Vorgestern, 15:14 Uhr
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Hi Eberhard,
 
um eine gültige Konsenstheorie zu bekommen, können wir nur die heute praktizierten Methoden beschreiben, um aus deren Summe der Möglichkeiten, die am häufigsten angewendete als das Muster für alle zukünftig anzuwendenden Methoden herauszustellen.
 
Da es sich um die am Verhandlungstisch sitzenden Parteien um größere Organisationen handelt, haben sie bereits im Vorwege die Möglichkeit alle denkbaren Konstellationen durchzuspielen. Es werden auch Profiler beschäftigt, deren Aufgabe es ist, Strategien zu entwickeln, je nachdem wer von der Gegenseite am Verhandlungstisch sitzt, ihn in eine gewünschte Richtung zu drängen. Das alles dient dem zu erringenden Konsens, der letztendlich dem eigenen Willen entsprechen muss. Das hat aber alles nichts mehr mit dem zu tun, was Habermas sich unter Konsens vorstellte, und was die Verfasser der Goldenen Regel bezweckten. Schließlich heißt es darin nicht, wie zwinge ich am besten dem Gegner meinen Willen auf. Bis hierher geht alles methodologisch zu, Widerspruchsfreiheit wird gewährleistet, wenn es sein muss, wird es so hingebogen, dass es passt.
 
Wir können das am Beispiel der Entscheidung in der UNO, ob in der Nahost-Frage im Irak militärisch interveniert werden sollte. Dazu müssen die unterschiedlichen Interessen der betroffenen Mächte offen gelegt werden, nicht die die vorgegeben werden. Das Interesse der USA und auch der Israels besteht im Wunsch nach einer neuen Nahost-Ordnung unter der Führung der USA. Der Irak dagegen wollte absolut nicht auf seine Souveränität verzichten. Um einen Militärschlag gegen den Irak zu rechtfertigen, war jede Lüge recht. Da die aufgetischten Lügen zu dick waren, konnte man den Irak auch ohne UN-Mandat überfallen. Zu einer verbalen Verurteilung gegen den Überfall konnte sich die UNO nicht durchringen, so reichte es eben nur zu einem peinlichen Schweigen zu dem Vorfall. Selbst der ehemalige Außenminister Powel schämte sich hinterher und verspürte kein Lust zu einer erneuten Kandidatur mehr.
 
Merke, in der UNO wird Konsens, so wie wir es verstehen, praktiziert.
 
hedgi


 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Vorgestern, 20:26 Uhr
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Mit dem argumentativen Konsens, um den es mir geht, hat die Entscheidungsfindung in den Vereinten Nationen herzlich wenig zu tun. Das eigentliche Entscheidungsgremium ist dort der Weltsicherheitsrat, in dem nur bestimmte Großmächte einen festen Sitz und zusätzlich ein Veto-Recht haben.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Alltag am Vorgestern, 22:05 Uhr
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on 04/10/07 um 15:14:03, hedgi wrote:um eine gültige Konsenstheorie zu bekommen, können wir nur die heute praktizierten Methoden beschreiben, um aus deren Summe der Möglichkeiten, die am häufigsten angewendete als das Muster für alle zukünftig anzuwendenden Methoden herauszustellen.
 
 
 
;-) hoi zäme!
 
Und was ist das häufigst angewendete Muster?
 
Vorwand und eigentliches Anliegen: Ein jeder redet von vielem, aber keiner sagt sein eigentliches Anliegen. Denn das würde mit Bestimmtheit zumindest aus Argwohn bekämpft. Trotzdem ist ein jeder selbstsicher genug die Anliegen des Andern zu erahnen und im Reden_über_Vorwände auszuloten.
 
Das Ganze nennt sich hohe Kunst. Und's vergnügt sich genüsslich! Wie's bei der Gastfreundschaft nicht anders ist.
 
Danke & Gruss
Euer transparenter Alltag :-)
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Wolfgang_Horn am Gestern, 00:15 Uhr
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Hi, Eberhard,
 
Du: Sie können einen allen gemeinsamen Willen bilden, indem jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigt, als wären es zugleich seine eigenen.
 
Halbe Zustimmung, sie könnten schon, wenn sie alle wollten.
Aber genau dieser Wille ist fraglich.
Wie fraglich, erleben wir in Tarifverhandlungen.
 
Eberhard, ich ziehe mich aus dieser Diskussion zurück, ich habe die Lust verloren, ich habe besseres zu tun als einen argumentativen Kleinkrieg weiter zu führen.
 
Ich gebe Dir meinen Segen, wenn Du Dich als Sieger auf der ganzen Linie fühlen solltest. Es ist mir egal.
 
Ciao
Wolfgang Horn
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Gestern, 09:01 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Wolfgang,
 
mir geht es nicht um einen argumentativen Kleinkrieg und auch nicht um Tarifverhandlungen, sondern ich will das Konzept einer utilitaristischen Ethik auf konsenstheoretischer Grundlage zur Diskussion stellen. Dabei spielt die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines interpersonalen Nutzenvergleichs („interpersonal comparison of utilities“) eine entscheidende Rolle. Deshalb die Frage, ob man die Interessen verschiedener Personen gegeneinander abwägen kann, um ein gemeinsames Interesse, das gemeinsame Beste zu bestimmen.
 
Ich weiß, dass es in den Ohren deutschsprachiger Philosophen schrill in den Ohren klingt, wenn sie Wörter wie „utilitaristisch“ oder „Kosten-Nutzen“ hören. Und ich weiß auch, dass die Verbindung utilitaristischer und konsenstheoretischer Gedankengänge nicht gerade zum Mainstream heutigen Philosophierens gehört. Das hält mich jedoch nicht davon ab, die als richtig und tragfähig erkannten Gedanken weiterzuverfolgen.
 
Mir geht es nicht um „Siegen auf der ganzen Linie“ sondern ich will das Verständnis für einen solchen Ansatz wecken (bereits hier türmen sich offensichtlich nahezu unüberwindliche Hindernisse auf) und ich will diesen Ansatz durch eine öffentliche Kritik überprüfen lassen.
 
Dass dieser Versuch nicht einfach sein wird, war mir klar. Was mich allerdings wundert, ist, dass sich die anderen ethischen Denkrichtungen nicht kritisch einmischen. Außer Abrazos ethischem Intuitionismus und der Goldenen Regel habe ich wenig an Gegenpositionen gesehen. Oder gibt es keine Vertreter anderer ethischer Schulen im Internet? fragt sich
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 11:11 Uhr
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Hi Eberhard,
 
mir gefällt Dein Ansatz nicht, weil er auf Behauptungen aufbaut, ohne zu hinterfragen oder gar zu begründen, warum es sich so und nicht anders verhält.
 
 
Quote:Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen, dann muss jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als wären es zugleich seine eigenen.
 
 
 
Was setzt dies voraus? Zunächst einmal, dass das Individuum um seine eigenen Interessen weiß. Es muss wissen, dass es überhaupt Interessen hat, heißt, dies muss ihm bewusst sein. Einem hungrigen Hund ist nicht bewußt, dass er Hunger hat und dass daraus das Interesse folgt, sich Nahrung zu beschaffen. Der geht, vom Hungergefühl getrieben, zu seinem Herrn und stuppst ihn an, weil den das erfahrungsgemäß dazu bringt, den Hundenapf zu füllen.
 
Menschen merken, dass sie Hunger haben. Sie wissen aus Erfahrung, dass dagegen essen hilft. Sie wissen, was essen ist, denn sie merken es, wenn sie es tun, sie tun es bewusst. Folgt, sie können es auch lassen. Menschen können fasten.
 
Wenn das Individuum um seine Interessen weiß und weiß, dass und wie es sie verwirklichen kann, dann folgt daraus, dass es sich entscheiden kann, sie auch nicht zu verwirklichen. Das ist überhaupt die Grundlage Deiner Theorie, denn wenn Menschen nicht über die Verwirklichung ihrer Interessen entscheiden könnten, wozu bedürfte es dann einer Konsenstheorie?
 
(Übrigens, Wolfgang, dem Wissen, dass eine Goldene Regel eventuell angeboren sein könnte, würde die Möglichkeit folgen, sich auch nicht nach ihr verhalten zu können.)
 
Zu fragen ist also: aus welchen Grund sollte einer sich dafür entscheiden, seine Interessen nicht zu verwirklichen?
 
Man könnte sagen, er wird seine derzeitigen Interessen nicht verwirklichen wollen, wenn sie die Verwirklichung anderer Interessen behindern oder unmöglich machen, die ihm wichtiger erscheinen.
 
Schön. Nur was erscheint ihm jeweils wichtiger?
Kannst Du voraussetzen, was Dir wichtiger erscheint, erscheint dem anderen auch wichtiger? Ich denke, nein.
 
Denk an die Kopftuch-Diskussion. Viele setzen voraus, dass ihr Interesse an persönlicher Freiheit das natürliche Interesse aller Menschen ist. Kann man feststellen. Aber was bringt das? Menschen haben auch das Interesse an Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft. Diese beiden Interessen können durchaus beide vorhanden sein, jedoch miteinander im Widerstreit des entweder-oder liegen. Du kannst nicht voraussetzen, dass Deine Prioritätensetzung auch die Prioritätensetzung anderer ist.
 
Wenn Du hier nun das Wort Nutzen einbringst, so behaupte ich, dass das gar nicht geht, weil der Nutzen abhängig ist vom Zweck, und der ist verschieden.
 
Wenn es hier eine Lösung geben soll, so wäre sie nur dialektisch möglich, auf einer höheren Ebene, auf der ein übergeordneter Zweck einen übergeordneten Nutzen nach sich zieht. Wie wäre ein solcher Zweck zu bestimmen bzw. zu finden? Bedenke, es müssten ihm alle zustimmen, unter der Voraussetzung, dass, wenn er bestimmt ist, man den bestimmten Zweck logisch zwingend nicht nur annehmen, sondern auch ablehnen kann, denn etwas zu bestimmen heißt, es abgrenzen gegen das, was es nicht ist - und das, was dies nicht ist, kannste genau so entscheiden.
 
Gruß
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am Gestern, 12:51 Uhr
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Das Individuum muss um seine Interessen wissen.
 
Es gibt so etwas wie einen freien Willen.
 
Das wären unverzichtbare Voraussetzungen um zu einem Konsens willentlich zu gelangen.
Gegen die eigenen Interessen handeln, hieße das Individuum müsste sich auch gegen seine Interessen entscheiden können, d.h. es gibt einen freien Willen. Jetzt sind diejenigen gefragt die Schopenhauer widerlegen können, und ihm beweisen, der freie Wille existiert doch. Ich glaube, Schopenhauer wäre jedem dankbar gewesen, hätte er ihm noch zu seinen Lebzeiten einen Weg aus seinem Dilemma des fehlenden freien Willens gewiesen.
 
Sollte es wahr sein, dass es keinen freien Willen gibt, erübrigt sich die Frage nach einem möglichen Konsens zwischen verhandelnden Parteien. Dann sollten wir vielmehr gleich danach fragen, gibt es etwas, das den gemeinsamen Interessen nicht im Weg steht.

 
Aber um das herauszubekommen bedarf es keiner Verhandlungen, denn dass können wir mit etwas Einfühlungsvermögen auch so wissen.
 
Damit gewinnen die an Boden, die ihre Entscheidungen an einer Kosten-Nutzen-Analyse ausrichten und diese für den Gegner gleich mit anfertigen und ihm klarmachen, dass er garnicht anders entscheiden kann.
 
hedgi
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Alltag am Gestern, 18:32 Uhr
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on 04/11/07 um 09:01:39, Eberhard wrote:.... Oder gibt es keine Vertreter anderer ethischer Schulen im Internet? fragt sichEberhard.
 
 
 
:-) Grüezi Eberhard,
 
ethische Schulen? Der Alltag, d.h. die Lebenspraxis ist eine ethische Schule! Voten daraus dürfen aufgemerkt werden. Daher nochmals, in Kurzfassung: "Man fällt mit der Türe nicht gleich ins Haus."
 
Dies ist die Silberne Regel!
 
Wegen der Silbernen Regel, hebt die Konsenstheorie nicht mehr ab, als die auf dem Dach pfeiffenden Spatzen.
 
Ein zwitschernder Alltag :-)
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 19:15 Uhr
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Leute! Euer privates kleines Leben ist nicht die Welt!
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Gestern, 19:27 Uhr
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reden ist silber, schweigen ist gold.
 
der philosoph sollte der ethik nur soviel gewicht geben, soweit wie es der gesellschaft dienlich ist. sollte die gesellschaft verroht sein so ist seine ethik dem skrubel zum opfer gefallen.
es ist nur der rat eines philosophens im leben den fragenden zu geben, kein urteil.
vg
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 20:36 Uhr
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Ein Philosoph, der Rechtsschreibung und Grammatik nicht beherrscht, ist keiner.
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Gestern, 20:54 Uhr
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mag sein...nur wer ist ein Philosoph?
Nach Karl R. Popper sind alle Menschen Philosophen.
das klein schreiben ist auch philosopisch gewollt, fehler gibt es überall...auch im denken der anderen. [cheesy]
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Gestern, 20:56 Uhr
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an abrazo...
ist es nicht regel das philosophen rätschläge geben sollen, statt ein urteil zu fällen...
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von philautos am Gestern, 21:03 Uhr
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on 04/11/07 um 20:36:11, Abrazo wrote:Ein Philosoph, der Rechtsschreibung und Grammatik nicht beherrscht, ist keiner.
 
 
 
 
 
Verehrte, ich beherrsche die Rechts-schreibung auch nicht, gibtŽs so was in Köln? [cheesy]
 
 
 
Was tun Sie übrigens in einem so unphilosophischen Thread, Gnädigste - zum Genieren ist das!
 
 
 
Ihr Alter
 
 
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Gestern, 21:20 Uhr
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Alterchen,
 
mit der Rechtsschreibung habt Ihr zwar Recht, nur ist das b vom p skrupulös weit entfernt, als dass man es für einen Tippfehler erachten könnte. Zudem is dem Philosoph sing Rat, etwas sparsamer mit Zischlauten umzugehen, es könnte Philosophens schmerzen.
 
Mit Eberhard raufe ich mich über Ethik schon länger als mit Euch, verehrter Kellermönch, möget Ihr es unphilosophisch nennen, ich nenne sein Anliegen aufrichtig, und außerdem ist er zäh und lässt nicht ab von seinem Thema, was m.E. der Ehren wert ist.
 
 
Quote:ist es nicht regel das philosophen rätschläge geben sollen, statt ein urteil zu fällen...
 
 
Nein, ist es nicht.
Philosophen fällen Urteile, nämlich über wahr und falsch.
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Gestern, 22:09 Uhr
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Hallo allerseits, hallo Abrazo,
 
Du kritisierst, dass ich auf Behauptungen aufbaue, die ich weder hinterfrage noch begründe, warum es sich so und nicht anders verhält.
 
Diese Kritik halte ich – zumindest so wie sie formuliert ist - für irrelevant. Es lässt sich gar nicht vermeiden, dass man auf Behauptungen aufbaut, die nicht explizit gemacht werden und folglich auch nicht hinterfragt werden oder begründet werden. Ich könnte Dir zahllose derartiger Behauptungen nennen:
„Es gibt Menschen“, „Die Menschen haben eine gemeinsame Sprache“, „Menschen haben Konflikte“, „Menschen haben Interessen“, „Menschen können vorausschauen“ etc.
 
Relevant ist eine Kritik, die zeigt, dass auf Voraussetzungen aufgebaut wird, die nicht gegeben sind, und die zeigt, dass Schlüsse gezogen werden, die nicht gültig sind.
 
Was setze ich spezifisches voraus, was eventuell strittig sein kann?
 
Ich setze unausgesprochen voraus,
 
dass Menschen Interessen (Wünsche, Ziele o. ä.) haben,
dass sie diese unter geeigneten Bedingungen erkennen können,
dass sie diese befriedigen wollen,
 
Ich sehe keine Prämissen, die falsch sind.
 
Du beziehst Dich auf die Kernthese:
 
„Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willens bestimmen wollen, dann muss jedes Individuum die Interessen jedes andern so berücksichtigen, als wären es zugleich seine eigenen.“
 
Diese These ist in höchstem Maße analyse- und begründungsbedürftig. Vor allem ist zu klären, welche Voraussetzungen gemacht werden müssen, damit der „Wenn … dann …“-Satz zu einem zwingenden logischen Schluss wird, der er in der vorliegenden Form nicht ist.
 
Der Kernthese geht die These voraus:
„„Wenn die Beteiligten an einem Konflikt ohne Zwang einen allen gemeinsamen Willen bestimmen wollen, dann müssen die Interessen aller Beteiligten unabhängig davon berücksichtigt werden, um wessen Interesse es sich jeweils handelt.“
 
Zur Kernthese hatte ich bereits geschrieben: „Wenn die Interessen aller Beteiligten wohlwollend und unparteiisch berücksichtigt werden sollen, dann setzt das voraus, dass man diese Interessen auch erkennen und bestimmen kann – und zwar intersubjektiv nachvollziehbar. (Hier sehe ich die größten Schwierigkeiten dieses Ansatzes.)
 
Ein Problem ist dabei, dass sich die Individuen aufgrund von Unwissenheit und „Manipulation“ über ihre „wirklichen“ Interessen täuschen“.
 
Außerdem „muss man damit rechnen, dass die Individuen die Dringlichkeit ihrer eigenen Interessen übertreiben und entgegenstehende Interessen anderer in ihrer Dringlichkeit herunterspielen.“
 
Der Kern Deiner Kritik findet sich in den Sätzen:
 
„Kannst Du voraussetzen, was Dir wichtiger erscheint, erscheint dem anderen auch wichtiger? Ich denke, nein. Denk an die Kopftuch-Diskussion.“
 
Im Unterschied zur Goldenen Regel oder dem Kategorischen Imperativ muss ich nicht voraussetzen, dass das, was mir wichtiger erscheint, dem andern auch wichtiger erscheint. Menschen sind in ihren Bedürfnissen und Interessen nicht gleich, Dies wird bereits deutlich bei den Unterschieden je nach Alter oder Geschlecht. Diese Unterschiede muss ich bedenken, wenn ich die Interessenlage eines andern Menschen bestimmen will.
 
Wenn ich ein Draufgänger bin, der kein Risiko scheut, so darf ich die gleiche Einstellung nicht bei jemandem voraussetzen, der von Haus aus vorsichtig und eher ängstlich ist. Dem Draufgänger kann etwas zugemutet werden, was dem Ängstlichen nicht zugemutet werden kann. Diese Unterschiede von Mensch zu Mensch können z. B. durch das Gespräch herausgearbeitet werden.
 
Das Kopftuch-Problem erscheint mir als Beispiel für einen Interessenkonflikt eher ungeeignet. Eher handelt es sich hier um einen Konflikt zwischen verschiedenen religiösen Überzeugungen. Ich wüsste nicht, welches Interesse eines andern Menschen dadurch beeinträchtigt wird, dass eine Frau ein Kopftuch trägt.
 
Strittig wird das Kopftuchtragen dadurch, dass es als ein Symbol und ein Bekenntnis zu einer sozialen Ordnung gemeint und/oder angesehen wird, die nicht akzeptabel ist. (Die Gründe hierfür will ich nicht vertiefen.) Dann handelt es sich jedoch ebenfalls nicht um einen Konflikt unterschiedlicher Interessen sondern um einen Konflikt der politischen Werte, um unterschiedliche Auffassungen von der anzustrebenden Gesellschaftsordnung. (Die Abgrenzung der Interessenkonflikte von Wertekonflikten hat ebenfalls seine Schwierigkeiten, auf die wir aber erst später zurückkommen sollten.)
 
Die Begründung für das Tragen des Kopftuches kann ein Nicht-Gläubiger nicht nachvollziehen. Was er – bei Vorhandensein eines gewissen Einfühlungsvermögens in andere Menschen - nachvollziehen kann ist der Konflikt, dem das gläubige Individuum ausgesetzt ist, wenn es rechtlich daran gehindert wird, eine religiöse Pflicht zu erfüllen.
 
Da offenbar zahlreiche Missverständnisse die Diskussion beeinträchtigen, empfehle ich, dass jeder sich zuerst einmal dessen versichert, ob er den anderen auch richtig verstanden hat, bevor er mit dem großen Hammer kommt. Mit dieser Anregung verabschiedet sich
 
Eberhard.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von hedgi am Gestern, 23:39 Uhr
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Hi Eberhard,
 
Die Konsensfindung hat dort ihre Grenzen, wenn der andere überfordert würde.
 
Halten wir uns beim Kopftuchbeispiel ein wenig auf. Du schriebst, für uns hat das Kopftuch keine nennenswerte Bedeutung, deshalb kann es uns egal sein, ob die Muslimin eins trägt. Hier kannst du aber nur für dich schreiben, aber nicht für alle im christlichen Einflussbereich groß gewordenen. Für einige Konservative ist dieses Thema äußerst wichtig. Also wenn wir nach einem Konsens mit Andersgläubigen streben, müssten wir erst einmal unter uns zu einem Konsens kommen.
 
Nun wissen wir im Vorwege, dass es eigentlich nicht um einen Fetzen Stoff geht, sondern darum, dass andere, die etwas anderes glauben als die meisten von uns, für sich ein Recht beanspruchen, das wir für uns als Selbstverständlichkeit betrachten, nämlich uns zu einer Gruppe als zugehörig auszuweisen.
 
Um zu einem Konsens mit Andersgläubigen kommen zu können, müssten wir erst einmal unser Ziel definieren. Alles deutet darauf hin, dass wir von Moslems erwarten, dass sie sich so wie Christen benehmen, also konvertieren. Jedenfalls benehmen wir uns so. Wenn wir im Umkehrschluss uns vorstellen, dass Moslems von uns das Selbe erwarten könnten, spätestens dann müsste jedem klar werden, diese Forderung ist nicht konsensfähig. Es kann also nur darum gehen zu sehen, worin bereits ein Konsens besteht. Es gibt zwischen Christen und Moslems sicherlich viel gemeinsames, das zu erkennen, dabei sollten wir es in diesem Fall bewenden lassen.
 
hedgi

 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Gestern, 23:54 Uhr
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to abrazo;
 
das urteil fällt der mensch in gedankenlosigkeit des sein, würde er nach-denken würde ihm das S als laut kaum stören da regionales etwas an sprache hat das der kundige als dialekt annimmt. so sollte der wahre philosoph nicht urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
 
vg carpes
[spin]
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Heute, 00:00 Uhr
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thema ethik:
 
sie ist die moral der philosophie, die grundsätze der menschheit, die längst ihre unschuld verloren hat.
ihre grenzen werden verschoben das ein gemeinsamer konsenz längst wieder als makulatur erscheinen mag. ihr sein ist begrenzt.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Heute, 00:25 Uhr
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Quote:das urteil fällt der mensch in gedankenlosigkeit des sein, würde er nach-denken würde ihm das S als laut kaum stören da regionales etwas an sprache hat das der kundige als dialekt annimmt. so sollte der wahre philosoph nicht urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
 
 
 
Korrektur:
das urteil fällt der mensch in der gedankenlosigkeit des seins, würde er nach-denken würde ihn das S als laut kaum stören, da sprache regionale variationen zeigt, die der kundige als dialekt erkennt. so sollte der wahre philosoph nicht urteilen, er möge ratschläge geben für unkundige.
(Über den Sinn der Sätze verliert man besser erst gar kein Wort)
 
Als der Sprache Kundiger urteile ich, dass hier kein Dialekt vorliegt, sondern das Unvermögen, sich in Sprache auszudrücken. Die zahlreichen schweren Grammatikfehler weisen klar darauf hin, dass die Fähigkeit, korrekte Verbindungen und Bezüge zwischen Wörtern und Satzteilen herzustellen, mangelhaft entwickelt ist, wobei zu bedenken ist, dass Sprache das Denken spiegelt. Dem Unkundigen gebe ich den gewünschten Ratschlag, einen VHS-Kurs Deutsch zu besuchen, ggf. in der Schule besser aufzupassen.
 
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Heute, 09:36 Uhr
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Hallo allerseits,
 
eine auf Interessenabwägung beruhende Ethik muss voraussetzen, dass die Individuen auch gegen ihre individuellen Interessen handeln können. Darauf haben Abrazo und Hedgi bereits hingewiesen. Aber auch alle andern moralphilosophischen Positionen müssen etwas Entsprechendes voraussetzen.
 
Ich will hier nicht meine Position zur Frage des „freien Willens“ ausbreiten (wer will, kann das in meiner Homepage nachlesen). Es ist ausreichend, wenn die Individuen zwischen Alternativen wählen können, wenn sie also sagen können: „Wenn ich es wollte, dann könnte ich gemäß meinem individuellen Interesse handeln. Wenn ich es wollte, dann könnte ich aber auch gemäß dem kollektiven Interesse handeln.“ Diese Wahlmöglichkeit ist grundsätzlich gegeben, wie sich leicht nachweisen lässt. Allerdings gibt es auch so etwas wie „moralische Überforderung“, die wiederum von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein mag. Eine Moral, die nur Erzengel und Heilige erfüllen können, darf man nicht Menschen vorschreiben, die von anderer Natur sind.
 
Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ein Individuum auch gegen die eigenen individuellen Interessen moralisch handeln kann, besteht meines Erachtens darin, dass das Individuum die Berechtigung und die Bedeutung dieser Moral eingesehen hat. In unserm Fall heißt das, dass es die am solidarisch bestimmten Gemeininteresse ausgerichteten Normen einsieht und „verinnerlicht“ hat. Jede unglaubwürdige, nicht nachvollziehbare Begründung von Moral fördert dagegen im Individuum die sowieso vorhandene Tendenz zur Ausrichtung seines Handelns am Eigeninteresse.
 
Grüße an alle von Eberhard.
 
p.s.: Vielleicht können sich die kleinen Plappermäuler woanders ausplappern.
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von carpes am Heute, 09:36 Uhr
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to abrazo: sie lassen sich gut lenken. um ihnen etwas weitere nahrung zu geben, möchte ich ihnen folgendes mitteilen!
die natur offenbart uns immer mehr ihren dialektischen charakter, gerade im bereich des "sozialen" menschen. aber die meisten menschen können die dialektik nicht vertragen auch die regierenden können das nicht. dialektik schafft unruhe und unordnung. die menschen wollen eindeutige und konfektionierte ansichten zur verfügung haben.
die situation ist das sie lehren wollen mit dem zeigefinger und ich sage ihnen das dies nicht beschönigt werden darf. wer nicht kapitulieren will, muß die frage beantworten: wie kann die philosophie des dialektischen m... der natur des menschen wirklich helfen?
 
vg carpes
 
 
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Eberhard am Heute, 09:39 Uhr
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Was hat dieser Beitrag hier zu suchen?
 
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Titel: Re: Konfliktlösung durch Interessenabwägung?
Beitrag von Abrazo am Heute, 10:35 Uhr
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Hi Eberhard,
 
einverstanden mit Posting #167.
(Mecker nich rum, wir können durchaus zu Aussagen finden, die wir beide unterschreiben, und gewiss nicht nur wir.)
 
 
Quote:Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ein Individuum auch gegen die eigenen individuellen Interessen moralisch handeln kann, besteht meines Erachtens darin, dass das Individuum die Berechtigung und die Bedeutung dieser Moral eingesehen hat. In unserm Fall heißt das, dass es die am solidarisch bestimmten Gemeininteresse ausgerichteten Normen einsieht und „verinnerlicht“ hat.
 
 
 
Meiner Ansicht nach hast Du hier ein zentrales Problem angesprochen: das solidarisch bestimmte Gemeininteresse.
Die Frage ist, ob und wie es vorhanden ist. Anders gesagt, ob es als im Zweifel höheres Interesse gewertet wird.
Ich weiß, dass ich mich dauernd wiederhole, so dass es Dich vielleicht nervt, aber am Grund einer konsensfähigen Moral liegt nun mal immer der gemeinsam und gleich erkannte Wert.
 
Doch - in Sachen konsensfähige Moral möchte ich noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. In Algier wurde ein schweres Attentat begangen, das zu vielen Toten und Verletzten führte. Die, die für die Durchführung dieses Attentats mitverantwortlich sind oder es begrüßen, haben dafür einen Grund. Es ist ihnen Selbstlosigkeit zu unterstellen: ihre Interessen fallen mit dem zusammen, was ihnen Wert ist, ihre Individualinteressen werden dem fraglos untergeordnet.
 
Fragen wir nach ihrem Wert (leider lassen die sich nicht von uns befragen). Nicht als allgemeines Wischi-waschi, sondern konkret: was meinst Du damit, mit dem Wort, dem Satz, den Du sagst?
 
Ich möchte mich nicht einfühlen, nicht in sie hineinversetzen - wozu? - sondern ihr Weltbild verstehen. Warum? Weil ich behaupte, es ist unmöglich, wenn sie denn ihre eigenen Gedanken klären, selber verstehen, was genau sie meinen, keine Widersprüche zu entdecken. Unmöglich auch für sie.
 
Heißt: bei der Suche nach positivem Konsens sollte man den negativen nicht übersehen. Wir haben unterschiedliche Weltbilder. Ich denke nicht, dass ein vernünftiger Mensch garantieren würde, dass seines das absolut richtige ist. Wir haben tatsächlich eine Unmenge unentscheidbarer Möglichkeiten, dass etwas wahr und richtig sein könnte. Was jedoch vielfach entscheidbar ist, ist, dass etwas falsch ist. Vielleicht sollte man, wenn man sich mit möglichem Konsens befasst, lieber darauf konzentrieren, einen Konsens über das zu erzielen, was falsch ist, denn das ist möglich. Einen Konsens darüber zu erzielen, was richtig ist, dürfte sich hingegen als äußerst problematisch erweisen.
 
Gruß
 
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PhilTalk Philosophieforen
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