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Erkenntnistheorie zwischen Psychologie und Methodologie
Notizen
Welche Fragen beantwortet die philosophische Erkenntnistheorie?
Welche Aufgaben hat die philosophische Erkenntnistheorie?
Welche Fragen werden von ihr gestellt (bzw. sollten
gestellt werden)? Mit welchen Methoden werden sie beantwortet (bzw. sollten sie
beantwortet werden)? Was für Konsequenzen ergeben sich aus ihren Ergebnissen?
Erkenntnistheorie ist vom Namen her erstmal eine Theorie
über die Erkenntnis.
Was ist aber mit "Erkenntnis" gemeint? Die Tätigkeit des
Erkennens? Oder die gefundenen Ergebnisse? Sind nur die richtigen Ergebnisse "Erkenntnis"? Welcher Art sind die Erkenntnisse? Ist z. B. die Beantwortung einer
moralischen Frage auch eine Erkenntnis?
Wenn als zu erkennende Objekte nur tatsächlich existierende
Sachverhalte in Frage kommen, dann hat man bereits eine wichtige Vorentscheidung
getroffen. "Erkenntnis" kann es dann nur über die tatsächliche Beschaffenheit
der Welt geben.
Demnach würden Wissenschaften wie Mathematik, Logik,
normative Ethik, allgemeine Systemtheorie, Kybernetik oder die Theorien, die
ideale Modelle untersuchen, keine Erkenntnisse liefern, denn ihre Resultate sind
keine Aussagen über die Beschaffenheit der Welt - und Adam und Eva haben im
Paradies nicht vom "Baum der Erkenntnis" des Guten und des Bösen
gegessen.
Ist mit "Theorie" jede Art von Theorie gemeint? Wie grenzt
sich dann die philosophische Erkenntnistheorie von psychologischen Theorien über
Wahrnehmung, Denken und Erkennen ab? Stellt sie andere Fragen? Bedient sie sich
anderer Forschungsmethoden?
Ich definiere die Tätigkeit des Erkennens vorläufig als
"das Bemühen um die richtige Beantwortung von (bisher offenen) Fragen".
Diese vorläufige Definition ist sehr weit gefasst. Danach
ist z. B. auch das Bemühen um die unbekannte Handynummer einer Person eine
"Erkenntnistätigkeit". Ebenso die Beantwortung einer moralischen oder
juristischen Frage.
Ein Subjekt besitzt insofern die Fähigkeit des Erkennens,
als es sich (selbstständig) und nicht ohne Erfolg um die richtige Beantwortung
von Fragen bemüht. "Erkenntnisse" (auch im Plural) wären dann "Antworten (oder
allgemein Aussagen), die richtig sind".
Die falsche Handynummer wäre demnach nur eine "vermeintliche Erkenntnis", und eine unbestätigte Handynummer nur eine "vorläufige Erkenntnis".
Man muss nicht unbedingt zu einer einheitlichen Terminologie hinsichtlich "Erkenntnis" etc. kommen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass wir uns gegenseitig
verstehen und dass die verschiedenen Terminologien ineinander übersetzbar sind.
Wenn jemand die Aktivität, die für die Beantwortung
normativer Fragen ("Wie soll man in bestimmten Situationen handeln?")
erforderlich ist, nicht als "Erkenntnis" bezeichnen möchte, so mag er das tun.
Wir müssen nur im Hinterkopf behalten, dass "Erkenntnis" für ihn das ist, was
für andere "positive Erkenntnis" ist.
Ein Streit um Worte bringt hier – wie auch anderswo –
keinen Erkenntnisfortschritt.
Verschiedene Arten von Erkenntnissen
Nach der obigen Definition von Erkenntnis scheint es
notwendig, zwischen positiver bzw. empirischer Erkenntnis" und "normativer bzw.
präskriptiver Erkenntnis" zu unterscheiden.
Demnach muss es unterhalb einer allgemeinen Theorie der
Erkenntnis neben einer Theorie der empirischen Erkenntnis auch eine Theorie der
normativen Erkenntnis geben.
Gegenstand der empirischen Erkenntnis ist alles, was ist
(was war und was sein wird).
Gegenstand der normativen Erkenntnis ist alles, was sein
soll. und was hätte sein sollen.
Auch einfache Existenzaussagen beantworten Fragen und sind insofern
Erkenntnisse. Ich sehe zwar, dass Existenzaussagen noch keine Theorie
ermöglichen, jedoch spielen sie eine wichtige Rolle z. B. bei der Falsifikation
von Theorien.
Um ein Beispiel aus dem sozialen Bereich zu nehmen: Wenn
ein Vater verstirbt, gibt es Regelungen über die Aufteilung des Erbes. Hier ist
es z. B. von großer Bedeutung, ob es neben den ehelichen Kindern vielleicht auch
noch ein – bis dahin unbekanntes – nichteheliches Kind des Vaters gibt.
In der Physik hat z. B. die Frage nach Existenz des "Äthers"
einmal eine wichtige Rolle gespielt. Und in der Biologie fände ich es
interessant zu wissen, ob es Lebewesen gegeben hat, die nicht in Zellen
organisiert sind.
***
Die empirische Theorie der Erkenntnis
Nach meiner Vorstellung müsste eine empirische
Erkenntnistheorie zeigen, wie sich Fragen nach der Beschaffenheit der wirklichen
Welt möglichst irrtumsfrei beantworten lassen. Thema der Erkenntnistheorie wäre
also vorrangig die Entwicklung einer Methodik der (empirischen)
Erkenntnisgewinnung.
Mit einer solchen Fragestellung problematisiere ich
allerdings bestimmte Aspekte nicht mehr. Ich gehe z. B. von dem Vorhandensein
einer intersubjektiv verständlichen Sprache aus.
Demgegenüber gibt es in der philosophischen Tradition die
Frage nach den "Bedingungen der Erkenntnis". Was ist mit den "Bedingungen" der (Möglichkeit) von
Erkenntnis gemeint? Meint man damit die Fähigkeiten, die Menschen haben müssen,
um (bestimmte) Fragen (richtig) beantworten zu können? Dann gehören die
Ergebnisse der empirischen Forschungen über Denken und Erkennen dazu.
Soll rekonstruiert werden, wie
sich auf der Grundlage von subjektiven Sinneseindrücken wahre Aussagen über die
objektive Welt aufstellen lassen?
Dies ist unter Voraussetzung einer allgemeinverständlichen
Sprache und dem damit bereit gestellten Fundament der Intersubjektivität relativ
unproblematisch.
Wenn ich z. B. die Bedeutung und den Gebrauch des Wortes "Baum" durch gleichzeitiges Hinzeigen und Aussprechen des Wortes "begriffen"
habe, dann ist es für mich nicht schwer, auf die Frage: "Steht dort ein Baum?" eine wahre
Antwort zu geben.
Der durch das Nervensystem geleitete Datenstrom aufgrund von Reizungen der Sinnesorgane
(Sinneseindruck) muss gefiltert
und strukturiert werden, damit daraus bewusste und sprachlich beschreibbare
Wahrnehmungen werden, die gemerkt und wieder erinnert werden können. Dies
leistet u.a. die Sprache, die ein bestimmtes Begriffsraster vorgibt, aber auch
das menschliche Gehirn besitzt offenbar vielfältige Möglichkeiten zur
selbständigen Filterung
und Strukturierung der Wahrnehmung.
Außerdem müssen die Subjekte z. B. die Fähigkeit besitzen,
Identisches zu erkennen (" Dies ist wieder dieselbe Person wie vorhin aber das
ist eine andere Person" ). Und sie müssen Gleichartiges und Verschiedenes
unterscheiden können (" Dies ist eine Katze und dies ist eine Katze, aber das da
ist ein Kaninchen und keine Katze".
Damit können die erkennenden Subjekte alle Namen und
Begriffe zur Beschreibung existierender Dinge erlernen.
Ich sehe allerdings bei diesen Fragen vor allem eine
Zuständigkeit der empirischen Psychologie und Neurologie und stehe den
Schreibtischforschungen der Philosophen eher skeptisch gegenüber, weil diese nur
das Forschungsinstrument des eigene Nachdenkens verwenden.
Wenn ich die Ergebnisse der empirischen Psychologie richtig
interpretiere, so ist die Strukturierung der Sinneseindrücke in Form einer
gegenständlichen Welt dem Menschen angeboren.
Dazu einige Forschungsergebnisse:
Neugeborene können durch Kopf- und Augenbewegungen auf
Reize reagieren und ihre bewusste Aufmerksamkeit darauf richten. Mit dieser
angeborenen Fähigkeit zur Ausrichtung der bewussten Aufmerksamkeit ist ein
grundlegender Mechanismus zur Filterung und Strukturierung von Sinneseindrücken
durch das Subjekt gegeben.
Neugeborene reagieren auf Gesichter anders als auf sonstige
Formen. Bereits nach wenigen Tagen kann das Neugeborene das Gesicht der Mutter
(bzw. seiner Bezugsperson) wieder erkennen, also von anderen Gesichtern
unterscheiden.
Damit ist bereits für das Neugeborene ein dauerhaftes
Objekt konstituiert und es gibt für das Neugeborene eine Identität des Objektes,
obwohl das Objekt durch unterschiedliche Sinneseindrücke repräsentiert wird,
denn das Gesicht der Mutter sieht ja je nach Entfernung, Lichtverhältnissen und
Blickwinkel immer anders aus.
Wie das Gehirn des Neugeborenen diese Leistung vollbringt,
wie es die Sinneseindrücke filtert, speichert, miteinander vergleicht,
korrigiert, strukturiert und zu einem internen Bild des mütterlichen Gesichts
verarbeitet, das es wieder erkennt, ist noch weitgehend unerforscht.
Ich frage mich jedoch, inwieweit die Erforschung der
Objektbildung von der philosophischen Erkenntnistheorie zu leisten ist. Sicher
kann die Philosophie theoretische Modelle dieser Vorgänge entwerfen.
Man kann jedoch nicht darauf verzichten, diese Modelle
empirisch zu überprüfen. Damit werden die Grenzen zur Kognitionspsychologie, zur
Informatik und zur Technologie intelligenter Maschinen fließend.
***
Zur These, dass es zwar
logische Erkenntnisse aber keine ethischen Erkenntnisse gibt
Warum liefert Deiner Meinung die Logik Erkenntnisse und die normative Ethik nicht?
Die Logik sagt uns, welches gültige Schlüsse sind, bei
denen die Wahrheit der Prämissen immer auf die Konklusionen übertragen wird.
Die normative Ethik sagt uns, ob wir in einer bestimmten
Weise handeln sollen oder nicht.
Was ist Dein Kriterium dafür, dass die Beantwortung
logischer Fragen Erkenntnis ist, die Beantwortung ethischer Fragen jedoch nicht?
Gibt es bei der Logik ein "Objekt" der Erkenntnis und bei
der Ethik nicht? Liegt es an der intersubjektiven Übereinstimmung, die bei
logischen Fragen herstellbar ist und bei ethischen Fragen nicht?
Einig sind wir uns wohl darüber, dass es moralische Fragen
gibt. (z. B.: Darf man einen Menschen hinrichten, wenn er andere Menschen ermordet
hat?)
Wahrscheinlich ist es zwischen uns strittig, ob es sich bei
den Antworten auf moralische Fragen um Behauptungen handelt, die richtig oder
falsch sein können.
Hier liegt wohl der eigentliche Dissens, der sich hinter
dem Streit um die Bedeutung des Wortes "Erkenntnis" verbirgt.
Dass bei der Beantwortung moralischer Fragen logisch
argumentiert werden kann, ist dabei zwischen uns nicht strittig. (Z. B. wäre eine
Hinrichtung mit dem Tötungsverbot nicht vereinbar).
Wahrscheinlich würdest Du auch darin zustimmen, dass bei
der Beantwortung moralischer Fragen auch empirische (faktische) Argumente eine
Rolle spielen (z. B: "Durch die Todesstrafe werden mögliche Täter stärker abgeschreckt
als durch lebenslängliche Gefängnisstrafen").
Wahrscheinlich würdest Du bestreiten, dass es moralische
Argumente geben kann, die nicht rein logischer oder faktischer Natur sind.
Aber was ist es mit folgendem Argument: "Wenn die Bedingungen, unter denen Person A die Person X
getötet hat, die gleichen sind wie die Bedingungen, unter denen Person B die
Person Y getötet hat, so darf man nicht A hinrichten und B nicht" ?
Dies ist kein rein logisches und auch kein rein empirisches
Argument.
Du wirst mir zugeben, dass moralische Fragen oft schwer zu
beantworten sind, und dass die Antworten darauf nicht gleich offensichtlich
sind.
Ob Du den Prozess ihrer richtigen Beantwortung nun "Erkenntnis" nennen willst oder anders bezeichnen willst, erscheint mir als
zweitrangig.
Du schreibst "Erkenntnis setzt ein erkennendes Subjekt und
ein zu erkennendes Objekt voraus." Aber hier fangen die Schwierigkeiten mit der "Objektivität" schon an: Welche Objekte werden von der Mathematik, der Logik
oder der Ethik erkannt? Und wo ein Gegenstand erkennbar ist, wie in den
empirischen Wissenschaften: was ist mit "Objektivität" gemeint?
Wenn ich zugespitzt sage: Das Ziel sind nicht "objektive
sondern intersubjektiv und intertemporal gültige Erkenntnisse", so ist das
programmatisch gemeint: Wenn wir uns um Erkenntnis bemühen, um Irrtümer und
Meinungsverschiedenheiten zu bekämpfen, dann muss von uns dauerhafte
Gültigkeit und intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Behauptungen angestrebt
werden.
Wie Du schreibst, bist du mit dem Erkenntnisziel
intersubjektiv und intertemporal gültiger Sätze einverstanden. Wir sind offenbar
einer Meinung darin, dass es die Erkenntnis der Dinge, wie sie "an sich" sind,
nicht geben kann. Wir können nur erkennen, wie die Dinge für uns sind. Die
Frage, wie etwas an sich ist, ist sinnlos.
Wie die Dinge für uns sind, schließt dabei ein, dass wir
unsere angeborenen Organe der Wahrnehmung technisch erweitern, z. B. die
Wahrnehmung mit dem bloßen Auge durch Teleskop und
Mikroskop verbessern.
Eingeschlossen wäre auch noch die Wahrnehmung, die wir
hätten, wenn wir z. B. Facettenaugen hätten wie die Insekten, oder wenn wir so
hohe Töne hören könnten, wie die Hunde.
Daraus folgt auch, dass mit der Entdeckung und Entwicklung
neuartiger Sensoren auch unsere Wahrnehmung der Welt sich verändert und
erweitert.
Abschließend noch mal zum "Objekt" der Erkenntnis.
Es fällt schwer das "Objekt" der mathematischen Erkenntnis
zu bezeichnen. Um Erkenntnis handelt es sich in dieser Wissenschaft wohl auch.
Deshalb erscheint es mir sinnvoller, die Erkenntnisse nicht
nach den Objekten zu ordnen, auf die sie sich beziehen, sondern nach der Art der
Fragen, auf die sie eine Antwort geben.
So gibt mir z. B. die Mathematik Antwort auf die Frage, ob es sich bei der
Ersetzung eines mathematischen Ausdrucks (z. B. "3 + 4" ) durch einen anderen (z.
B. "6 + 1" ) um eine zulässige Operation handelt, also um eine solche, die die
Größe des betreffenden Ausdrucks nicht verändert.
Ich gebe Dir Recht, wenn Du betonst, dass wir z. B. die Welt eines Hundes nicht
teilen können. Allerdings können wir versuchen, uns in ihn vorstellungsmäßig
hineinzuversetzen, wenn wir wissen, dass er hohe Frequenzen hört, die für
uns nicht hörbar sind, oder wenn wir wissen, dass sein Geruchssinn sehr viel
empfindlicher ist als unserer. Nur dann können wir auch verstehen, warum er sich
in bestimmten Situationen in einer bestimmten Weise verhält, warum er z. B.
extrem unruhig ist, wenn er in eine unbekannte Gegend kommt, wo es zahlreiche
Geruchsspuren gibt, deren Verursacher ihm alle unbekannt sind.
Wenn ich eine Milbe, die ich mit bloßem Auge kaum erkennen
kann, in 10.000-facher Vergrößerung unter dem Elektronenmikroskop sehe, so kann
man sich streiten, ob dies eine Erweiterung unserer Wahrnehmung ist oder eine
Erweiterung unseres Wissens.
Mir kommt es in diesem Zusammenhang nur darauf an,
festzuhalten, dass sich die Welt, wie sie für uns ist, mit der Entwicklung neuer
und empfindlicherer Sensorien verändert und erweitert, so dass wir nicht in einem
Käfig eingesperrt sind, dem wir nicht entfliehen können.
Mein Vorschlag, die erkenntnistheoretischen Probleme nach
der Art der Fragestellung zu gliedern (empirisch – normativ – modelltheoretisch
– hermeneutisch u. a. m.), heißt nicht, dass ich damit die Einteilung der
Wissenschaften nach ihrem Gegenstand aufheben will. Für diese Einteilung gibt es
ebenfalls gute Gründe.
Aber es gibt zwischen normativer Ethik, normativer
Pädagogik, normativer Politikwissenschaft, normativer Ökonomie oder normativer
Rechtsphilosophie mehr methodische Gemeinsamkeiten, als es die herkömmliche
Fächertrennung vermuten lässt.
Kann man sich in die Lage eines anderen hinein versetzen?
Du bist der Meinung, dass man sich nicht in einen andern
Menschen hinein versetzen kann, dass man also nicht nachvollziehen kann, wie ein
anderer Mensch die Dinge sieht und erfährt.
Ich gebe zu, dass dies eine schwierige Materie ist, die
eine Reihe ungeklärter methodischer Fragen aufwirft.
Ich bin allerdings der Meinung, dass Fragen wie: "Ist
Person A vom Fluglärm stärker betroffen als Person B?" oder "Wiegt der Vorteil,
den ich durch diese Handlung habe, den Nachteil auf, den ich damit meinem
Nachbarn zufüge?" keine sinnlosen Fragen sind. Ich halte es auch im Prinzip für
möglich, sie allgemeingültig zu beantworten.
Wichtig ist ihre Beantwortung sicherlich, da solche Fragen
z. B. in der Ethik und in der Rechtsprechung eine grundlegende Bedeutung haben.
Man spricht dort von "Güterabwägung" oder "Interessenabwägung".
Richtig ist, dass Sätze wie: "Der Verlust seiner Anstellung
hat ihn schwer getroffen" oder "Es wäre für Person A härter, wenn sie ihre
Anstellung verlieren würde, als für Person B" keine normalen empirischen Sätze
sind, die anhand der Wahrnehmung direkt überprüfbar sind. Insofern
ist es auch
verständlich, dass Ökonomen, die ihre Wissenschaft rein empirisch verstehen,
derartige "interpersonalen Nutzenvergleiche" ablehnen. Trotzdem gibt es
Möglichkeiten zu Überprüfung derartiger Aussagen.
So kann man sich manchmal real in die Lage eines anderen
hinein versetzen und die Dinge aus seiner Sicht sehen. Wenn Person A bei einem
Konzert einen Platz vorn in der Mitte hat, und Person B einen Platz ganz hinten
links, so kann sich A in die Lage von B hinein versetzen, indem beide ihre
Plätze tauschen. Dadurch kann A nachvollziehen, wie schlecht B von diesem Platz
aus sehen und hören kann.
Man sagt zwar manchmal: "Was das für mich bedeutet, dass
kann nur jemand nachvollziehen, der das selber einmal durchgemacht hat" oder "Das kann man mit Worten gar nicht beschreiben, das muss man erlebt haben".
Aber häufig gibt es analoge Erfahrungen, die es leichter
machen, sich in die Lage eines anderen Menschen hinein zu versetzen. Man hat
vielleicht nicht die gleiche Krankheit gehabt, wie der andere, aber eine
vergleichbare.
Ich will die Frage, inwieweit man sich in die Lage eines
anderen vorstellungsmäßig hinein versetzen kann, hier jedoch nicht weiter
verfolgen, sondern nur noch darauf hinweisen, dass auch bei Entscheidungen, die
nur eine einzige Person betreffen, ein vergleichbares Problem auftauchen kann.
Wenn man nämlich Entscheidungen treffen muss, die für einen
selber sehr langfristige Auswirkungen haben, wie etwa die Wahl einer
Berufsausbildung oder eines Lebenspartners, so muss ich mich in meiner
Vorstellung in die Person hinein versetzen, die ich in 20 oder gar 40 Jahren
sein werde. Und ich muss die Interessen, die ich gegenwärtig habe, abwägen gegen
diejenigen Interessen, die ich in 40 Jahre haben werde.
Ein solcher Vergleich ist zwar nicht interpersonal, weil er
nur eine Person betrifft, aber im Laufe der Zeit ändert sich meine Person. Damit
wirft eine über längere Zeit hin, d. h. intertemporal gültige Entscheidung
vergleichbare Probleme auf, wie eine Entscheidung, die mehrere Personen
betrifft.
Abschließend noch zu Deiner Frage nach einer vollständigen
Systematik der Wissenschaftsgebiete oder Erkenntnisbereiche.
Wenn Du damit meine Unterscheidung verschiedener Arten von
Fragen meinst, so ist die Einteilung der Fragen in empirische, normative,
hermeneutische und modelltheoretische sicherlich nicht vollständig. Auf jeden
Fall gehören noch die logisch-mathematischen Fragestellungen hinzu (" Ist der
Übergang von den Prämissen x und y zu der Konklusion z ein gültiger Schluss?"
bzw. "Ist der Übergang vom mathematischen Ausdruck x zum mathematischen Ausdruck
y eine zulässige Rechenoperation?" ).
Zu erwähnen sind natürlich auch die
philosophisch-methodischen Fragen (" Wie kann man empirische Fragen richtig
beantworten?" oder "Sind Aussagen über Wesen, die jenseits menschlicher
Erfahrung existieren, sinnlos?" ).
Mit der Vollständigkeit der Unterteilung habe ich keine
Probleme, weil es immer die Rest-Kategorie "Sonstige Fragen" geben wird.
***
Siehe auch
die folgenden thematisch verwandten Texte in der Ethik-Werkstatt:
Erkenntnis - Wahrheit - Wissenschaft ** (49 K)
zum Anfang
Alphabetische Liste aller Texte
Übersicht
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zwischen Psychologie und Methodologie"
Letzte Bearbeitung 03.03.2006 / Eberhard Wesche
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