Ethik-Werkstatt - Volltexte im HTML-Format - kostenlos
-->Übersicht -->Alphabetische Liste aller Texte -->Info zu dieser Website -->Lexikon -->Startseite
Zur Diskurstheorie bei J. Habermas
Jeder Geltungsanspruch enthält nach der Auffassung von Jürgen Habermas die Unterstellung, "dass er 
diskursiv eingelöst, also in einem argumentativ erzielten Konsens der 
Beteiligten begründet werden könnte."   (Jürgen 
Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt a. M. 1973, S. 
144) Ein Diskurs ist nach Habermas eine "handlungsentlastete Form der 
Kommunikation", in der "kein Zwang außer dem des besseren Argumentes ausgeübt 
wird." Er betont, dass der zwanglose Konsens nur das zulässt, "was alle wollen 
können" (S. 148) Ein Konsens wäre nach Habermas also nicht möglich über die 
miteinander nicht zu vereinbarenden Eigeninteressen der Beteiligten sondern nur 
über das, was er "verallgemeinerbare Interessen" nennt, die "kommunikativ 
geteilt werden", ohne hier allerdings näher auszuführen, 
wie diese zu bestimmen sind (S. 149).
Zentrales Kriterium für die Bewertung politischer Ordnungen ist in der 
Diskurstheorie die Frage, ob über eine politische Ordnung eine gewaltfreie, also 
rein argumentativ erzielte Übereinstimmung möglich wäre. Ein derartiger 
argumentativer Konsens über das, was sein soll, erscheint nur dann möglich, 
wenn die Beteiligten nicht nur von ihren besonderen eigenen Interessen ausgehen, 
sondern wenn sie - grob gesprochen - einen unparteiischen, allgemeinen, 
vernünftigen Standpunkt einnehmen. 
 
Die von den Beteiligten formulierten eigenen 
Interessen stellen keinen unkritisierbaren Ausgangspunkt der Argumentation dar, 
sondern die vermeintlichen Interessen bedürfen in Bezug 
auf ihre Aufgeklärtheit noch der Überprüfung. Aber auch aufgeklärte eigene 
Interessen können miteinander unvereinbar sein. Wie kann man dennoch darüber zu einer 
argumentativen, also gewaltfreien Übereinstimmung gelangen?
Von den Teilnehmern des Diskurses wird verlangt, dass 
sie nur allgemein nachvollziehbare Argumente vorbringen, die keinen Unterschied 
zwischen Eigen- und Fremdinteressen machen. Sie müssen also den subjektiven 
Standpunkt des partikularen Eigeninteresses bewusst aufgeben.
Umstritten ist, welche politischen Schlussfolgerungen aus der Diskurstheorie zu 
ziehen sind: Folgt aus dem Umstand, dass die argumentative Konsensfähigkeit das 
Gültigkeitskriterium darstellt, dass man nun alle Verfahren der sozialen 
Normsetzung möglichst weitgehend nach dem Muster des Diskurses, also in Form 
einer auf Konsens angelegten gewaltfreien Argumentation gestaltet? Ist es 
richtig zu sagen: 'Je 
diskursähnlicher das Verfahren der 
Normsetzung ist, desto legitimer sind die 
Ergebnisse'? 
Derartige Schlussfolgerungen, die eine möglichst 
weitgehende Ersetzung Normsetzungsverfahren wie Abstimmung, Vertrag 
oder richterliches Urteil durch ideale Diskurse beinhalten, berücksichtigen 
jedoch nicht, dass der normative Diskurs kein definitives Resultat ergeben muss. Wie am 
Beispiel erfahrungswissenschaftlicher Diskussionen deutlich wird, die noch am ehesten dem Modell eines 
idealen Diskurses entsprechen, führen auch diese nicht immer zu 
definitiven Resultaten. Nicht selten bleiben auch hier unterschiedliche 
Positionen wissenschaftliche vertretbar. Für normative Diskussionen gilt dies umso mehr, sodass 
der Diskurs als Verfahren der Normsetzung nicht ausreichend ist.
Da der 
Diskurs gerade unter der Voraussetzung der Handlungsentlastung entworfen wurde, 
eignet er sich nicht für Entscheidungen, die unter Zeitdruck stehen oder mit 
Entscheidungskosten verbunden sind.
Wenn schnelle Entscheidungen gefordert sind, ist das Verfahren der 
argumentativen Einigung viel zu zeitraubend, und wo große Kollektive betroffen 
sind, wäre die Herstellung eines argumentativen Konsens mit einem nicht zu rechtfertigenden 
Aufwand verbunden. 
Es ist also ein Fehlschluss, aus dem Kriterium der 
argumentativen Konsensfähigkeit für Normen zu folgern, dass alle 
Normsetzungsverfahren möglichst nach Art eines Diskurses gestaltet sein sollten.
Stattdessen bedarf es für die soziale Koordination und Kooperation je nach Art der Umstände unterschiedlicher 
Normsetzungsverfahren, die mit vertretbarem Aufwand und der nötigen 
Schnelligkeit allgemeinverbindliche Normen setzen. Die Normsetzungsverfahren 
sind allerdings ihrerseits daran zu messen, inwiefern ihre Setzungen den 
Resultaten nahekommen, die bei einer argumentativen Einigung ohne Zeitdruck und 
ohne Berückichtigung von Entscheidungskosten im Diskurs erzielt 
worden wären.
Das Diskursmodell macht also Normsetzungsverfahren in Form von 
Abstimmungen, Verträgen oder auch individuellen Verfügungsrechten keineswegs 
überflüssig. Derartige Normsetzungsverfahren können niemals die inhaltliche Richtigkeit der gesetzten Normen im Sinne ihrer 
argumentativen Konsensfähigkeit garantieren. Es bleibt also bei einem 
Spannungsverhältnis zwischen dem auf die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung 
ausgerichteten, rein argumentativen Diskurs auf der einen Seite und den auf 
soziale Koordinierung und Kooperation ausgerichteten Normsetzungsverfahren auf 
der anderen Seite, die verbindliche Normen setzen.
***
Siehe auch 
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
    
    
Diskurstheorie als Grundlage 
normativer Ethik? *** (12 K)
Diskurstheoretische Normenbegründung ** (22 K)
***
zum Anfang
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Zur Diskurstheorie bei J. Habermas"  
Letzte Bearbeitung 26.10.2010 / Eberhard Wesche
Wer diese Website interessant findet, den bitte ich, auch Freunde, Kollegen und Bekannte auf die "Ethik-Werkstatt" hinzuweisen.