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Politische Demokratie und gesellschaftliche Macht

 

Das Mehrheitsprinzip verlangt, dass bei der Abstimmung jeder Stimmberechtigte eine Stimme erhält. Dies ermöglicht eine gleichgewichtige Berücksichtigung der Staatsbürger und ihrer Interessen. Allerdings darf das Abstimmungsverhalten nicht durch Zwang, Drohung oder Manipulation beeinflusst werden. Wahlen, die nicht frei sind, sind keine Wahlen sondern nur Propaganda.

Gewöhnlich wird unter einer "freien Wahl" verstanden, dass der Wähler wegen seiner Stimmabgabe für einen bestimmten Kandidaten nicht sanktioniert bzw. bedroht werden darf. Um dies zu erreichen, müssen die Stimmzettel anonym sein und verdeckt ausgefüllt werden.

Von diesem Problem zu unterscheiden ist das andere Problem, dass gesellschaftlich mächtige Minderheiten die Wahlentscheidung dadurch beeinflussen, dass sie bestimmte politische Alternativen durch ihr eigenes Handeln unmöglich machen bzw. deren Verwirklichung von vornherein als unmöglich erscheinen lassen.

Ein Beispiel soll deutlich machen, was damit gemeint ist.

In demokratischen Gesellschaften mit einer kapitalistischen Wirtschaft ist es trotz freier Wahlen und trotz zahlenmäßiger Überlegenheit der abhängig Beschäftigen fast unmöglich, die Besteuerung der Einkommen über bestimmte Grenzen anzuheben, ohne als Konsequenz Kapitalflucht und Investitionszurückhaltung samt ihrer negativen Folgen herbeizuführen. Mächtige Minderheiten wie die Eigentümer großer Unternehmen und ihre Orgqanisationen können also eigentlich vorhandene politische Alternativen mit derart negativen Konsequenzen für die abhängig Beschäftigten verknüpfen, dass diese Alternativen nicht mehr in deren Interesse liegen.

In diesem Fall bedarf es keiner rechtswidrigen Sanktionierung der individuellen Wahlentscheidungen, da die einzelnen Wähler in ihrem eigenen Interesse von solchen Alternativen Abstand nehmen.

Auch noch so freie, gleiche und geheime Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip sind also nicht immun gegen die Wirkungen ungleicher sozialer Macht.

Es wäre in dem oben genannten Beispiel jedoch nicht angebracht, die angekündigten Gegenreaktionen der Kapitalseite (Kapitalflucht, Investitionszurückhaltung etc.) als "Erpressung" zu bezeichnen, denn diese Gegenreaktionen sind nicht rechtswidrig. Hier muss man eine deutliche Unterscheidung machen zu politischen Verhältnissen, wo z. B. eine Partei deswegen nicht gewählt wird, weil mächtige gesellschaftliche Gruppen damit drohen, im Falle eines Sieges dieser Partei die unerwünschte Entscheidung der Wähler zu kassieren und einen Militärputsch zu veranstalten.

Bei der Frage des Machtverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit muss man die spezifische Verknüpfung zwischen den Interessen der Kapitaleigner und der Beschäftigten eines Unternehmens sehen. Unter den Voraussetzungen einer bestehenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung haben die Arbeitnehmer ein Interesse daran, dass die Unterdehmen Gewinn machen, denn langfristig gesehen kann es den Beschäftigten eines Unternehmens nur gut gehen, wenn es auch dem Unternehmen bzw. dessen Eigentümern gut geht. 

Grob gesprochen liegt es deshalb im eigenen Interesse der Beschäftigten eines Unternehmens, ihre Forderungen an die Unternehmensleitung nicht so hoch zu treiben, dass damit die langfristige Konkurrenzfähigkeit des eigenen Unternehmens gefährdet wird, weil dann die Lohnzahlungen gefährdet sind - bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes bei Konkurs.

Nur aufgrund dieser (asymmetrischen) Interessenverknüpfung ist es überhaupt erklärbar, dass es trotz der kurzfristigen Interessengegensätze (Erhöhung der Löhne = Senkung der Gewinne) zu Vereinbarungen zwischen Kapitalseite und Arbeitnehmerseite über Löhne, Arbeitszeit etc. kommt und der kollektive Bargaining-Prozess der Tarifverhandlungen insofern "funktioniert".

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    Mehrheitsalternative * (15 K)
 

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Letzte Bearbeitung 11.05.2008 / 04.03.2016 / Eberhard Wesche

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