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Warum es die Welt nicht gibt

oder

Markus Gabriel und die Existenz der Welt


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Inhalt:

Bedeutungsänderungen bei zentralen Begriffen (Dieser 1. Abschnitt wurde am 15.09.2013 veröffentlicht)
Der philosophische Ansatz
Begriffsklärungen
Die Verkoppelung der Existenzfrage mit der Ortsbestimmung
Wirkliche und gespielte Hexen
Gedankenexperimente

Unnötige Verwirrung
Gabriels Beweis für die Nicht-Existenz der Welt
Gegenfragen zum Weltbild
Die Ablehnung von Weltbildern als "wichtige Konsequenz"
Gedanken über die Welt "im Ganzen"
"Die Welt" - ein offenbar notwendiger Begriff
Was ist mit der Sinnfeld-Terminologie gewonnen?
Gabriels entscheidender Fehlschluss


Anhang: Ein bisher vergeblicher Versuch einer kontroversen Diskussion


Textbeginn

Bedeutungsaenderungen bei zentralen Begriffen

Ein philosophisches Werk zu verfassen, das innerhalb eines Jahres bereits in der 7. Auflage erscheint, ist ein aussergewoehnlicher Erfolg. Markus Gabriel hat dies mit seinem Buch "Warum es die Welt nicht gibt" geschafft. Im Folgenden geht es allerdings nicht um eine Wuerdigung des Buches sondern ausschlie�lich um dessen Hauptthese: "Die Welt gibt es nicht", oder sch�rfer formuliert: "Die Welt kann "prinzipiell nicht existieren". (Seite 22) Gabriel sieht in dieser These den "Grundgedanken" einer neuen Philosophie. Er kuendigt an, dass seine These "mit Hilfe nachvollziehbarer Gedankenexperimente, Beispiele und Paradoxien bewiesen wird". (S.17) Sehen wir, welcher Mittel er sich in seiner Argumentation bedient.

Gabriel arbeitet vor allem mit einer - manchmal krassen - Umdeutung der in seiner These verwendeten sprachlichen Ausdruecke wie "Welt" und "Existenz". Hinzu kommen eigene Wortschoepfungen wie "Sinnfeld", die eher vage bleiben. Das sieht dann folgenderma�en aus:

(1) "Sinnfelder"  sind "Orte, an denen überhaupt etwas erscheint." (S.267, Neuschöpfung)

(2) Mit dem Wort "Existenz" bezeichnet Gabriel "die Eigenschaft von Sinnfeldern, dass etwas in ihnen erscheint." (S.264, Umdeutung)

(3) "Welt" schliesslich ist für Gabriel "Das Sinnfeld aller Sinnfelder, das Sinnfeld, in dem alle anderen Sinnfelder erscheinen." (S.268, Umdeutung)
 
(3a) "Ausserhalb der Welt gibt es nichts." (S.97, weitere Eigenschaft der Welt)


Mit Hilfe derartiger Umdeutungen und Neusch�pfungen von Begriffen kann sich Gabriel nun an die Aufstellung der kuehnen Behauptung machen: "Die Welt kann prinzipiell nicht existieren."

Aus dem Satz (2) entnimmt er, dass etwas - also auch die Welt - nur dann existiert, wenn es bzw. sie - in einem Sinnfeld erscheint.

Die Welt kann aber nicht in einem Sinnfeld erscheinen, weil es dann die Welt plus dieses Sinnfeld geben wuerde. Dies widerspraeche dem Satz (3a), dass es ausserhalb der Welt nichts gibt.

Folglich kann die Welt nicht existieren. So einfach ist das.

Heisst dies nun, dass der Autor recht behalten hat mit seiner These, dass es die Welt gar nicht gibt? Dazu ist festzustellen, dass man jeden Satz wahr machen kann, wenn man die Bedeutung der sprachlichen Ausdr�cke entsprechend �ndert. Um ein krasses Beispiel zu nehmen: Der wahre Satz "Egon hat gelogen" wird falsch, wenn Egon in "Emil" umbenannt wird.

Man kann natürlich an der Position des Autors festhalten, doch sollte die 8. Auflage des Buches in diesem Fall ehrlicherweise den Titel tragen: "Warum das Sinnfeld, in dem alle Sinnfelder erscheinen, nicht in einem Sinnfeld erscheint."

Wenn man dagegen unter der "Welt" die Gesamtheit dessen versteht, was wirklich existiert, und wenn man als "existent" das bezeichnet, was jedermann - sei es direkt oder indirekt - wahrnehmen kann, so fuehrt die Behauptung: "Die Welt gibt es nicht bzw. existiert nicht" offenbar zu einem performativen Widerspruch des Behauptenden: Insofern er selber Teil der Welt ist, kann er nicht existieren, wenn die Welt nicht existiert. Wer jedoch nicht existiert, der kann auch nichts behaupten.


Der philosophische Ansatz

Gabriel erlaeutert seine theoretischen Absichten folgenderma�en:

"Ich werde in diesem Buch den Grundsatz einer neuen Philosophie entwickeln, die von einem einfachen Grundgedanken ausgeht, naemlich dem, dass es die Welt nicht gibt. Wie Sie sehen werden, bedeutet dies nicht, dass es überhaupt nichts gibt. Es gibt unseren Planeten, meine Traeume, die Evolution, Toilettenspuelung, Haarausfall, Hoffnungen, Elementarteilchen und sogar Einhoerner auf dem Mond. um nur einiges herauszugreifen. Der Grundsatz, dass es die Welt nicht gibt, schlie�t ein, dass es alles andere gibt. Ich kann deswegen schon einmal vorab in Aussicht stellen, dass ich behaupten werde, dass es alles gibt, bis auf eines: die Welt." (S.9)

Gabriels grundlegende Behauptung lautet damit: "Die Welt gibt es nicht, aber es gibt alles andere." Sie gilt es zu pr�fen.


Begriffsklaerungen


Um nicht aneinander vorbei zu reden, m�ssen sich die Diskussionsteilnehmer vergewissern, dass sie diese Behauptung im gleichen Sinne verstehen. Es ist deshalb zu fragen, was mit den darin vorkommenden sprachlichen Ausdruecken "die Welt", "es gibt" und "alles" gemeint ist. Gabriel gibt dazu folgende Hinweise:

"Wenn wir von <der Welt> sprechen, meinen wir alles, was wirklich der Fall ist, oder anders: die Wirklichkeit." (S.10/11)

Den Ausdruck "es gibt x" verwendet Gabriel synonym zu "x existiert". Etwas existiert, wenn es in einem Sinnfeld erscheint (S.264).

Offenbar ist der Ausdruck "alles" eine Art Platzhalter, an dessen Stelle man irgendetwas Beliebiges einsetzen kann, ohne dass die Behauptung dadurch falsch wird.  Ausgenommen ist nur die Welt.

Diese Begriffsbestimmungen erscheinen vorerst als unproblematisch, wenn man einmal vom Begriff "Sinnfeld" absieht, der vage bleibt.

Allerdings bleibt Gabriel nicht bei diesen Bestimmungen. Er benutzt vor allem den Begriff der "Existenz" in ungewoehnlicher Weise. Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden.

Gabriel schreibt:
"Ich behaupte, dass es Polizeiuniform tragende Einh�rner auf der Rckseite des Mondes gibt, denn dieser Gedanke existiert in der Welt und mit ihm die Polizeiuniform tragenden Einhoerner." (S.23)

Bei dieser etwas seltsamen Aussage handelt es sich nicht um ein nachvollziehbares Argument, was man durch die folgende einfache überlegung zeigen kann.

Wenn man den Ausdruck "es gibt" im ueblichen Sinne versteht, so fragt man mit dem Satz: "Gibt es auf der Rueckseite des Mondes Polizeiuniform tragende Einhoerner?" nicht nach der Existenz eines Gedankens sondern nach der Existenz einer Tierart. Die elementare Unterscheidung zwischen der Existenz eines bestimmten Gedankens und der Existenz des Gedachten wird verwischt, wenn man die Existenz des Gedachten mit der Existenz des betreffenden Gedankens begruendet ( "... , denn dieser Gedanke existiert in der Welt und mit ihm die Polizeiuniform tragenden Einh�rner.")

Die Frage, ob etwas Bestimmtes existiert (z. B. die Frage, ob es au�erhalb der Erde intelligente Wesen gibt), ist eine Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit, also der vorhandenen Welt. Die Beschaffenheit der vorhandenen Welt kann man jedoch nicht durch Bezug auf Gelogenes oder Getr�umtes erkennen, sondern nur durch die Einbeziehung von Beobachtetem und logisch Gefolgertem. Diese Unterscheidung ist grundlegend für alle Bem�hungen um Erkenntnis der Wirklichkeit.

Gabriel h�lt sich zu Gute, dass er den Gedanken das gleiche Recht auf Existenz zugesteht wie den Gegenst�nden, über die nachgedacht wird. Aber rennt er damit nicht offene T�ren ein? Die Wissenschaftler, die über Gef�hle, Einstellungen, Wahrnehmungen, Ged�chtnisleistungen, Intelligenz o. �. forschen, zweifeln sicherlich nicht daran, dass es ihren Forschungsgegenstand gibt.


Die Verkoppelung der Existenzfrage mit der Ortsbestimmung


Das Problem bei einer derart inflation�ren Verwendung des Begriffs "Existenz" liegt auf der Hand: Wenn alles existiert, ist die Frage, ob etwas Bestimmtes existiert, überfl�ssig. Dann kann es auch keine verneinenden Existenzbehauptungen geben. Fragen wie: "Gibt es Schneemenschen (Yetis)?" oder Behauptungen wie: "Es gibt keine H�lle" er�brigen sich.

Dies Problem ist anscheinend auch Gabriel bewusst. Er schreibt deshalb einschr�nkend: "Existenz beinhaltet immer eine Ortsangabe." (S.97) "Die Frage ist also niemals einfach, ob es so etwas gibt, sondern immer auch, wo es so etwas gibt. Denn alles, was existiert, existiert irgendwo � und sei es nur in unserer Einbildung. Die einzige Ausnahme ist wiederum: die Welt." (S.23)

Sind Aussagen zur Existenz tats�chlich immer mit einer Ortsangabe verbunden? Wohl nicht, denn man kann z. B. fragen: "Gibt es irgendwo den Osterhasen?" ohne gleichzeitig nach einem Ort zu fragen. Auch die Frage: "Gibt es Gott?" ist keineswegs unverst�ndlich oder unvollst�ndig, obwohl sie ohne Bezugnahme auf einen Ort gestellt ist. Gabriels These ist also "einfach falsch", um eine von Gabriel gern benutzte Formulierung aufzugreifen.

Im �brigen bleibt es v�llig uneinsichtig, warum die Existenz mit einer Ortsangabe aber nicht mit einer Zeitangabe verkoppelt sein muss, denn für die Zeit gilt die analoge Begr�ndung wie für den Ort: Alles, was existiert, existiert irgendwann.

Ausgehend vom "Ort" f�hrt Gabriel schlie�lich über den "Bereich" und den "Gegenstandsbereich" den Begriff des "Sinnfeldes" ein. Diesen Begriff hat Gabriel selbst gebildet. Er ist für seinen Ansatz zentral, denn sowohl der Begriff "Welt" wie der Begriff "Existenz" wird von ihm unter Verwendung des Begriffs "Sinnfeld" definiert, wie man oben sehen konnte. Hier wird sich erweisen m�ssen, ob die von Gabriel gebildeten Begriffe einen echten Erkenntnisfortschritt erm�glichen oder ob es sich bei seinem Ansatz nur um eine h�chst subjektive und willk�rliche Umetikettierung philosophischer Begriffe handelt.


Wirkliche und gespielte Hexen

Im Folgenden soll anhand eines l�ngeren Zitats gepr�ft werden, ob die von Gabriel vorgenommene Umdeutung insbesondere des Wortes "Existenz" gr��ere Klarheit bringt. Es geht dabei um wirkliche und gespielte Hexen.

Gabriel fragt: "Was behaupten wir �, wenn wir sagen, dass es irgendetwas nicht gibt? Wenn wir beispielsweise behaupten, dass es keine Hexen gibt, was meinen wir dann eigentlich? Schauen wir genau hin und formulieren eine wahre negative Existenzaussage:

       "Es gibt keine Hexen."

Dagegen k�nnte nun jemand einwenden, dass es sehr wohl Hexen gibt, beispielsweise in Goethes Faust ... . Der Satz:

       "Es gibt Hexen"

ist also ebenso wahr.

Jetzt haben wir aber einen unangenehmen Widerspruch, denn jetzt haben wir den Satz:

       "Es gibt Hexen, und es gibt keine Hexen."

Man sieht allerdings sofort, dass hier kein echter Widerspruch vorliegt. Denn wir haben nicht gesagt, dass es Hexen einfach so gibt oder dass es einfach so keine Hexen gibt." (S.116)

Soweit Gabriel. Wenn man � wie verlangt - genau hinschaut, stellt man fest, dass der erste Satz ("Es gibt keine Hexen") keinen Bezug zu irgendeinem Kontext hat. Der Sprecher des ersten Satzes verneint die Existenz von Hexen offenbar "einfach so", um eine Formulierung Gabriels aufzunehmen.

Dagegen ist der zweite Satz ("Es gibt Hexen") mit einem Hinweis zu einem Kontext (Goethes "Faust") versehen.

Damit muss vorerst offen bleiben, ob sich die beiden S�tze widersprechen oder nicht. Nur wenn der Sprecher des ersten Satzes das Wort "Hexe" ebenfalls in einem Zusammenhang mit der Welt des Theaters ge�u�ert hat, w�rden beide Sprecher das Wort "Hexe" in der gleichen Bedeutung verwenden, so dass sich die beiden S�tze widersprechen.

Angenommen, der Sprecher des ersten Satzes ("Es gibt keine Hexen") erl�utert seinen Satz wie folgt: "Mit 'Hexe' meine ich wirkliche Hexen, also Frauen, die tats�chlich Verbindungen zum Teufel haben."

In diesem Fall ist klar, dass sich die beiden S�tze nicht widersprechen, denn das Wort "Hexe" wird vom Sprecher des ersten Satzes mit einer anderen Bedeutung verwendet als vom Sprecher des zweiten Satzes. Mit dem Wort "Hexe" verbindet der Sprecher des ersten Satzes die Bedeutung "Frau, die Verbindungen zum Teufel hat". Zur besseren Unterscheidung k�nnte man eine solche Hexe als "Hexe1" bezeichnen. Der Sprecher des zweiten Satzes verbindet mit dem Wort "Hexe" die Bedeutung "Frau, die im Theater die Rolle einer Hexe1 spielt". Man k�nnte eine solche Hexe als "Hexe2" bezeichnen. Der mit den neuen Begriffen gebildete Satz: "Es gibt keine Hexen1 und es gibt Hexen2" enth�lt nun keinen logischen Widerspruch mehr.

Gabriel f�hrt fort:
"Es ist jeweils eine Frage des Kontextes: Wenn wir bestreiten, dass etwas existiert, bestreiten wir immer, dass es in einem bestimmten Sinnfeld erscheint." (S.116)

für diese eigenwillige Interpretation des Wortes "existieren" findet sich zumindest an dieser Stelle keinerlei Begr�ndung. Deshalb sehe ich keinen Grund, meinen Sprachgebrauch zu �ndern. Wenn ich bestreite, dass Hexen existieren, dann bezieht sich das immer auf Hexen im Sinne von Frauen, die mit dem Teufel in Verbindung stehen und nicht auf die gespielten Hexenfiguren in einem Theaterst�ck. Der Satz: "Es gibt keine Hexen" ist auch ohne die Benennung eines Sinnfeldes ein vollst�ndiger und verst�ndlicher Satz. Er informiert über die Beschaffenheit der vorhandenen Welt und er kann verifiziert bzw. falsifiziert werden. Indem ich diesen Satz ausspreche, behaupte ich, dass an keinem Ort und zu keinem Zeitpunkt jemals eine Hexe existiert hat. Ich denke nicht, dass mir ein Germanist da widersprechen wird.

Ganz im Einklang mit dieser Verwendung des Wortes "existieren" befindet sich der folgende, von Gabriel selbst genannte Einwand.

Jemand k�nnte gegen Gabriels Sprachgebrauch einwenden:

"Wenn wir sagen, dass es Maulw�rfe gibt, sagen wir dann nicht, dass Maulw�rfe nicht blo� eingebildet sind, (sondern) dass sie wirklich existieren?" (S.117)

Gabriel verneint die Frage und entgegnet:
"Dieser Einwand unterscheidet f�lschlich zwischen Existenz und Einbildung. Denn auch Einbildungen existieren, und vieles existiert nur in Einbildungen." (S.117)

Dass es falsch sei, zwischen "Existenz" und "Einbildung" zu unterscheiden, ist offensichtlich unsinnig. Man muss hier sogar unterscheiden, denn es handelt sich ja nicht um Synonyme. Gabriel wollte wohl sagen, dass etwas Eingebildetes zugleich auch existieren kann. Doch darum geht es hier gar nicht.

Der Einwand richtete sich gegen die geforderte Angabe eines Sinnfeldes bei jeder Existenzaussage. Der Satz "Es gibt Maulw�rfe" ist auch ohne Ortsangabe ein klarer, verst�ndlicher Satz, den man z. B. dadurch verifizieren kann, dass man einen Maulwurf einf�ngt und ihn �ffentlich zeigt.

Wenn jedoch jemand die Frage "Gibt es Maulw�rfe?" bejaht und zum Beweis auf das Kinderbuch über den Maulwurf Grabowski verweist, so hat er die Frage missverstanden. Dem Fragesteller ist dies jedoch nicht anzulasten. Denn in einem W�rterbuch der deutschen Sprache findet man unter dem Wort "Maulwurf" die Bedeutung: "rattengro�er Insektenfresser". Das gemalte Bild des Maulwurfs Grabowski frisst sicherlich keine Insekten und ist somit kein "wirklicher" Maulwurf. Dass das Bild des Maulwurfs Grabowski existiert, w�rde wohl niemand bezweifeln.

Gabriel f�hrt fort:
"Existenzaussagen, seien sie positiv oder negativ, beziehen sich immer nur auf ein Sinnfeld oder einige Sinnfelder, niemals aber auf alle und am allerwenigstens auf ein allumfassendes Sinnfeld."

Hier werden Behauptungen aneinander gereiht, ohne dass der Autor auch nur den Versuch einer nachvollziehbaren Begr�ndung macht.

Dagegen ist festzuhalten: Wenn ich die Gesamtheit dessen, was es gibt, als "Welt" bezeichne, dann besagt der Satz: "Es gibt Maulw�rfe", dass Maulw�rfe ein Teil der realen Welt sind. Dass dies so ist, lässt sich empirisch verifizieren und enth�lt auch keinerlei logische Fehler. Es besteht deshalb kein Bedarf an unendlich vielen Sinnfeldern oder gar an einem "Sinnfeld aller Sinnfelder", um klare Existenzaussagen zu machen.

Angesichts unendlich vieler, sich überlappender Sinnfelder erscheint Gabriels These, dass man bei jeder Existenzaussage ein bestimmtes Sinnfeld (oder gar mehrere) mitzudenken habe (S.116), als monstr�s. Dies m�sste auch Gabriel einsehen, denn in seiner eigenen Sprachpraxis kann er auf die Hervorhebung der wirklichen Existenz gegenüber einer unübersehbaren Anzahl nur vorgestellter Existenzen offenbar nicht verzichten, wie das folgende Zitat zeigt:

"Es gibt also viele kleine Welten, aber nicht die eine Welt, zu der sie alle geh�ren. Dies bedeutet gerade nicht, dass die vielen kleinen Welten nur Perspektiven auf die eine Welt sind, sondern dass es eben nur die vielen kleinen Welten gibt. Es gibt sie wirklich, nicht nur in meiner Einbildung."(S.19)

Das Wort "wirklich", das Gabriel hier verwendet, dient in der Umgangssprache dazu, die wichtige Unterscheidung zwischen dem Realen auf der einen Seite und dem Fantasierten, Getr�umten, Eingebildeten, Erhofften, Gew�nschten etc. auf der anderen Seite zu betonen. Zweifellos sind auch die W�nsche, die jemand hat, etwas Reales. Aber das, was jemand w�nscht, wird dadurch nicht real. Wer diese Unterscheidung nicht macht, ist kein Realist - auch kein "Neuer Realist" - sondern er erliegt dem Wunschdenken.


Gedankenexperimente

Gabriels Argumentationsweise ist nicht selten verwirrend. Dies gilt auch für die von ihm angestellten Gedankenexperimente. Die Verwirrung entsteht hier nicht zuletzt dadurch, dass die den Gedankenexperimenten zugrundeliegenden Annahmen meist in extremer Weise irreal sind. So hei�t es z. B.
"Nehmen wir an, es g�be nur Dinge, aber keine Tatsachen ... " (S.48)
"Nehmen wir nun an, wir kennten keinen einzigen Gegenstand ... (S.83)
"Stellen wir uns vor, es g�be nur einen einzigen Gegenstand, sagen wir einen blauen W�rfel." (S.102)

Die Probleme bei der Auswertung derartiger "Experimente" sollen an folgendem Beispiel verdeutlicht werden. Gabriel schreibt:

"Stellen wir uns einmal vor, es g�be überhaupt gar nichts .... In dieser ... Situation wäre es der Fall, dass es gar nichts g�be, und der Gedanke, dass es in diesem Fall gar nichts gibt, scheint wahr zu sein. Daraus folgt aber, dass es auch im ... Nichts zumindest eine Tatsache gibt, n�mlich die Tatsache, dass es sich um ein ... Nichts handelt. Doch diese Tatsache ... wäre das alles entscheidende Faktum ... Demnach gibt es auch im ... Nichts etwas, n�mlich dasjenige, was über das ... Nichts wahr ist. (S.49)

Soweit die Ausf�hrungen von Gabriel. Die Ausgangsannahmen sind auch hier extrem irreal. Der Fall, dass es nichts gibt, kann nach heutigem Wissen niemals eintreten, und selbst wenn er eintreten w�rde, dann k�nnte dies von niemandem bemerkt werden. Insofern ist es problematisch, aus derartigen Annahmen logische Schlussfolgerungen zu ziehen.

So k�nnte man in diesem Fall der Meinung sein, dass das Gedankenexperiment mit der Annahme, dass es nichts gibt, damit bereits zu Ende ist. Denn wo nichts ist, da kann nach heutigem Wissensstand auch von nichts und niemandem irgendetwas Weiteres kommen.

Gabriel zieht dagegen aus der Annahme, dass es nichts gibt, den g�nzlich anderen Schluss, dass es trotzdem etwas gibt, n�mlich die Tatsache, dass es nichts gibt. Der Satz: "Es gibt die Tatsache, dass es nichts gibt" ist jedoch in sich widersprüchlich, denn wenn es nichts gibt, kann es auch keine Tatsache geben, und wenn es eine Tatsache gibt, dann kann es nicht Nichts geben.


Unn�tige Verwirrung

Das Buch tr�gt den Titel: "Warum es die Welt nicht gibt". Mit dieser Formulierung wird der Anschein erweckt, als stehe es bereits fest, dass es die Welt nicht gibt und dass nur noch gekl�rt werden m�sse, welches die Ursachen bzw. die Gr�nde dafür sind, dass die Welt nicht existiert.

Die Frage, ob es etwas nicht gibt, ist der Frage, warum es etwas nicht gibt, logisch vorgeordnet. Kehrt man diese Reihenfolge um, so erzeugt man unn�tige Verwirrung. Darunter leidet auch die Darstellung im Buch. Der Aufbau des Buches ist so, dass die Welt mehrfach für nicht existent erkl�rt wird , noch bevor ein Versuch unternommen wird, dies auch zu begr�nden. Offenbar ist dies beabsichtigt, denn Gabriel schreibt selber: "Ich ... nehme ...vorweg, was sp�ter ... bewiesen wird." (S.17) Das geschieht dann auf Seite 22 folgenderma�en.


Gabriels Beweis für die Nicht-Existenz der Welt

Was sind die Argumente für die Nicht-Existenz der Welt? Wie f�hrt Gabriel diesen Beweis? Die Bausteine dafür sind die folgenden Definitionen und Aussagen:

(1) Die Welt ist das allumfassende Ganze. [Definition von "Welt"]

(2) Damit etwas existiert, muss es in der Welt vorkommen. [Definition von "existieren"]

(3) Die Welt kommt in der Welt nicht vor. [Aussage mit ungekl�rtem Status]

(4) Die Welt existiert nicht. [Schluss aus (2) und (3)]

Problematisch ist offensichtlich Satz (3). für Gabriel scheint Satz (3) empirisch begr�ndet zu sein, denn er schreibt: "Nun kommt die Welt selbst in der Welt nicht vor. Ich habe sie zumindest noch niemals gesehen, gef�hlt oder geschmeckt."

Dieses Argument ist schlicht unsinnig. Dann d�rfte es z. B. auch kein "Bruttosozialprodukt" geben, denn auch dies hat Gabriel weder gesehen noch gef�hlt noch geschmeckt.

In einem zweiten Anlauf versucht Gabriel, Satz (3) durch Nachdenken zu begr�nden. "Und selbst, wenn wir über die Welt nachdenken, ist die Welt, über die wir nachdenken, natürlich nicht identisch mit der Welt, in der wir nachdenken."

Man fragt sich, warum man deshalb die Welt für nicht-existent halten soll. Au�erdem: Warum kann ich nicht etwas über die Welt sagen (z. B."Die Welt ist ver�nderlich"), ohne dass noch eine zweite nicht-identische Welt entsteht, in der ich mich befinde, w�hrend ich die Ver�nderlichkeit der Welt feststelle?

Bei den weiteren Bem�hungen Gabriels, Satz (3) zu begr�nden, greift er zu methodischen Neuerungen. Er schreibt:"Wir können niemals das Ganze erfassen. Es ist prinzipiell zu gro� für jeden Gedanken."

Es wäre sicherlich sch�n, wenn wir die Gr��e von Gedanken messen k�nnten und bereits vorweg einige Gedanken als zu gro� oder als zu klein aussondern k�nnten.

Die ganze Er�rterung endet etwas unr�hmlich mit der blo�en Wiederholung des Satzes, der eigentlich zu begr�nden war: "Die Welt kann vielmehr prinzipiell nicht existieren, weil sie nicht in der Welt vorkommt."

Damit ist Seite 22 beendet. Wenn man ein Fazit zieht, so ist Gabriels Position nicht gerade gest�rkt aus dieser Er�rterung hervorgegangen.

Gabriel scheint das allerdings anders zu sehen, denn wenige Zeilen sp�ter wird der Grundsatz "Die Welt gibt es nicht" von ihm bereits als schlagendes Argument gegen wissenschaftliche Weltbilder eingesetzt: "Genau genommen werde ich gegen jedes Weltbild argumentieren. Denn man kann sich kein Bild von der Welt machen, weil sie nicht existiert." (S.23).


Gegenfragen zum Weltbild

Gabriels These lautet: "Die Welt existiert nicht". Wenn man - wie weit verbreitet - mit dem Wort "Welt" die Gesamtheit all dessen bezeichnet, was existiert: Was spricht dagegen, zu fragen:
"Gibt es irgendwo auf der Welt eine Gesellschaft ohne Herrschaft"?

Warum soll mir das Wort "Welt" genommen werden, mit dem ich S�tze formuliere wie: "Ich bin Teil dieser Welt. Aus dieser Welt bin ich hervorgegangen"?

Warum soll ich mein gegenw�rtiges Wissen und meine gegenw�rtigen überzeugungen über die uns bekannten Teile der Welt nicht systematisch ordnen, um m�glichst entt�uschungsfrei zu leben und zu handeln?

Warum soll ich dies geordnete Wissen über die Welt nicht als subjektives "Modell der Welt" oder "Bild der Welt" bezeichnen?

Warum soll ich mein Wissen nicht an den Ergebnissen moderner selbstkritischer Erfahrungswissenschaften orientieren?

Warum ist ein derartiges "wissenschaftliches Weltbild" abzulehnen? Was ist die Alternative?


Die Ablehnung von Weltbildern als "wichtige Konsequenz"

Gabriel ist durch Ver�nderungen in der Bedeutung der W�rter "Existenz" und "Welt" zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Welt nicht existiert. Man fragt sich, zu welchen Konsequenzen dieser revolution�r klingende "Grundgedanke" f�hrt. für Gabriel ergibt sich eine naheliegende Konsequenz: "Die Welt existiert nicht. � Daraus werde ich wichtige Konsequenzen ziehen, die unter anderem gegen das wissenschaftliche Weltbild in seiner heute medial und gesellschaftspolitisch verbreiteten Version sprechen. Genau genommen werde ich gegen jedes Weltbild argumentieren. Denn man kann sich kein Bild von der Welt machen, weil sie nicht existiert." (S.23)

Mit dem "Weltbild" greift Gabriel einen weiteren zentralen Begriff an, der nur schwer zu ersetzen ist. Unter dem "Weltbild" eines Subjektes � sei es eines Individuums oder eines Kollektivs - versteht man �blicher Weise überzeugungen von der Beschaffenheit der Welt, wobei in diesem Weltbild gesichertes Wissen mit Unwissen, Irrtum und Ungewissheit vermischt sein kann. Die Weltbilder können von unterschiedlicher Qualit�t sein. Sie dienen den Subjekten sowohl zur Erkl�rung des Geschehens als auch zur Voraussicht in Bezug auf die Zukunft. Tritt das aufgrund des Weltbildes zu Erwartende nicht ein, so wird das Weltbild gewähnlich in dieser Hinsicht ver�ndert.

Die hier nur grob skizzierte Rolle von Weltbildern lässt für deren Bek�mpfung nichts Gutes erwarten, insbesondere, wenn es ausdr�cklich auch gegen wissenschaftlich orientierte Weltbilder gehen soll. Wem will Gabriel den Status "real" verleihen? Was ist sein intersubjektiv nachvollziehbares Kriterium der Existenz? Ob die von ihm entworfenen "Registraturen" Besseres bewirken können als die im jeweiligen Subjekt verankerten Weltbilder, ist zumindest fraglich.



Gedanken über die Welt "im Ganzen"

Gabriel schreibt: "Man kann nicht über die Welt nachdenken. Was man erfasst, wenn man es versucht, ist nichts; genau genommen sogar 'weniger als nichts'".

Warum soll man nicht über die Welt als das allumfassende Ganze nachdenken können? Das beste Argument gegen die Behauptung, man k�nne nicht über die Welt nachdenken, besteht darin, es tats�chlich erfolgreich zu tun. Im Folgenden einige skizzenhafte Ergebnisse meines Nachdenkens über die Welt als das Ganze.

(1) Mit dem Wort "Welt" bezeichne ich die Gesamtheit all dessen, was existiert. [Definition von "Welt"]

(2) Etwas "existiert", wenn es direkt oder indirekt wahrgenommen werden kann. [Kriterium der "Existenz"]

(3) Wenn irgendetwas existiert, existiert insoweit auch die Welt. [Folgt aus (1)]

(4) Ich, d.h. meine Person, kann von mir und anderen wahrgenommen werden. [eine wohl unstrittige faktische Pr�misse]

(5) Ich existiere. [Folgt aus (2) und (4)]

(6) Die Welt existiert. [Folgt aus (5) und (3)]

(7) Ich bin Teil der Welt. [Folgt aus (1) und (6)]

(8) Ein Grund, ein Zweck, ein Sinn oder eine Ursache der Welt w�rden über die Welt als das allumfassende Ganze hinausgehen. [Folgt aus (1)]

(9) Fragen wie: "Warum gibt es die Welt?" oder "Welchen Sinn und Zweck hat das Ganze?" sind sinnlos. [Folgt aus (8)]

(10) Vor dem allumfassenden Ganzen, der Welt, steht der nachdenkende Mensch nicht fragend sondern staunend. [Folgt aus (9)]


Die Welt - ein offenbar notwendiger Begriff

Angesichts der Gesamtheit all dessen, was existiert, verlieren Fragen ihren Sinn, die über dies Ganze hinausgehen. Gabriel reagiert auf diese Schwierigkeit, indem er "das allumfassende Ganze" für nicht existent erkl�rt. Diese L�sung beschert ihm jedoch neue Problemen.

Eine der auff�lligsten Schwachstellen der Gabrielschen Position besteht darin, dass er offenbar selber nicht auf den Begriff der "Welt" oder eines Synonyms für "Welt" verzichten kann. So findet sich z. B. in dem mittleren Absatz der Seite 234 das Wort "Welt" viermal, und auf Seite 177 stellt Gabriel ohne jede Einschr�nkung fest: "Die Philosophie besch�ftigt sich auf wissenschaftliche Weise mit der Frage, was das Ganze eigentlich soll." Hier haben wir "die Welt" in Gestalt des "Ganzen" wieder.

Man kann daraus nur den Schluss ziehen, dass der Begriff des allumfassenden Ganzen n�tzlich und unverzichtbar ist. Ohne den Begriff der "Welt" - oder einen gleichbedeutenden Ausdruck - lassen sich bestimmte wichtige Fragen weder stellen noch beantworten.


Was ist mit der Sinnfeld-Terminologie gewonnen?

Mit dem Buch soll nachgewiesen werden, dass das Sinnfeld aller Sinnfelder (die Welt) nicht in einem Sinnfeld erscheint (und deshalb nicht existiert). Damit stellt sich die Frage, was mit der Einf�hrung der von Gabriel vorgeschlagenen Sinnfeld-Terminologie gewonnen ist. Gabriel nennt keine Forschungen, die sich auf ein bestimmtes Ph�nomen beziehen und die die dazugeh�rigen Sinnfelder bestimmen. Derart schwerwiegende Ver�nderungen an zentralen Begriffen lassen sich nur dadurch rechtfertigen, dass die neue Begrifflichkeit theoretisch fruchtbar ist, dass sich damit neue Fragen stellen lassen, die neue Antworten hervorbringen. Wo sind die Unterscheidungen, die mit der bisherigen Begrifflichkeit nicht m�glich waren? Es zeigt sich nichts dergleichen. Selbst elementarste Untersuchungen (z. B. hinsichtlich der intersubjektiven übereinstimmung der von den Individuen bemerkten Sinnfelder) fehlen. Gleichzeitig wird nicht deutlich, worin denn die Defizite bestehen, die eine Neu-Etikettierung erforderlich machten. Was sind die Kriterien dafür, dass ein Sinnfeld das richtige ist? "Im Sinnfeld 'Erde' gibt es keine Hexen" (S.118) schreibt Gabriel. Aber woher wei� er das?


Gabriels entscheidender Fehlschluss

In einem Interview des Norddeutschen Rundfunks zum Erscheinen seines Buches hat Gabriel seine entscheidenden Argumente noch einmal komprimiert formuliert.

Zum Begriff der "Welt" sagt Gabriel in dem Interview:

"Wenn ich sage, dass es die Welt nicht gibt, dann sage ich damit, ... dass es keinen Allzusammenhang gibt, der Alles unter ein einziges Dach bringt."

Mit der hier vorgenommenen Gleichsetzung von "Welt" und "Allzusammenhang" entfernt sich Gabriel erheblich vom �blichen Sprachgebrauch. Nicht jeder, der das Wort "Welt" verwendet, muss der Auffassung sein, dass alles mit allem zusammenh�ngt. Das wäre auch sachlich falsch, denn wenn in Tokio die Aktienkurse fallen, so h�ngt das ganz offensichtlich nicht damit zusammen, dass ich gerade einen Hustenanfall habe. Gleichwohl ist jedes der beiden Ereignisse ein Teil der Welt im �blichen Sinne und beide befinden sich damit "unter einem Dach".

ähnlich problematisch ist der zweite Schritt in Gabriels Argumentation. Zur Feststellung des Gegebenseins. also der Existenz von etwas f�hrt Gabriel aus:

"... wenn wir feststellen, dass es etwas gibt, zum Beispiel Katzen, ... m�ssen wir angeben, wo genau es sie gibt."

Auch hier entfernt sich Gabriel deutlich vom Sprachgebrauch. Denn wenn z. B. jemand behauptet, dass es fleischfressende Pflanzen gibt, dann muss er nach g�ngigem Sprachgebrauch dabei nicht angeben, wo genau es sie überall gibt. Es reicht, wenn er eine solche Pflanze in Aktion zeigt, um die Behauptung einzul�sen, dass es solche Pflanzen gibt. Sogar das Vertr�sten auf zuk�nftige Belege für seine Behauptung wäre eine zul�ssige - wenn auch schw�chliche - Argumentationsstrategie.

Nachdem Gabriel die Ortsangabe per Definition zu einem notwendigen Bestandteil jeder Existenzaussage gemacht hat, begeht Gabriel den entscheidenden Fehlschluss indem er schreibt:

"Wenn wir uns aber fragen: Wo soll das Ganze sein? Dann können wir dafür keine Ortsangabe mehr machen. Und genau deswegen kann es dieses Ganze nicht geben."

Daran ist richtig, dass man die Frage: 'Wo befindet sich das Ganze?' nicht mit einer Ortsangabe beantworten kann. Es ist jedoch keineswegs logisch zwingend, dass es dieses Ganze deswegen nicht geben kann. Das Problem der fehlenden Ortsangabe für die Welt lässt sich auch anders ausr�umen.

Bereits die Frage "Wo befindet sich das Ganze?" ist  sinnlos. Sinnlose Fragen lassen sich nicht durch eine  Antwort erledigen sondern nur durch Einsicht in ihre Sinnlosigkeit.
 
Es mag sich dabei folgender Dialog zwischen einem Weltsucher und dessen Kritiker entspinnen.

Weltsucher: Ich stelle die Frage: Wo ist die Welt? Wo finde ich sie?

Kritiker: Was meinst Du mit 'Welt'?

Weltsucher: Ganz einfach. Als 'Welt' bezeichne ich das Ganze, also alles, was es überhaupt gibt.

Kritiker: Dann bist Du selber auch ein Teil dieser Welt, genauso wie diese Wolke dort am Himmel. für jedes der beiden Teile kann man den Ort angeben, an dem es sich gegenw�rtig befindet. Was will man mehr?

Weltsucher: Ich will wissen, an welchem Ort sich die Welt als Ganzes befindet, denn ohne eine Verortung kann nichts existieren.

Kritiker: Aber warum muss die Welt denn einen Ort haben, um existieren zu können?

Weltsucher: Wenn alle Teile der Welt einen Ort haben, dann muss doch auch die Gesamtheit aller Teile der Welt einen Ort haben. Das ist doch logisch.

Kritiker: für mich ist das gar nicht logisch. Eine g�ltige Schlussregel, die besagt, dass eine Gesamtheit von Dingen dieselben Eigenschaften haben muss wie die einzelnen Dinge, aus denen diese Gesamtheit besteht, kenne ich nicht. Bei Verwendung einer solchen Schlussregel w�rde man aus wahren Pr�missen falsche Schl�sse ziehen. Dazu ein analoges Beispiel: Wenn die einzelnen Menschen ein Geschlecht haben, weiblich oder m�nnlich, dann m�sste nach Deiner Logik auch die Menschheit als die Gesamtheit aller Menschen ein Geschlecht haben. Aber die Frage: "Welches Geschlecht hat die Menschheit?" ist offensichtlich unsinnig. Oder siehst Du das anders?

Weltsucher: Nun gut, ich ziehe meine Begr�ndung erst einmal zur�ck. Ich bleibe jedoch dabei, dass etwas, was keinen Ort hat, auch nicht existieren kann.

Soweit das fiktive Gespr�ch. Leider gibt es in dem Buch keine systematische Er�rterung der Kriterien, an denen sich entscheidet, ob etwas existiert oder nicht existiert. Diese grundlegende Frage m�sste jedoch in einem besonderen Abschnitt behandelt werden.

Fazit dieser überlegungen ist, dass man das Wort "Welt" getrost weiterhin in seiner �blichen Bedeutung verwenden darf. Allerdings sollte man Denkmuster,  die - bezogen auf einen Teil der Welt - sinnvoll sind, nicht unkontrolliert auf die Welt als Gesamtheit des wirklich Existierenden übertragen, wo sie keinen Sinn machen.
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15.12.2014

Ich bin zuf�llig auf ein Video gestoßen, das einen Vortrag Gabriels im Oktober 2013 in der Universit�t Nijmegen wiedergibt, Dort pr�sentiert Gabriel eine ver�nderte Begr�ndung für seine These, dass die Welt nicht existiert. Er beginnt mit der Bedeutung des Wortes "existieren". Er bringt dabei die Definition ins Spiel: "Etwas 'existiert', wenn es ein Teil der Welt ist." (Leider bleibt unklar, welchen Status diese Definition für Gabriel hat, denn er legt sie den Zuh�rern in den Mund, ohne die Definition selber zu vertreten.)
 
Damit ergibt sich jedoch ein Problem. Wenn man sagen will, dass die Welt existiert, so f�hrt dies zum Widerspruch. Gem�� Definition existiert nur das, was Teil der Welt ist. Die Welt ist aber nicht Teil ihrer selbst. Folglich kann die Welt nicht existieren.

Hier stellt sich die Frage, ob dieses Problem unvermeidlich ist. Nichts leichter als das.

Man definiert "Etwas existiert" durch den Ausdruck: "Etwas kann wahrgenommen werden". Wenn man nun mit dem Wort "Welt" die Gesamtheit all dessen bezeichnet, was existiert, so haben wir damit keine Probleme. Wir können weiterhin von "der Welt" sprechen und m�ssen uns dabei keineswegs vom �blichen Sprachgebrauch entfernen.

p.s.:
Es ist schon beinahe gespenstisch zu sehen, dass eine derart angreifbare Position, wie Gabriel sie vertritt, auf breiteste Zustimmung in den Medien st��t. Die bei weitem überwiegende Zahl der Rezensenten von Amazon bis zur ZEIT hielten es entweder nicht für n�tig oder waren nicht in der Lage, wenigstens an einigen Punkten ins Detail zu gehen und die Frage zu stellen: Stimmt denn das, was hier behauptet wird?   
 

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Anhang

Ein bisher vergeblicher Versuch einer kontroversen Diskussion


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07.11.2013

Zum Erscheinen des Buches von Professor Gabriel gab Johannes Seiler vom Dezernat 8 - Hochschul-Kommunikation - der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universit�t Bonn mit Datum vom 21.06.2013 im 'idw - Informationsdienst Wissenschaft' unter dem Titel "Gut, dass es die Welt nicht gibt" eine Pressemitteilung heraus.

http://idw-online.de/de/news539921 (Weblink zur Pressemitteilung im 'idw-Information Wissenschaft')
Diese Pressemitteilung wurde wieder abgedruckt in 'uni online'.

Die Pressemitteilung der Universit�t Bonn endet mit dem Angebot eines Gespr�chs. Die Anf�hrungsstriche lassen vermuten, dass hier Professor Gabriel selber zitiert wird. Herr Seiler schreibt: 

<<Sein Buch, für breite Leserkreise gedacht und formuliert, will nicht "eine Erkl�rung von allem" sein, sondern eine Aufforderung zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit. "Lassen wir alle Stimmen frei und nehmen Kontakt auf. Und dann kann man sehen, wer sich in diesem Gespr�ch bew�hrt.">>


Das h�rt sich gut an. Ich bin gespannt, ob es zu einer Diskussion kommt, wenn ich mich an die angegebene Kontaktadresse wende.  E.W.

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Kontakt:
Prof. Dr. Markus Gabriel
Institut für Philosophie
Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart
Tel. 0228 / 73-5067 oder 73-54014
E-Mail: markus.gabriel@uni-bonn.de
E.W.

Ich sandte an diese e-mail-Adresse das folgende Schreiben:
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07.11.2013

Sehr geehrter Herr Professor Gabriel,

ich habe mit gro�em Interesse Ihr j�ngst erschienenes Buch "Warum es die Welt nicht gibt" gelesen. Die von Ihnen darin vertretenen Positionen verdienen eine gr�ndliche Analyse und eine sachliche Diskussion. Einen Anfang dazu habe ich mit einer kurzen Stellungnahme in der Website "ethik-werkstatt.de" bereits gemacht auf der Seite: "Markus Gabriel und die Existenz der Welt".

Falls Sie Ihr Gespr�chsangebot nicht aufrecht erhalten können, würdech mich freuen, wenn einer Ihrer Assistenten oder Doktoranden Sie vertreten k�nnte. Die Entscheidung darüber, ob die Diskussion in der Ethik-Werkstatt oder anderswo ver�ffentlicht wird, überlasse ich Ihnen.

Mit freundlichen Gr��en  Eberhard Wesche.
 

  Dr. rer.pol. Eberhard Wesche, Herausgeber der Ethik-Werkstatt

        Kontakt: wesche_eberhard@yahoo.de
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07.12.2013

Bis heute ist leider auf meinen Versuch zur Kontaktaufnahme keinerlei Reaktion erfolgt. Dies kann wohl nicht an der Qualit�t der formulierten Kritik liegen, denn wenn man bei GOOGLE die Suchw�rter "Gabriel Existenz Welt" eingibt, dann steht dieser Text an erster Stelle bei den Suchergebnissen. Sollte es wirklich niemanden geben, der f�hig und Willens ist, die Position des "Neuen Realismus" in einer �ffentlichen Diskussion gegen Kritik zu teidigen?

Solange noch keine Reaktion auf die Annahme des Vorschlags zu einer �ffentlichen Diskussion des Ansatzes von Gabriel erfolgt ist, werde ich notgedrungen anstelle eines Dialogs die Kritik in monologischer Form vortragen.
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01.12.2014

Jetzt ist bereits mehr als ein Jahr vergangen, seit ich Professor Gabriel gebeten hatte, die Positionen seines Buches "Warum es die Welt nicht gibt" zu diskutieren. Aber da wird wohl erstmal nichts mehr kommen. Es gilt, neue Publikationen zu verbreiten. Das wirbelt soviel Staub auf, dass Positionen von gestern nicht mehr sichtbar sind.

Dazu noch ein Blick hinter die Kulissen.

Offenbar hat GOOGLE manchmal Sympathien für Markus Gabriel. Wenn man in die Suchmaschine eingibt: "markus gabriel warum es die welt nicht gibt", dann ist auf den ersten 20 Seiten kein Link zu der detaillierten Kritik in der Ethik-Werkstatt zu finden. Wenn man dahinter jedoch noch das Suchwort "ethik-werkstatt" einf�gt, so finden sich auf der Seite 1 der Suchergebnisse gleich 3 Links zur Ethik-Werkstatt. Noch Fragen?
E.W.
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24.01.2015

In den ersten 20 Monaten nach Erscheinen des Buches im Juli 2013 beherrschten eher oberfl�chliche Rezensionen die Szene im Internet. So schrieb die Frankfurter Allgemeine: "
Markus Gabriel zeigt mit Verve, wie man abseits akademischer Einhegungen zentrale philosophische Fragen ohne Abstriche verhandeln kann." 
Der erste Teil dieses Textes wurde im September 2013 ZEIT ONLINE angeboten, wurde aber nicht abgedruckt. Der �stereichische "STANDARD.at" brachte am 15.09.2013 eine herbe Kritik an Gabriels Buch. Hier wurde dann am 15.09.2014 Vom STANDARD.at der von ZEIT ONLINE abgelehnte Text als Leserkommentar abgedruckt.

Sp�ter, im Herbst 2014 konnten sich kritische Stimmen ein wenig Geh�r verschaffen. Die ablehnenden Leserkommentare mehrten sich, sogar bei Amazon. Der Wind drehte sich. Ein Beispiel hierfür aus ZEIT ONLINE vom 08.11.2014:

"Der Skandal - der fast schon einer Zerst�rung der Disziplin Philosophie als akademische Wissenschaft gleichkommt - besteht darin, dass Herr Gabriel im Jahr 2013 (also 17 Jahre nach der Sokal-Affüre) bei seinen Lesern und Fachkollegen eine so unglaubliche Ignoranz und Unwissenheit voraussetzen durfte und diese mit pomp�sem Nonsens und Symbolquark herausfordert - und die erwartete Ignoranz und Unwissenheit auch gefunden hat. ...

Kein Wunder, dass sich die Medien überschlagen vor Begeisterung für diese hohle Nuss (man google einige Rezensionen seiner Werke oder seine Beitr�ge für diverse Zeitungen)."

Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

E.W.

 
  



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Letzte Bearbeitung: 24.01.2015 / zuerst in der Ethik-Werkstatt ver�ffentlicht 15.09.2013 (1. Abschnitt / Eberhard Wesche)

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